Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.02.1996, Az.: VIII 559/90
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist; Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen einen Steuerbescheid; Bekanntgabe eines Steuerbescheids an Eheleute; Begründung eines Wiedereinsetzungsantrages
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 20.02.1996
- Aktenzeichen
- VIII 559/90
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 18637
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1996:0220.VIII559.90.0A
Rechtsgrundlagen
- § 110 AO
- § 122 Abs. 2 AO
- § 355 Abs. 1 AO
Verfahrensgegenstand
Einkommensteuer 1988
Der VIII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 20. Februar 1996,
an der mitgewirkt haben:
,,,,
fürRecht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird auf Kosten der Kläger abgewiesen.
Tatbestand
Streitig ist, ob den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 Abgabenordnung (AO) zu gewähren ist.
Die Kläger sind verheiratet und wurden für das Streitjahr 1988 zusammenveranlagt.
Gegen den Einkommensteuerbescheid für 1988 vom 16. Mai 1990 legte die Klägerin mit Schreiben vom 26. Juni 1990 Einspruch ein.
Mit Schreiben vom 2. Oktober 1990 erhob auch der Kläger Einspruch und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Seinen Wiedereinsetzungsantrag begründete er damit, daß er bislang keinerlei Kenntnis von dem gesamten Vorgang gehabt habe. Ihm sei weder der Einkommensteuerbescheid vorgelegt worden, noch habe er gewußt, daß seine Ehefrau Einspruch gegen diesen Bescheid eingelegt hatte. Sie sei offensichtlich zur Zeit beruflich und nervlich ausgesprochen überlastet und habe auf mehrfaches Nachfragen, ob denn noch immer nicht der Steuerbescheid da sei, Lediglich ausweichend geantwortet. Erst am 27.09.1990 habe er von den Vorfällen dadurch Kenntnis erlangt, daß Herr ... - ein Angestellter der Kreissparkasse ...- ihn angerufen und ihm mitgeteilt habe, daß eine Kontopfändung vorliege und das FA dabei sei, zu vollstrecken. Er habe dann seine Ehefrau zur Rede gestellt. Diese habe daraufhin einen Nervenzusammenbruch erlitten und sei drei Tage verschwunden gewesen. In der Zwischenzeit habe sie einen Selbstmordversuch unternommen und sei in ärztlicher Behandlung.
Das FA hat die Einsprüche als unzulässig verworfen, weil die Einspruchsfrist nicht gewahrt wurde und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht komme. Denn bei zusammenveranlagten Ehegatten müßten beide Partner die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfüllen. Die Krankheit eines Ehegatten hindere den anderen nicht, die Frist zu wahren. Es könne dahingestellt bleiben, ob bei der Ehefrau eine plötzliche und schwere Erkrankung vorlag, die sie für längere Zeit daran hinderte, ihre steuerlichen Angelegenheiten selbst zu besorgen. Denn der Ehemann sei nicht gehindert gewesen, nachdem er von seiner Ehefrau nur ausweichende antworten erhalten hatte, sich selbst beim FR zu informieren.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage. Die Kläger sind der Ansicht, daß die vorgetragenen Tatsachen zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entweder unzutreffend oder überhaupt nicht gewürdigt worden seien. Er, der Kläger, sei jedenfalls mangels Kenntnis des Einkommensteuerbescheids ohne Verschulden daran gehindert gewesen, die Einspruchsfrist einzuhalten. Sie, die Klägerin, sei offensichtlich am Rande ihrer nervlichen Belastung angekommen und ebenfalls ohne Verschulden gehindert gewesen.
Die Kläger beantragen,
den Einspruchsbescheid vom 17. Oktober 1990 aufzuheben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist erhobenen Einwendungen gegen den Einkommensteuerbescheid rechtfertigten keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Nach § 110 AO sei Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Die Richtigkeit des Sachvortrages der Kläger unterstellt, wäre ein eigenes Verschulden des Ehemannes zwar auszuschließen, Allerdings bliebe zu prüfen, ob dem Ehemann ein Verschulden der Ehefrau nach § 110 Abs. 1 Satz 2 AO zuzurechnen wäre.
Gründe dafür, daß die Ehefrau ohne Verschulden verhindert war, die Einspruchsfrist zu wahren, seien indessen nicht erkennbar. Selbst wenn die Ehefrau unter starker nervlicher Belastung gestanden hätte, so habe es sich hierbei nicht um eine plötzliche und schwere Erkrankung gehandelt, die die Ehefrau gehindert hätte, ihre steuerrecht Liehen Angelegenheiten selbst zu besorgen bzw. einen Vertreter zu bestellen, der die Angelegenheit für sie abgewickelt hätte. Hierfür spräche insbesondere der Umstand, daß die Ehefrau noch mit Schreiben vom 26.06.1990 - wenngleich verspätet - den Einkommensteuerbescheid anfechten wollte und auch angefochten hat. Der erst nach der Kontopfändung vom 27. September 1990 aufgetretene Nervenzusammenbruch der Ehefrau könne insoweit nicht ursächlich für die Versäumung der Einspruchsfrist gewesen sein.
Erschwerend komme hinzu, daß die Kläger mit Schreiben des FA vom 20.07.1990 noch einmal ausdrücklich auf die versäumte Rechtsbehelfsfrist und die Möglichkeit, Wiedereinsetzungsgründe vorzutragen, hingewiesen wurden. Wenn die Ehefrau die Monatsfrist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO ungenutzt verstreichen ließ und ihre Unterschlagungshandlungen gegenüber dem Ehemann weiter fortsetzte, so könne ein solches vorsätzliches Handeln nicht zur Wiedereinsetzung führen. Dem Wiedereinsetzungsantrag vom 02.10.1990 stünde somit die Monatsfrist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO zusätzlich entgegen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird ergänzend auf die im Einspruchs- und Klageverfahren gewechselten Schriftsätze sowie die Steuerakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
Den Klägern ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO wegen Versäumung der Einspruchsfrist zu gewähren.
1.
Nach § 355 Abs. 1 AO ist der Einspruch gegen einen Steuerbescheid innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids einzulegen. Im Streitfall ist der angefochtene Bescheid am 16. Mai 1990 zur Post gegeben worden. Er gilt danach gemäß § 122 Abs. 2 AO mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post, d.h. am 19. Mai 1990 als bekanntgegeben. Dabei genügt es nach § 155 Abs. 5 AO in Fällen, in denen sich der zusammengefaßte (schriftliche) Bescheid an Ehegatten richtet, allen Beteiligten (Gesamtschuldnern) - hier also den Eheleuten Achilles - nur eine Ausfertigung des zusammengefaßten Bescheids an ihre gemeinsame Anschrift übermittelt (bekanntgegeben) wird. Die Rechtsbehelfsfrist des § 355 AO endete damit am Dienstag, dem 19. Juni 1990. Der Einspruch ist jedoch erst am 27. Juni 1990 und damit nach Ablauf der Einspruchsfrist beim FA eingegangen.
2.
Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist - hier die Einspruchsfrist - einzuhalten. Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrages sind bei der Antragstellung oder im Verfahrenüber den Antrag glaubhaft zu machen (§ 110 Abs. 2 Satz 1 und 2 AO).
Der Verfahrensbevollmächtigte der Kläger hat in seinem Wiedereinsetzungsantrag vom 2. Oktober 1990 weder Tatsachen vorgetragen, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen könnten, noch hat er solche Tatsachen glaubhaft gemacht.
Zur Begründung eines Wiedereinsetzungsantrages ist eine eingehende Darstellung des Geschehensablaufs erforderlich (BFH-Beschluß vom 28. Jan. 1986 VIII R 9/84, BFH/NV 1986, 417; vom 17. Nov. 1987 IX R 86/83, BFH/NV 1988, 317). Wird eine Erkrankung geltend gemacht, müssen Art und Schwere der Erkrankung dargelegt und glaubhaft gemacht werden (BFH-Beschluß vom 14. Jan. 1985 IV R 261/84, BFH/NV 1986, 219).
Derartige Angaben fehlen im Streitfall ebenso wie die Glaubhaftmachung. Denn die Begründung des Verfahrensbevollmächtigten der Kläger im Wiedereinsetzungantrag vom 2. Oktober 1990, daß die Klägerin "offensichtlich zur Zeit beruflich und nervlich ausgesprochenüberlastet" sei, legt weder den Geschehensablauf noch Art und Schwere der Erkrankung der Klägerin während der Einspruchsfrist dar. Davon abgesehen ist Krankheit - ebenso wie Arbeitsüberlastung (vgl. Tipke/Kruse, Kommentar zur AO, 15. Aufl., Tz. 6 zu § 110 mit Rechtsprechungsnachweisen) - grundsätzlich kein Wiedereinsetzungsgrund. Eine Krankheit kann die Wiedereinsetzung nur rechtfertigen, wenn sie so schwer und unvermutet eintritt, daß der Steuerpflichtige dadurch gehindert ist, seine steuerlichen Angelegenheiten selbst zu besorgen (die versäumte Prozeßhandlung) und auch nicht in der Lage ist, einen Vertreter zu bestellen (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 19. Feb. 1960 III 246/58 U, BStBl III 1960, 168 und BFH-Beschluß vom 10. März 1971 I B 50/70, BStBl II 1971, 401).
Da die Klägerin Geschäftsführerin ist und ausweislich der Akten sowohl die Steuererklärung für 1988 gefertigt und unterschrieben und den Einspruch (wenn auch einige Tage verspätet) eingelegt hat, kann davon aber keine Rede sein.
Soweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, wenn die Fristversäumnis auf nervösen Störungen infolge krankhafter Veränderung der Geistestätigkeit beruht (vgl. BFH-Urteil vom 3. Dez. 1971 III R 44/68, BStBl II 1972, 541), wird schließlich eine derart schwere Krankheit weder behauptet noch glaubhaft gemacht.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.