Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.02.1996, Az.: XI 14/93

Übertragung von Kinderfreibeträgen sowie eines Ausbildungsfreibetrages bei der Einkommenssteuer; Voraussetzung für eine zustimmungsfreie Übertragung des Kinderfreibetrages auf ein Elternteil; Vorliegen der Voraussetzung der im wesentlichen erfüllten Unterhaltspflicht eines Elternteils gegenüber einem Kind im Rahmen der Prüfung zur zustimmungsfreien Übertragung des Kinderfreibetrages; Auswirkungen einer zivilrechtlich nicht bestehenden Unterhaltspflicht eines Elternteils auf die Zustimmungsfreiheit der Übertragung des Kinderfreibetrges auf diesen Elternteil

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
01.02.1996
Aktenzeichen
XI 14/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 18871
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1996:0201.XI14.93.0A

Fundstellen

  • DB 1996, 1547 (amtl. Leitsatz)
  • EFG 1996, 547-548 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Übertrag, v. Kinder- u. Ausbildungs-FB

Übertragung von Kinder- u. Ausbildungs-FB

Einkommensteuer 1990

Redaktioneller Leitsatz

Ist ein Elternteil familienrechtlich überhaupt nicht unterhaltspflichtig (§ 1603 Abs. 1 BGB), so besteht von Anfang an nicht die Möglichkeit, daß dieser Elternteil gemäß § 32 Abs. 6 S. 4 1. Variante EStG seiner Unterhaltspflicht nicht im wesentlichen nachkommt. Nicht oder nicht im wesentlichen nachkommen kann man nur einer von Rechts wegen bestehenden Unterhaltspflicht.

Der XI. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 1. Februar 1996,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...
Richterin am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ...
ehrenamtlicher Richter ...
fürRecht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird auf Kosten des Klägers abgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Übertragung von Kinderfreibeträgen sowie eines Ausbildungsfreibetrages.

2

Der Kläger ist in zweiter Ehe verheiratet und wurde für das Streitjahr 1990 zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Er hat mit dieser ein Kind. Sein unterhaltsrelevantes Nettoeinkommen belief sich im Streitjahr auf ca. 4.500 DM monatlich. Aus seiner ersten Ehe mit der Beigeladenen sind der am 23. Juni 1968 geborene Sohn ... und die am 15. August 1971 geborene Tochter ... hervorgegangen. Der Sohn Lars leistete in den Monaten Januar und Februar 1990 Zivildienst. Danach war er bis zum 15. April 1990 arbeitslos. Seit dem 16. April 1990 übt er eine Tätigkeit als Krankenpfleger aus. Er lebte während des gesamten Streitjahres in einer eigenen Wohnung und erhielt von dem Kläger monatliche Unterhaltszahlungen von 220 DM (Januar und Februar) bzw. 860 DM (März und April). Die Tochter ... besuchte während des gesamten Streitjahres das Gymnasium. Bis Januar 1990 lebte sie bei ihrer Mutter - der Beigeladenen -, danach bezog sie eine eigene Wohnung. Sie erhielt von dem Kläger monatliche Unterhaltszahlungen von 560 DM.

3

Die Beigeladene, die im Streitjahr über ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 589 DM verfügte, leistete an den Sohn ... keine Unterhaltszahlungen. Die Tochter ... wurde von ihr monatlich mit 220 DM (Februar und März), 160 DM (April bis November) und 180 DM (Dezember) unterstützt.

4

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragte der Kläger für die beiden Kinder aus erster Ehe die Berücksichtigung des vollen Kinderfreibetrages sowie für die Tochter ... des vollen Ausbildungsfreibetrages. In seinem Einkommensteuerbescheid vom 18. November 1991 berücksichtigte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) die Kinderfreibeträge in voller Höhe und den Ausbildungsfreibetrag für die Tochter ... zur Hälfte. Den hiergegen eingelegten Einspruch vom 17. Dezember 1991 wies das FA durch Einspruchsbescheid vom 4. Januar 1993 als unbegründet zurück. Zuvor hatte es die Steuerfestsetzung durch einen auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) gestützten Änderungsbescheid vom 13. April 1992 zum Nachteil des Klägers geändert. Aufgrund einer Mitteilung des FA ... war es davon ausgegangen, daß die Beigeladene ihrer Unterhaltspflicht gegenüber der Tochter ... im Streitjahr in ausreichendem Maße nachgekommen sei und der Sohn Lars wegen ausreichender eigener Einkünfte nicht unterhaltsberechtigt gewesen sei. Dementsprechend gewährte das FA dem Kläger auch die Kinderfreibeträge für die Kinder aus erster Ehe nur noch zur Hälfte.

5

Mit der hiergegen erhobenen Klage begehrt der Kläger den Abzug der vollen Kinderfreibeträge und des vollen Ausbildungsfreibetrages von 4.050 DM für seine Tochter ... Er macht geltend, daß die Voraussetzungen für die Übertragung der Kinderfreibeträge gemäß § 32 Abs. 6 Satz 4, 1. Variante des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorlägen. Da die Beigeladene aufgrund ihres geringen Einkommens gegenüber ihren Kindern nicht unterhaltspflichtig gewesen sei, sei sie einem Elternteil gleichzustellen, der seiner Unterhaltspflicht nicht nachgekommen sei. Dies habe nach § 33 a Abs. 2 Satz 1 EStG zur Folge, daß ihm auch der Ausbildungsfreibetrag für die Tochter ... in voller Höhe zu gewähren sei.

6

Der Kläger beantragt,

ihm unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 1990 vom 18.11.1991 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 13.04.1992 und des dazu ergangenen Einspruchsbescheids vom 04.01.1993 für die Kinder ... und ... den vollen Kinderfreibetrag und für die Tochter ... den vollen Ausbildungsfreibetrag zu gewähren und die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.

7

Der Beklagte beantragt,

der Klage stattzugeben.

8

Aufgrund der von dem Kläger im Klageverfahren erbrachten Nachweise geht er davon aus, daß die Beigeladene im Streitjahr ihren Kindern gegenüber nicht unterhaltspflichtig gewesen sei und die auf sie entfallenden Kinderfreibeträge daher auf den Kläger zuübertragen seien.

9

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

10

Die Klage ist nicht begründet.

11

Dem Kläger stehen für das Streitjahr für seine beiden Kinder aus erster Ehe nur Kinderfreibeträge in der von dem FA in seinem Änderungsbescheid vom 13. April 1992 berücksichtigten Höhe zu. Den Ausbildungsfreibetrag für die Tochter ... kann er nur zur Hälfte beanspruchen.

12

Nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung wird für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen ein Kinderfreibetrag von 1.512 DM vom Einkommen abgezogen. Abweichend von Satz 1 wird bei einem unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Elternpaar, bei dem die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen, auf Antrag eines Elternteils der Kinderfreibetrag des anderen Elternteils auf ihn übertragen, wenn er, nicht jedoch der andere Teil seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind für das Kalenderjahr im wesentlichen nachkommt, oder wenn der andere Elternteil dem Antrag zustimmt (§ 32 Abs. 6 Satz 4 EStG).

13

Im Streitfall sind die Voraussetzungen für eineÜbertragung der Kinderfreibeträge der Beigeladenen auf den Kläger nicht erfüllt. Diese hat keine Zustimmung zu einer entsprechenden Übertragung erteilt. Ebensowenig sind die Bedingungen für eine zustimmungsfreie Übertragung erfüllt. Diese hängt nach der Fassung des Gesetzes davon ab, daß der Elternteil, der dieÜbertragung begehrt, seiner Unterhaltsverpflichtung im wesentlichen nachgekommen ist, der andere Elternteil jedoch nicht. Nach der Auffassung der Finanzverwaltung (Abschn. 181 a Abs. 2 Satz 3 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1990) kommt ein Elternteil seiner Barunterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind im wesentlichen nach, wenn er sie mindestens zu 75 v.H. erfüllt. Diese Auffassung wird in der Kommentarliteratur einheitlich gebilligt (Kanzler in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 32 EStG Anm. 190; Stephan in: Littmann/Bitz/Hellwig,§ 32 EStG Rdnr. 131; Blümich/Stäuber,§ 32 EStG Rdz. 55; Schmidt/Glanegger, EStG, 15. Aufl.,§ 32 Rdnr. 67). Maßstab für diese Prüfung ist der Umfang der Unterhaltsverpflichtung, wie er sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts ergibt. Nach § 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen (§ 1610 Abs. 1 BGB). Unterhaltspflichtig ist jedoch nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhaltes den Unterhalt zu gewähren (§ 1603 Abs. 1 BGB).

14

Hiernach war die Beigeladene im Streitfall nicht verpflichtet, ihren Kindern Unterhalt zu gewähren, weil ihr Einkommen weit unterhalb des Betrages von 1.400 DM pro Monat lag, der nach Anmerkung 5 zur Düsseldorfer Tabelle (Neue Juristische Wochenschrift 1988, 2352) als angemessener Eigenbedarf des Unterhaltspflichtigen gegenüber volljährigen Kindern anzusetzen ist. Ist ein Elternteil zivilrechtlichüberhaupt nicht unterhaltspflichtig, so besteht von vornherein nicht die Möglichkeit, daß er im Sinne des § 32 Abs. 6 Satz 4 1. Variante EStG seiner Unterhaltspflicht nicht im wesentlichen nachkommt. Nicht oder nicht im wesentlichen nachkommen kann man nur einer von Rechts wegen bestehenden Unterhaltspflicht.

15

Die Abschn. 181 a Abs. 2 Satz 6 EStR 1990 zugrundeliegende Auffassung, daß Elternteile, die mangels finanzieller Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig seien, steuerlich so zu behandeln seien, als ob sie ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkämen (ebenso Finanzgericht Bremen, Urteil der Berichterstatterin vom 20. September 1994 1 93 073 K 3, Entscheidungen der Finanzgerichte 1995, 216; Schmidt/Glanegger, a.a.O., sowie - allerdings nur in bezug auf die für 1986 bis 1989 geltende Gesetzesfassung - Kanzler, a.a.O., Anm. 189), vermag der Senat nicht zu folgen, weil sie im Gesetzeswortlaut keine Stütze findet.

16

Sie kann auch nicht auf die Erwägung gegründet werden, daß die Berücksichtigung des Kinderfreibetrages der Belastung des Steuerpflichtigen durch die gesetzliche Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind Rechnung tragen soll und für die Berücksichtigung einer solchen Belastung unter dem Gesichtspunkt der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kein Raum ist, wenn eine Unterhaltspflicht nach bürgerlichem Recht überhaupt nicht besteht. Denn in der gesetzlichen Regelung des Kinderfreibetrages hat dieser Gesichtspunkt nur in typisierender Form Niederschlag gefunden. Der Kinderfreibetrag steht den Eltern in der gesetzlich festgelegten Höhe unabhängig davon zu, ob überhaupt und ggf. in welcher Höhe sie gegenüber ihren Kindern zum Unterhalt verpflichtet sind. Dem entspricht auch die gesetzliche Regelung zur Übertragung des Kinderfreibetrages. Diese sieht nur die Möglichkeit vor, den dem einen Elternteil zustehenden Freibetrag entweder bei diesem zu belassen oder ihn in voller Höhe auf den anderen Elternteil zu übertragen. Eine teilweise Übertragung nach dem Verhältnis der beiderseitigen Unterhaltspflichten oder Unterhaltsleistungen ist ausgeschlossen. Für die Übertragung nach§ 32 Abs. 6 Satz 4, 1. Variante EStG kommt es auch nicht auf die Höhe der von den beiden Elternteilen jeweils zu erfüllenden Unterhaltspflichten an. Falls beide Elternteile dem Grunde nach unterhaltspflichtig sind und ihrer Unterhaltspflicht im wesentlichen nachkommen, ist eine Übertragung selbst dann ausgeschlossen, wenn die Unterhaltsleistung des einen Elternteils ein Vielfaches der Unterhaltsleistung des anderen Elternteils ausmacht.

17

Der Senat verkennt nicht, daß die strikt an den Wortlaut des § 32 Abs. 6 Satz 4, 1. Variante EStG anknüpfende Auslegung des Gesetzes im Einzelfall zu Ergebnissen führen kann, die von den Betroffenen als unbillig empfunden werden. Er hält dies jedoch - auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten - für unbedenklich, da - unabhängig von den Voraussetzungen des § 32 Abs. 6 Satz 4, 1. Variante EStG - stets die Möglichkeit einerÜbertragung des Kinderfreibetrages nach § 32 Abs. 6 Satz 4, 2. Variante EStG besteht und der den Unterhalt überwiegend leistende Ehegatte jedenfalls dann einen gerichtlich durchsetzbaren zivilrechtlichen Anspruch auf Erteilung der Zustimmung des anderen Elternteils hat, wenn der Abzug des Kinderfreibetrages bei ihm zu einer höheren Steuerersparnis führt und er dem anderen Elternteil die aus derÜbertragung entstehenden Nachteile in vollem Umfang ersetzt (Kanzler, a.a.O., Anm. 192, unter "Verweigerung der Zustimmung", m.w.N.)

18

Da die Beigeladene für ihre Kinder einen Anspruch auf Kinderfreibeträge hat, steht ihr nach § 33 a Abs. 2 Satz 1 EStG für die Tochter Tanja auch ein Ausbildungsfreibetrag zu. Nach § 33 a Abs. 2 Satz 7 EStG können die sich aus Satz 1 ergebenden Höchstbeträge bei dem Kläger deshalb nur zur Hälfte als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.

19

Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abzuweisen. Billigkeitsgründe, die es gebieten würden, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen dem Kläger oder der Staatskasse aufzuerlegen (§ 139 Abs. 4 FGO), liegen nicht vor.

20

Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.