Amtsgericht Hannover
v. 12.11.2002, Az.: 525 C 5344/02

Anspruch auf Auskunft über den Rückkaufswert einer Kapitallebensversicherung ohne Abzug von Abschlusskosten und Abzügen ; Anspruch auf Auszahlung des Rückkaufswertes einer Kapitallebensversicherung; Verstoß gegen das Transparenzgebot

Bibliographie

Gericht
AG Hannover
Datum
12.11.2002
Aktenzeichen
525 C 5344/02
Entscheidungsform
Teilurteil
Referenz
WKRS 2002, 29460
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGHANNO:2002:1112.525C5344.02.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
LG Hannover - 12.06.2003 - AZ: 19 S 108/02
BGH - 12.10.2005 - AZ: IV ZR 162/03
LG Hannover - 07.12.2006 - AZ: 19 S 108/02
BGH - 24.10.2007 - AZ: IV ZR 12/07

Fundstelle

  • VersR 2003, 314-315 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Auskunft und Zahlung

In dem Rechtsstreit
hat das Amtsgericht Hannover - Abteilung - 525 -
auf die mündliche Verhandlung vom 29. Oktober 2002
durch ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger in belegter und prüfbarer Form Auskunft darüber zu erteilen,

  1. a)

    mit welchen Abschlusskosten (gemäß § 15 AVB) und Welchem Abzug (gemäß § 6 Abs. 2 Ziffer b AVB) sie den Zeitwert (§ 176 Abs. 3 VVG) des mit dem Kläger abgeschlossenen Kapital-Lebensversicherungsvertrages Nr. 276682953 belastet hat,

  2. b)

    welche Höhe der nach Kündigung des vorgenannten Betrages an den Kläger ausgezahlte Auszahlungsbetrag ohne die unter Ziffer a) erwähnten Belastungen per 1. März 2002 gehabt hätte.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 200,00 EUR vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten im Wege der Stufenklage Auskunft über den Rückkaufswert einer Kapitallebensversicherung ohne Abzug von Abschlusskosten und Abzügen sowie Auszahlung des sich daraus ergebenden Betrages.

2

Der Kläger schloss mit Wirkung zum 1.05.97 bei der Beklagten eine Kapitallebensversicherung ab. Die monatliche Versicherungsprämie belief sich auf 63,91 EUR. Der Kläger kündigte das Versicherungsverhältnis mit Schreiben vom 30.01.2002 zum 1.03.2002, nachdem die Beklagte über die Durchführung eines sogenannten Treuhänderverfahrens bezüglich der Berechnung des Rückkaufswertes unterrichtet hatte. Die letzte Prämienzahlung des Klägers erfolgte zum 1.02.2002. Insgesamt hatte er Zahlungen in Höhe von 3.706,87 EUR geleistet. Die Beklagte, errechnete den Rückkaufswert der Kapitallebensversicherung mit 1.999,92 EUR und zahlte diesen Betrag an den Kläger aus. Im Laufe des vorliegenden Rechtsstreits unterrichtete die Beklagte den Kläger über ein weiteres Treuhänderverfahren bezüglich der Abschlusskosten, welches bereits im Juli 2000 durchgeführt worden war.

3

Der Kläger vertritt unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die Auffassung, dass die der Lebensversicherung zu Grunde liegenden Versicherungsbedingungen bezüglich der Berechnung des Rückkaufswertes sowie der Berücksichtigung von Abschlusskosten wegen eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot unwirksam seien. Demzufolge sei die Beklagte nicht berechtigt, den Rückkaufswert der Lebensversicherung nach dem sogenannten Zillmerverfahren zu berechnen und insbesondere die Abschlusskosten bereits zu Beginn des Versicherungsverhältnisses in Abzug, zu bringen. Er vertritt weiterhin die Ansicht, dass die vom Bundesgerichtshof für unwirksam erklärten Versicherungsbedingungen nicht im Rahmen, des sogenannten Treuhänderverfahrens ersetzt werden könnten. Auch bestehe nicht die Möglichkeit, den Versicherungsvertrag im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung hinsichtlich der für unwirksam erklärten Klauseln durch inhaltlich identische Regelungen zu ersetzen.

4

Der Kläger beantragt,

I.

die Beklagte zu verurteilen,

  1. 1.

    dem Kläger in belegter und prüfbarer Form Auskunft darüber zu erteilen,

    1. a)

      Mit welchen "Abschlusskosten" (gemäß § 15 AVB) und mit welchem "Abzug" (gemäß § 6 Abs. 2 lit b AVB) sie den Zeitwert (§ 176 Abs. 3 VVG) des mit dem Kläger abgeschlossenen Kapital-Lebensversicherungsvertrages Nr. 276682953 belastet hat und

    2. b)

      welche Höhe der nach Kündigung des vorgenannten Vertrages an den Kläger ausgezahlte "Auszahlungsbetrag" ohne die unter lit. a) erwähnten Belastungen per 01. März 2002 gehabt hätte;

  2. 2.

    einen weiteren Betrag zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 7,0 % p.a. ab 01. April 1998 an den Kläger zu bezahlen,

    wobei der Kläger diesen Betrag nach Erteilung der Auskünfte gem. Nr. 1 beziffern wird.

II.

Die Beklagte fragt die Kosten des Rechtsstreits.

5

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Die Beklagte bestreitet einen Auskunfts- und Zahlungsanspruch des Klägers, weil sie den Rückkaufswert in rechtlich unbedenklicher Weise nach dem Zillmerverfahren errechnet und auch bereits an den Kläger ausgezahlt hat Zwar seien die Klauseln über die Berechnung des Rückkaufswertes sowie der Abschlusskosten von dem BGH als unwirksam erklärt worden. Jedoch sei die Versicherungsbedingung bezüglich der Abschlusskosten durch ein Treuhänderverfahren im Juli 2000 und bezüglich der Berechnung des Rückkaufswertes durch ein Treuhänderverfahren Anfang 2002 wirksam durch inhaltsgleiche, transparente und daher nicht zu beanstandende Klauseln ersetzt worden. Auch ist sie der Ansicht, dass über eine ergänzende Vertragsauslegung die unwirksamen Vertragsbedingungen inhaltsgleich auszufüllen seien.

7

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

8

Die Stufenklage ist zulässig und begründet, so dass gemäß § 301 ZPO durch Teilurteil über das Auskunftsbegehren zu entscheiden war.

9

Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten gemäß § 242 BGB der begehrte Auskunftsanspruch zu, weil die Versicherungsbedingungen bezüglich der Berechnung des Rückkaufswertes und dem Abzug der Abschlusskosten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot unwirksam sind und der Kläger als Auszahlungsberechtigter in entschuldbarer Weise über das Bestehen und dem Umfang seines Zahlungsanspruchs im Ungewissen ist, während die Beklagte unschwer in der Lage ist, die erforderliche Auskunft zu geben. Nach Kündigung der Kapitallebensversicherung steht dem Kläger gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Auszahlung des Rückkaufswertes gemäß § 176 VVG zu. Diesen Anspruch des Klägers hat die Beklagte nicht durch Auszahlung des Betrages in Höhe von 1.999,92 EUR gemäß § 362 BGB vollständig erfüllt. Dieser von der Beklagten nach dem sogenannten Zillmerverfahren ermittelte Rückkaufswert ist nicht ordnungsgemäß, ermittelt worden, weil die. Versicherungsbedingungen zur Ermittlung des Rückkaufswertes und der Berücksichtigung der Abschlusskosten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wegen Verstoßes gegen das. Transparenzgebot gemäß § 9 AGB-Gesetz unwirksam sind. Die unwirksamen Klauseln sind nicht im Rahmen der von der Beklagten vorgetragenen Treuhänderverfahren gemäß § 172 Abs. 2 VVG durch inhaltsgleiche und wirksame Klauseln ersetzt worden.

10

Nach § 172 Abs. 2 VVG kann zwar für den Fall, dass in den Versicherungsbedingungen eine Bestimmung unwirksam ist, im Wege eines sogenannten Treuhänderverfahrens die unwirksame Bestimmung durch eine andere ersetzt werden, wenn zur Fortsetzung des Vertrages dessen Ergänzung notwendig ist. Aus dem Wortlaut der Vorschrift, ergibt sich aber, dass das. Treuhändenverfahren auf bereits beendete Vertragsverhältnisse keine Anwendung findet, da eine Fortführung des Vertrages nicht stattfindet. Der insoweit eindeutige Wortlaut der Vorschrift lässt eine andere Auslegung und damit eine Anwendung des Treuhänderverfahrens auf bereits beendete Vertragsverhältnisse nach Auffassung des erkennenden Gerichtes nicht zu. Zumindest hinsichtlich der Versicherungsbedingungen über die Abschlusskosten kann sich das von der Beklagten behauptete Treuhänderverfahren nicht mehr auf die vorliegende Kapitallebensversicherung auswirken, weil der Kläger hierüber unstreitig erst im Laufe des vorliegenden Prozesses und somit nach Kündigung der Kapitallebensversicherung informiert worden ist, so dass die hier durch das Treuhänderverfahren ermittelte Klausel für die Fortführung des vorliegenden Vertrages nicht erforderlich ist. Soweit die Beklagte behauptet, dass der Kläger über dieses Treuhänderverfahren bereits im Juli 2000 unterrichtet worden sein soll, ist sie diesbezüglich beweisfällig geblieben.

11

Aber auch hinsichtlich des von der Beklagten behaupteten Treuhänderverfahrens bezüglich der Rückkaufswertklausel schließt sich das Gericht der Auffassung der Klägerseite an, wonach die Klauselersetzung für die Fortführung des Versicherungsvertrages nicht erforderlich ist, weil die Versicherung durch den Kläger im Hinblick auf die damit verbundene Vertragsänderung gekündigt worden ist.

12

Auch vertritt das erkennende Gericht die Auffassung, dass das Treuhänderverfahren gemäß § 172 Abs. 2 VVG nicht anwendbar ist, wenn die in Frage stehende Klauseln wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot als unwirksam erklärt worden sind. Der vorliegende Rechtsstreits zeigt in besonderem Maße, dass es im Falle der Intransparenz einer Versicherungsbedingung es dem Interesse des Versicherungsnehmers nicht gerecht wird, dass eine für ihn finanziell nach Ausmaß und Tragweite nicht übersehbare Erklärung dennoch durch das Treuhänderverfahren wieder in den Vertrag implementiert wird, obwohl gerade diese Regelung wegen der Undurchschaubarkeit ihrer Reichweite als unwirksam erklärt worden ist. Eine derartige Handhabung des Treuhänderverfahrens würde dazu führen, dass der durch die höchstrichterliche Rechtsprechung beabsichtigte Verbraucherschutz ausgehöhlt würde, was zumindest gegen die Grundsätze von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB verstoßen dürfte.

13

Entgegen der Auffassung der Beklagten können die durch die BGH-Rechtsprechung entstandenen Vertragslücken auch nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung durch inhaltsgleiche Regelungen geschlossen werden. Sofern der Versicherungsnehmer bereits in den ersten Versicherungsjahren von seinem Kündigungsrecht Gebrauch macht, stellt gerade die Verrechnung der Abschlusskosten mit den Prämienzahlungen zu Beginn der Vertragslaufzeit einen wesentlichen wirtschaftlichen Nachteil für den Versicherungsnehmer dar. Es ist deshalb nicht ersichtlich, dass es tatsächlich den Interessen beider Vertragspartner, also, auch des Versicherungsnehmers entsprechen soll, solche ihn erheblich belastenden Regelungen in einer transparenten Form zu vereinbaren. Auch der Umstand, dass beispielsweise im Rahmen der sogenannten Riesterrente bei den Versicherungsverträgen geregelt ist, dass die Abschlusskosten auf die ersten 10 Jahre zu verteilen sind, zeigt deutlich, dass die Berechnung nach dem Zillmerverfahren eindeutig einseitig die Interessen der Versicherungen Rechnung trägt und den Interessen des Versicherungsnehmers nicht ausreichend Gewicht zukommt. Es sind auch Vereinbarungen dahingehend denkbar, dass die Abschlusskosten auf die gesamte Vertragszeit verteilt werden, oder diese gar nicht direkt von der Prämienzahlung, sondern von der sogenannten Überschussbeteiligung bestritten werden könnten. Dies zeigt bereits deutlich, dass eine ergänzende Vertragsauslegung in der von der Beklagten begehrten Weise nicht möglich ist, weil auch bei ausreichender Berücksichtigung der Interessen des Versicherungsnehmers zahlreiche unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten bestehen.

14

Darüber hinaus kann auch nicht außer Betracht bleiben, dass die. Lebensversicherung im Wettbewerb mit anderen Kapitalangeboten steht und deshalb der Versicherungsnehmer vor Vertragsabschluss bzw. innerhalb seiner Widerrufsfrist auf Informationen angewiesen ist, die ihm eine sachgerechte Entscheidung durch Vergleich der unterschiedlichen Angebote ermöglicht Diesem Informationsbedürfnis des Kunden tragen die von der Beklagten verwendeten Klauseln bezüglich des Rückkaufswertes und der Abschlusskosten entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht ausreichend Rechnung, wodurch bereits die Entscheidungsfreiheit des Kunden bei der Produktauswahl betroffen ist. Würde man die entstandenen Lücken demzufolge nachträglich im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung durch inhaltsgleiche Regelungen ersetzen, so würde dies dazu fuhren, dass dem Versicherungsnehmer im Nachhinein eine Kapitalanlage aufgezwungen wird, die er möglicherweise bei Kenntnis des wirtschaftlichen Ausmaßes und der Tragweite der Versicherungsbedingungen nicht abgeschlossen hätte.

15

Nach alledem war dem Auskunftsbegehren des Klägers stattzugeben.

16

Die Kostenentscheidung war dem Schlussurteil vorzubehalten.

17

Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gemäß §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO bedurfte es nicht, weil, es sich bei dem Auskunftsbegehren selbst nicht um eine vermögensrechtliche Angelegenheit im Sinne dieser Vorschrift handelt.