Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.05.2013, Az.: 5 LC 202/12

Richten der Anrechnung des Erwerbseinkommens auf die Versorgungsbezüge in vollem Umfang im Monat des Zuflusses oder anteilige Verteilung auf zwölf Monate nach dem Zweck; Gewährung einer Jahressonderzahlung für Angestellte im Öffentlichen Dienst gem. § 20 TVöD/TV-L

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.05.2013
Aktenzeichen
5 LC 202/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 35988
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0507.5LC202.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 12.06.2012 - AZ: 2 A 4955/11

Fundstelle

  • DÖV 2013, 656

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ob Erwerbseinkommen in vollem Umfang im Monat des Zuflusses oder aber anteilig auf zwölf Monate verteilt auf die Versorgungsbezüge anzurechnen ist (§ 53 Abs. 5 Satz 4 und 5 SVG), richtet sich danach, zu welchem Zweck die Zahlung erfolgt bzw. für welchen Zeitraum die Zahlung bestimmt ist (wie BVerwG, Urteil vom 31.5.2012 - BVerwG 2 C 18.10 -, [...] Rn. 19 f.).

  2. 2.

    Bei der Jahressonderzahlung, die Angestellte im Öffentlichen Dienst gemäß § 20 TVöD/TV-L erhalten, handelt es sich jedenfalls im Schwerpunkt um eine zusätzliche Vergütung für die im Kalenderjahr geleistete Arbeit. Die Anrechnung erfolgt deshalb verteilt auf die Monate des Kalenderjahres zu je einem Zwölftel des Betrages.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung von Versorgungsbezügen.

Der im Jahr 1952 geborene Kläger, ein ehemaliger Berufssoldat im Rang eines Oberfeldwebels, wurde im Jahr 1984 wegen nicht auf einer Wehrdienstbeschädigung beruhenden Dienstunfähigkeit in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Seitdem erhält er Versorgungsbezüge, die für den Monat November 2010 eine Höhe von 1.452,38 EUR brutto erreichten. Neben seinen Versorgungsbezügen bezieht er ein Verwendungseinkommen aus einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst des Bundes; das Beschäftigungsverhältnis unterliegt dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Im November 2010 betrug das Einkommen 2.296,67 EUR brutto, bestehend aus den monatlichen Bezügen in Höhe von 1.210,35 EUR und der Jahressonderzahlung in Höhe von 1.086,32 EUR.

Die Beklagte führte daraufhin eine Ruhensberechnung durch und teilte dem Kläger mit einem als "Änderungsmitteilung" bezeichneten Schreiben vom 16. Februar 2011 - ohne Rechtsbehelfsbelehrung und ohne weitere textliche Begründung, aber mit anliegenden umfangreichen Rechenblättern - mit, dass ihm für den Monat November 2010 Versorgungsbezüge nur in Höhe von 608,01 EUR zugestanden hätten. Zugleich wies sie auf ihre Absicht hin, den überzahlten Betrag zurückzufordern.

Mit Bescheid vom 30. Juni 2011 forderte die Beklagte von dem Kläger überzahlte Versorgungsbezüge in Höhe von 830,21 EUR zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe im November 2010 ein erhöhtes Verwendungseinkommen erzielt, das eine Ruhensregelung erforderlich mache. Die Jahressonderzahlung sei nach dem Zuflussprinzip vollständig in dem Monat der Zahlung zu berücksichtigen, sodass die Versorgungsbezüge für den Monat November 2010 entsprechend zu kürzen seien.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2011 zurück. Die Auslegung des Widerspruchs ergebe, dass er gegen die als Verwaltungsakt zu qualifizierende Änderungsmitteilung vom 16. Februar 2011 und zugleich gegen den Rückforderungsbescheid vom 30. Juni 2011 gerichtet sei. Beide Bescheide seien rechtmäßig. Die Jahressonderzahlung sei gemäß § 53 Abs. 5 Satz 4 SVG voll in dem Monat zu berücksichtigen, in dem der Zufluss erfolge. Bei der als "Weihnachtsgeld" geleisteten Sonderzahlung handele sich um eine zusätzlich zu dem monatlichen Entgelt gezahlte tarifliche Leistung des Arbeitgebers aus Anlass des Weihnachtsfestes, die zu einem besseren Gelingen des Festes beitragen und den erhöhten finanziellen Aufwendungen in der Weihnachtszeit Rechnung tragen solle. Die Zahlung beziehe sich demgegenüber nicht auf die Arbeitsleistung des jeweils zurückliegenden Kalenderjahres.

Mit seiner am 15. November 2011 erhobenen Klage hat der Kläger seine Rechtsauffassung wiederholt, nach der die auf § 20 TVöD beruhende Jahressonderzahlung auf die einzelnen Monate des Kalenderjahres aufzuteilen sei. Es handele sich insoweit um Erwerbseinkommen, das für das gesamte Jahr gezahlt werde, und nicht um ein Weihnachtsgeld. Das zeige bereits die Bezeichnung "Jahressonderzahlung" und werde auch daran deutlich, dass Teilbeträge zu früheren Zeitpunkten ausgezahlt werden könnten.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 30. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2011 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat ergänzend vorgetragen, die Auffassung des Klägers lasse unberücksichtigt, dass die Jahressonderzahlung nach § 20 TVöD auch in Fällen erfolge, in denen im zurückliegenden Jahr keine Arbeitsleistung erbracht worden sei.

Mit Urteil vom 12. Juni 2012 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. Die Rückforderung sei rechtswidrig, weil der Kläger Versorgungsbezüge nur in ihm zustehender Höhe erhalten habe. Sein Gesamteinkommen habe im Monat November 2010 nicht die Höchstgrenze des § 53 Abs. 2 SVG überstiegen. Die in diesem Monat ausgezahlte Jahressonderzahlung sei gemäß § 53 Abs. 5 Satz 5 SVG anteilig auf alle zwölf Monate des Jahres 2010 aufzuteilen. Maßgeblich dafür sei, dass es sich bei der Jahressonderzahlung um Einkommen handele, das für das gesamte Jahr bestimmt sei. Das folge daraus, dass die Höhe der Sonderzahlung gemäß § 20 Abs. 4 TVöD von der im Bezugszeitraum erbrachten Arbeitsleistung abhängig sei. Eine Sonderzahlung ohne Rücksicht auf die Arbeitsleistung erfolge nur in Ausnahmefällen. Zusätzlich werde mit der Sonderzahlung zwar auch die Betriebstreue in der Vergangenheit honoriert. Da aber die Sonderzahlung nur an den Bestand des Arbeitsverhältnisses am 1. Dezember des Jahres, nicht aber an eine darüber hinaus fortdauernde Betriebszugehörigkeit geknüpft sei, trete dieser Zweck gegenüber dem Entgeltcharakter in den Hintergrund.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der von dem Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung. Aus § 53 Abs. 5 Satz 4 und 5 SVG ergebe sich eine Anrechnung in dem Monat des Zuflusses. Allein deshalb, weil es sich bei der Sonderzahlung um ein tariflich im Monat November zu zahlendes Weihnachtsgeld handele, handele es sich eindeutig um eine monatsbezogen zu berücksichtigende Zahlung. Im Übrigen sei es nicht der primäre Zweck der Jahressonderzahlung, die erbrachte Arbeitsleistung zusätzlich zu honorieren. Die Zahlung hänge vielmehr davon ab, ob das Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er wiederholt seine Rechtsauffassung und verteidigt das verwaltungsgerichtliche Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 2011 und den Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2011 zu Recht aufgehoben. Die vorgenannten Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Rückforderung von überzahlten Versorgungsbezügen ist § 49 Abs. 2 SVG (gemäß § 94 a Nr. 1 Satz 1 SVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 16.9.2009, BGBl. I S. 3054). Danach richtet sich die Rückforderung zu viel gezahlter Versorgungsbezüge nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Diese Voraussetzungen liegen - wie bereits das Verwaltungsgericht mit zutreffender Begründung festgestellt hat - nicht vor, weil dem Kläger im November 2010 keine Versorgungsbezüge gezahlt worden sind, die ihm rechtlich nicht zustehen.

Dass der Kläger im November 2010 Versorgungsbezüge in ihm nicht zustehender Höhe erhalten hat, folgt zunächst nicht bereits daraus, dass darüber ein bestandskräftiger Bescheid vorliegt. Zwar hat die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 16. Februar 2011 unter Beifügung umfangreicher Berechnungen mitgeteilt, dass ihm für November 2010 aufgrund einer Anrechnung des Verwendungseinkommens Versorgungsbezüge lediglich in Höhe von 608,01 EUR anstelle von 1.438,22 EUR zustünden. Das Schreiben stellt sich jedoch - anders als die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid angenommen hat - nicht als Verwaltungsakt i. S. v. § 35 Satz 1 VwVfG dar, weil es am Regelungscharakter fehlt und das Schreiben lediglich der Information des Klägers diente.

Nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont enthält weder der Wortlaut des Schreibens noch dessen äußere Form einen Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte eine verbindliche Entscheidung treffen wollte (vgl. zum Maßstab BVerwG, Urteil vom 5.11.2009 - BVerwG 4 C 3.09 -, [...] Rn. 21 m. w. N.). Das Schreiben trägt die Bezeichnung "Änderungsmitteilung", was auf einen bloß informierenden Charakter hinweist. Der Begriff "Bescheid", mit dem die Beklagte Verwaltungsakte zuvor stets überschrieben hatte, fehlt. Auch ist weder von einer "Festsetzung" der Höhe der zustehenden Bezüge die Rede, noch ist dem Schreiben eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt. Die gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG vor dem Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes erforderliche Anhörung ist dem Schreiben nicht vorausgegangen. Das Schreiben selbst verweist im Gegenteil auf eine noch ausstehende Anhörung zu einer Rückforderung des vermeintlich überzahlten Betrages, also auf eine zukünftig beabsichtigte Regelung. Soweit demgegenüber das Verwaltungsgericht München (Beschluss vom 7.11.2008 - M 21 S 08.4614 -, [...] Rn. 16) ein - möglicherweise - vergleichbares Schreiben ohne Begründung als Verwaltungsakt angesehen hat, folgt der Senat dem nicht.

Der Auszahlung der vollen Versorgungsbezüge des Klägers für den Monat November 2010 stand auch kein rechtliches Hindernis gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 SVG (gemäß § 94 a Nr. 1 Satz 2 in der am 1. Januar 2002 geltenden Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001, BGBl. I S. 3926) entgegen. Nach der letztgenannten Vorschrift erhält ein Versorgungsempfänger, der ein Erwerbseinkommen bezieht, daneben seine Versorgungsbezüge nur bis zum Erreichen der in § 53 Abs. 2 SVG bezeichneten Höchstgrenze.

Die Höchstgrenze ist im Fall des Klägers, der wegen Dienstunfähigkeit, die nicht auf einer Wehrdienstbeschädigung beruht, in den Ruhestand versetzt worden ist und der das fünfundsechzigste Lebensjahr im November 2010 noch nicht vollendet hatte, nach § 53 Abs. 2 Nr. 3 SVG zu bestimmen. Dabei findet die Vorschrift gemäß § 94 a Nr. 1 Satz 2 SVG zum Teil in der zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung und zum Teil in der im November 2010 - und auch heute noch - geltenden Fassung Anwendung. Als Höchstgrenze gelten danach fünfundsiebzig vom Hundert der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus der Endstufe der Besoldungsgruppe, aus der sich das Ruhegehalt berechnet, mindestens aber - insoweit findet neues Recht Anwendung - ein Betrag in Höhe von fünfundsiebzig vom Hundert des Eineinhalbfachen der jeweils ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus der Endstufe der Besoldungsgruppe A 4, zuzüglich des jeweils zustehenden Unterschiedsbetrages nach § 47 Abs. 1 SVG sowie eines Betrages von monatlich 400,- EUR zuzüglich des Zweifachen dieses Betrages innerhalb eines Kalenderjahres. Für den Monat November 2010 entspricht das nach den unbestrittenen Berechnungen der Beklagten einem Betrag in Höhe von 2.834,- EUR.

Eine Kürzung der Versorgungsbezüge wäre nur dann vorzunehmen, wenn die Summe aus anzurechnendem Erwerbseinkommen und Versorgungsbezügen die vorgenannte Höchstgrenze überstiege. Das war bei dem Kläger im November 2010 nicht der Fall. Neben seinen Versorgungsbezügen in Höhe von 1.452,38 EUR bezog er ein anzurechnendes Verwendungseinkommen in Höhe von 1.300,88 EUR, bestehend aus den laufenden Bezügen in Höhe von 1.210,35 EUR sowie einem Zwölftel der im November 2010 ausgezahlten Jahressonderzahlung in Höhe von 1.086,32 EUR, mithin 90,53 EUR. Die Summe dieser Beträge liegt unterhalb der Höchstgrenze.

Eine volle Berücksichtigung der Jahressonderzahlung im Auszahlungsmonat, wie sie die Beklagte vorgenommen hat, kommt demgegenüber aus Rechtsgründen nicht in Betracht. Zwar erfolgt die Berücksichtigung des Erwerbs- und des Erwerbsersatzeinkommens gemäß § 53 Abs. 5 Satz 4 SVG grundsätzlich monatsbezogen, also im jeweiligen Monat des Zuflusses. Wird Einkommen allerdings nicht in Monatsbeträgen erzielt, ist abweichend davon gemäß § 53 Abs. 5 Satz 5 SVG das Einkommen des Kalenderjahres, geteilt durch zwölf Kalendermonate, anzusetzen.

Ob es sich um ein im Monat des Zuflusses oder aber um ein aufgeteilt auf die Monate des Kalenderjahres zu berücksichtigendes Einkommen handelt, richtet sich danach, zu welchem Zweck die Zahlung erfolgt bzw. für welchen Zeitraum das Verwendungseinkommen bestimmt ist. Sollen in einem bestimmten Zeitraum erbrachte Arbeitsleistungen honoriert werden, ist das Einkommen auf diesen Zeitraum monatsbezogen anteilig umzulegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.5.2012 - BVerwG 2 C 18.10 -, [...] Rn. 19 f.; ebenso bezogen auf § 53 SVG in abweichenden Fassungen bereits BVerwG, Beschluss vom 31.3.2000 - BVerwG 2 B 67.99 -, [...] Rn. 5; Urteil vom 12.6.1975 - BVerwG 2 C 45.73 -, DÖD 1976, 114). Handelt es sich dagegen um eine Einmalzahlung, die in keinem Zusammenhang mit der erbrachten Arbeitsleistung steht und die auch nicht für einen bestimmten Zeitraum erbracht wird, erfolgt die Berücksichtigung nach dem Zuflussprinzip in dem Monat, in dem die Zahlung dem Versorgungsempfänger tatsächlich zur Verfügung steht. Das gilt unabhängig davon, ob die jeweilige Art und Weise der Anrechnung den Versorgungsempfänger begünstigt oder belastet (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.6.1975, a. a. O., DÖD 1976, 114 <115>).

Bei der Jahressonderzahlung gemäß § 20 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst - TVöD - vom 13. September 2005 in der hier maßgeblichen Fassung der letzten Änderung durch Änderungstarifvertrag Nr. 5 vom 27. Februar 2010 handelt es sich um eine Zahlung, die - mindestens vorrangig - dem Zweck dient, die im jeweiligen Kalenderjahr erbrachte Arbeitsleistung zu honorieren, also Vergütungscharakter hat. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sowie der - soweit ersichtlich - einhelligen Auffassung in der arbeitsrechtlichen Kommentarliteratur (vgl. BAG, Urteil vom 12.12.2012 - 10 AZR 922/11 -, [...] Rn. 20; Urteil vom 10.11.2010 - 5 AZR 633/09 -, [...] Rn. 28; ebenso Urteil vom 14.3.2012 - 10 AZR 778/10 -, [...] Rn. 16 ff., zu der vergleichbaren Regelung des § 44 TVöD BT-S; Clausen, in: Burger, TVöD, 2. Aufl. 2012, § 20 Rn. 2; Fieberg, in: GKÖD, § 20 TVöD Rn. 2 <Stand der Bearbeitung: Dezember 2007>; Sponer/Steinherr, TVöD, § 20 Rn. 138 <Stand der Bearbeitung: April 2013>). Ergänzend treten als weitere Zwecke hinzu, dass die Betriebstreue honoriert und die Mitarbeiter auch für die Zukunft zu reger und engagierter Mitarbeit motiviert werden sollen (ablehnend insoweit aber Clausen, a. a. O., Rn. 2). Um ein "Weihnachtsgeld", also um eine Zahlung, die den im öffentlichen Dienst Beschäftigten den Kauf von Geschenken und das Gelingen des Weihnachtsfestes erleichtern soll, handelt es sich demgegenüber nicht (so aber OVG Rh.-Pf., Urteil vom 17.8.2012 - 10 A 10330/12 -, [...] Rn. 25 f., zu der gleich lautenden Vorschrift des § 20 TV-L).

Welchen Zwecken eine wie im Fall des § 20 TVöD dem normativen Teil eines Tarifvertrags zuzuordnende Vorschrift dient, ist der Vorschrift - nicht anders als einer Gesetzesnorm - durch Auslegung nach Wortlaut und Systematik sowie - subsidiär - weiteren Gesichtspunkten wie der Tarifgeschichte oder der tariflichen Übung zu entnehmen (vgl. zur Auslegung von Tarifverträgen BAG, Urteil vom 19.11.2008 - 10 AZR 658/07 -, [...] Rn. 17; Urteil vom 30.9.1971 - 5 AZR 123/71 -, [...] Rn. 18). Eine solche Auslegung zeigt den vorrangigen Vergütungscharakter der Jahressonderzahlung.

Der Wortlaut des § 20 TVöD bezeichnet die Zahlung durchweg als Jahressonderzahlung. Deutlich wird daran, dass es sich um eine auf das Jahr bezogene besondere Leistung des Arbeitgebers handelt. Einen unmittelbaren Bezug zum Weihnachtsfest enthält § 20 TVöD demgegenüber nicht. Gerade ein solcher Bezug hätte jedoch angesichts des überkommenen Begriffs des "Weihnachtsgeldes" nahegelegen, wenn die Zahlung von Rechts wegen in die Tradition dieser Leistung hätte gestellt werden sollen.

Auch der systematische Zusammenhang der Vorschrift lässt nicht erkennen, dass die Jahressonderzahlung eine auf das Weihnachtsfest bezogene Zahlung darstellen könnte. Einen Bezug zum Weihnachtsfest könnte allein die zeitliche Nähe der Auszahlung begründen. Diese erfolgt mit dem am letzten Tag des Monats gezahlten Tabellenentgelt für November (§ 20 Abs. 5 Satz 1, § 24 Abs. 1 Satz 2 TVöD). Allerdings ist es nach § 20 Abs. 5 Satz 2 TVöD möglich, einen Teilbetrag der Jahressonderzahlung bereits zu einem früheren Zeitpunkt - und damit auch zeitlich losgelöst von dem Weihnachtsfest - auszuzahlen. Dies relativiert die Bedeutung des Auszahlungszeitpunktes deutlich.

Gegen die Absicht, den Beschäftigten das Weihnachtsfest angenehm zu gestalten, spricht zudem der weitere Gehalt des § 20 TVöD. § 20 Abs. 2 TVöD sieht vor, dass sich die Höhe der Sonderzahlung nach dem Durchschnittsgehalt der Kalendermonate Juli, August und September bestimmt. Die Höhe der Zahlung richtet sich demnach in erster Linie nach der Eingruppierung und der Arbeitszeit, also nach leistungsbezogenen und nicht nach sozialen Kriterien. Das deutet ebenfalls auf einen vorrangigen Vergütungscharakter hin, und zwar bezogen auf das jeweilige Kalenderjahr. Soziale Kriterien treten nach § 20 Abs. 2 Satz 1 TVöD nur insofern hinzu, als der Vomhundertsatz im Tarifgebiet West bei den unteren Entgeltgruppen höher ausfällt als bei den höheren Entgeltgruppen. Die leistungsbezogene Bemessung bleibt gleichwohl erhalten.

Noch deutlicher tritt der Vergütungscharakter der Jahressonderzahlung in § 20 Abs. 4 Satz 1 TVöD zu Tage. Nach dieser Vorschrift vermindert sich der Anspruch um ein Zwölftel für jeden Kalendermonat, in dem Beschäftigte keinen Anspruch auf Entgelt oder Fortzahlung des Entgelts haben. Eine volle oder anteilige Jahressonderzahlung erfolgt demnach nur insoweit, als der Beschäftigte - von den Sonderfällen des § 20 Abs. 4 Satz 2 TVöD abgesehen - während des Kalenderjahres beschäftigt war und ein Entgelt erhalten hat. Damit besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Arbeitsleistung im Kalenderjahr einerseits und der Jahressonderzahlung andererseits (vgl. BAG, Urteil vom 14.3.2012, a. a. O., Rn. 17; vgl. zu diesem Kriterium auch BAG, Urteil vom 23.4.2008 - 10 AZR 258/07 -, [...] Rn. 19).

Ergänzend zu dem Vergütungscharakter der Jahressonderzahlung treten als weitere Zwecke hinzu, die Betriebstreue der Beschäftigten zu belohnen sowie ihre Motivation zu stärken (vgl. BAG, Urteil vom 12.12.2012, a. a. O.; Urteil vom 14.3.2012, a. a. O., Rn. 18). Der erstgenannte Zweck kommt in § 20 Abs. 1 TVöD zum Ausdruck. Diese Vorschrift knüpft den Anspruch an ein am 1. Dezember des jeweiligen Jahres bestehendes Arbeitsverhältnis. Weitere, die Bedeutung der Betriebstreue stärkende Anforderungen, etwa der Bestand des Arbeitsverhältnisses für eine gewisse weitere Dauer, die noch der Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte - TV Zuwendung - vom 12. Oktober 1973, zuletzt geändert durch den Tarifvertrag zur Änderung der Zuwendungstarifverträge vom 31. Januar 2003, enthalten hatte, haben die Vertragsparteien jedoch nicht in § 20 TVöD übernommen. Das zeigt deutlich, dass der Vergütungscharakter im Vordergrund steht, während die weiteren Zwecke nur ergänzend hinzutreten.

Soweit das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz den Zweck der Jahressonderzahlung demgegenüber darin gesehen hat, den im öffentlichen Dienst Beschäftigten den Kauf von Geschenken und das Gelingen des Weihnachtsfests zu erleichtern (OVG Rh.-Pf., Urteil vom 17.8.2012, a. a. O., Rn. 25), teilt der Senat diese Auffassung nicht. Es mag zwar sein, dass die Jahressonderzahlung in gewisser Weise in der Tradition eines "Weihnachtsgeldes" steht, das dem vorgenannten Zweck gedient hat. Das allein rechtfertigt jedoch die Schlussfolgerungen des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz aus zwei Gründen nicht.

Erstens kommt der Tarifgeschichte im Rahmen der Auslegung eines Tarifvertrags nur eine ergänzende Funktion zu. Ein Rückgriff ist dann statthaft, wenn nach einer Auslegung anhand des Wortlauts und des Gesamtzusammenhangs der tariflichen Regelung Zweifel verbleiben und das Ergebnis der historischen Auslegung im Wortlaut der Tarifnorm ihren Niederschlag gefunden hat (vgl. BAG, Urteil vom 15.5.2012 - 7 AZR 785/10 -, [...] Rn. 21; Urteil vom 15.2.2012 - 7 AZR 626/10 -, [...] Rn. 30). Ausgehend davon ist die im Wesentlichen historisch begründete Auslegung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz nicht geeignet, das gefundene Ergebnis zu tragen. Weder findet sich - wie auch das Oberverwaltungsgericht einräumt - im Wortlaut des § 20 TVöD ein Anhaltspunkt dafür, dass die Jahressonderzahlung auf Weihnachten bezogen sein könnte, noch deutet die weitere Auslegung nach den vorrangig zu berücksichtigenden objektiven Kriterien in diese Richtung.

Zweitens führt eine tarifgeschichtliche Betrachtung - anders als das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz meint - keineswegs eindeutig dazu, dass es sich bei der Jahressonderzahlung um ein "Weihnachtsgeld" handelt.

Die Jahressonderzahlung ist zunächst nicht nur an die Stelle des Weihnachtsgeldes, sondern auch an die Stelle des Urlaubsgeldes nach dem Tarifvertrag über ein Urlaubsgeld für Angestellte vom 16. März 1977, zuletzt geändert durch Tarifvertrag zur Änderung der Urlaubsgeldtarifverträge vom 29. Oktober 2001 und durch den Euro-Tarifvertrag vom 30. Oktober 2001, getreten (vgl. Sponer/Steinherr, a. a. O., Rn. 2; Clausen, a. a. O., Rn. 1; Schwill, in: Bepler/Böhle/Meerkamp/Stöhr, TVöD, 2012, § 20 Rn. 1). Will man Traditionslinien ziehen, stünde die Jahressonderzahlung - wie § 20 Abs. 5 Satz 2 TVöD, der eine Teilauszahlung der Jahressonderzahlung zu einem abweichenden Zeitpunkt vorsieht, zeigt - zumindest in einer doppelten Tradition. Eine einseitig auf das Weihnachtsfest bezogene Betrachtungsweise ist deshalb nicht statthaft.

Zudem zeigt die insbesondere im Hinblick auf die einheitliche Leistung einer Jahressonderzahlung anstelle von Weihnachts- und Urlaubsgeld, die erforderliche Betriebszugehörigkeit und das Fehlen von Rückzahlungsverpflichtungen erheblich von den Vorgängervorschriften abweichende Fassung des § 20 TVöD, dass die Tarifvertragsparteien mit der Jahressonderzahlung eine Zuwendung mit einem neuen Inhalt und einem neuen Leistungszweck gestaltet haben (vgl. BAG, Urteil vom 14.3.2012, a. a. O., Rn. 19; ebenso Sponer/Steinherr, a. a. O., Rn. 2: Jahressonderzahlung als "aliud" zu Weihnachts- und Urlaubsgeld; Schwill, in: Bepler/Böhle/Meerkamp/Stöhr, a. a. O., Rn. 3: Zuwendungen "auf eine neue Basis gestellt"). Vor diesem Hintergrund sind die Traditionslinien faktisch zwar noch erkennbar, rechtlich jedoch aufgrund der grundlegenden Neuregelung von allenfalls eingeschränkter Bedeutung. Ein Auslegungsergebnis, für die sich im Wortlaut kein Anhaltspunkt findet und die der Systematik der Vorschrift zuwider läuft, kann auch deshalb nicht mit einer Traditionslinie begründet werden.