Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 14.02.1996, Az.: 2 U 296/95
Schadensersatzanspruch nach der Durchführung eines Schwerlastverkehrs auf einer Nebenstraße; Begrenzung des Gemeingebrauchs auf den Umfang der Widmung; Bestimmung einer Verbindungsstraße für den Betrieb eines Schwerlastverkehrs; Überschreitung des Gemeingebrauchs
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 14.02.1996
- Aktenzeichen
- 2 U 296/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 21031
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1996:0214.2U296.95.0A
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 1 StVG
- § 7 Abs. 2 StVG
- § 9 StVG
- § 254 BGB
- § 823 BGB
- § 831 BGB
Amtlicher Leitsatz
Schadensersatz für Straßenschäden bei Überschreitung des Gemeingebrauchs durch Eröffnung eines über Wochen hinweg geplanten Schwerlastverkehrs auf Nebenstraße.
Gründe
Die Klägerin hat dem Grunde nach aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 823 ff, 831 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Schadensersatz wegen der Schäden, die durch den von den Fahrzeugen der Beklagten eröffneten Schwerlastverkehr an der im Eigentum der Klägerin stehenden Verbindungsstraße entstanden sind.
Eine durch bestimmungswidrige Benutzung eintretende Beschädigung einer Straße durch Kraftfahrzeuge löst neben der Verschuldenshaftung nach den §§ 823 ff, 831 BGB auch die verschuldensunabhängige Halterhaftung nach § 7 StVG aus (Kodal-Grote, Straßenrecht, 5. A., Rnr. 33.2, 29.2, 28.2., Schneider MDR 94, 193, 194). Die Beklagte haftet deshalb grundsätzlich schon aus § 7 Abs. 1 StVG als Halterin der Lastkraftwagen, die die Verbindungsstraße bestimmungswidrig befahren und dabei auf Grund ihres Gewichts den Straßenbelag eingedrückt und Rissbildungen verursacht haben.
Die Lastkraftwagen der Beklagten haben die Verbindungsstraße bestimmungswidrig benutzt. Bestimmungsgemäß ist die Benutzung einer Straße, wenn sie sich im Rahmen des Gemeingebrauchs hält, d.h. innerhalb der Gebrauchsart, der die Straße gewidmet ist (Kodal a.a.O). Die Begrenzung des Gemeingebrauchs auf den Umfang der Widmung bezieht sich nicht nur auf den reinen Rechtsakt der Widmung und die sich daraus ergebenden Beschränkungen hinsichtlich der Verkehrsarten und des Verkehrszwecks, sondern auch auf den ebenfalls in der Widmung liegenden Realakt der Schaffung und Indienststellung der Straße selbst und damit auf dessen bau- und verkehrstechnische Beschaffenheit (VGH Mannheim, NVwZ-RR 1990, 225, 226; BGH BB 1958, 7, 8; BGH WM 1983, 1244). Straßen werden unter bestimmten Annahmen über die Beschaffenheit der Fahrzeuge (z.B. hinsichtlich ihrer Größe und ihres Gewichts) und ihre Art des Befahrens der Straße gebaut. Daraus folgen die Grenzen der technischen Zweckbestimmung der Straße; ihre Überschreitung beschädigt die Straße mehr, als dies bei der durch die Widmung vorgegebenen Nutzung der Fall ist. Deshalb kann der Gemeingebrauch aus der Natur der Sache nicht weitergehen, als es der technischen Zweckbestimmung der Straße entspricht (VGH Mannheim a.a.O. m.w.N.).
Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts und dem Vorbringen der Berufung haben Lastkraftwagen der Beklagten im Sommer 1993 über Wochen hinweg jeweils mit 10 bis 16 cbm Bodenaushub beladen die Verbindungsstraße befahren. Wie die Beklagte zugestanden hat, sind jedenfalls durchschnittlich 10 LKW pro Tag gefahren. Auf Grund der von beiden Parteien eingereichten Lichtbilder von der Straße und der aus den vorgelegten Karten ersichtlichen Verkehrsbedeutung der Straße vermag der Senat selbst festzustellen, dass die Verbindungsstraße für den Betrieb eines solchen Schwerlastverkehrs nicht bestimmt war. Nach ihrer aus den Karten ersichtlichen Zweckbestimmung dient die Verbindungsstraße der Erschließung der Ländereien beiderseits der Straße zu deren landwirtschaftlicher Bewirtschaftung. Die Straße ist so schmal, dass entgegenkommende zweispurige Fahrzeuge nur durch Ausweichen auf die unbefestigte Berme aneinander vorbeikommen. Schon hieraus ergibt sich, dass die Tragkonstruktion der Fahrbahn durch einen ständigen Schwerverkehr, wie er von den Fahrzeugen der Beklagten entfaltet worden ist, überlastet war. Der Betrieb eines derartigen Verkehrs zum Auffüllen einer landwirtschaftlichen Nutzfläche mit zu entsorgendem Bodenaushub stellte daher sowohl nach dem Verkehrszweck als auch nach der Bauart der Verbindungsstraße eine unzulässige - weil nicht nach § 18 NStrG genehmigte - Überschreitung des Gemeingebrauchs dar. Die Auffassung des Landgerichts, dass es zur Feststellung einer Überschreitung des Gemeingebrauchs erforderlich sei, dass bereits die erste LKW-Fahrt über die Verbindungsstraße eine unzulässige Überschreitung des Gemeingebrauchs gewesen sein müsse, weil nur dann auch alle nachfolgenden Fahrten eine Überschreitung darstellen könnten, trifft nicht zu. Richtig ist, dass die Benutzung einer Straße, die sich innerhalb des Gemeingebrauchs bewegt, nicht dadurch den Gemeingebrauch übersteigen kann, dass diese zulässige Benutzung häufig ausgeübt wird (Kodal a.a.O., Rnr. 33.1). Der Charakter der Benutzung durch die Fahrzeuge der Beklagten erschöpfte sich aber nicht nur darin, dass diese wiederholt die Verbindungsstraße befuhren. Die Art und Weise der Benutzung der Verbindungsstraße prägend war vielmehr von der ersten Fahrt an, dass ein über Wochen hinweg geplanter Schwerlastverkehr mit täglich 10 jeweils mit 10-16 cbm Sand beladenen LKW nicht dem Zweck der Straße entsprechend - zur landwirtschaftlichen Bewirtschaftung der anliegenden Flächen, sondern zum Zweck des Auffüllens einer Fläche mit zu entsorgendem Bodenaushub eröffnet worden ist (vgl. BGH WM 1983, 1244; VGH Mannheim, a.a.O.).
Diese bestimmungswidrige Benutzung der Straße war für die Beklagte im Sinn von § 7 Abs. 2 StVG vermeidbar. Nach Lage und ersichtlichem Ausbauzustand der Straße hat der Senat keine ernsthaften Zweifel daran, dass sich die Beklagte und/oder ihre LKW-Fahrer, für deren Verhalten die Beklagte ebenfalls nach § 7 Abs. 2 StVG haftet (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 33. A. § 7 StVG, Rnr. 46), darüber im Klaren waren oder jedenfalls bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt im Klaren sein mussten, den nach der Zweckbestimmung der Straße zulässigen Gemeingebrauch zu überschreiten.
Der Klägerin trifft an der von der Beklagten zu verantwortenden Beschädigung der Straße kein mitwirkendes Verschulden im Sinn der §§ 9 StVG, 254 BGB, weil sie nicht durch entsprechende Verkehrszeichen die Verbindungsstraße für den Verkehr nach der Art und Weise der Straßenbenutzung durch die Fahrzeuge der Beklagten gesperrt hat. Die Klägerin musste zwar bei einer nicht durch Verkehrszeichen eingeschränkten Benutzung damit rechnen, dass auch beladene LKW in gewisser Häufigkeit die Verbindungsstraße befahren würden. Nicht rechnen musste sie jedoch mit dem von den Fahrzeugen der Beklagten über Wochen entfalteten intensiven Schwerlastverkehr zum Auffüllen einer an dieser Straße gelegenen landwirtschaftlichen Nutzfläche mit Bodenaushub, zumal wegen dieser Bodenaufschüttung auch nicht um die erforderliche Baugenehmigung bei der Klägerin nachgesucht worden war.