Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 03.09.2019, Az.: 10 B 3307/19
Fachbehörde; Gefährlichkeit; Gemeinde; NHundG; vorläufig; Zuständigkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 03.09.2019
- Aktenzeichen
- 10 B 3307/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 69912
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 17 HundHaltG ND
- § 7 HundHaltG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Während des laufenden Gefährlichkeitsfeststellungsverfahrens nach § 7 NHundG ist für vorläufige Maßnahmen ausschließlich die Fachbehörde zuständig. Die Gemeinde ist für die angegriffene Verfügung nicht zuständig.
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der am 15.07.2019 erhobenen Klage - E. - gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.06.2019 wird wiederhergestellt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist Halterin eines schwarzen Labrador-Neufundländer-Dalmatiner-Mischlingshundes (genannt „F.“).
Anlass der streitgegenständlichen Verfügung ist ein Vorfall am 07.06.2019. Die Zeugin G. zeigte mit E-Mail vom 11.06.2019 bei der Antragsgegnerin an, dass Sie am Vorfallstag mit ihrem Kind und ihrem Border-Collie (genannt „H.“) an einer Ausziehleine bei der I. spazieren gegangen sei. Dort habe sie einen unangeleinten, unbeaufsichtigten schwarzen Labrador-Neufundländer-Mix gesehen, den sie als aggressiv eingeschätzt habe, weshalb sie umgedreht sei. Der Hund sei dennoch auf sie zugestürzt und habe sie unvermittelt in den linken Oberschenkel gebissen, sofort wieder losgelassen und sich dann im Hals-/Gesichtsbereich ihres Hundes verbissen. Sodann sei der Zeuge A. hinzugekommen. Er habe seinen Hund ins Gesicht schlagen müssen, damit er von „H.“ ablasse. Sie habe die Polizei verständigt und das J. er Krankenhaus aufgesucht. Am Folgetag habe sie mit „H.“ den Tierarzt aufgesucht. Sie legte ein Foto einer Verletzung am linken Oberschenkel vor.
Mit Schreiben vom 12.06.2019 wandte sich der Landkreis K. im Rahmen der Prüfung nach § 7 NHundG hinsichtlich der Gefährlichkeit von „F.“ an die Antragsgegnerin und erbat ergänzende Angaben zu dem Vorfall am 07.06.2019. Gegenüber der Antragsgegnerin vertrat der Landkreis die Auffassung, dass seitens des Landkreises bis zur Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes keine Möglichkeiten bestünden, Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu treffen. Auch unter Berücksichtigung von Anhörungsfristen, Sachstandsermittlungen und der Erstellung eines amtstierärztlichen Gutachtens werde die Antragsgegnerin gebeten, Maßnahmen zur Gefahrenabwehr einzuleiten, damit es während des Gefährlichkeitsfeststellungsverfahrens keine weiteren Vorfälle mehr gebe.
Eine Anhörung der Antragstellerin durch die Antragsgegnerin unterblieb.
Mit Bescheid vom 17.06.2019 ordnete der Antragsgegner an, dass „F.“ außerhalb des ausbruchssicheren Grundstücks der Antragstellerin anzuleinen sei. Der Hund dürfe nur von Personen ausgeführt werden, die ausreichend körperliche Gewalt ausüben könnten, damit ein Losreißen des Hundes verhindert werden könne. Die Leine dürfe nicht länger als 1,50 m sein (Nr. 1). Die sofortige Vollziehung der Maßnahmen unter Nr. 1 werde angeordnet (Nr. 2). Wenn die Antragstellerin die Anordnungen aus Nr. 1 des Bescheides nicht befolge, werde ihr für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 50,00 € angedroht (Nr. 3). Zur Begründung nahm sie Bezug auf § 17 Abs. 4 NHundG. Am 07.06.2019 habe „F.“ die Zeugin A. und ihren Hund gebissen. Da der Hund unangeleint gewesen sei, liege ein Verstoß gegen § 33 Abs. 1 Nr. 1 lit. b NWaldG vor. Außerdem sei gegen § 2 NHundG verstoßen worden, weil Hunde so zu halten seien, dass von ihnen keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgingen. Gleichzeitig liege ein Verstoß gegen § 4 Abs. 2 lit. b der Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Flecken D. vom 22.08.2013 vor, wonach Hundehalter verpflichtet seien zu verhindern, dass ihr Hund Personen oder andere Tiere gefährdend anfalle. Der geschilderte Sachverhalt rechtfertige die unter Nr. 1 aufgeführten Maßnahmen zur Verhinderung weiterer derartiger Vorfälle. Die sofortige Vollziehung werde angeordnet, weil hohe Rechtsgüter wie die körperliche Unversehrtheit von Menschen in Gefahr seien. nach einer Abwägung aller betroffenen öffentlichen und privaten Interessen sei es nicht zu verantworten, der Antragstellerin im Falle einer Klageerhebung mit aufschiebender Wirkung zu ermöglichen, weiterhin die Gesundheit von Menschen und Tieren zu gefährden.
Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin am 15.07.2019 Klage erhoben - E. -. Gleichzeitig sucht sie um vorläufigen Rechtsschutz nach. Das nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO notwendige öffentliche Interesse sei entgegen § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO nicht schriftlich begründet worden, weil eigenständige Erwägungen zur Anordnung der sofortigen Vollziehung fehlten. Die Antragsgegnerin nehme keinen Bezug auf die Regelbeispiele des § 17 Abs. 4 S. 2 NHundG. Da der vorliegende Sachverhalt ein „Weniger“ darstelle, bedürfe es erst recht einer nachvollziehbaren Begründung für die Anordnung. Die Anordnung, die Hündin dürfe nur von Personen ausgeführt werden, die ausreichend körperliche Gewalt ausüben könnten, sei nicht hinreichend bestimmt. Hinzu komme, dass körperliche Gewalt gegen Tiere sowohl eine Ordnungswidrigkeit, als auch eine Straftat sein könne, weshalb der Bescheid nicht nur rechtswidrig, sondern sogar nichtig sei. Der Sachverhalt sei überdies nicht ausreichend ermittelt worden. Der Ehemann der Antragstellerin und der Zeuge L. schilderten den Geschehensablauf anders. Insoweit wird auf die Antragsschrift vom 18.07.2019 nebst Anlagen verwiesen. Die Verletzung der Zeugin G. werde bestritten. Sollte sie eine Verletzung haben, so könne diese auch von „H.“ stammen. Ebenso sei es möglich, dass die Zeugin G. durch ihr Verhalten gegenüber „F.“ einen Biss provoziert haben könnte. Es handele sich dann um artgerechtes Abwehrverhalten. Der Bescheid sei zudem ermessensfehlerhaft und unverhältnismäßig. Es habe berücksichtigt werden müssen, dass es in der Vergangenheit noch nie zu Beißvorfällen unter Beteiligung von „F.“ gekommen sei. Durch die fehlende Anhörung sei auch eine Abwägung der gegenteiligen Angaben unterblieben. Schließlich fehlten jegliche Ermessenserwägungen.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihrer am 15.07.2019 erhobenen Klage - E. - gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.06.2019 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Mit der Abwägung zwischen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, insbesondere der körperlichen Unversehrtheit von Menschen und dem Interesse der Antragstellerseite an der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels enthalte der Bescheid eigenständige Erwägungen zur Anordnung der sofortigen Vollziehung. Die Anhörung werde derzeit nachgeholt. Nach den Aussagen der Zeugen A. und L. seien diese erst nach Beginn der Rauferei hinzugekommen, weshalb sie die Angaben der Zeugin G. nicht widerlegen könnten. Es sei unerheblich, dass auch „F.“ gebissen worden sei. Unabhängig vom konkreten Geschehensablauf, hätte es weder die Rauferei, noch den Beißvorfall gegeben, wenn „F.“ angeleint gewesen wäre. Ob auch „H.“ aggressiv gewesen sei, sei für das Verfahren zu „F.“ unerheblich. Die Anordnung des Leinenzwangs sei das mindeste denkbare Mittel. Die Antragsgegnerin sei für die angegriffene Verfügung trotz laufendem Gefährlichkeitsfeststellungsverfahren auch zuständig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Der Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig. Zum einen hat die Antragsgegnerin hinsichtlich des Leinenzwangs den Sofortvollzug angeordnet und zum anderen ist die Androhung des Zwangsgeldes für jeden Fall der Zuwiderhandlung per Gesetz sofort vollziehbar, so dass die Klage der Antragsteller insgesamt keine aufschiebende Wirkung entfaltet, § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und 4 VwGO.
Der Antrag ist begründet.
Die bei einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Ermessensentscheidung setzt eine Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen voraus, in die auch die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache mit einzubeziehen sind. Bei einem nach summarischer Prüfung offensichtlich Erfolg versprechenden Rechtsbehelf überwiegt im Hinblick auf die Art. 19 Abs. 4 GG zu entnehmende Garantie effektiven Rechtsschutzes das Suspensivinteresse des Betroffenen jedes öffentliche Vollzugsinteresse, so dass die aufschiebende Wirkung grundsätzlich wiederherzustellen ist. So liegt es hier. Denn der in der Hauptsache angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO), weshalb die erhobene Anfechtungsklage in der Hauptsache Erfolg haben wird.
Rechtsgrundlage für die in der Hauptsache angefochtene Verfügung ist § 17 Abs. 4 NHundG. Gemäß § 17 Abs. 4 S. 1 NHundG können die zuständigen Behörden die zur Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen treffen. Die Gemeinde kann gemäß § 17 Abs. 4 S. 2 NHundG Hundehalterinnen und Hundehaltern, insbesondere im Falle dort näher spezifizierter Regelbeispiele aufgeben, den Hund außerhalb ausbruchssicherer Grundstücke anzuleinen oder mit einem Beißkorb zu versehen oder das Halten des Hundes untersagen. Gemäß § 17 Abs. 4 S. 2 Nr. 3 kann sie dies insbesondere, wenn die Hundehalterinnen und Hundehalter aufgrund geringer körperlicher Kräfte den Hund nicht sicher führen können.
Die in der Hauptsache angefochtene Verfügung ist formell rechtswidrig. Denn die Antragsgegnerin ist für die angegriffene Verfügung nicht zuständig. Vielmehr ist der Landkreis K. während des dort geführten Gefährlichkeitsfeststellungsverfahrens nach § 7 NHundG für vorläufige Maßnahmen in Bezug auf „F.“ ausschließlich zuständig.
Gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 NHundG überwacht die Gemeinde die Einhaltung der §§ 2 bis 6 und 14 NHundG. Gemäß § 17 Abs. 1 S. 2 NHundG überwacht die Fachbehörde die Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes im Übrigen. Die Aufgaben der Fachbehörden werden von den Landkreisen und kreisfreien Städten wahrgenommen (§ 17 Abs. 2 S. 1 NHundG).
Die Zuständigkeit der Gemeinde ist mithin ausdrücklich geregelt. Die Landkreise und kreisfreien Städte sind als Fachbehörden sachlich zuständig, sofern die Haltung eines „gefährlichen Hundes“ im Sinne der §§ 7 ff. NHundG in Rede steht. Zur Abwehr von Gefahren, die aus der Haltung eines nicht gefährlichen Hundes für die öffentliche Sicherheit und Ordnung resultieren, sind nach § 17 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 2 NHundG die Gemeinden sachlich zuständig.
Zur Abgrenzung der Zuständigkeiten wird in den Durchführungshinweisen zum Gesetz zur Neufassung des Nds. Gesetzes über das Halten von Hunden und zur Änderung des Nds. Kommunalabgabengesetzes (vom 26.05.2011, Nds. GVBl. S 130, Art. 1, zu § 17) ausgeführt:
„Für die Abgrenzung der Zuständigkeit Gemeinde - Fachbehörde kommt es auf die Frage an, ob ein Hinweis darauf vorliegt, dass ein Hund, der von einer Hundehalterin oder einem Hundehalter gehalten wird, eine gesteigerte Aggressivität i. S. des § 7 Abs. 1 aufweist. Hieraus folgt, dass auch vorbeugende Maßnahmen, wie z.B. die Anordnung eines bis zum Abschluss des Verfahrens geltenden Leinen- und Beißkorbzwangs vor der Entscheidung über die Gefährlichkeit eines Hundes der Zuständigkeit der Fachbehörde unterfallen.
Handelt es sich nicht um eine Angelegenheit im Zusammenhang mit einem „gefährlichen Hund“ im Sinne von § 7 NHundG, so liegt die Zuständigkeit für eine im Einzelfall zu treffende Maßnahme dagegen bei der Gemeinde.“
Nach Einleitung eines Gefährlichkeitsfeststellungsverfahrens bis zu seinem Abschluss ist mithin die Fachbehörde kraft Sachzusammenhangs auch für vorläufige Maßnahmen sachlich zuständig, die die Hundehaltung bis zum Abschluss des Verfahrens nach §§ 7 ff. NHundG regeln (Nds. OVG, Beschluss vom 20.11.2018 - 11ME 504/18 - zu: VG Hannover, Beschluss vom 21.08.2018 - 10 B 4932/18 -; VG Stade, Beschluss vom 26.2.2018 – 10 B 351/18 – m. w. N.).
Die Gemeinde ist bis zum Abschluss des Verfahrens nach §§ 7 ff. NHundG nicht gleichzeitig für Verfügungen in Bezug auf den Hund, dessen Gefährlichkeit geprüft wird, zuständig. Sonst bestünde die Gefahr sich widersprechender Verfügungen. Der Adressat solcher Verfügungen könnte nicht erkennen, welche der Verfügungen Geltung beansprucht und wie er sich zu verhalten hat. Würde er Rechtsschutz gegen diese Verfügungen suchen, würde er beide Verfügungen angreifen müssen und das entsprechende Kostenrisiko tragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 S. 1 GKG. Die Höhe des Streitwerts folgt aus § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und Abs. 3, § 39 Abs. 1 GKG und entspricht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschluss vom 18.1.2012 – a. a. O. –) in Hinblick auf die angefochtene Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes dem Auffangwertstreitwert von 5.000,00 €, der für das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren ist.