Landgericht Hannover
Urt. v. 17.09.2010, Az.: 13 O 153/08
Wertung des Verhaltens eines Diebstahlversicherungsnehmers als grob fahrlässig wegen Abstellen einer wertvollen Kamara und des Zubehör hinter sich auf einem Trolley ohne Blickkontakt und/oder Körperkontakt
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 17.09.2010
- Aktenzeichen
- 13 O 153/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 35393
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHANNO:2010:0917.13O153.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs. 1 S. 1 VVG a.F
- § 81 Abs. 2 VVG
Fundstellen
- VK 2011, 159-160
- VersR 2011, 112-113
- r+s 2013, 143-145
Verfahrensgegenstand
Forderung aus Versicherungsvertrag
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Ein von einem Versicherer zu erbringende Leistung kann nach § 81 II VVG n.F. gekürzt werden, wenn der Versicherungsnehmer einen Diebstahl als Versicherungsfall grob fahrlässig mitverursacht hat.
- 2.
Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonderem Maße verletzt, ganz einfache, naheliegende Überlegungen vernachlässigt und nicht beachtet, was im gegebnen Fall jedem einleuchten musste. Ausreichend ist es, wenn der Versicherungsnehmer die Gefahren unterschätzt oder aus Gedankenlosigkeit nicht erkennt. Gefahrabwendende Maßnahmen müssten für den Versicherungsnehmer möglich, geeignet und zumutbar sein.
- 3.
Wer an einem Flughafen sein Gepäck unbeaufsichtigt lässt. kann sich im Einzelfall dem Vorwurf eines solchen grob fahrlässigen Verhaltens aussetzen. Es ist in besonders hohem Maße pflichtwidrig, Taschen mit teuren Kameras und mit Kamerazubehör auf einem Trolley abzustellen und sie zeitweise nicht einmal im Blickfeld zu haben. Einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist bewusst, dass Trickdiebe auf solche Unaufmerksamkeiten warten.
- 4.
Nach § 81II VVG ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Wie diese Quote zu bilden ist, ist noch nicht höchstrichterlich entschieden und wird unterschiedlich gelöst. Vorwiegend wird im Regelfall eine Kürzung von 50% vorgenommen, die aber unter Umständen auf 40% verringert werden kann.
In dem Rechtsstreit
...
hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts Hannover
auf die mündliche Verhandlung vom 30.07.2010
durch
die Richterin am Landgericht xxx als Einzelrichterin
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger 4.472,66 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2008 auf 3.563,40 EUR und auf weitere 909,26 EUR seit dem 02.12.2008 sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 338,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.08.2008 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 90% und die Beklagte 10% zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zju vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Begleichung einer Forderung aus einer Diebstahlversicherung in Anspruch.
Der Kläger ist selbstständiger Kameramann und vorsteuerabzugsberechtigt. Er unterhält seit dem 08.06.1995 eine Film- und Fotoapparate-Versicherung für seine Kameraausrüstungen samt Zubehör mit einer Versicherungssumme von 50.000 EUR bei der Beklagten. Je Schadensfall gilt eine Selbstbeteiligung in Höhe von 511,29 EUR als vereinbart. Nach Nr. 6.2.2 der besonderen Versicherungsbedingungen sind 80% der notwendigen Kosten für Mietgeräte (maximal 5.113,00 EUR) bis zu einer Dauer von 21 Tage zu ersetzen. Dem Versicherungsvertrag liegen die GKA AVB Filmapparate 95.1 zu Grunde.
Am 24.01.2008 flog der Kläger für Dreharbeiten nach Valencia in Spanien.
Der Kläger behauptet, auf dem Flughafen in Valencia sei am Lost & Found-Schalter seine Kamerazubehörtasche gestohlen worden. Der Kläger zeigte den Diebstahl bei der Flughafen-Polizei an und mietete Ersatzgeräte zur Fortführung seiner selbstständigen Tätigkeit. Die Kosten dafür betrugen netto 4.961,25 EUR.
Am 30.01.2008 meldete der Kläger den streitgegenständlichen Diebstahl der Beklagten. Mit Schreiben vom 03.03.2008 lehnte die Beklagte die Schadensregulierung auf Neuwertbasis ab und veranlasste eine Erstattung von 635,311 EUR (= 20% des von der Beklagten ermittelten Zeitwertes der Geräte von 5.733,02 EUR abzüglich Selbstbeteiligung in Höhe von 511,29 EUR).
Der Kläger behauptet, er habe zwei Taschen als Handgepäck bei sich gehabt. In der größeren habe sich die Kameraausrüstung, in der kleineren werthaltiges Kamerazubehör befunden. Da das aufgegebene Gepäck nicht angekommen sei, sei der Zeuge xxx zum Lost & Found-Schalter gegangen. Der Kläger habe ebenfalls zum Lost & Found-Schalter gemusst, um seine Personalien anzugeben. Die beiden Taschen habe er auf einen Trolley gelegt und sie teilweise mit seiner Jacke abgedeckt. Während des Gesprächs mit der Flughafenmitarbeiterin habe sich der Trolley auf "Tuchfühlung" direkt neben dem Kläger befunden. Nach dem Gespräch habe der Kläger gemerkt, dass die Zubehörtasche gefehlt habe. Es sei nicht möglich gewesen sei, die Taschen wegen des Gewichts und der Sperrigkeit am Körper zu tragen. Die Situation auf dem Flughafen habe er als ungefährlich eingestuft, da sich in der Halle nur sehr wenige Personen befunden hätten. Da es sich bei dem Equipment um seine berufliche Existenz handele, gehe er damit immer besonders vorsichtig um und achte besonders sorgfältig darauf.
Der Kläger behauptet, der Neuwert des entwendeten Kamerazubehörs betrage 43.981,90 EUR. Da der Zeitwert über 40% des Neuwerts liege, sei der Neuwert zu erstatten. Die Kosten für die Ersatzanmietung macht der Kläger ausgehend von einem Nettobetrag von 4.961,25 für 23 Tage in Höhe von netto 2.074,70 EUR geltend. Ferner beansprucht er außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.530,58 EUR
Der Kläger beantragt,
- I.
die Beklagte zu verurteilen an den Kläger 43.981,90 EUR nebst 5%-Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2008 zu zahlen.
- II.
die Beklagte zu verurteilen an den Kläger 2.074,70 EUR nebst 5%-Punkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- III.
die Beklagte zu verurteilen an den Kläger außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 1.530,58 EUR nebst 5%-Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2008 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger habe im Fall einer Entwendung grob fahrlässig gehandelt, denn der Kläger habe nicht genügend Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um die Taschen mit dem werthaltigen Inhalt zu schützen; insbesondere habe - was unstreitig ist - kein ständiger Körperkontakt mit den Taschen bestanden. Die Taschen seien als Kamerataschen erkennbar gewesen und hätten einen Diebstahlsanreiz dargestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 13.02.2009 und 30.07.2010 verwiesen.
Das Gericht hat gemäß Beschluss vom 13.02.2009 ein Sachverständigengutachten eingeholt. Wegen des Ergebnisses wird auf das Gutachten des Sachverständigen Bischoff vom 12.11.2009 Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 22.06.2010 durch Vernehmung des Zeugen xxx. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 30.07.2010 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Es ist das VVG in der bis zum 31.12.2007 geltenden alten Fassung mit der Maßgabe anzuwenden, dass hinsichtlich der Rechtsfolgen nach Wahl der Beklagten § 81 II VVG n.F. mit der für den Kläger günstigeren Rechtsfolge entsprechend anzuwenden ist.
Dem Kläger steht ein Anspruch in Höhe von 4.472,66 EUR gegen die Beklagte zu.
I.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch in Höhe von 3.563,40 EUR aus § 1 Abs. 1 S. 1 VVG a.F. i.V.m. dem Versicherungsvertrag und § 4 A l Nr. 1 und 2 AVB Filmapparate 95.1.
1.)
Mit der Entwendung der Zubehörtasche am 24.01.2008 ist der Versicherungsfall eingetreten.
Der Kläger hat das äußere Bild eines Diebstahls bewiesen. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger mit der als gestohlen gemeldeten Kamerazubehörtasche am Flughafen in Valencia landete, diese auf einem Gepäcktrolley abstellte und sie dort nach einem kurzen Gespräch am Lost & Found-Schalter nicht wieder auffand. Eine Entwendung ist damit hinreichend wahrscheinlich.
Dieser Sachverhalt steht aufgrund der Aussage des Zeugen xxx fest. An der Glaubwürdigkeit des Zeugen und der Glaubhaftigkeit seiner Aussage bestehen keine Zweifel. Der Zeuge konnte sich noch gut an die Gegebenheiten auf dem Flughafen in Valencia erinnern und hat auch angegeben, wenn er sich an etwas nicht mehr erinnern konnte. Im engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang der Entwendung war er in Begleitung des Klägers. Eine der Taschen hatte er selbst zunächst in seiner Obhut, bevor die Taschen auf dem Trolley abgelegt wurden.
2)
Die von der Beklagten zu erbringende Leistung ist nach § 81 Abs. 2 VVG n.F. um 40% zu kürzen, denn der Kläger hat den Versicherungsfall grob fahrlässige herbeigeführt.
Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonderem Maße verletzt, ganz einfache, naheliegende Überlegungen vernachlässigt und nicht beachtet, was im gegebnen Fall jedem einleuchten musste. Ausreichend ist es, wenn der Versicherungsnehmer die Gefahren unterschätzt oder aus Gedankenlosigkeit nicht erkennt. Gefahrabwendende Maßnahmen müssten für den Versicherungsnehmer möglich, geeignet und zumutbar sein.
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und aufgrund der Anhörung des Klägers fest; dass der Kläger grob fahrlässig gehandelt hat. Denn er hatte während des Gesprächs am Lost & Found-Schalter keinen Blick- und/oder Körperkontakt zu der entwendeten Zubehörtasche. Der Kläger hat nur den oberen Bügel des Trolleys an seiner Seite gespürt und hatte jedenfalls zeitweise auch keinen Blickkontakt zu der Tasche, denn der Trolley stand seitlich hinter dem Kläger, so dass sich sowohl der Kläger als auch der Zeuge xxx hätten umdrehen müssen, um die Kameratasche zu sehen.
Damit hat der Kläger die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und dabei unbeachtet gelassen, was in dieser Situation jedem hätte einleuchten müssen. Denn es ist nicht nachzuvollziehen, warum der Kläger die Tasche mit dem Kamerazubehör, deren Neuwert er selbst mit 43.9811,90 EUR beziffert hat, sich nicht umgehängt hat, was bei dem Kläger angegebenen Gewicht mit ca. 8 - 10 kg möglich und zumutbar gewesen wäre, oder sich nicht zwischen die Beine gestellt oder vor sich abgestellt hat, so dass Blicke und Körperkontakt bestanden hätte.
Der Kläger hat die Situation am Flughafen als ungefährlich eingestuft und somit eine Diebstahlgefahr an Flughäfen unterschätzt. Auch wenn der Kläger vorträgt, dass er seine Kameraausrüstung immer sehr sorgfältig bewache und damit sehr vorsichtig sei, hat er dies in dieser konkreten Situation nicht getan. Das Verhalten des Klägers ist auch subjektiv vorwerfbar. Auch wenn der Flughafen, wie vom Kläger behauptet, menschenleer gewesen sei sollte - was der Zeuge xxx in dieser Klarheit nicht zu bestätigen vermochte-, ist es in besonders hohem Maße pflichtwidrig, Taschen mit teueren Kameras und Kamerazubehör auf einem Trolley abzustellen und sie zeitweise nicht einmal im Blickfeld zu haben. Einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist bewusst, dass Trickdiebe auf solche Unaufmerksamkeiten warten. Eine der beiden Taschen mit einer Jacke abzudecken, ist nicht als Sicherheitsvorkehrung zu werten. Der Umstand, dass der Kläger die Annäherung einer Person, den Entwendungsvorgang selbst oder die Flucht des Täters nicht bemerkt hat, deutet darauf hin, dass er sehr in das Gespräch mit der Flughafenmitarbeiterin vertieft und unaufmerksam war, was ihm vorzuwerfen ist.
Gemäß § 81 Abs. 2 VVG ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Wie diese Quote zu bilden ist, ist noch nicht höchstrichterlich entschieden und wird unterschiedlich gelöst. Das Landgericht Dortmund (Urteil vom 15.07.2010, 2 O 8/10- zitiert nach [...]) hat die Lösungsansätze (zu § 28 VVG) wie folgt dargestellt:
"1.
Wohl überwiegend wird eine Einstiegsquote von 50% favorisiert, die der Versicherer oder der Versicherungsnehmer zu ihren Gunsten und mit einer sie dann treffenden Beweislast verbessern können (Felsen, RuS 2007, 485; derselbe in Rüffer/Halbach/Schimikowski, HK-VN/G, § 28 Rn. 161; Nugel, MDR 2007, 23, 26 [BGH 23.06.2006 - V ZR 147/05]; Weidner/Schuster, RuS 2007, 363; Knappmann VRR 2009, 9; Langheid, NJW 2007, 3665; Grote/Schneider, BB 2007, 2689; Unberath, NZV 2008, 537; Karczewski in Rüffer/Halbach/Schimikowski, HK-VVG, § 81 Rn. 97 f.). Das erkennende Gericht hält diesen Lösungsansatz für nicht überzeugend und vermag sich ihm deshalb nicht anzuschließen (so auch schon LG Münster, VersR 2009, 1615 mit Anm. Günther, RUS 2009, 492). Das Gericht verkennt nicht, dass für diesen Lösungsansatz Praktikabilität und einfache Handhabung sprechen. Er steht jedoch im Widerspruch zur Intention des Gesetzgebers. Dieser wollte mit der Abschaffung des "Alles-oder-Nichts-Prinzips", einem Kernstück der VVG-Reform, die Sanktionierung auch von Obliegenheitsverletzungen für den Versicherungsnehmer durchschaubarer gestalten, mit der Aufgabe des "Alles-oder-Nichts-Prinzips" mehr Einzelfallgerechtigkeit einkehren lassen, um nach bisherigem Recht als unbefriedigend empfundene Ergebnisse vermeiden zu können (amtliche Begründung: BT-Drucks. 16/3945, Seite 69). Damit hat der Gesetzgeber mit § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG bewusst eine flexible, sich an den Umständen des Einzelfalls ausrichtende Lösung bevorzugt (Heise in Brück/Möller, VVG, 9. Auflage, § 28 Rn. 190). Diesem an Einzelfallgerechtigkeit ausgerichteten gesetzgeberischen Lösungsansatz wird eine wie auch immer geartete Quotenvorgabe nicht gerecht. Zudem steht mit diesem als Mittelwertmodell bezeichneten Lösungsansatz die vom Gesetzgeber vorgegebene Beweislastverteilung entgegen. Denn für das Verschuldensmaß, nach dem sich im Falle grober Fahrlässigkeit der Umfang der Leistungspflicht bestimmt, ist der Versicherer beweispflichtig (so ausdrücklich die amtliche Begründung: BT-Drucks. 16/3945, Seite 69). Damit kann es nicht zur Beweislast des Versicherungsnehmers stehen, die Leistungskürzungsbefugnis des Versicherers unter eine Quote von 50% zu drücken.
2.
Mit diesem streng an der Einzelfallgerechtigkeit ausgerichteten Lösungsansatz zur Bildung einer Leistungskürzungsquote versagt sich die Kammer auch Lösungsansätzen, die für bestimmte Fallgruppen Einstiegsquoten vorsehen (Günther/Spielmann, RuS 2008, 177) oder einzuhaltende Quotenraster von 1/4, 1/3, 1/2, 2/3 oder 3/4 vorgeben wollen (so offenbar LG Münster, VersR 2009, 1615 mit Anm. Günther, RuS 2009, 492 zu § 81 VVG). Nach Auffassung der Kammer lassen sich feste Quoten oder Einstiegsquoten mit variablen Ergänzungen mit dem Gesetz und der gesetzgeberischen Intention nicht vereinbaren. Es ist vielmehr in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der dabei bestehenden Besonderheiten eine Leistungskürzungsquote zu bestimmen, die der Schwere der Schuld des Versicherungsnehmers angemessen ist (Wandt in Langheid/Wandt, Münchener Kommentar, VVG, § 28 Rn. 239 f.; Heise in Bruck/Möller, VVG, 9. Auflage, § 28 Rn. 190 f; Marlow in Marlow/Spuhl, Das neue VVG kompakt, 4. Auflage 2010, Rn.327; Schwintowski in Schwintowski/Brömmelmeyer, Praxiskommentar zum VVG, § 28 Rn. 78; kritisch gegenüber groben Quotenrastern auch Maier, jurPR-VersR 7/2010 Anm. 2). Dass mit diesem Lösungsansatz die Voraussehbarkeit vorgerichtlicher und gerichtlicher Entscheidungen erschwert wird, ist zu Gunsten der vom Gesetzgeber gewollten Einzelfallgerechtigkeit hinzunehmen. Die damit verbundenen Entscheidungsprozesse sind zu bewältigen. Der Weg ist mühsam, aber letztlich begehbar.
3.
Aus dem Vorstehenden folgt, dass sich der Rahmen möglicher Kürzungsquoten von "0" bis 100% spannt. Zwar wird verschiedentlich die Auffassung vertreten, dass die Zulassung einer Leistungskürzung auf "0" der Abschaffung des "Alles-oder-Nichts-Prinzips widerspräche (Karst, VW 2010, 501; Marlow in Marlow/Spuhl, a.a.O., Rn. 325). Diese Auffassung lässt indes den Willen des Gesetzgebers außer Betracht. Während im Regierungsentwurf zu § 28 Abs. 2 VVG noch die Formulierung enthalten war, dass der Versicherer "nur" bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung (vollständig) leistungsfrei war, ist im Gesetzestext des § 28 Abs. 2 VVG das Wort "nur" entfallen, nachdem Rixecker zur Vermeidung von Interpretationsunsicherheiten eine dementsprechende Empfehlung zur Angleichung des Wortlautes an § 81 Abs. 1 VVG ausgesprochen hatte (Stellungnahme vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages vom 18.03.2007, Ziffer 3 a.E.). Damit hat der Gesetzgeber selbst zu erkennen gegeben, dass er nicht nur bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung, sondern auch bei grob fahrlässiger Verletzung einer Obliegenheit eine Anspruchskürzung auf "0" -wenn auch sicherlich nur in seltenen Ausnahmefällen - zulassen will (Tschersich in Beckmann/Matusche-Beckmann, VersR-Handbuch, 2. Auflage, § 45 Rn, 75; Rixecker, zfs 2009, 5; Günther/Spielmann, RuS 2008, 133, 141 f; Nugel, MDR 2010, 597). Deshalb geht die inzwischen herrschende Meinung zu Recht von einer Leistungskürzungsbefugnis des Versicherers auf "0" in Fällen schwerster grober Fahrlässigkeit oder gar beim Zusammentreffen mehrerer schwerwiegender Obliegenheitsverstöße aus (Wandt in Landheid/Wandt, Münchener Kommentar VVG, § 28 Rn. 240; Heise in Bruck/Möller VVG, 9. Auflage, § 28 Rn. 195; Looschelders, VersR 2008, 1,6; Rixecker, zfs 2009; 5; Schwintowski in Schwintowski/Brömmelmeyer, Praxiskommentar zürn VVG, § 28 Rn. 58; Franz, VersR 2008, 298, 304 f; Grote/Schneider, BB 2007, 2689, 2695).
In diesem Kürzungsrahmen ist die der Schwere der Schuld des Versicherungsnehmers entsprechende Kürzungsquote zu bestimmen. Als Quotelungskriterien scheiden von vornherein solche aus, die mit dem Verschulden nichts zu tun haben. Die Leistungskürzungsbefugnis des Versicherers ist umso größer, je näher das grobe Verschulden an die schwerere Verschuldensform, den Vorsatz, heranreicht. Dabei ist - wie bereits ausgeführt, nach Auffassung der Kammer nicht in groben Einzelschritten vorzugehen, sondern es sind Abstufungen möglich, die jedenfalls Kürzungsquoten im 10tel-Bereich, in seltenen Einzelfällen auch darunter, zulassen. Nach Überzeugung der Kammer kann nur so die vom Gesetzgeber gewollte Einzelfallgerechtigkeit umgesetzt werden, wobei nicht verkannt werden soll, dass sich sicherlich für typische Fallgestaltungen gröbere Leistungskürzungsquoten herausbilden werden."
Die erkennende Einzelrichterin hält es für § 81 Abs. 2 VVG vom Ansatz her für sachgerecht, im Regelfall der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls eine Kürzung von 50% vorzunehmen. Denn diese Vorgehensweise fügt sich nahtlos in einen dreistufigen Aufbau ein, wonach bei leichter Fahrlässigkeit eine volle Leistungspflicht des Versicherers besteht, bei Vorsatz der Anspruch des Versicherungsnehmers ganz entfällt und bei grober Fahrlässigkeit eins Leistungskürzung vorzunehmen ist. Diese liegt für den Regelfall mit 50% genau auf der Hälfte zwischen voller Erstattung und vollständiger Leistungsverweigerung, wobei es sich hierbei nur um einen ersten Anhaltspunkt und nicht um eine Quotenvorgabe handelt. Entgegen der vom Landgericht Dortmund geäußerten Auffassung steht diesem Modell auch nicht die vom Gesetzgeber vorgegebene Beweislasterteilung entgegen, denn unabhängig von der Höhe der Quote liegt die Beweislast; bei dem Versicherer (Karczewski, a.a.O., § 81 Rdnr. 98) und bedeutet nicht, dass nunmehr den Versicherungsnehmer die Beweislast für ein unter 50% liegendes Verschulden trifft. Karczewski (a.a.O., § Rdnr, 111) hält in der Reisegepäckversicherung 50% als Einstiegsquote für ebenfalls angemessen, wobei nach seiner Auffassung bei kurzfristiger Aufmerksamkeit auch eine geringere Quote in Betracht kommt.
In diesem Kürzungsrahmen ist die der Schwere der Schuld des Versicherungsnehmers entsprechende Kürzungsquote zu bestimmen. Die Leistungskürzungsbefugnis des Versicherers ist umso größer je näher das grobe Verschulden an den Vorsatz heranreicht, Dabei hält das Gericht Kürzungsquoten in Schritten von 10% für angemessen, um die vom Gesetzgeber gewollte Einzelfallgerechtigkeit zu erreichen.
Vorliegend bemisst die Kammer die Kürzungsquote mit 40%. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat, indem er weder Körper- noch Blickkontakt zu der Tasche mit dem wertvollen Kamerazubehör hatte, obwohl er sich auf einem südeuropäischen Flughafengebäude befand, in dem wegen eines ständig wechselnden Personenkreis mit Taschen- und Trickdieben gerechnet werden musste. Es wird auf Flughäfen auch regelmäßig darauf hingewiesen, dass die Reisenden ihr Gepäck nicht aus den Augen lassen sollen. Andererseits ist der Kläger lediglich kurze Zeit, der Zeuge xxx hat von wenigen Sekunden bzw. weniger als einer Minute gesprochen, abgelenkt gewesen und hat die die Tasche deshalb nicht im Blickkontakt gehabt.
3.)
Die Beklagte hat dem Kläger 60% des Zeitwerts des entwendeten Kamerazubehörs gemäß § 5 Nr. 1 b) AVB zu ersetzen. Aufgrund des von beiden Parteien nicht beanstandeten, in sich schlüssigen und widerspruchsfreien Gutachtens des Sachverständigen xxx vom 12.11.2010 ist das Gericht davon überzeugt, dass der ermittelte Zeitwert der gestohlenen Gegenstände 7.850,- EUR netto beträgt und damit unter 40% des vom Kläger behaupteten Neuwerts von 43.981,90 EUR liegt.
Die Beklagte hat dem Kläger mithin 4.710,- EUR (= 60% von 7.850,- EUR) abzüglich der Selbstbeteiligung von 511,29 EUR und der geleisteten Zahlung von 635,31 EUR, also 3.563,40 EUR zu zahlen.
II.
Der Kläger hat unter Berücksichtigung der insoweit ebenfalls gemäß § 81 Abs. 2 VVG um 40% zu kürzenden Leistung einen Anspruch auf Ersatz der Mietkosten in Höhe von 909,26 EUR aus dem Versicherungsvertrag i.V.m. Nr. 6.2.2 der besonderen Versicherungsbedingungen.
Nach Nr. 6.2.2 der besonderen Versicherungsbedingungen sind 80% der notwendigen kosten für Mietgeräte (maximal 5.113,00 EUR) bis zu einer Dauer von 21 Tage zu ersetzen.
Der Kläger hat durch Vorlage der Rechnung der xxx vom 06.05.2008 nachgewiesen, dass er Ersatzgeräte für 55 Tage für insgesamt 4.961,25 EUR netto angemietet hat. Für 21 Tage ergibt dies einen Betrag von 1.894,30 EUR. 80% davon betragen 1.515,44 EUR, so dass sich unter Berücksichtigung der Kürzung von 40% ein Betrag von 909,26 EUR ergibt.
III.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus §§ 286, 249 BGB in Höhe von 338,50 EUR.
Mit Schreiben vom 03.03.2008 regulierte die Beklagte den Schaden des Klägers in Höhe von 635,31 EUR. Weitere Zahlungen lehnte sie ab, so dass sie sich seit dem 04.03.2008 und damit vor Einschaltung der Prozessbevollmächtigten des Klägers mit der Zahlung der Versicherungsleistung hinsichtlich des entwendeten Kamerazubehörs in Verzug befand.
Die berechtigte Forderung des Klägers beträgt - wie unter Ziffer I. dargelegt - noch 3.563,40 EUR (Die Kosten für die Ersatzanmietung sind erst nach Rechtshängigkeit geltend gemacht worden). Ausgehend von diesem Gegenstandswert beläuft sich die Rechtsanwaltsgebühr nach §§ 13, 14, Nr. 2300 VV RVG, VV RVG auf 338,50 EUR. Den Ersatz der Umsatzsteuer kann der Kläger nicht verlangen, da er unstreitig vorsteuerabzugsberechtigt ist.
IV.
Der Zinsanspruch ist gemäß §§ 286, 288 BGB begründet. Verzugszinsen auf die außergerichtlichen Anwaltskosten stehen dem Kläger erst ab Rechtshängigkeit zu, denn ein früherer Verzugseintritt ist nicht dargetan.
V.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 ZPO; die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.