Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 26.02.2024, Az.: 1 A 167/21

Beißvorfall; Sicherstellung; Verwahrungskosten; Zuständigkeit; Keine Festsetzung von Verwahrungskosten durch die Ordnungsbehörde bei Sicherstellung von Hunden durch die Polizei

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
26.02.2024
Aktenzeichen
1 A 167/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 13386
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2024:0226.1A167.21.00

[Tatbestand]

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, der sich auf zwei Hunde der Rasse "American Bulldog", geb. ca. 2018 und 2020, bezieht.

Die beiden nicht gekennzeichneten Hunde wurden aufgrund eines Beißvorfalls am 31.03.2021 von der Polizei sichergestellt, die ihrerseits die Ortsfeuerwehr zur Unterstützung beim Einfangen und beim Transport ins Tierheim angefordert hatte. Die Hunde waren zum Zeitpunkt des Angriffs von einem Zeugen ausgeführt worden, der sich schwer verletzt auf ein Autodach retten musste, um den Beißattacken zu entkommen. Dieser erklärte gegenüber den Polizeibeamten vor Ort, unvermittelt attackiert worden zu sein, den Halter der Hunde, einen Kumpel, aber nicht "verpfeifen" zu wollen.

Mit Schreiben des Beklagten vom 03.06.2021 wurde der Kläger aufgefordert, die Hunde aus dem Tierheim abzuholen, was dieser jedoch nicht tat.

Noch vor Abschluss des vom Landkreis E-Stadt eingeleiteten Verfahrens zur Feststellung der Gefährlichkeit untersagte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 17.06.2021 die Haltung der beiden Hunde (Ziff. 1), verfügte außerdem, dass der Kläger die Vermittlung an geeignete Dritte zu dulden (Ziff. 2) und die Verfahrenskosten in Höhe von 2.448,81 Euro zu tragen habe (Ziff. 4). Die Entfernung der Hunde aus dem Einflussbereich des Klägers sei erforderlich, damit sich ein entsprechender Vorfall nicht wiederhole und der Anfall weiterer Unterbringungskosten vermieden werde.

Der Kläger hat am 19.07.2021 Klage erhoben und macht geltend, dass er nicht Halter der beiden fraglichen Hunde gewesen sei, diese auch nicht beaufsichtigt oder mit den Hunden sonst wie in Kontakt gestanden habe. Somit habe er sie weder abgeholt, noch sei er bereit, die im Bescheid festgesetzten Kosten zu übernehmen.

Der Kläger hat zunächst beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 17.06.2021 aufzuheben.

Nachdem die Hunde am 25.02.2022 nach Vermittlung an einen neuen Halter durch das Tierheim bei einem weiteren Beißvorfall von der Polizei erschossen wurden, haben die Beteiligten den Rechtsstreit bzgl. Ziff. 1 und 2 des Bescheids übereinstimmend für erledigt erklärt.

Der Kläger beantragt nunmehr sinngemäß,

Ziff. 4 des Bescheids vom 17.06.2021 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt zur Begründung vor, anonyme Hinweise und eine der Polizei ebenfalls anonym zugespielte Videoaufnahme könnten belegen, dass der Kläger Halter der beiden Hunde gewesen sei. Dies werde sich letztlich auch bei einer Befragung des geschädigten Zeugen im Gerichtsverfahren ergeben.

Unter dem 11.01.2023 hat das Gericht die Beteiligten u.a. darauf hingewiesen, dass die Kosten der Verwahrung im Tierheim nur durch die Polizei geltend gemacht werden könnten. Die Beteiligten haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt.

Bzgl. der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, den beigezogenen Verwaltungsvorgang und die Strafakten der Staatsanwaltschaft verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Verfahren war einzustellen, soweit die Beteiligten es übereinstimmend für erledigt erklärt haben.

Im Übrigen ist die Klage, über die nach § 101 Abs. 2 VwGO im schriftlichen Verfahren entschieden werden kann, zulässig und begründet, da Ziff. 4 des Bescheids vom 17.06.2021 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.

Soweit der Beklagte Kosten für die Unterbringung im Tierheim festgesetzt hat, war er hierfür schon nicht zuständig. Die streitgegenständlichen Hunde wurden am 31.03.2022 im Rahmen der gefahrenabwehrrechtlichen Eilzuständigkeit durch die Polizei sichergestellt (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 NPOG). Dementsprechend wurde auch die hinzugezogene Ortsfeuerwehr von der Polizei beauftragt, die Hunde einzufangen und ins Tierheim zu transportieren (vgl. Bl. 11 d. BA 1).

Da diejenige Behörde, die bei einer gegebenen Doppelzuständigkeit - wie hier - zuerst mit der Gefahrenlage konfrontiert und tätig wird, sämtliche notwendigen Maßnahmen in eigener Zuständigkeit zu ergreifen hat, blieb die Polizei infolge ihres Erstzugriffsrechts auch für die anschließenden Maßnahmen (Verbringung und Verwahrung der Hunde im Sinne von § 27 Abs. 1 NPOG) originär zuständig (vgl. VG Mainz, Urt. v. 19.11.2009 - 1 K 354/09.MZ -, juris Rn. 18 ff.). Dies hat zur Folge, dass die Kosten der Verwahrung (als Kosten der Sicherstellung im Sinne von § 29 Abs. 3 Satz 1 NPOG) auch nur von der Polizei gegen den Kläger geltend gemacht werden können. Dagegen war der Beklagte weder für die Verwahrung der Hunde zuständig noch hat er diese veranlasst, musste dementsprechend auch keine Kosten des Tierheims übernehmen und kann sie folglich auch nicht selbst im Wege des Bescheids gegen den Kläger festsetzen. Das öffentlich-rechtliche Verwahrungsverhältnis bestand hier allein zwischen der Polizei bzw. ihrem Rechtsträger und dem ursprünglichen Gewahrsamsinhaber. Es kann nicht nachträglich durch Bescheid des Beklagten umgewidmet werden (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 09.01.2017 - 10 ZB 16.1735 -, juris Rn. 15).

Auch die Auferlegung der weiteren Verwaltungskosten, die nicht die Verwahrung im Tierheim betreffen, ist rechtswidrig, weil die zugrundeliegenden Maßnahmen nach dem NHundG ihrerseits rechtswidrig waren. Insoweit ist zunächst zu beachten, dass die Zuständigkeit für hunderechtliche Maßnahmen nach Einleitung des Verfahrens zur Feststellung der Gefährlichkeit (vgl. Bl. 14 d. BA 1) kraft Sachzusammenhangs bis zum Abschluss des Verfahrens bei der Fachbehörde liegt (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 11.02.2020 - 11 ME 20/20 -, juris Rn. 9). Eine gleichzeitige Zuständigkeit der Gemeinde scheidet grundsätzlich aus (vgl. VG Hannover, Beschl. v. 03.09.2019 - 10 B 3307/19 -, juris Rn. 25).

Hinzu kommt, dass der Kläger zu den beabsichtigten Maßnahmen des Beklagten auch nicht angehört worden ist. Er wurde im Schreiben vom 03.06.2021 lediglich aufgefordert, seine Hunde aus dem Tierheim abzuholen. Dass der Beklagte geplant hatte, andernfalls ein Hundehaltungsverbot auszusprechen oder die Tiere anderweitig zu vermitteln, wird im genannten Schreiben mit keinem Wort erwähnt. Dass die Anhörung nach § 28 Abs. 2 VwVfG entbehrlich gewesen wäre, ist ebenso wenig ersichtlich wie eine Heilung des Anhörungsmangels außerhalb des Gerichtsverfahrens (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.4.2017 - 9 B 54/16 -, juris Rn. 4).

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die in § 17 Abs. 4 Satz 2 NHundG geregelten Voraussetzungen hier auch in der Sache nicht vorlagen, so dass die Anordnung eines Hundehaltungsverbots nicht in Betracht kam. Denn es ist gerade nicht ersichtlich, dass der Beißvorfall auf einer gröblichen Verletzung der Sorgfaltspflichten des Klägers beruhte, der selbst - insoweit unstreitig - gar nicht vor Ort war, zumal die Hunde bis dahin offenbar nie auffällig geworden waren (vgl. insofern die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 12.11.2021, Bl. 72 d. BA 2). Wenn es aber nicht um Verfehlungen des Halters oder sonstige in seiner Person liegende Umstände, sondern um die Gefährlichkeit des Hundes geht, ist das im NHundG hierfür geregelte Verfahren einzuhalten, das noch nicht abgeschlossen war (s.o.). Soweit der Bescheid auf die Vermeidung weiterer Unterbringungskosten aufgrund fehlender Abholung der Hunde aus dem Tierheim gestützt ist, war dies von vornherein nicht tragfähig, weil die Setzung einer Frist zur Abholung nebst anschließender Veräußerung nach § 28 Abs. 1 Nr. 5 NPOG der Polizei oblag.

Ob der Kläger tatsächlich Halter bzw. Eigentümer der entsprechenden Hunde war, ist nach den vorstehenden Erwägungen im hiesigen Verfahren nicht entscheidungserheblich und wird ggf. zu klären sein, wenn die Polizeidirektion E-Stadt einen entsprechenden Kostenbescheid erlassen hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 bzw. § 161 Abs. 2 VwGO für den erledigten Teil des Rechtsstreits. Danach sind die Verfahrenskosten dem Beklagten insgesamt aufzuerlegen, weil sich aus den obigen Ausführungen ergibt, dass auch die unter Ziff. 1 und 2 des Bescheids getroffenen Anordnungen rechtswidrig gewesen sind.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 2 ZPO.