Landgericht Hannover
Urt. v. 09.06.2010, Az.: 6 O 244/08
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 09.06.2010
- Aktenzeichen
- 6 O 244/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 47877
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 33.813,73 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.01.2007 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche aufgrund einer Kaskoversicherung.
Der Kläger unterhielt bei der Beklagten eine Kfz-Kaskoversicherung mit 500,00 € Selbstbeteiligung für einen Pkw VW T 5 mit dem amtlichen Kennzeichen … . Den Wagen hatte der Kläger im März 2005 als Gebrauchtwagen mit einer Laufleistung von 9.466 km zum Preis von 39.680,00 € gekauft (Anlage K 7/Bl. 17 d. A.). Der Kläger war eigenen Angaben zufolge mit dem Fahrzeug unzufrieden, weil die elektronische Türsteuerung Fehlfunktionen aufwies, die trotz mehrmaliger Werkstattaufenthalte nicht beseitigt werden konnten. Im September 2006 hatte der Kläger deswegen den Wagen im Internet zum Verkauf inseriert, jedoch keinen Käufer gefunden. Zu der Zeit betrieb der Kläger einen Kiosk im Bereich der … in Hannover. Am 05.11.2006 meldete der Kläger das Fahrzeug bei der Polizei als gestohlen. Gegenüber der Beklagten meldete der Kläger mit Schadensanzeige Kasko-Totalentwendung vom 13.11.2006 Versicherungsansprüche an (Anlage K 3/Bl. 10 d. A.). Der Kläger gab bei der Beklagten drei Schlüssel für das Fahrzeug ab, wobei es sich um zwei Originalschlüssel handelt, die der Kläger beim Kauf erhalten hatte und einen auf Veranlassung des Klägers über das Autohaus … gefertigten Nachschlüssel. Der Kläger hatte Anfang 2006 bei dem Autohaus … den Verlust eines Schlüssels angegeben und einen Nachschlüssel bestellt. Ihm wurde mitgeteilt, dass der verlorene Schlüssel "totgelegt" wurde, d. h. der im Schlüssel vorhandene Transponder, welcher die Wegfahrsperre des Fahrzeugs deaktiviert, am Fahrzeug abgeschaltet wurde. Später gab der Kläger an, den Schlüssel wiedergefunden zu haben, woraufhin dieser wieder aktiviert wurde.
Die Beklagte ließ die Schlüssel durch den Sachverständigen Dipl.-Ing. … untersuchen. Dieser stellte mit Schlüsselgutachten vom 15.12.2006 fest, dass einer der drei Schlüssel (dabei muss es sich um den Nachschlüssel handeln) Spuren eines mechanischen Abtastvorganges zur Herstellung eines Nachschlüssels aufweise (Bl. 47 ff. d. A.). Die Beklagte beauftragte einen weiteren Sachverständigen mit der Begutachtung der Schlüssel. Auch der Sachverständige … kam mit Gutachten vom 19.06.2007 zu dem Ergebnis, dass der Nachschlüssel Spuren eines mechanischen Abtastvorganges aufweise (Bl. 57 ff. d. A.). Die Beklagte verweigert deswegen die Regulierung.
Am 04.05.2007 versuchte die Ehefrau des Klägers, einen weiteren Ersatzschlüssel beim Autohaus … zu bestellen. Die Bestellung wurde jedoch von der zuständigen Volkswagen Service Factory verweigert.
Mit Schriftsatz vom 26.08.2008 erhob der Kläger Klage vor dem Landgericht Hannover, gerichtet auf Zahlung von 33.813,73 € nebst Zinsen sowie Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Erstattung der Mehrwertsteuer nach Wiederbeschaffung. Den Zahlungsanspruch errechnet der Kläger auf der Basis eines geschätzten Wiederbeschaffungswertes zum Zeitpunkt der Entwendung in Höhe von 35.000,00 € brutto abzüglich 2 % Differenzbesteuerung. Den Feststellungsantrag nahm der Kläger, der den Kioskbetrieb zum 26.08.2007 aufgegeben hat - eigenen Angaben zufolge aus gesundheitlichen Gründen - mit Schriftsatz vom 29.12.2008 zurück.
Der Kläger behauptet, das Fahrzeug am 04.11.2006 ordnungsgemäß verschlossen und gesichert vor dem Grundstück … in Hannover auf dem Parkstreifen abgestellt zu haben. Am 05.11.2006 gegen 1.00 Uhr nachts habe er es letztmalig vor dem Kiosk stehen sehen. Am nächsten Morgen gegen 7.30 Uhr habe er das Fehlen des Fahrzeuges bemerkt.
Der Kläger bestreitet, dass ein weiterer Nachschlüssel auf seine Veranlassung angefertigt worden sei und behauptet, für die von den Sachverständigen festgestellten Abtastspuren keine Erklärung zu haben. Tatsächlich habe jedoch der den Kläger vernehmende Polizeibeamte diesem gegenüber erklärt, dass so etwas häufiger vorkomme und man am besten einen weiteren Schlüssel nachmachen lasse und schaue, ob auch dieser die vermeintlichen Abtastspuren aufweise. Daraufhin habe seine Frau dann auch versucht, einen weiteren Nachschlüssel zu bestellen. Betreffend den auf seine Veranlassung über das Autohaus … angefertigten Nachschlüssel behauptet der Kläger, dass der zweite Originalschlüssel zu Hause verwahrt worden und ab und zu von seiner Frau benutzt worden sei. Irgendwann sei der Schlüssel verschwunden gewesen, allerdings einige Zeit später im Kinderzimmer wieder aufgetaucht.
Der Kläger behauptet, dass der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs 35.000,00 € brutto betrage.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 33.813,73 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.01.2007 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bestreitet eine Entwendung des Fahrzeuges und ist der Auffassung, dass hier eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für einen bloß vorgetäuschten Diebstahl bestehe.
Das Gericht hat mit Beweisbeschluss vom 30.07.2009 Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten, dass mit Hilfe des Nachschlüssels ein weiterer Schlüssel angefertigt wurde durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. … vom 31.10.2009 (Bl. 148 ff. d. A.) verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, den Beweisbeschluss vom 30.07.2009 (Bl. 127 d. A.) sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 30.07.2009 und 20.05.2010 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Ersatz des Wiederbeschaffungswertes für das entwendete Fahrzeug aufgrund der Kaskoversicherung.
Auf der Grundlage des beiderseitigen Parteivorbringens, des Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie der persönlichen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 20.05.2010 steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das Fahrzeug des Klägers in der Nacht vom 04. zum 05.11.2006 bei dem vom Kläger angegebenen Abstellort entwendet wurde und der Kläger die Entschädigung aufgrund der Kaskoversicherung beanspruchen kann.
Zwar ist der Kläger zum Vollbeweis der behaupteten Entwendung nicht in der Lage und auch nicht einmal imstande, Beweis für den sog. Minimalsachverhalt, nämlich das Abstellen des Fahrzeugs und das Nichtwiederauffinden, anzutreten. Das Gericht ist jedoch bei der Prüfung der Berechtigung von Ansprüchen wegen Entwendung nicht gehindert, sich seine Überzeugung auch bloß auf der Grundlage einer persönlichen Anhörung des Versicherungsnehmers zu bilden (vgl. Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 27. Aufl., AKB § 12 Rn. 23). Wenn die Richtigkeit der Behauptungen des Versicherungsnehmers mit anderen Mitteln nicht zu beweisen ist, kann der Tatrichter im Rahmen der freien Beweiswürdigung des Verhandlungsergebnisses, § 286 ZPO, den Behauptungen und Angaben nach einer persönlichen Anhörung (§ 141 ZPO) u. U. auch dann glauben, wenn dieser ihre Richtigkeit sonst nicht beweisen kann (BGH VersR 1993, 571; Römer/Langheid a. a. O. § 49 Rdnr. 24).
Die Glaubwürdigkeit des Klägers ist im vorliegenden Fall nach Auffassung des Gerichts nicht erschüttert. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung die auch schon schriftsätzlich vorgetragenen Ereignisse glaubhaft geschildert und auch keinen Hehl daraus gemacht, dass er mit dem Fahrzeug nicht zufrieden war und auch bereits vergeblich versucht hatte, dieses zu veräußern. Dass der letztgenannte Umstand bei der Beklagten den durch die Ergebnisse der Schlüsselgutachten begründeten Verdacht verstärkt hat, der Kläger könne im Anschluss an die vergeblichen Veräußerungsbemühungen auf den Gedanken gekommen sein, den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges im Wege eines vorgetäuschten Diebstahls und einer entsprechenden Inanspruchnahme der Kaskoversicherung zu realisieren, ist nachvollziehbar. Allein eine mögliche Interessenlage kann jedoch nicht als ausreichend angesehen werden, um dem Versicherungsnehmer die Begehung einer Straftat zu unterstellen. Tatsachen betreffend die Person des Klägers und sein Verhalten vor und nach dem Versicherungsfall, welche geeignet wären, die Glaubwürdigkeit des Klägers und die zu seinen Gunsten sprechende Redlichkeitsvermutung nachhaltig zu erschüttern, sind nach Auffassung des Gerichts weder hinreichend dargetan noch sonst ersichtlich.
Auch das Ergebnis der Schlüsseluntersuchung ist nach Auffassung des Gerichts weder ausreichend, um das äußere Bild eines Diebstahls zu verneinen noch eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für eine Vortäuschung des Diebstahls zu begründen.
Ist unstreitig oder wird durch ein Schlüsselgutachten festgestellt, dass von einem Originalschlüssel Nachschlüssel angefertigt wurden, ohne dass der Versicherungsnehmer dafür eine Erklärung abgeben oder über deren Verbleib Auskunft geben kann, reicht dies nicht aus, das äußere Bild zu verneinen. Ein Nachschlüssel kann auch ohne Wissen des Versicherungsnehmers, etwa wenn das Fahrzeug in der Werkstatt war, angefertigt worden sein (BGH VersR 1997, 181; Römer/Langheid a. a. O. § 49 Rdnr. 20). Daraus allein, dass von einem Originalschlüssel irgendwann und unbekannt von wem Schüsselkopien angefertigt wurden, lässt sich daher auch nicht mit erheblicher Wahrscheinlichkeit schließen, der Versicherungsnehmer habe den Diebstahl nur vorgetäuscht (BGH a. a. O.).
Die Rechtsprechung des BGH ist auf den vorliegenden Fall übertragbar.
Zwar hat der Sachverständige … mit Gutachten vom 31.10.2009 festgestellt, dass der nachträglich angefertigte dritte Schlüssel (Schlüssel C) Spuren eines mechanischen Kopierfräsverfahrens aufweise und eine andere Entstehung der Spuren als durch einen mechanischen Abtastvorgang ausgeschlossen werden könnte. Damit hat der vom Gericht beauftragte Sachverständige die Feststellungen der von der Beklagten vorgerichtlich beauftragten Sachverständigen … und … bestätigt. Dieses gestattet den Schluss darauf, dass ein vierter Schlüssel angefertigt wurde, was wiederum den Verdacht nahelegt, dass das Fahrzeug mit diesem Nachschlüssel von dem vom Kläger beschriebenen Abstellplatz oder einem sonstigen Ort fortbewegt und auch in der Folgezeit bedient wurde. Dass dieses auf Seiten der Beklagten den Verdacht begründet, dass es sich um einen vorgetäuschten Diebstahl durch oder auf Veranlassung des Versicherungsnehmers handeln könne, ist nachvollziehbar. Allerdings kann es auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Schlüssel ohne Wissen und Wollen des Klägers von dritter Seite kopiert wurde. Schließlich hat der Kläger seinem unwidersprochenen Vorbringen in der mündlichen Verhandlung zufolge nach der Anfertigung des Ersatzschlüssels und dem Wiederauffinden des verlorenen Schlüssels alle drei Schlüssel anlässlich eines Werkstattaufenthaltes zur Inspektion mehrere Tage beim VW-Händler bzw. der Werkstatt abgegeben gehabt. Zwar ist es nicht gerichtsbekannt, dass - wie der Kläger von Polizeibeamten gehört haben will - es häufiger vorkomme, dass Fahrzeugschlüssel durch Angehörige von Autohäusern oder Kfz-Werkstätten unbefugt kopiert werden. Es kann jedoch auch nicht ausgeschlossen werden und ist auch nicht völlig fernliegend, zumal es sich um ein gut ausgestattetes und noch relativ hochwertiges Fahrzeug handelte.
Der Kläger hat danach Anspruch auf Ersatz des Wiederbeschaffungswertes in Höhe von 33.813,73 €. Soweit die Beklagte den vom Kläger behaupteten Zeitwert in Höhe von brutto 35.000,00 € bestritten und auf ein von ihr eingeholtes DEKRA-Gutachten verwiesen hat, kommt es darauf nicht an. Auch nach dem DEKRA-Gutachten beträgt der hypothetische Wiederbeschaffungswert nämlich 34.350,00 € incl. Mehrwertsteuer und liegt damit über der Klageforderung. Zum Wiederbeschaffungsaufwand gehört auch die Mehrwertsteuer, soweit der Versicherungsnehmer nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist (Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 52 Rdnr. 11 m. w. N.).
Der Klage war daher in voller Höhe stattzugeben, wobei der Zinsanspruch auf dem Gesichtspunkt des Verzuges gem. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB beruht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.