Sozialgericht Stade
Urt. v. 11.07.2016, Az.: S 9 R 251/15
Umfang der Anrechnung einer Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf eine aus der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlten Witwenrente
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 11.07.2016
- Aktenzeichen
- S 9 R 251/15
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2016, 23364
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2016:0711.S9R251.15.0A
Rechtsgrundlagen
- § 18a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB IV
- § 93 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den Umfang der Anrechnung einer Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf die - aus der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlte - Witwenrente der Klägerin. Die 1928 geborene Klägerin ist die Witwe nach dem am 4. Juli 1934 geborenen und am 11. Oktober 2014 an den Folgen einer Berufskrankheit (nach Nr. 4104 der Berufskrankheiten-Liste) verstorbenen Ehemannes Hans A. (im Folgenenden: Versicherter). Mit ihrem Bescheid vom 11. November 2014 bewilligte die für den Versicherten zuständige Berufsgenossenschaft Holz und Metall (im Folgenden: BGHM) der Klägerin (Unfall-) Hinterbliebenenrente für den Sterbemonat sowie die drei folgenden Kalendermonate in Höhe von 2/3 des Jahresarbeitsverdienstes (Zahlbetrag von Oktober 2014 bis Januar 2015 monatlich 1.035,46 EUR), anschließend in Höhe von 40 % des Jahresarbeitsverdienstes (ab Februar 2015 pro Monat 621,28 EUR). Auf den von der Klägerin am 20. Oktober 2014 gestellten Antrag erließ die Beklagte den streitgegenständlichen Rentenbescheid vom 7. Januar 2015. Mit diesem Bescheid bewilligte die Beklagte der Klägerin große Witwenrente nach dem Versicherten für die Zeit ab dem 1. November 2014. Der Zahlbetrag belief sich zunächst auf 617,81 EUR monatlich. In der Anlage 7 zum Bescheid vom 7. Januar 2015 nahm die Beklagte eine Begrenzung des Zahlbetrages unter Anwendung der Vorschrift des § 93 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) vor. Sie zahlte die Witwenrente danach nur insoweit, als sie zusammen mit der Leistung der BGHM den sogenannten Grenzbetrag nicht überstieg. Den Grenzbetrag errechnete sie entsprechend den Vorgaben des § 93 SGB VI aus dem Jahresarbeitsverdienst, der der Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zugrunde lag, sowie aus dem Rentenartfaktor für die persönlichen Entgeltpunkte des Versicherten. Es ergab sich für die Monate November 2014 bis Januar 2015 ein monatlicher Zahlbetrag in Höhe von 51,78 EUR, für die Zeit ab Februar 2015 ein Zahlbetrag von 31,06 EUR monatlich. Die Klägerin erhob Widerspruch und trug vor, die Beklagte habe die Vorschrift des § 18 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) missachtet, wonach bei Renten wegen Todes steuerfreie Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen seien. Zu den steuerfreien Einnahmen in diesem Sinne zählten Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, § 3 Nr. 1 a Einkommenssteuergesetz (EStG), hier die BGHM - (Unfall-) Hinterbliebenenrente. Die Beklagte wies den Widerspruch durch ihren Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2015 zurück. Sie verwies ergänzend auf die Maßgabe, wonach die Summe der Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung und der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung das vorherige Erwerbseinkommen nicht überseigen solle. Die Regelung über den Mindestgrenzbetrag stelle sicher, dass der Witwe mindestens eine Geldleistung in Höhe der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung verbleibe. Eine im vorliegenden Fall bereits entstandene Überzahlung in Höhe von 1.686,42 EUR sei aus der bei der BGHM zur Verfügung stehenden Nachzahlung ausgeglichen worden. Dagegen richtet sich die am 26. Juni 2015 beim erkennenden Gericht eingegangene Klage. Zu deren Begründung trägt die Klägerin vor, die Rechtsanwendung der Beklagten führe zu einer vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Benachteiligung. Die Klägerin beantragt,
- 1.
den Bescheid der Beklagten vom 7. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2015 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen,
- 2.
ihr die Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ohne Anrechnung der Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die gesetzliche Rangfolgeregelung betreffend die Heranziehung der Anrechnungsvorschriften. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und wegen des weiteren Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Rentenakte der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Klage ist in der Sache nicht begründet. Die Beklagte hat zu Recht § 93 SGB VI als vorrangige Anrechnungsvorschrift herangezogen. Die Handhabung der Beklagten führt zu einer ausreichenden Verwirklichung des gesetzgeberischen Ziels, in der Zusammenfassung der Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung und aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine Absicherung durch Zahlung eines angemessenen Lohnersatzes zu erreichen, nicht aber darüber hinaus durch Zahlung gleichgerichteter Leistungen zu einer Überversorgung zu gelangen. Dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch steht die Regelung des § 93 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI entgegen, wonach bei gleichzeitigem Anspruch auf Hinterbliebenenrenten aus der Unfall- und aus der Rentenversicherung die Rente aus der Rentenversicherung insoweit nicht geleistet wird, als die Summe beider Renten vor Einkommensanrechnung den jeweiligen Grenzbetrag übersteigt. Diese Vorschrift hat die Beklagte zutreffend angewendet. Unter Zugrundelegung der jeweiligen Zahlbeträge sowie des Jahresarbeitsverdienstes hat sie den Grenzbetrag sowie den den Grenzbetrag übersteigenden Rentenanteil errechnet. Durchgreifende Einwendungen gegen die Berechnungsweise sind weder aus dem von der Kammer nachvollzogenen Sachverhalt ersichtlich, noch von der Klägerin aufgezeigt worden. Entgegen der Auffassung der Klägerin steht der Anwendung des § 93 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI die Vorschrift über die Einkommensanrechnung in § 18 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB IV i.V.m. § 3 Nr. 1 a EStG mit der ausdrücklichen Freistellung der Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung von der Einkommensanrechnung nicht entgegen. Denn diese Vorschrift der Einkommensanrechnung geht für den Fall der Klägerin ins Leere. Sie könnte erst in einem weiteren Schritt auf die zuvor unter Anwendung des § 93 SGB VI ermittelte Hinterbliebenenversorgung angewendet werden (vgl. Fichte in: Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VI, K § 93 RdNr. 12). In § 93 Abs. 1 SGB VI hat der Gesetzgeber den Vorrang des auf die hier streitige Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu beziehenden Nichtleistungsgebots ausdrücklich mit dem Wortlaut "vor Einkommensanrechnung" hervorgehoben. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in diesem Zusammenhang formuliert, einem - dem Grunde und der Höhe nach bestehenden - Rentenanspruch aus der gesetzlichen Rentenversicherung stehe der Anrechnungsbetrag "anspruchsvernichtend" entgegen (vgl. Urteil v. 10. April 2003, Az. B 4 RA 32/02 R). Die in § 93 Abs. 5 geregelten Ausnahmen vom Anrechnungsgebot - für die Konstellationen eines erst nach Rentenbeginn eingetretenen Versicherungsfalls oder eines ausschließlich nach dem Arbeitseinkommen des Unternehmers oder seines Ehegatten oder Lebenspartners oder nach einem festen Betrag berechneten Einkommens - sind hier nicht einschlägig. Ausdrückliche Bestätigung findet die bereits aus dem Wortlaut des § 93 SGB VI hergeleitete Pflicht zur Anrechnung der Unfallrente in der die verschiedenen Berechnungsvorschriften zusammenfassenden Norm des § 98 SGB VI. Die dortigen Maßgaben sehen die Anrechnungsvorschrift des § 93 betreffend Renten und Leistungen aus der Unfallversicherung ausdrücklich als vorrangig an gegenüber der Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes. Denn die erstgenannte Anrechnungsvorschrift ist in die Nummer 5 des Satzes 1 aufgenommen worden, die von der Klägerin in den Blick genommene Vorschrift der Einkommensanrechnung nachrangig in die Nummer 8. Die von der Klägerin kritisierte Anrechnungsvorschrift verstößt nicht gegen Artikel 14 Grundgesetz (GG). Sie enthält vielmehr eine zulässige Inhaltsbestimmung über das Eigentum, weil sich ihr Zweck als sachgerecht darstellt, eine Doppelversorgung durch funktionsgleiche Leistungen aus den Versorgungssystemen der Rentenversicherung einerseits und der Unfallversicherung andererseits zu verhindern. Ebensowenig ist ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 GG festzustellen oder ein Verstoß gegen das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip (vgl. zum Ganzen den Parallelfall, der dem Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt v. 8. März 2012 zugrunde lag, Az. L 3 R 166/11). Abschließend weist die Kammer zu der von der Klägerin zitierten Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg vom 25. Januar 2011 (Az. L 9 R 153/09) auf die dortige besondere Konstellation hin, in der es um die Anrechnung einer eigenen Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf die Witwerrente des dortigen Klägers ging. Diese dortige Konstellation ist insoweit von derjenigen der Klägerin zu unterscheiden, als es dort um Rentenleistungen verschiedener Herkunft ging, nämlich einerseits aus der eigenen Versicherung und andererseits aus der abgeleiteten Versicherung des Ehegatten. In dem hiesigen Fall der Klägerin geht es jedoch um Renten gleicher Herkunft, nämlich solche, die entweder jeweils aus eigener Versicherung stammen oder aber jeweils abgeleitet sind aus der Versicherung des verstorbenen Ehegatten oder Lebenspartners. Nur solche jeweils aus gleicher Versicherung stammende Rentenansprüche erfasst die hier einschlägige Anrechnungsregelung des § 93 SGB VI. Die Kostenentscheidung folgt aus der Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.