Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 25.08.2021, Az.: 1 A 1344/18

Ermessen; Ermessensausfall; Ermessensnichtgebrauch; intendiertes Ermessen; Naturschutz; Vorkaufsrecht; Ermessen bei der Ausübung eines naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
25.08.2021
Aktenzeichen
1 A 1344/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 37776
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2021:0825.1A1344.18.00

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Ausübung eines naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts.

Sie war Eigentümerin des etwa 11.000 m2 großen Flurstücks L. Dieses Flurstück liegt nordwestlich des Ortes M. und wird durch die "N.", ein Gewässer zweiter Ordnung, durchflossen. Das Flurstück liegt innerhalb des Naturschutzgebiets "O." im Landkreis P., das durch Verordnung der Bezirksregierung Q. gebildet wurde.

Im Februar 2010 schlossen Herr R., handelnd für die Klägerin, und der Beigeladene zu 1 einen notariellen Kaufvertrag über dieses Grundstück. Als Kaufpreis vereinbarten sie einen Betrag in Höhe von 5.500 €. Kurz darauf beantragte der Notar beim Beklagten die Genehmigung nach § 2 bzw. das Zeugnis nach § 5 des Grundstücksverkehrsgesetzes für den Kaufvertrag. Das Amt für Wirtschaft, Verkehr und Schulen des Beklagten genehmigte den Kaufvertrag mit Bescheid vom 3. Mai 2010 nach § 2 des Grundstücksverkehrsgesetzes. Der Beigeladene zu 1 wurde als neuer Eigentümer des Grundstücks in das Grundbuch eingetragen.

Auf Anfrage des Beklagten übersandte das Amtsgericht S. diesem am 10. Januar 2018 Unterlagen über den Kaufvorgang aus dem Jahr 2010. Anfang März 2018 bat der Beklagte den Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) um eine fachliche Stellungnahme zur beabsichtigten Ausübung des Vorkaufsrechts für das Grundstück. Er fügte seinem Schreiben einen Vermerk über die naturschutzfachlichen Gründe für die Ausübung des Vorkaufsrechts bei. Der NLWKN teilte dem Beklagten kurz darauf unter Beifügung einer fachlichen Stellungnahme mit, dass aus seiner Sicht das Vorkaufsrecht ausgeübt werden solle. Am 8. März 2018 teilte das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz dem Beklagten mit, dass der Ausübung des Vorkaufsrechts für das Grundstück zugestimmt werde.

Mit Bescheid vom selben Tag, adressiert an Herrn R., übte der Beklagte das Vorkaufsrecht zugunsten des Landes Niedersachsen für das Flurstück T., aus. Zur Begründung führte er im Bescheid aus, dass Herr U. als Bevollmächtigter der Klägerin im Februar 2010 den Kaufvertrag über das zuvor bezeichnete Flurstück abgeschlossen habe, dieser Vertrag jedoch dem Beklagten vom Notariat zwecks Ausübung bzw. Verzichts des dem Land zustehenden Vorkaufsrechts nicht vorgelegt worden sei; der Eigentumsübergang sei jetzt zufällig festgestellt worden. Schutzzweck des Naturschutzgebiets sei unter anderem "die Erhaltung, Pflege und Entwicklung der Niederungslandschaft des Auemittellaufes und seiner Nebengewässer mit den Talräumen sowie teilweise angrenzender Geestbereiche mit den hierauf angewiesenen charakteristischen Lebensgemeinschaften". In den Erhaltungszielen seien die Erhaltung und Entwicklung einer naturnah strukturierten Niederungslandschaft unter anderem als Lebensraum für den Fischotter und die Entwicklung der an den Talrändern vorkommenden natürlichen und naturnahen Waldgesellschaften wie unter anderem Hainsimsen-Buchenwäldern und Eichen-Hainbuchenwäldern hervorgehoben. Im Übrigen solle die Erhaltung und Entwicklung naturnaher Fließgewässer in einem unbegradigten Verlauf in naturnahem Auwald und die Entwicklung naturnaher bodensaurer Eichenwälder auf Sandebenen erreicht werden. Für diese Ziele sei die verkaufte Fläche von besonderer Bedeutung, insbesondere angesichts der bereits im Landeseigentum befindlichen Flächen in der Niederung der N. bachabwärts. Das Schutzgebiet im Bereich der N. sei sehr schmal abgegrenzt worden, der Abschnitt sei begradigt und habe einen sehr hohen Entwicklungsbedarf. Mögliche Renaturierungsmaßnahmen könnten nur auf öffentlichem Grund realisiert werden. Die Fläche sei zudem besonders wichtig für die ebenfalls angestrebte Waldentwicklung auf den mehr oder weniger trockenen Randflächen. Die Fläche weise ferner besonders gute Voraussetzungen für gewässerverbessernde Maßnahmen sowie für eine Selbstentwicklung auf. Da im ortsnahen Umfeld der überwiegende Flächenanteil noch im privaten Eigentum in Grünlandnutzung sei, könne mit der Ausübung des Vorkaufsrechts ein wichtiger "Entwicklungstrittstein" geschaffen werden. Das Land Niedersachsen habe bereits einen Schwerpunkt ihres Flächeneigentums im Bereich des V.; zusammen mit den benachbarten Kompensationsflächen der W. und der gemeindlichen Naturschutzflächen könnten die Voraussetzungen für eine komplexere Gebietsentwicklung wesentlich verbessert werden. Von einer vorherigen Anhörung sei abgesehen worden, da ansonsten die Frist zur Ausübung des Vorkaufsrechts nicht hätte gewahrt werden können; es bestehe Gelegenheit, sich nachträglich zu äußern.

Die Klägerin legte über ihren Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass der seinerzeitige Verkaufsvorgang dem Beklagten zur Genehmigung vorgelegt worden sei. Dies ergebe sich aus dem Bescheid des Beklagten aus dem Jahr 2010 und der Auskunft des Notariats. Dass der Naturschutzbehörde der Vorgang seinerzeit nicht vorgelegt worden sei, stelle ein organisatorisches Defizit innerhalb der Verwaltung des Beklagten dar. Es sei ferner nicht zu erkennen, dass der Erwerb des Grundstücks für den Naturschutz und die Landschaftspflege erforderlich wäre. Auf der Fläche seien Tiere gehalten worden, welche ebenfalls Bestandteil der Natur und charakteristische Lebensgemeinschaften der örtlichen Natur und Landschaft seien. Hilfsweise berufe sie sich auf Verjährung und Verwirkung.

Mit Bescheid vom 17. April 2018, dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 26. April 2018 zugestellt, wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, dass er am 10. Januar 2018 festgestellt habe, dass das streitgegenständliche Grundstück übereignet worden sei, ohne dass das dem Land zustehende Vorkaufsrecht eingeräumt worden sei. Dieses Vorkaufsrecht habe er mit dem Bescheid vom 8. März 2018 ausgeübt, auf dessen Begründung er verweise. An dieser Entscheidung halte er auch angesichts der Widerspruchsbegründung fest. Das Vorkaufsrecht habe noch ausgeübt werden können, da der Inhalt des Kaufvertrags dem Beklagten nicht mitgeteilt worden sei. Eine solche Mitteilung werde nicht durch die Vorlage des Vertrags aus anderen Gründen bewirkt. Auf das Vorkaufsrecht müsse der Verkäufer bei Vorlage des Vertrags hinweisen; ansonsten bestünde für das Fachamt keine Veranlassung, den Vertrag an die untere Naturschutzbehörde weiterzuleiten. Da ein derartiger Hinweis im vorliegenden Fall nicht erfolgt sein, habe die Vorlage des Vertrags zum Zweck der Erteilung der Grundstücksverkehrsgenehmigung die Frist zur Ausübung des Vorkaufsrechts nicht in Gang gesetzt. Er habe mit dem Bescheid zur Ausübung des Vorkaufsrechts ausführlich dargelegt, dass und wie die Flächen für Naturschutzzwecke verwendet werden sollen; einer solchen Verwendung im Sinne des Naturschutzes stehe eine freie landwirtschaftliche Nutzung entsprechend den Ausführungen der Klägerin letztendlich entgegen. Gründe für eine Verjährung oder Verwirkung seien nicht gegeben.

Am 25. Mai 2018 hat die Klägerin, wiederum vertreten durch X., Klage erhoben, mit der sie geltend macht, dass der Kaufvertrag dem Beklagten durch den Notar vorgelegt worden sei. Das Amt für Wirtschaft, Verkehr und Schulen des Beklagten hätte den Vertrag gegebenenfalls an das Amt für Naturschutz weiterleiten müssen. Der Fristlauf zur Ausübung des Vorkaufsrechts habe damit im Jahr 2010 begonnen und sei mittlerweile längst abgelaufen. Es sei außerdem Verwirkung, hilfsweise Verjährung eingetreten. Der Beklagte habe des Weiteren noch nicht ausgeführt, aus welchem Grund gerade das streitgegenständliche Grundstück vom Vorkaufsrecht betroffen sein soll; ein unmittelbarer Anschluss an landeseigene Flächen sei hier nicht gegeben. Ferner sei das streitgegenständliche Grundstück nicht zu den besonders förderungsfähigen Flächen zu zählen, sondern grenze, wenn überhaupt, an solche Flächen. Es werde außerdem nicht klar, weshalb die Ausübung des Vorkaufsrechts erforderlich sei und nicht andere Maßnahmen wie Auflagen den naturschutzrechtlichen Zielen entsprächen. Der Verordnungstext zum vorliegenden Naturschutzgebiet gestatte darüber hinaus die Grünlandnutzung, weshalb der Beklagte nicht argumentieren könne, dass diese Flächen im Besitz des Beklagten sein müssten, um die Naturschutzziele umsetzen zu können.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 8. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. April 2018 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, dass die Anhörung durch das Widerspruchsverfahren nachgeholt worden sei. Der unteren Naturschutzbehörde sei zudem der Inhalt des Kaufvertrags nicht mitgeteilt worden. Es müsse für den Vorkaufsberechtigten erkennbar sein, dass der Kaufvertrag auch wegen des Vorkaufsrechts vorgelegt werde. Außerdem lägen die naturschutzfachlichen Voraussetzungen hier vor. Die Gründe habe er in seinem Ausgangs- und Widerspruchsbescheid hinreichend deutlich dargestellt. Das Land Niedersachsen habe kontinuierlich Flächen für Naturschutzzwecke im Naturschutzgebiet angekauft. Es lägen auch keine Ermessensfehler vor. Ob ein Fall des intendierten Ermessens vorliege, könne hier dahinstehen. Er habe erkannt, dass er zur Ausübung des Vorkaufsrechts nicht verpflichtet gewesen sei. Dies zeige sich daran, dass er die Ausübung des Vorkaufsrechts mit naturschutzfachlichen Gründen belegt habe. Es sei auch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen worden.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg.

Sie ist zulässig, insbesondere durfte die Klägerin gegen den Bescheid des Beklagten die Anfechtungsklage erheben. Zwar war der Ausgangsbescheid an ihren Vater adressiert, aber im Wege der Auslegung des Bescheids (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 19. Dezember 2002 - 8 L 1823/99 -, Rn. 30, juris) ergibt sich, dass dieser an sie als Verkäuferin des Grundstücks gerichtet war. Sie ist Inhaltsadressatin des Bescheids. Dies ergibt sich aus der Bezugnahme im Ausgangsbescheid auf den Kaufvorgang im Jahr 2010, an dem die Klägerin als Verkäuferin beteiligt war. Sie hat zudem bereits für das Widerspruchsverfahren den Prozessbevollmächtigten engagiert, so dass auch ihr bewusst war, dass der Bescheid an sie gerichtet war. Dass der Bescheid an ihren Vater geschickt wurde, erklärt sich daraus, dass dieser die Klägerin beim Abschluss des Kaufvertrags im Jahr 2010 vertreten hat.

Die Klage ist auch begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 8. März 2018 in Form des Widerspruchsbescheids vom 27. April 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

Als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts ist auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Wirksamkeit des Kaufvertrags abzustellen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 14. Januar 2013 - 4 LA 173/12 -, Rn. 9, juris; Bay. VGH, Urteil vom 11. Mai 1994 - 9 B 93.1514 -, Rn. 34, juris; Urteil vom 3. Mai 2016 - 14 B 15.205 -, Rn. 41, juris; Urteil vom 1. Oktober 2019 - 14 BV 17.419 -, Rn. 35, juris). Dies war vorliegend im Mai 2010. Denn der im Februar 2010 vereinbarte Kaufvertrag bedurfte der Genehmigung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur und zur Sicherung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe (Grundstückverkehrsgesetz - GrdstVG). In einem solchen Fall liegt ein wirksamer Kaufvertrag erst vor, wenn die Genehmigung erteilt wurde (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 14. Januar 2013 - 4 LA 173/12 -, Rn. 9, juris unter Verweis auf BGH, Urteil vom 29. Oktober 1993 - V ZR 136/92 -, juris). Die Genehmigung nach § 2 GrdstVG erfolgte hier mit Bescheid vom 3. Mai 2010. Demzufolge sind das Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz - BNatSchG) vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542) und das Niedersächsische Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz (NAGBNatSchG) vom 19. Februar 2010 (Nds. GVBl. S. 104) heranzuziehen.

Rechtsgrundlage für das durch den Beklagten zu Gunsten des Landes Niedersachsen ausgeübte Vorkaufsrecht ist § 66 BNatSchG i.V.m. §§ 31, 32 und 40 NAGBNatSchG. Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG steht den Ländern ein Vorkaufsrecht unter anderem an Grundstücken zu, die in Naturschutzgebieten liegen. Der Landkreis als untere Naturschutzbehörde (§§ 31 Abs. 1 Satz 1, 32 Abs. 1 Satz 1 NAGBNatSchG) übt das Vorkaufsrecht durch Verwaltungsakt aus (§ 40 Abs. 3 Satz 1 NAGBNatSchG). Das Vorkaufsrecht darf nur ausgeübt werden, wenn dies aus Gründen des Naturschutzes und der Landschaftspflege einschließlich der Erholungsvorsorge erforderlich ist (§ 66 Abs. 2 BNatSchG).

Vorliegend kann dahinstehen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts erfüllt waren. Denn der Bescheid ist rechtswidrig, weil ein rechtlich beachtlicher Ermessensfehler in Form des Ermessensausfalls vorliegt.

Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie dieses entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (vgl. § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) i.V.m. § 1 Abs. 1 des Niedersächsischen Verwaltungsverfahrensgesetzes - NVwVfG). Sie ist zur Ausübung eines ihr eingeräumten Ermessens nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 17). Dies dient vor allem der Sicherung der Einzelfallgerechtigkeit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Mai 2014 - 6 B 46/13 -, Rn. 8, juris). In einem gerichtlichen Verfahren prüft das Verwaltungsgericht, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Die Aufzählung der in § 114 Satz 1 VwGO explizit benannten Arten rechtlich erheblicher Ermessensfehler (Ermessensfehlgebrauch und Ermessensüberschreitung) ist nicht abschließend. So liegt auch dann ein rechtlich beachtlicher Ermessensfehler vor, wenn die Behörde den gesetzlichen Rahmen des Ermessens nicht ausschöpft (Ermessensunterschreitung) oder überhaupt kein Ermessen ausübt (Ermessensausfall oder Ermessensnichtgebrauch) (vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 114 Rn. 81 ff.). Letzteres ist beispielsweise der Fall, wenn sich die Behörde des ihr eingeräumten Ermessen gar nicht bewusst gewesen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1975 - IV C 30.73 -, Rn. 25, juris; Urteil vom 15. Dezember 1983 - 3 C 27/82 -, Rn. 83, juris). Ein Ermessensausfall kann auch vorliegen, wenn die Behörde keine Zweckmäßigkeitsentscheidung getroffen hat (vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 114 Rn. 114a).

Ob eine Behörde einen bestehenden Ermessensspielraum verkannt hat, ist anhand einer Auslegung ihres Bescheids zu ermitteln. Dabei ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderlich, dass die Ermessensausübung nach Wortlaut oder Inhalt des Bescheids erkennbar geworden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1978 - III C 18.77 -, Rn. 20, juris). Sofern Erwägungen zum Ermessen bei der Begründung eines Verwaltungsakts fehlen, kann dem regelmäßig das Indiz für einen Ermessensausfall entnommen werden (vgl. Sächs. OVG, Urteil vom 10. November 2016 - 3 A 318/16 -, Rn. 42, juris; Bay. VGH, Beschluss vom 13. September 2018 - 4 ZB 17.1387 -, Rn. 15, juris). Der nach Art 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) garantierte gerichtliche Rechtsschutz setzt nämlich voraus, dass die Behörde offenbart, von welchen Gesichtspunkten sie sich bei der Ausübung des Ermessens hat leiten lassen. Dem dient auch die Pflicht zur Begründung von Verwaltungsakten, gerade auch hinsichtlich der getroffenen Ermessenserwägungen wie es § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG vorschreibt (vgl. Bay. VGH, Urteil vom 13. Oktober 2009 - 14 B 07.1760 -, Rn. 40 m.w.N., juris). Fehlen Ausführungen zum Ermessen im Bescheid, kann sich gleichwohl aus dem Gesamtzusammenhang ergeben, dass die Behörde eine Ermessensentscheidung getroffen hat (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 18)

Gemessen daran liegt hier ein Fall des Ermessensausfalls vor.

Bei der Ausübung eines Vorkaufsrechts nach § 66 BNatSchG hat die Behörde Ermessen auszuüben (vgl. Urteil der Kammer vom 27. Februar 2019 - 1 A 1123/17 -, n.v.; OVG MV, Beschluss vom 27. August 2013 - 1 L 241/12 -, Rn. 13, juris; VG Oldenburg, Urteil vom 26. Februar 2018 - 5 A 4311/15 -, n.v.; VG Gelsenkirchen, Gerichtsbescheid vom 9. November 2018 - 6 K 8723/16 -, Rn. 36, juris; Kraft, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2. Aufl. 2018, § 66 Rn. 19; Reiff, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 3. Aufl. 2021, § 66 Rn. 53). Dabei hat die Behörde neben den Belangen des Naturschutzes insbesondere die berechtigten Interessen des Verkäufers und des Erwerbers zu berücksichtigen (vgl. OVG Saarlouis, Urteil vom 29. April 2010 - 2 A 403/09 -, Rn. 80, juris; VG Regensburg, Urteil vom 17. Dezember 2013 - RO 4 K 11.1548 -, Rn. 111, juris; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, 129. EL, April 2016, § 66 BNatSchG Rn. 19).

Weder aus den Ausführungen im Ausgangs- noch im Widerspruchsbescheid ist vorliegend zu erkennen, dass der Beklagte sich bewusst war, dass er Ermessen auszuüben hatte. Insbesondere ist eine Berücksichtigung der Interessen der Klägerin oder des Beigeladenen zu 1 nicht zu erkennen, was sich gerade angesichts des etwa acht Jahre zuvor erfolgten Verkaufsvorgangs im Rahmen des Ermessens aufgedrängt hätte. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil das Land Niedersachsen - wie die Beigeladene zu 2 in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat - in der Vergangenheit in Fällen, in denen der Verkaufsvorgang ebenfalls erst nachträglich bekannt geworden ist, angesichts der betroffenen Grundrechtspositionen davon abgesehen habe, das Vorkaufsrecht auszuüben. Im vorliegenden Verfahren steht weder im Ausgangs- noch im Widerspruchsbescheid das Wort "Ermessen". Auch die sonstigen Formulierungen lassen nicht erkennen, dass der Beklagte sein Ermessen ausgeübt hat. Der Bescheid geht lediglich auf die naturschutzfachlichen Gründe für den Erwerb des Grundstücks ein und lässt nicht erkennen, inwiefern er die Interessen der Klägerin oder des Beigeladenen zu 1 einbezogen hat. Auch der Widerspruchsbescheid lässt eine (erstmalige) Ermessensausübung nicht erkennen. Zwar führt dieser Bescheid die von der Klägerin im Widerspruchsverfahren mitgeteilten Einwände auf, aber er setzt sich im Wesentlichen mit der Frage auseinander, ob die Frist zur Ausübung des Vorkaufsrechts bereits abgelaufen ist. Soweit der Beklagte im Widerspruchsbescheid ausführt, dass er ausführlich dargelegt habe, dass und wie die Flächen für Naturschutzzwecke verwendet werden sollen, und einer solchen Verwendung im Sinne des Naturschutzes eine freie landwirtschaftliche Nutzung entsprechend den Ausführungen der Klägerin letztendlich entgegenstehe, ist auch dies nicht Ausdruck einer Ermessensausübung. Vielmehr rechtfertigt der Beklagte seinen Ausgangsbescheid, indem er auf die naturschutzfachlichen Gründe abstellt.

Soweit der Beklagte schriftsätzlich argumentiert hat, dass die Ermessensausübung im Ausgangsbescheid daran deutlich werde, dass aus den dargelegten naturschutzfachlichen Gründen von der Ausübung des Vorkaufsrechts nicht abgesehen werden konnte, stellen diese Ausführungen nach Auffassung der Kammer keine Ermessenserwägungen dar. Denn diese Ausführungen dienen der Begründung der aus § 66 Abs. 2 BNatSchG herrührenden Voraussetzung, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts aus Gründen des Naturschutzes und der Landschaftspflege einschließlich der Erholungsvorsorge erforderlich ist. Diese Voraussetzung ist jedoch kein Teil des Ermessens, sondern ein Tatbestandsmerkmal für die Ausübung des Vorkaufsrechts (vgl. BT-Drucks. 16/12274, S. 76). Deren Vorliegen ist - anders als eine behördliche Ermessensentscheidung - vollständig gerichtlich überprüfbar (vgl. Kraft, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2. Aufl. 2018, § 66 Rn. 17; Möller, Umweltrecht und Landnutzungsrecht, Bd. IV (49. - 53.), Naturschutzrecht, 6. Aufl. 2016, Rn. 53.5.2). Dass - wie der Beklagte ebenfalls vorgetragen hat - eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen worden sei, ist für die Kammer nicht zu erkennen. Auch der in der mündlichen Verhandlung geäußerte Hinweis des Beklagten auf ein Urteil des VG Hamburg vom 26. Oktober 2018 unter dem Az. 7 K 8334/16 führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn in dem dortigen Fall ist die Behörde zumindest im Widerspruchsbescheid auf die Interessen der Betroffenen eingegangen (vgl. VG Hamburg, Urteil vom 26. Oktober 2018 - 7 K 8334/16 -, Rn. 67, juris).

Der Beklagte durfte von Ermessenserwägungen auch nicht absehen, denn das Ermessen nach § 66 BNatSchG ist kein Fall des intendierten Ermessens. Ist eine ermessenseinräumende Vorschrift dahin auszulegen, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht, so müssen besondere Gründe vorliegen, um eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juni 1997 - 3 C 22/96 -, Rn. 14 m.w.N., juris).

Vorliegend enthält die in § 66 BNatSchG enthaltene Befugnis eines Landes, das Vorkaufsrecht aus naturschutzrechtlichen Gründen auszuüben, keine ermessenslenkende Maßgabe. Denn der Wortlaut der Norm lässt nicht erkennen, dass das Vorkaufsrecht grundsätzlich auszuüben ist. Auch Sinn und Zweck der Norm sprechen gegen das Vorliegen intendierten Ermessens, denn das Land müsste ansonsten in der Regel das Vorkaufsrecht ungeachtet der damit einhergehenden finanziellen Verpflichtungen ausüben.

Das Ermessen ist vorliegend auch nicht auf null reduziert.

Eine Nachholung der Ermessenserwägungen scheidet im Fall des Ermessensausfalls grundsätzlich aus. Denn § 114 Satz 2 VwGO schafft lediglich die prozessualen Voraussetzungen dafür, dass die Behörde defizitäre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, nicht hingegen dafür, dass sie ihr Ermessen nachträglich erstmals ausübt (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2007 - 1 C 10.07 -, Rn. 30, juris; Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 40 Rn. 254 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich die Beigeladenen nicht durch Antragstellung am Kostenrisiko beteiligt haben, entsprach es billigem Ermessen, deren Kosten nicht auch dem Beklagten aufzuerlegen; vielmehr haben die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Aufwendungen selbst zu tragen (§ 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.