Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 06.02.1996, Az.: 5 U 152/95
Pflichtverletzung bei morgendlicher Frühstücksverabreichung ; Folgen einer fehlenden Erkennbarkeit von Anzeichen der Möglichkeit einer Operation unter Vollnarkose zum Zeitpunkt der Frühstücksverabreichung; Notwendigkeit des Erkennens eines außerordentlich seltenen Kompartmentsyndroms; Auswirkungen von über Nacht eintretenden und erst am Morgen zu bemerkenden Arm-Plexus-Schädigungen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 06.02.1996
- Aktenzeichen
- 5 U 152/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 21032
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1996:0206.5U152.95.0A
Amtlicher Leitsatz
Keine Pflichtverletzung bei morgendlicher Frühstücksverabreichung, wenn noch keine Anzeichen für die Möglichkeit einer Operation unter Vollnarkose erkennbar waren.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Ersatz immaterieller Schäden und Feststellung der Ersatzpflicht von materiellen und immateriellen Zukunftsschäden, die sie aus der Entstehung eines Kompartmentsyndroms mit anschließender Lähmung im Bereich des linken Armes ableitet.
Nach osteosynthetischer Versorgung einer Innenknöchelfraktur vom 23.11.1990 wurde die Klägerin im Krankenhaus der Beklagten wegen einer im Januar 1991 entstandenen Beinvenenthrombose behandelt.
Wegen des Verdachts einer muskulären Einblutung musste am 26.01.1991 die Tags zuvor begonnene Lysetherapie abgesetzt werden. Während der sodann vorgenommenen systhematischen Heparinisierung bildete sich im linken Oberarm ein Hämatom. Dieses führte am 29.01.1991 zur Verlegung der Klägerin von der Unfallchirurgischen Klinik in die Medizinische Klinik, wo eine weitere Umfangsvermehrung des linken Oberarms mit dorsal gelegenem Hämatom und eine schmerzbedingte Ab duktionshemmung im linken Schulterbereich festgestellt wurde. Am 30.11.1991 erwachte die Klägerin gegen 5.00 Uhr mit Schmerzen und deutlichen Taubheitsgefühlen im linken Arm. Nach sofortiger Absetzung der Heparintherapie, späterer Abhaltung eines neurologischen und allgemeinchirurgischen Konsils und computerthomografischer Abklärung wurde um 12.00 Uhr die Entscheidung zu einer chirurgischen Ausräumung des Hämatoms getroffen, die um 16.00 Uhr erfolgte. Nach der Operation zeigten sich Armlähmungen auf Grund von Nervenschädigungen (Schädigung des Plexus bracchialis in der linken Axilla mit Schwerpunkt des Nervus radialis und musculocutaneus sowie ausgedehnte Paresender ulnaris- und medanusversorgten Muskulatur Fallhand).
...
Das Landgericht hat nach Auswertung des im Schlichtungsverfahren eingeholten Gutachtens und sachverständiger Beratung der Klage stattgegeben, weil die behandelnden Ärzte die Chance für eine sofortige Umsetzung der unter den gegebenen Umständen zu erwartenden Entscheidung für eine Operation durch Verabreichung des Frühstücks leichtfertig vertan und dadurch ihre Pflichten grob fahrlässig verletzt hätten.
Mit der dagegen eingelegten Berufung verfolgt der Beklagte sein Klagabweisungsbegehren in vollem Umfang weiter.
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Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat in vollem Umfang Erfolg.
Zu Recht hat allerdings das Landgericht auf der Grundlage überzeugender sachverständiger Erläuterungen die Versorgung der Klägerin im Krankenhaus der Beklagten bis zum frühen Morgen des 30.01.1991 als ordnungsgemäß beurteilt und das Unterlassen der bereits um 5.00 Uhr objektiv dringlich gebotenen chirurgischen Intervention wegen der ausgesprochenen Seltenheit des eingetretenen Kompartmentsyndroms, das nicht einmal in der medizinischen Standardliteratur erwähnt wird und nicht als Standardwissen chirurgischer Fachabteilungen anzusehen ist, nicht zum haftungsbegründenden Vorwurf erhoben.
Das wird auch von der Berufungserwiderung nicht mehr in Frage gestellt. Insoweit kann gemäß § 543 Abs. 1 2. Hs. ZPO von einer rein wiederholenden Darstellung abgesehen und auf die Entscheidungsgründe (LGU 5 letzter Absatz bis LGU 6 vorletzter Absatz) verwiesen werden.
Der vom Landgericht in der Verabreichung des Frühstücks gesehene Versorgungsfehler, der dann auch noch als grob eingestuft wird. entbehrt jedoch jeglicher verfahrensfehlerfrei zustandegekommender medizinischer Tatsachenfeststellungen.
Der erstinstanzlicher Parteivortrag befasst sich mit dahingehen den möglichen Pflichten des Behandlungs- und Pflegepersonals des Beklagten nicht. Ebensowenig wird dies von den medizinischen Sachverständigen erörtert. Der Schlichtungsgutachter hält im Gegenteil das therapeutische Vorgehen für fehlerfrei und auch der gerichtliche Sachverständige will im Zusammenhang mit der objektiv früher vorzunehmenden Operation keinen Behandlungsvorwurf erheben, weil dies das Erkennen des außerordentlich seltenen Kompartmentsyndroms vorausgesetzt hätte, was ihm nur aus der Retrospektive möglich gewesen sei.
Erstmalig das Landgericht stellt die Behauptung auf, die es sodann zugleich auch als medizinische Feststellung trifft, die beschrie bene Ausweitung des Hämatoms habe für die behandelnden Ärzte am Morgen des 30.01.1991 bereits um 5.00 Uhr die Pflicht begründet. wenigstens mit der Möglichkeit eines Kompartmentsyndroms zu rechnen; die "Ausfallerscheinungen belegten zu dieser Zeitpunkt die eventuelle Notwendigkeit einer chirurgischen Intervention (als) offenkundig".
Woher die Kammer die für die Beurteilung dieser medizinischen Ausgangsfrage nötige Sachkunde hat, wird nicht mitgeteilt und ist auch sonst nicht ersichtlich. Auf die sachverständige Beratung kann sie sich nicht stützen. Selbst der gerichtliche Sachverständige bestätigt insoweit, dass über Nacht eintretende und erst am Morgen zu bemerkende Arm-Plexus-Schädigungen ganz andere Ursachen haben können, die durch chirurgische Entlastungen nicht zu beeinflussen sind. Wann die für die Möglichkeit einer Operationsentscheidung wesentlichen Indikatoren der neurologischen Defizite und mit welcher Dringlichkeit aufgetreten sind, ist dagegen einer Klärung nicht mehr zugänglich. Selbst massive Weichteilschwellungen mit Schmerzzuständen führen nicht unbedingt zu einem operativen Eingriff. Lässt sich aber nicht mehr feststellen, ob bereits vor der Frühstücksausgabe solche für die Ärzte der Beklagten erkennbare Anzeichen vorlagen, die jedenfalls - wie von der Berufung zu Recht an den Ausgang ihrer Erwägungen zum Haftungsgrund gestellt die Möglichkeit einer Operation unter Narkose eröffneten und ggf. nahelegten und deren Übersehen den behandelnden Ärzten auch vor zuwerfen ist, scheidet eine Pflichtverletzung wegen nicht unterbundener Verteilung des Frühstücks aus.
Für die Würdigung dieses Verhaltens als Verstoß gegen elementare ärztliche Behandlungspflichten, das einem Arzt mit fachärztlichen Fähigkeitsstandard schlechterdings nicht passieren darf, fehlt darüber hinaus jeder Anhalt. Auch die Klägerin stellt dieses vom Landgericht herausgebildete Haftungsgeschehen nicht unter Beweis.
Der Senat hat ebenfalls nach den vorstehenden Ausführungen keinerlei Anlass, von sich aus insoweit zusätzliche sachverständige Beratung einzufordern.
Für den Nachweis des Zusammenhangs zwischen zu später chirurgischer Intervention und den jetzt beklagten Schäden stehen der Klägerin daher keine Beweiserleichterungen zur Verfügung. Da es dem gerichtlichen Sachverständigen zu Folge offen ist, ob eine Operation auch bereits um 8.00 Uhr die Nervenschädigung noch verhindert hätte, scheitert eine Haftung des Beklagten auch an dem der Patientenseite obliegenden Kausalitätsbeweis.
Auf Grund der bestehenden Beweissituation ist von einem versorgungsfehlerfreien Vorgehen des Behandlungs- und Pflegepersonals der Beklagten auszugehen, das die Beschwerden der Klägerin auch nicht herbeigeführt hat, sodass der Berufung mit den Nebenfolgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713, 546 ZPO insgesamt stattzugeben und die Klage abzuweisen war.