Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.05.2013, Az.: 5 LB 96/13

Umfang der Sorfaltspflicht eines Beamten bei Übertragung einer ihm obliegenden Pflicht auf einen anderen Beamten; Berechtigtes Vertrauen des übertragenden Beamten in die Erfüllung der Sorgfaltspflicht durch den durchführenden Beamten

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.05.2013
Aktenzeichen
5 LB 96/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 38279
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0527.5LB96.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 19.09.2012 - AZ: 1 A 128/11

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Überträgt ein Beamter eine ihm obliegende Pflicht berechtigterweise auf einen anderen Beamten, trifft ihn abhängig von den Umständen des Einzelfalls die Pflicht, den Beamten sorgfältig auszuwählen und bei der Dienstausübung zu überwachen.

  2. 2.

    Überlässt ein als Kraftfahrer eingesetzter Beamter das Betanken des Dienstfahrzeugs einem anderen Beamten, kann er grundsätzlich darauf vertrauen, dass der den Tankvorgang durchführende Beamte seinerseits die gebotene Sorgfalt an den Tag legt.

[Tatbestand]

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Inanspruchnahme auf Schadensersatz.

Die Klägerin steht als Polizeiobermeisterin im Dienst der Beklagten. Am 6. November 20 war sie als Kraftfahrerin eines VW Transporters vom Typ T4 mit dem amtlichen Kennzeichen BP eingesetzt. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor ausgestattet und auf der Innenseite der Tankklappe entsprechend gekennzeichnet.

Als das Fahrzeug betankt werden musste, erbot sich ihr mitfahrender Vorgesetzter, die Betankung durchzuführen. Er verließ das Fahrzeug und erkundigte sich bei der Klägerin nach dem einzufüllenden Kraftstoff. Die im Fahrzeug verbliebene Klägerin antwortete nach ihren eigenen, von einem weiteren mitfahrenden Beamten bestätigten Angaben: "Wenn da nichts steht, tankst Du Super." Weiter äußerte sie, zur Sicherheit in den Fahrzeugpapieren nachzusehen. Diesen entnahm sie keinen Hinweis auf den erforderlichen Kraftstoff. Dabei war aus einem einzelnen Voreintrag im Fahrtennachweisheft erkennbar, dass das Fahrzeug Dieselkraftstoff benötigte.

Der Vorgesetzte befüllte den Tank mit Superbenzin. Dadurch entstand ein Schaden in Höhe von 793,76 EUR, den die Beklagte mit Leistungsbescheid vom 10. Mai 20 gegenüber der Klägerin geltend machte. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Klägerin habe grob fahrlässig gehandelt, indem sie ihrem Vorgesetzten den Hinweis erteilt habe, das Fahrzeug mit Superkraftstoff zu betanken. Sie hätte sich durch einen genaueren Blick in das Fahrtennachweisheft oder aber einen Blick auf die Tankklappe vergewissern müssen, welchen Kraftstoff das Fahrzeug benötigte. Ihr als verantwortlicher Kraftfahrerin habe es oblegen, den Tankvorgang ihres Vorgesetzten zu überwachen und im Anschluss zu kontrollieren.

Den Widerspruch der Klägerin vom 15. Juni 20 , mit dem diese dem Vorwurf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung entgegentrat, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. August 20 zurück. Die Klägerin habe nicht alles erdenklich Mögliche getan, um die Falschbetankung zu verhindern.

Die Klägerin hat am 22. August 2011 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen, sie habe ihrem Vorgesetzten zutreffend mitgeteilt, Superkraftstoff zu tanken, wenn es am Einfüllstutzen keinen anderslautenden Hinweis gebe. Darauf, dass dieser einen entsprechenden Hinweis wahrnehmen würde, habe sie sich verlassen dürfen. Eine weitergehende Kontrolle ihres Vorgesetzten sei nicht geschuldet gewesen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 10. Mai 20 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 9. August 20 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die angefochtenen Bescheide verteidigt.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 19. September 2012 abgewiesen. Die Klägerin habe grob fahrlässig gehandelt und hafte deshalb gemäß § 75 Abs. 1 BBG für den der Beklagten entstandenen Schaden. Zwar habe der den Tankvorgang durchführende Vorgesetzte gleichermaßen grob fahrlässig gehandelt. Das entlaste die Klägerin jedoch nicht. Sie habe sich selbst durch einen Blick auf die Tankklappe vergewissern müssen, ob der richtige Kraftstoff eingefüllt wurde.

Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 13. März 2013 wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils zugelassen.

Zur Begründung ihrer Berufung wiederholt die Klägerin im Wesentlichen ihre bereits in erster Instanz vorgebrachten Argumente. Insbesondere bestehe keine Pflicht des Untergebenen, den jeweiligen Vorgesetzten zu kontrollieren. Selbst wenn ihr aber ein Verstoß gegen eine Dienstpflicht zur Last fallen sollte, sei jedenfalls die Annahme grober Fahrlässigkeit nicht gerechtfertigt.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 19. September 2012 den Leistungsbescheid der Beklagten vom 10. Mai 20 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. August 20 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt ergänzend vor, die Klägerin treffe die Verantwortung für das Fahrzeug. Diese Verantwortung könne sie nicht auf einen Vorgesetzten verschieben, sondern ihr obliege diesem gegenüber eine gesteigerte Aufsichtspflicht. Dieser Aufsichtspflicht sei die Klägerin nicht gerecht geworden, weil im Gespräch mit ihrem Vorgesetzten gerade keine Übereinstimmung hinsichtlich des zu tankenden Kraftstoffs erzielt worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Senat trifft diese Entscheidung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss (§ 130 a Satz 1 VwGO), weil er die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu.U.nrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 10. Mai 20 und der Widerspruchsbescheid vom 9. August 20 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung dienstlicher Pflichten ist § 75 Abs. 1 Satz 1 BBG. Beamtinnen und Beamte, die vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihnen obliegenden Pflichten verletzt haben, haben nach dieser Vorschrift dem Dienstherrn, dessen Aufgaben sie wahrgenommen haben, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Klägerin hat keine ihr gegenüber der Beklagten obliegende Pflicht verletzt; jedenfalls aber wäre eine etwaige Dienstpflichtverletzung nicht als grob fahrlässig einzustufen. Im Einzelnen:

Hinsichtlich der fehlerhaften Betankung des von ihr geführten Kraftfahrzeugs ist der Klägerin bereits keine Verletzung dienstlicher Pflichten zur Last zu legen. Zu den Dienstpflichten des Beamten gehört es zwar, das Eigentum und das Vermögen des Dienstherrn nicht zu schädigen. Dementsprechend schuldet der Beamte seinem Dienstherrn einen sorgsamen und pfleglichen Umgang mit den ihm dienstlich anvertrauten Sachgütern. Dies gilt auch für den Gebrauch eines Dienstwagens und dessen Betankung. Hier besteht in besonderem Maße die Pflicht, sich zu vergewissern, welchen Kraftstoff das Fahrzeug benötigt (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 11.2.2008 - 5 LB 365/07 -, [...] Rn. 24 ff.).

Überlässt der Beamte die Betankung des Dienstwagens - wie in diesem Fall - berechtigterweise einem anderen Beamten, führt dies nicht dazu, dass die vorgenannte Pflicht vollständig entfällt. Sie wirkt vielmehr - wie die Klägerin zu Recht vorgetragen hat - in Form einer Pflicht zur sorgfältigen Auswahl des Beamten sowie einer Pflicht zu dessen Überwachung fort. Da die Entscheidung der Klägerin, den Betankungsvorgang ihrem mitfahrenden Vorgesetzten zu überlassen, nicht in Streit steht, kommt es allein darauf an, ob die Klägerin ihren Überwachungspflichten gerecht geworden ist. Das ist zur Überzeugung des Senates der Fall.

Sowohl der Klägerin als auch ihrem Vorgesetzten war - dies zeigt das zwischen beiden vor dem Betanken geführte Gespräch - bewusst, dass sie sich über den benötigten Kraftstoff zu vergewissern hatten. Dementsprechend hat die Klägerin auf die Frage nach dem benötigten Kraftstoff nach ihren von dem mitfahrenden Beamten, dem Zeugen C., bestätigten und auch von der Beklagten nicht (mehr) in Zweifel gezogenen Angaben die zutreffende und nicht misszuverstehende Antwort gegeben, Superbenzin zu tanken, "wenn da nichts steht", wenn also mit anderen Worten an der Tankklappe kein Hinweis auf das Erfordernis, Dieselkraftstoff zu tanken, zu finden war. Angesichts der Tatsache, dass sämtliche Dienstfahrzeuge, die Dieselkraftstoff benötigen, auf der Innenseite der Tankklappe einen eindeutigen und bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht zu übersehenden Hinweis auf den erforderlichen Kraftstoff tragen, war die von der Klägerin gegebene Antwort zur Erfüllung ihrer Pflichten ausreichend. Sie durfte darauf vertrauen, dass ihr Vorgesetzter bei dem Betanken seinerseits die erforderliche Sorgfalt an den Tag legen und den eindeutigen Hinweis an der Tankklappe erkennen würde. Bei dem Betanken eines Kraftfahrzeugs handelt es sich - wie die Beklagte selbst einräumt - nicht um eine hoch komplexe Verrichtung, sondern vielmehr um eine alltägliche Handlung. Eine weitergehende Pflicht zur Überwachung und Kontrolle eines solchen alltäglichen Vorgangs ist nicht zu begründen. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang meint, die Klägerin habe selbst den Tankdeckel in Augenschein nehmen müssen, geht dies deshalb über die an die Klägerin von Rechts wegen zu stellenden Anforderungen hinaus.

Soweit die Beklagte weiter meint, die Klägerin habe das Fahrtennachweisheft in weitergehendem Umfang auf Hinweise auf den benötigten Kraftstoff untersuchen müssen, teilt der Senat diese Auffassung ebenfalls nicht. Richtig ist zwar, dass die Klägerin der Einzeldurchsicht des Fahrtennachweisheftes hätte entnehmen können, dass bei einem Betankungsvorgang in der Vergangenheit Dieselkraftstoff verwendet worden war. Eine solche Einzeldurchsicht war indes nicht geschuldet. Die Klägerin durfte vielmehr erwarten, dass ein Hinweis auf das Erfordernis, Dieselkraftstoff zu tanken, in einer auf den ersten Blick erkennbaren Form vorhanden gewesen wäre. Auf der Fahrzeugmappe des Fahrzeugs befand sich jedoch - anders als dies wohl üblicherweise der Fall ist - kein Hinweis auf den benötigten Dieselkraftstoff.

Selbst wenn man aber im Hinblick darauf, dass die Klägerin eine - ergebnislose - Durchsicht des Fahrtennachweisheftes von sich aus vorgenommen hat, eine Pflichtverletzung annehmen wollte, rechtfertigte dies keine Schadensersatzhaftung. Eine darin liegende Pflichtverletzung wäre jedenfalls nicht als grob fahrlässig anzusehen.

Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, indem er nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss, oder indem er die einfachsten, ganz nahe liegenden Überlegungen nicht anstellt (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 14.8.2012 - 5 LA 220/11 -, [...] Rn. 10). Das war bei der Klägerin nicht der Fall. Angesichts der fehlenden Kennzeichnung der Fahrzeugmappe hätte die Klägerin bei der Einzeldurchsicht des Fahrtennachweisheftes lediglich einem einzigen von insgesamt 25 Voreinträgen entnehmen können, dass in der Vergangenheit Dieselkraftstoff getankt worden war. Dass die Klägerin diesen vereinzelten und nicht in besonderer Weise auffälligen Voreintrag nicht bemerkt hat, rechtfertigt nicht die Annahme, sie habe ihre Pflichten objektiv besonders schwerwiegend und auch subjektiv unentschuldbar erheblich über das gewöhnliche Maß hinausgehend verletzt. Es wäre vielmehr die Aufgabe der Beklagten gewesen, die Fahrzeugmappe auch dieses Fahrzeugs in unzweideutiger Weise zu kennzeichnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO, § 127 Nr. 1 BRRG liegen nicht vor.