Amtsgericht Hannover
Urt. v. 22.08.2002, Az.: 535 C 5892/02
Voraussetzungen für die Geltendmachung von Minderungsansprüchen und Schadenersatzansprüchen aus eigenem und abgetretenem Recht ; Anforderungen an das Bestehen eines Reisepreisrückzahlungsanspruchs im Hinblick auf eine Reisepreisminderung ; Umfang der Rechte im Rahmen einer Einquartierung bei der Buchung einer Pauschalreise
Bibliographie
- Gericht
- AG Hannover
- Datum
- 22.08.2002
- Aktenzeichen
- 535 C 5892/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 29722
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGHANNO:2002:0822.535C5892.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 651c Abs. 1 BGB
- § 651d Abs. 1 BGB
- § 812 BGB
Fundstelle
- RRa 2003, 122-124 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Reisepreisminderung
Das Amtsgericht Hannover, Abt. 535, hat
durch
Richterin am Amtsgericht Benz
auf die mündliche Verhandlung vom 05. Juli 2002
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung in die Kosten durch Sicherheitsleistung von 125 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit von 125 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
Der Kläger macht Minderungs- und Schadenersatzansprüche aus eigenem wie abgetretenem Recht im Zusammenhang mit der Buchung einer Pauschalreise geltend.
Er buchte für sich, seine Begleiterin Ruth Engels und deren Sohn Sebastian über das Reisebüro Walther GmbH in Bad Wildungen (Bl. 17) bei der Beklagten eine 14-tägige Pauschal-Flugreise in die Appartmentanlage "Nova Quinta" in Armacao de Pera/Portugal vom 20.6.-4.7.2001 mit Frühstück zu einem Gesamtreisepreis von 3554,- DM. Laut Reiseprospekt sollten die Appartments mit Balkon oder Terrasse mit seitlichem Meerblick ausgestattet sein. Tatsächlich verfügte die Anlage über keine Fahrstühle, worauf im Prospekt nicht hingewiesen worden ist. Bei der Buchung am 31.5.2001 äußerte der Kläger den Wunsch, in einem Appartment mit Terrasse untergebracht zu werden. Er ist schwerbehindert zu 90 % mit den Merkmalen aG/B, d.h. außergewöhnlich gehbehindert und benötigt ständige Begleitung. Seinen entsprechenden Behindertenausweis hatte er dem Reisebüroangestellten zu Dokumentationszwecken vorgelegt. Im übrigen war er mit Gehhilfen im Reisebüro vorstellig geworden. Der Reisebüroangestellte erklärte ihm, dass er diesen Wunsch nur unverbindlich aufnehmen könne und nahm in den Buchungstext (Bl. 17, 18 d.A.) den Vermerk auf "Kundenwunsch: Terrasse; Unverbindlicher Sonderwunsch, S. Ziff. 3 der ausführlichen TUI Reisebedingungen", die dem Kläger mit dem Prospekt vorlagen. Wegen deren Wortlauts wird auf Bl. 50 d.A. Bezug genommen. Damit war der Kläger zunächst einverstanden, unterzeichnete die Buchung und leistete eine Reisepreisanzahlung. Mit Schreiben vom 7.6.2001, das der Kläger bei der Post aufgab, zeigte er der Beklagten gegenüber unter Beifügung einer Kopie seines Behindert-Ausweises seine Schwerstbehinderung an, erklärte, eine Wohnung zu ebener Erde mit Terrasse zu benötigen und bat um Reservierung und Bestätigung. Hierauf reagierte die Beklagte nicht. Der Kläger entrichtete den restlichen Reisepreis und trat die Reise an.
Am Zielort wurde der Kläger tatsächlich im 4. Stock untergebracht, weil sämtliche Wohnungen im Erdgeschoss, deren "Terrassen" im übrigen nicht ebenerdig lagen sondern nur über Treppenstufen zu erreichen waren, bereits vergeben waren. Für den Gang von der Rezeption zum Appartment benötigte der Kläger eine Stunde. Nach Auskunft der Reiseleiterin, bei der er am zweiten Tag moniert hatte, nicht ebenerdig einquartiert worden zu sein, war ein Zimmerwechsel nicht möglich und ein Rückflug frühestens in 6-8 Tagen denkbar, und zwar zu anderen Zielflughäfen und möglicherweise mit getrennten Flügen. Sie bot ihm eine wunschgemäße Ersatzunterkunft an zu einem Aufpreis von 1.000,- DM, den er vorzuzahlen verpflichtet gewesen wäre. Dies lehnte der Kläger ab, zumal er als Rentner mit einem monatlichen Einkommen von 850,76 EUR zu einer derartigen Vorfinanzierung nicht in der Lage war. Der Kläger verbrachte den Urlaub weitgehend in der Wohnung, die er bis zur Abreise zwei mal verließ. Die geplanten Ausflugsfahrten mit dem schon vor Reiseantritt angemieteten Wagen konnten nur die Begleitpersonen des Klägers vornehmen.
Nach seiner Urlaubsrückkehr machte der Kläger mit Schreiben vom 16.7.2001 (Bl. 21 ff. d.A.) gegenüber der Beklagten für sich und seine Mitreisenden Schadenersatzansprüche in Höhe des vollen Reisepreises geltend wegen der nicht ebenerdigen Unterbringung und führte weitere Beschwerdepunkte an (Lärmbelästigung durch Disco-Lärm vom 20.5.-28.6.01; unzureichende Anzahl von Liegestühlen, Auflagen und Schirmen, ganztägiger Baulärm durch Bau-, Kran- und Schwertransport von den ca. 80 m entfernten Neubauten), die er der Reiseleitung aber - unstreitig - vor Ort nicht angezeigt hatte. Die Beklagte leistete darauf ohne Anerkennung einer Rechtspflicht für 3 Personen eine Ausgleichszahlung von 350,- DM und lehnte jede weitere Zahlung ab.
Der Kläger behauptet, die Beklagte habe sein Schreiben vom 7.6.2001 nach normalem Postlauf erhalten.
Nachdem die Mitreisende Engels ihre eigenen Minderungs- und Schadenersatzansprüche aus der streitgegenständlichen Reise sowie diejenigen ihres minderjährigen Sohnes am 3.5.2002 an den Kläger abgetreten hat, begehrt der Kläger Erstattung des restlichen Reisepreises unter Anrechnung ersparter Aufwendungen (für das tägliche Frühstück) für alle Reiseteilnehmer von 280,- DM sowie Entschädigung für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit in Höhe von 1.400,- DM für ihn.
Der Kläger beantragt daher,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.302,86 EUR nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz gem. § 1 DÜG seit dem 1.11.2001 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
Unter Bezugnahme auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertritt sie die Auffassung, die Abtretung von Ansprüchen durch die Mitreisende sei unwirksam. Sie bestreitet, das Schreiben vom 7.6.2001 vorprozessual erhalten zu haben.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Dem Kläger steht kein Zahlungsanspruch gegenüber der Beklagten im Zusammenhang mit der gebuchten Pauschalreise für sich und seine Mitreisenden zu. Dabei kann dahin stehen, inwieweit der Kläger zur Geltendmachung von Ansprüchen aus abgetretenem Recht befugt ist, denn hierzu fehlt es bereits an der rechtlichen Grundlage:
1.
Insbesondere steht ihm kein auch nur anteiliger Reisepreisrückzahlungsanspruch im Hinblick auf eine Reisepreisminderung i.S.d. §§ 812, 651 d Abs. 1, 651 c Abs. 1 BGB zu.
a)
- Unterkunft nicht ebenerdig -
Er hat - auch nach entsprechendem richterlichen Hinweis - nicht hinreichend schlüssig dargelegt, dass seine Einquartierung im 4. Stock dem vertraglich zugesicherten bzw. nach allgemeiner Verkehrsauffassung als geschuldet anzusehenden Wert nicht entsprach bzw. dass die Reise für ihn auch nur teilweise untauglich war.
Seine Einquartierung in einer ebenerdig gelegenen Wohnung mit vorgelagerter Terrasse, wie es seiner Vorstellung entsprach, ist nämlich nicht Inhalt des Reisevertrags geworden. Ein Vertrag kommt nur durch den Zugang sich deckender Willenserklärungen zustande, nicht aber durch ein einseitiges Diktat von Vorstellungen. Auf der Buchungsbestätigung hat der Kläger seinen Wunsch auf Zuteilung einer Wohnung mit Terrasse zwar vermerken lassen, jedoch war er - seinem eigenen Vorbringen zufolge - damit einverstanden, dass dieser Wunsch als "unverbindlicher Sonderwunsch" gem. Ziff. 3 der Allgemeinen Reisebedingungen erklärt wird. Unstreitig waren sich beide Parteien darüber einig, dass derartige Wünsche lediglich als Anregungen darstellten, die die Beklagte nicht zur entsprechenden Leistung vertraglich verpflichten sollte. Diese Buchung hat die Beklagte sinngemäß unverändert mit der Rechnungstellung und Bestätigung vom 2.6.2001 (Bl. 19) auch angenommen. Der Vertragsinhalt ist auch nicht etwa durch das Schreiben des Klägers vom 7.6.2001 dahingehend geändert worden, dass dem Kläger zusätzlich die Unterbringung in einer Wohnung mit Terrasse zugesichert worden ist. Abgesehen davon, dass die Beklagte eine derartige Zusage gerade nicht ausdrücklich abgegeben hat, ist ihr Schweigen auf das Schreiben vom 7.6.2001 auch nicht als Zustimmung zu dieser Vertragsmodifikation zu deuten. Zum einen hat der Kläger ausdrücklich um "Bestätigung" seines Wunsches gebeten, wie es in Ziff. 3.3 Abs. 2 der Allgemeinen Reisebedingungen der Beklagten für das Wirksamwerden von Zusicherungen der Reisebüros erforderlich ist, so dass dem Schweigen der Beklagten hierauf gerade kein Erklärungswert zukommen kann. Zum anderen kann die Bereitstellung der Reiseleistung durch die Beklagte ohne Hinweis auf die Unerfüllbarkeit dieses Wunsches schon deswegen nicht als Zustimmungserklärung ausgelegt werden, weil die Beklagte keine Kenntnis von dem Verbindlichkeitswunsch des Klägers hatte. Der Kläger hat nicht hinreichend schlüssig dargetan, dass das streitgegenständliche Schreiben der Beklagten auch zugegangen ist i.S.d. § 130 BGB. Willenserklärungen unter Abwesenden gehen dem Empfänger erst mit Eröffnung der Kenntnisnahmemöglichkeit zu. Mit der Aufgabe des Schreibens im Postbriefkasten ist es aber noch nicht in den üblichen Empfangsbereich der Beklagten gelangt. Dass es überhaupt in ihrem Wirkungskreis gelandet ist, hat der Kläger nicht dargetan. Hierzu war er aber angesichts des Bestreitens durch die Beklagte verpflichtet. Dem Kläger kommt auch nicht etwa eine Umkehr der Darlegungslast zugute, weil die Aufgabe bei der Post noch keinen Anschein für deren ordnungsgemäße Beförderung begründet, zumal die täglichen Erfahrungen im Geschäftsleben durchaus von der Unzuverlässigkeit dieser Annahme zeugen.
b)
Unterkunft nicht behindertengerecht
Die Beklagte schuldete aber auch keine ausgesprochen gehbehindertengerechte Unterbringung des Klägers. Zum einen fehlen entsprechende Vermerke des Klägers in der Buchung. Zum anderen hat er selbst dem Reisebüro gegenüber nicht deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er die Buchung davon abhängig mache, ob die Beklagte ihn behindertengerecht unterbringen könne oder nicht. Ganz im Gegenteil hat er zwar seinen Behindertenausweis zur Unterstützung seines Terrassen-Wunsches vorgelegt, sich aber mit einer nur unverbindlichen Aufnahme seines Kundenwunsches zufrieden gegeben. Im übrigen ist das Hotel auch nicht als behindertengerecht im Prospekt ausgeschrieben, weshalb der Kläger nicht davon ausgehen durfte, dass es seinen Bedürfnissen genügen würde.
c)
sonstige Beschwerdepunkte
Aber auch wegen der sonstigen vom Kläger erstmals in der Anspruchsschrift nach Reisebeendigung angezeigten Unannehmlichkeiten (Disco- und Baulärm, Liegen- und Schirmausstattung) bestehen keine Minderungsrechte, weil es an einer unverzüglichen Mängelrüge vorort i.S.d. § 651 d Abs. 2 BGB unstreitig fehlt. Im übrigen dürfte eine Beeinträchtigung der Reisenden durch Lärmbelästigungen durch die Zahlung bereits angemessen abgegolten sein, zumal nicht hinreichend dargetan ist, dass es sich dabei um besonders gravierende, ununterbrochene Störungen gehandelt habe, zumal sich die Reisenden vorwiegend im 4. Stock aufgehalten haben dürften. Ferner vermag das Gericht nicht zu erkennen, dass zu wenig Liegen zur Verfügung standen, denn auf den Fotos sind einige unbenutzte Liegen zu sehen. Im übrigen war es offenbar möglich, im Schatten des Gebäudes zu liegen, so dass das Fehlen von Sonnenschirmen bei dem Genuß der Reiseleistung nicht negativ ins Gewicht gefallen sein dürfte.
2.
Aber auch auf einen Schadenersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung, der bei schuldhafter Obhuts- und Fürsorgepflichtverletzungen durch die Beklagte in Betracht kommt, kann sich der Kläger nicht berufen. Selbst wenn man der bisherigen Rechtsprechung folgt, wonach der Reiseveranstalter sich die Kenntnis des Reisebüros von der ersichtlichen Schwerbehinderung des Reisenden zurechnen lassen muss (mit unterschiedlichen Ansätzen LG Frankfurt 24.7.1989 in NJW 1989, 2397; AG Kleve, 26.5.2000 in Rra 2000, 156 ff) und nach Treu und Glauben verpflichtet ist, für die Erfüllung der erkennbaren besonderen Bedürfnisse des Reisenden Sorge zu tragen, hat die Beklagte nicht pflichtwidrig gehandelt, indem sie gegenüber ihrem Leistungsträger vor Ort nicht sichergestellt hat, dass der Kläger im Erdgeschoss untergebracht werde. Allein der Umstand, dass ein Reisender stark gehbehindert ist, besagt einem im Umgang mit der konkreten Art der Behinderung nicht Vertrauten nämlich noch nicht, welche Unterkunftsart dem Reisenden überhaupt möglich ist. Da der Kläger sich einen Zielort ausgesucht hat, der schon nach der Prospektbeschreibung in erhöhter Lage über dem Meer und in immerhin einiger Entfernung vom Strand, Ortszentrum und Supermarkt (300 m - 2,5 km - 200 m) gelegen ist und entgegen sonstiger Ausschreibungen gerade nicht als Unterkunft mit Fahrstuhl ausgeschrieben ist, konnte die Beklagte aus den Umständen nicht entnehmen, dass der Kläger auf eine ebenerdige Unterbringung angewiesen war. Entsprechende Fürsorgepflichten können in zumutbarer Weise nur entstehen, wenn ausreichende Kenntnis über die Art der Bedürfnisse des Reisenden bestehen. Aber selbst wenn eine derartige Fürsorgepflicht bestanden haben sollte, ist es dem Kläger wegen Rechtsmißbrauchs verwehrt, sich auf entsprechenden Vertrauensschutz zu berufen, weil mit seinem Einverständnis mit der nur unverbindlichen Wirkung der Angabe seines Kundenwunsches sinngemäss darauf verzichtet hat, die Beklagte auf Versorgung seiner speziellen Bedürfnisse in Anspruch zu nehmen.
3.
Für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen vertanen Urlaubs gem. § 651 f Abs. 2 BGB fehlt es bereits an der Grundvoraussetzung einer erheblich mangelbehafteten Reise.
Als Unterliegender ist der Kläger kostenbelastet (§ 91 ZPO).
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziff. 11, 711 S. 1 und 2, 709 S. 2, 108 ZPO n.F.