Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.02.1996, Az.: X 86/93
Telefonkosten als Werbungskosten auch bei Familienheimfahrten; Abzugsfähigkeit der Kosten für eine doppelte Haushaltsführung; Beschränkung der Kosten der Kontaktaufnahme zur Familie
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 22.02.1996
- Aktenzeichen
- X 86/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 16452
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1996:0222.X86.93.0A
Rechtsgrundlage
- § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 EStG
Fundstelle
- EFG 1996, 1156-1157 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Doppelte Haushaltsführung
Einkommensteuer 1990
Der X. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 22. Februar 1996,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter Bankdirektor ...
ehrenamtlicher Richter ... Chemiemeister ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Einkommensteuer 1990 wird unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 1. Februar 1993 und Änderung des Einkommensteuerbescheides 1990 vom 3. Februar 1992 auf 33.860 DM herabgesetzt.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Abzugsfähigkeit von Telefonkosten im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung.
Die Kläger sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist seit Mai 1988 als Richter am Bundesgerichtshof in K. tätig; seine Ehefrau ist Richterin am Oberlandesgericht C. Im Streitjahr 1990 bezogen beide Kläger u.a. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Seit Oktober 1988 bewohnen die Eheleute mit ihrem 1983 geborenen Sohn ein Einfamilienhaus in C. Der Kläger wohnt während seines Aufenthalts in K. in einem möblierten Appartement mit Telefonanschluß. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung fährt er nur an etwa jedem zweiten Wochenende nach C. zu seiner Familie.
Im Jahr 1990 unternahm der Kläger 17 Familienheimfahrten und wurde an vier weiteren Wochenenden von seiner Familie in K. besucht. Während der übrigen Zeit führte er Telefongespräche mit seiner Ehefrau und seinem Sohn, über die er Aufzeichnungen fertigte. In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragte er bei den Werbungskosten im Rahmen der Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung unter anderem die Berücksichtigung dieser Telefonkosten, die sich - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - auf 1.200 DM beliefen.
Das beklagte Finanzamt (FA) erkannte mit Einkommensteuerbescheid 1990 nur Telefonkosten in Höhe von 300 DM als Werbungskosten an. Dabei berücksichtigte es als notwendige Mehraufwendungen ein 15 minütiges Telefongespräch für die Wochen, in denen der Kläger keine Familienheimfahrten unternahm. Hieraus errechnete es nach dem billigsten Tarif einen Gebührenanteil in Höhe von insgesamt 144,99 DM und schätzte die anteilig darauf entfallenden Grundgebühren auf 155,01 DM.
Dagegen richtet sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Klage.
Die Kläger vertreten die Auffassung, im Rahmen doppelter Haushaltsführung seien nicht nur die Telefonkosten als Werbungskosten zu berücksichtigen, die den zur Mitwirkung am Familienhaushalt erforderlichen Informationsaustausch beträfen. Vielmehr müßten auch solche Aufwendungen Berücksichtigung finden, die der Pflege der persönlichen Gemeinschaft, insbesondere der Ehe und der Beziehung zum Kind dienten. So sei auch § 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) zu verstehen, denn der Sinn einer Familienheimfahrt liege regelmäßig darin, über organisatorische Fragen hinaus die persönliche Gemeinschaft zu pflegen.
Zudem sei die der Entscheidung des FA zugrundeliegende Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) überwiegend auf Fälle zugeschnitten, in denen sich der Steuerpflichtige lediglich vorübergehend für einige Wochen berufsbedingt außerhalb des Familienwohnsitzes aufhalten müsse. Im vorliegenden Fall handele es sich demgegenüber aber um eine dauerhafte Trennung bis zur Pensionierung des Klägers. Die Nichtberücksichtigung der weiteren Telefonkosten verstoße ferner gegen Art. 6 Grundgesetz.
Die Kläger beantragen,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheides vom 3. Februar 1992 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 1. Februar 1993 die Einkommensteuer 1990 soweit herabzusetzen, wie sie sich unter Berücksichtigung weiterer Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 900 DM ergibt.
Das beklagte Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es ist der Meinung, die Frage nach der Notwendigkeit der Telefongespräche sei losgelöst von den subjektiven Vorstellungen der Kläger dahingehend zu beantworten, daß im Rahmen der doppelten Haushaltsführung in der Regel nur die Kosten eines fünfzehnminütigen Telefongesprächs wöchentlich sowie anteilige Grundgebühren berücksichtigt werden könnten.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst den dazu überreichten Anlagen, den Inhalt der Steuerakten sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 22.02.1996.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die bislang vom FA nicht anerkannten weiteren 900 DM Telefonkosten sind gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG als Werbungskosten zu berücksichtigen, denn auch insoweit handelt es sich um notwendige Mehraufwendungen, die dem Kläger wegen einer aus beruflichem Anlaß begründeten doppelten Haushaltsführung entstanden sind.
1.
Werbungskosten sind gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 4 EStG alle Aufwendungen, die durch den Beruf veranlaßt sind (BFH-Beschluß vom 28.11.1977 Großer Senat 2-3/77, Bundessteuerblatt (BStBl) II 1978, 105; BFH-Urteil vom 20.11.1979 VI 25/78, BStBl II 1980, 75). Zu den Werbungskosten gehören nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlaß begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen. Dieser Grundsatz wird konkretisiert und beschränkt durch § 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 EStG, wonach bei Fahrten vom Beschäftigungsort zum Ort des eigenen Hausstandes und zurück Aufwendungen nur für jeweils eine Familienheimfahrt wöchentlich als Werbungskosten abgezogen werden können. Nach der Auffassung des BFH bringt der Gesetzgeber dadurch zum Ausdruck, daß er nur eine wöchentliche Kontaktaufnahme zwischen dem auswärts beschäftigten Steuerpflichtigen und seiner Familie als beruflich veranlaßt und damit notwendig im Sinne des Gesetzes ansieht. Das hat zur Konsequenz, daß Aufwendungen für weitere Heimfahrten selbst dann nicht als Werbungskosten im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung anerkannt werden können, wenn sie aus dringenden Gründen geboten waren (vgl. BFH-Urteil vom 15.03.1988 VI R 90/84, BStBl II 1988, 988). Nach dieser Rechtsprechung können aus diesem Grund neben einer wöchentlichen Familienheimfahrt anfallende Kosten der telefonischen Kontaktaufnahme nicht gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG abgezogen werden (vgl. BFH-Urteil vom 18.03.1988 a.a.O.; ebenso Kirchhoff/Söhn, Kommentar zum EStG § 9 Rdnr. G 168; Blümich, Kommentar zum EStG, KStG, Gewerbesteuergesetz und Nebengesetzen, 15. Auflage, § 9 EStG, Rdnr. 398). Insofern liegt auch ein Verstoß gegen Artikel 6 Abs. 1 Grundgesetz nicht vor, da § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG die Kosten der Kontaktaufnahme - wenn auch nur in beschränktem Rahmen - als Werbungskosten zum Abzug zuläßt (vgl. BFH-Urteile vom 18. Februar 1966 VI 219/64, BStBl II 1966, 386 und vom 18.03.1988 a.a.O.).
Da dem Gesetz eine Beschränkung der Kosten der Kontaktaufnahme auf solche von Familienheimfahrten nicht zu entnehmen ist, kann der auswärtig beschäftigte Steuerpflichtige nach Auffassung des BFH statt einer wöchentlichen Familienheimfahrt auch telefonisch Kontakt zu seiner Familie aufnehmen. Abziehbar als Werbungskosten sind jedoch nur die notwendigen Mehraufwendungen, d.h. auch nur die notwendigen Telefonkosten. Als notwendig im Sinne des Gesetzes hat der BFH die wöchentliche Kontaktaufnahme durch ein Telefongespräch insoweit akzeptiert, als das Gespräch den Austausch der zur persönlichen Mitwirkung am Familienhaushalt erforderlichen Informationen ermöglicht (vgl. BFH-Urteil vom 18.03.1988 VI R 90/84 a.a.O.). In typisierender Weise hat der BFH in solchen Fällen die Kosten eines fünfzehnminütigen Telefongesprächs wöchentlich zuzüglich anteiliger Telefongrundgebühren als Werbungskosten betrachtet. Dabei hat der BFH insbesondere darauf hingewiesen, daß die Höhe der Telefonkosten nicht an den Kosten einer Familienheimfahrt bemessen werden kann, weil die Frage nach der Notwendigkeit des Telefongesprächs losgelöst von subjektiven Vorstellungen des einzelnen Steuerpflichtigen zu beantworten ist.
2.
Grundsätzlich folgt der Senat dieser Auffassung des BFH. Denn wenn man an die Kosten einer Familienheimfahrt anknüpfen wollte, stände Steuerpflichtigen, die ihre zweite Wohnung an einem vom Erstwohnsitz weiter entfernten Ort haben, aufgrund höherer Fahrtkosten ein wesentlich höherer Gebührenrahmen zur Verfügung als solchen Steuerpflichtigen, bei denen die Entfernung zwischen beiden Wohnungen geringer ist. Eine derartige Handhabe würde gegen den steuerlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, da allein die größere Entfernung nicht zwingend längere Telefonate notwendig macht und deshalb für eine bessere Stellung von Steuerpflichtigen mit weiter voneinander entfernten Wohnungen kein sachlicher Grund vorhanden ist.
Nicht zu folgen vermag der Senat jedoch der Auffassung des BFH, ein Steuerpflichtiger könne anstelle einer Familienheimfahrt im Regelfälle nur die Kosten eines fünfzehnminütigen Telefonats wöchentlich als Werbungskosten geltend machen zusätzlich anteiliger Grundgebühren für einen Telefonanschluß. Denn zum einen handelt es sich bei der Formulierung "notwendige" Mehraufwendungen um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dem man mit einer derart typisierenden Betrachtungsweise, wie vom BFH vorgenommen, nach Auffassung des Senats nur schwerlich gerecht werden kann. Denn je nach familiärer Situation wird die Frage, was an erforderlichen Informationen zur persönlichen Mitwirkung am Familienhaushalt für den auswärts untergebrachten Steuerpflichtigen notwendig ist, ganz unterschiedlich zu beurteilen sein. Beispielsweise dürften sich derartige Dinge bei einem Zwei-Personen-Haushalt im Normalfall erheblich einfacher und schneller regeln lassen als bei einer Familie mit zwei oder mehreren Kindern, wo allein schon die Gespräche über die Erziehung und das Fortkommen der Kinder erfahrungsgemäß einen erheblich größeren Zeitraum in Anspruch nehmen werden. Zum anderen ist zu berücksichtigen, daß die Kostenbegrenzung eines Telefonats auf fünfzehnminütige Dauer aus dem Gesetz direkt nicht abzuleiten ist. Wenn man berücksichtigt, daß es einerseits stets Voraussetzung der doppelten Haushaltsführung ist, daß der Steuerpflichtige am Leben in der Familienwohnung persönlich teilnimmt, andererseits diese persönliche Beteiligung auf ein wöchentliches Telefongespräch von 15 Minuten Dauer reduziert wird, hat der Senat Zweifel, ob das noch mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Familie gemäß Artikel 6 Grundgesetz in Übereinstimmung ist (vgl. auch Frotscher § 9 EStG Anm. 185 a). Der Senat hat im übrigen auch Bedenken, ob Aufwendungen für eine Familienheimfahrt und das nicht näher belegte Argument des BFH, der Gesetzgeber privilegiere steuerlich nur eine Kontaktaufnähme wöchentlich, Maßstab für die Frage der Notwendigkeit von Telefonkosten sein können. Denn insoweit ist zu berücksichtigen, daß bei einer Familienheimfahrt in der Regel eine dauernde Kontaktaufnahme steuerlich begünstigt wird, weil es sich im Normalfall so verhalten wird, daß der auswärts wohnende Steuerpflichtige freitags zu seiner Familie zurückkehrt und erst am späten Sonntagabend bzw. frühen Montagmorgen wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt. Weshalb im Vergleich dazu nur ein Telefonat von 15 Minuten notwendig sein soll, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen.
Nach alldem ist der Senat der Auffassung, daß bei Telefonkosten die Frage der Notwendigkeit allein nach der persönlichen Situation des Steuerpflichtigen und seiner Familie zu bemessen ist. Im hier zu entscheidenden Streitfall haben die Kläger ein 1983 geborenes gemeinsames Kind. Da der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 22.02.1996 glaubhaft bekundet hat, gerade die Aufrechterhaltung des Kontaktes zu seinem damals siebenjährigen Sohn habe es erforderlich gemacht, insbesondere an den Wochenenden mehrfach und manchmal auch länger als zehn Minuten ausschließlich bereits mit dem Sohn zu telefonieren, hält der Senat höhere Telefonkosten als die vom FA anerkannten für begründet, zumal es einsichtig erscheint, daß die Pflege des persönlichen Kontaktes innerhalb der Familienangehörigen zusätzlich auch noch Telefonate in der Woche erforderlich machen kann. Der Senat hält angesichts einer persönlichen Situation mit Wohnungen in C. bzw. K., wie der Kläger sie glaubhaft gemacht hat, gemäß einer griffweisen Schätzung entsprechend § 287 ZPO Telefonkosten von 100 DM monatlich für angemessen und notwendig, so daß weitere 900 DM als Telefonkosten als Werbungskosten abzuziehen sind.
Die Einkommensteuer der Kläger errechnet sich danach wie folgt:
zu versteuerndes Einkommen bisher | 136.650 DM |
---|---|
abzüglich weitere Werbungskosten lt. Urteil | 900 DM |
zu versteuerndes Einkommen lt. Urteil | 135.750 DM |
Einkommensteuer gemäß Splittingtabelle | 34.478 DM |
abzüglich Steuerabzug für ausländische Einkünfte | 18 DM |
sowie Kinderermäßigung nach § 34 f | 600 DM |
ergibt festzusetzende Einkommensteuer lt. Urteil | 33.860 DM. |
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4.
Die Zulassung der Revision folgt aus § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO.