Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.05.2013, Az.: 5 LA 46/13
Pflicht des Dienstherrn zur Unterrichtung eines Beamten über Rechtsänderungen im Hinblick auf die beamtenrechliche Fürsorgepflicht
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 29.05.2013
- Aktenzeichen
- 5 LA 46/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 37070
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2013:0529.5LA46.13.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Lüneburg - 16.01.2013 - AZ: 1 A 89/11
Rechtsgrundlagen
- § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
- § 37 VersAusglG
Fundstellen
- FamRZ 2014, 343
- NVwZ-RR 2013, 5
- NVwZ-RR 2013, 850-851
Amtlicher Leitsatz
Zur Pflicht des Dienstherrn, einen Beamten im Hinblick auf die beamtenrechliche Fürsorgepflicht über Rechtsänderungen zu informieren.
[Gründe]
I.
Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen einer Verletzung der Fürsorgepflicht.
Der Kläger bezieht seit dem Jahr 1999 als Ruhestandsbeamter der Beklagten Versorgungsbezüge. Diese Versorgungsbezüge wurden aufgrund eines im Rahmen einer Ehescheidung durchgeführten Versorgungsausgleichs gekürzt ausgezahlt. Die Kürzung erfolgte, obwohl die geschiedene Ehefrau ebenfalls im Jahr 1999 im Alter von 55 Jahren gestorben war, ohne zuvor eine Rente bezogen zu haben. Ein von dem Kläger bei Eintritt in den Ruhestand nach einem entsprechenden Hinweis der Beklagten gestellter Antrag, von der Kürzung gemäß § 4 VAHRG abzusehen, blieb erfolglos, weil die eng gefassten Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift nicht erfüllt waren.
Zum 1. September 2009 trat das Gesetz über den Versorgungsausgleich (VersAusglG) in Kraft. Dieses Gesetz sieht abweichend von den Vorgängerregelungen vor, dass die Kürzung der Versorgungsbezüge nach dem Tod der ausgleichsberechtigten Person auf Antrag auszusetzen ist, wenn diese nicht länger als 36 Monate Versorgungsleistungen bezogen hat. Die Aussetzung erfolgt ab dem ersten Tag des Monats, der auf den Monat der Antragstellung folgt (§§ 37, 38, 34 Abs. 3 VersAusglG).
Über diese Rechtsänderung setzte die Beklagte, die ihre Versorgungsempfänger in regelmäßigen Rundbriefen über Änderungen des Besoldungs- und Versorgungsrechts, aber auch des Steuer- und Beihilfenrechts informiert, den Kläger nicht in Kenntnis. Nachdem dieser auf anderem Wege von der Rechtsänderung erfahren hatte, beantragte er unter dem 9. November 2010 die Anpassung seiner Versorgungsbezüge. Diesem Antrag gab die Beklagte mit Bescheid vom 16. Dezember 2010 mit Wirkung ab dem 1. Dezember 2010 statt. Eine rückwirkende Anpassung lehnte sie mit Bescheiden vom 21. März 2011 und 5. Mai 2011 ab.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe ihre beamtenrechtliche Fürsorgepflicht nicht verletzt und sei deshalb nicht zum Schadensersatz verpflichtet. Die Beklagte habe den Kläger nicht über die Rechtsänderung informieren müssen. Dem tritt der Kläger mit seinem Zulassungsantrag entgegen.
II.
Der Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg.
Die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht erfüllt.
Ernstliche Zweifel sind erst dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrages und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zu Tage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 25.4.2008 - 5 LA 154/07 -).
Gemessen daran ist es dem Kläger nicht gelungen, das Urteil des Verwaltungsgerichts ernstlich in Zweifel zu ziehen. Das Gericht hat vielmehr zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug nimmt, entschieden, dass dem Kläger kein Schadensersatzanspruch wegen einer Verletzung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht gemäß § 78 BBG zusteht.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats besteht grundsätzlich keine aus der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht abzuleitende allgemeine Pflicht zur Belehrung über alle für die Beamten einschlägigen Vorschriften, und zwar vor allem dann nicht, wenn es sich um rechtliche Kenntnisse handelt, die zumutbar bei jedem Beamten vorausgesetzt werden können oder die sich der Beamte unschwer selbst verschaffen kann. Demgemäß gebietet es die Fürsorgepflicht grundsätzlich nicht, die Beamten von sich aus auf für sie etwa in Betracht kommende Möglichkeiten einer Antragstellung aufmerksam zu machen. Nur in besonderen Fällen können Umstände vorliegen, die geeignet sind, eine Belehrungspflicht auszulösen. Ein derartiger Umstand kann insbesondere in einer üblicherweise erfolgenden Belehrung oder aber in einer ausdrücklichen Bitte um Auskunft liegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.1.1997 - BVerwG 2 C 10.96 -, [...] Rn. 16; Beschluss vom 21.12.2011 - BVerwG 2 B 94.11 -, [...] Rn. 15; Nds. OVG, Urteil vom 5.4.2011 - 5 LB 218/09 -, [...] Rn. 27).
Legt man dies zugrunde, ist dem Verwaltungsgericht darin zuzustimmen, dass eine Pflicht der Beklagten, den Kläger über die Änderung des Rechts des Versorgungsausgleichs und die sich daraus für ihn ergebende Möglichkeit, eine Anpassung seiner Versorgungsbezüge zu beantragen, nicht bestand. Weder kann sich der Kläger auf eine entsprechende Verwaltungspraxis der Beklagten berufen, noch lagen sonstige Umstände vor, die ausnahmsweise eine Belehrungspflicht begründen könnten.
Einen Anspruch auf Belehrung über die Änderung des Rechts des Versorgungsausgleichs kann der Kläger zunächst nicht aus einer entsprechenden Verwaltungspraxis herleiten. Richtig ist zwar, dass die Beklagte ihre Ruhestandsbeamten in Rundbriefen regelmäßig über Rechtsänderungen informiert. Anders, als der Kläger meint, haben die Rundbriefe indes nicht den - praktisch ohnehin nicht zu realisierenden - Anspruch, die Versorgungsempfänger lückenlos über alle möglicherweise bedeutsamen Rechtsänderungen zu informieren. Sie beschränken sich vielmehr - wie den von dem Kläger beispielhaft vorgelegten Rundbriefen aus dem Jahr 2009 zu entnehmen ist - auf die Darstellung der wesentlichen Rechts- und Verfahrensänderungen. Soweit daher - dies lässt der Senat offen - diesen allgemeinen Informationsschreiben überhaupt eine anspruchsbegründende Verwaltungspraxis zu entnehmen sein sollte, beschränkt sich diese darauf, über solche Rechts- und Verfahrensänderungen zu informieren, die sich bei jeder denkbaren Betrachtungsweise für die Mehrheit der Versorgungsempfänger als wesentlich erweisen. Auch angesichts des weiten Spielraums, der der Beklagten bei der Auswahl der Themen jedenfalls zukommt, gehört die Neuregelung des Rechts des Versorgungsausgleichs durch das Gesetz über den Versorgungsausgleich vom 3. April 2009 (BGBl. I S. 700) nicht zu diesen wesentlichen Änderungen.
Das Gesetz über den Versorgungsausgleich regelt in umfassender Weise die Teilung von Ansprüchen auf Versorgung im Fall einer Ehescheidung. Dazu gehören insbesondere Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung, aber auch aus anderen Regelsicherungssystemen wie der Beamtenversorgung oder der berufsständischen Versorgung, aus der betrieblichen Altersversorgung oder aus der privaten Alters- und Invaliditätsvorsorge. Dabei nimmt das Gesetz für sich in Anspruch, die unterschiedlichen Versorgungssysteme grundsätzlich gleich zu behandeln. Deshalb gelten die für den vorliegenden Fall bedeutsamen Vorschriften über die Anpassung des Versorgungsausgleichs nach Rechtskraft (§§ 32 ff. VersAusglG), insbesondere auch die Vorschrift des § 37 VersAusglG über die Anpassung wegen des Todes der ausgleichsberechtigten Person, ausdrücklich nicht nur für die Beamtenversorgung (vgl. § 32 VersAusglG). Es handelt sich mithin um Regelungen, die ihren Sachgrund in den Folgen der Ehescheidung als solcher finden und die nicht in besonderer Weise auf das Beamtenverhältnis bezogen sind. Schon deshalb besteht keine Belehrungspflicht des Dienstherrn, sondern es ist die originäre Aufgabe des geschiedenen Beamten, die Entwicklung des Scheidungsfolgenrechts eigenständig im Blick zu behalten.
Hinzu kommt weiter, dass die Möglichkeit der Anpassung des Versorgungsausgleichs wegen des Todes der ausgleichsberechtigten Person einen Ausnahmefall zum Zweck der Vermeidung von Härten darstellt. Angesichts der eng gefassten Tatbestandsvoraussetzungen - die ausgleichsberechtigte Person darf die Versorgung aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht gemäß § 37 Abs. 2 VersAusglG nicht länger als 36 Monate bezogen haben - wird die Vorschrift nur in besonderen Fällen zum Tragen kommen. Gerade in solchen Fällen ist dem Beamten indes bewusst, dass sich sein Fall von der Mehrzahl der Fälle unterscheidet. Umso eher ist es ihm möglich und zumutbar, die Rechtsentwicklung eigenständig zu verfolgen.
Auch sonst liegen keine besonderen Umstände vor, die einen Anspruch auf Belehrung begründen können. Solche Umstände liegen insbesondere nicht darin, dass die Beklagte den Kläger bei Eintritt in den Ruhestand über die Möglichkeit eines Antrags nach dem damals geltenden § 4 VAHRG informiert hat und der Tod der geschiedenen Ehefrau vor dem Bezug einer Rente der Beklagten bekannt war. Es stellte eine offenkundige Überforderung der Beklagten dar, wenn man von ihr verlangen wollte, die besondere Situation aller Versorgungsempfänger im Hinblick auf künftige Rechtsänderungen unter Beobachtung zu halten. Vielmehr ist es - auch das zeigt der Fall des Klägers - dem Beamten ohne weiteres möglich, rechtliche Nachteile durch eigene Initiative wie beispielsweise die Inanspruchnahme einer Rentenberatung zu vermeiden. Dass er dies nicht rechtzeitig getan hat, ist nicht der Beklagten anzulasten.
Soweit der Kläger schließlich auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verweist, beansprucht dieser im Beamtenrecht keine Geltung. Hinzu kommt, dass der sozialrechtliche Herstellungsanspruch zur Voraussetzung hat, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund eines Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 SGB I), verletzt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.2.2010 - BVerwG 5 C 13.09 -, [...] Rn. 16 m. w. N.). Das ist nach den obigen Ausführungen nicht der Fall.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).