Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.02.1996, Az.: XIV 541/92
Änderung eines Steuerbescheides nach Ablauf der Festsetzungsfrist bei widerstreitender Steuerfestsetzung; Änderung eines Steuerbescheides zuungunsten des Steuerpflichtigen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 22.02.1996
- Aktenzeichen
- XIV 541/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 16451
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1996:0222.XIV541.92.0A
Rechtsgrundlagen
- § 176 Abs. 2 AO
- § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO
Verfahrensgegenstand
Einkommensteuer 1979
In dem Rechtsstreit
hat der XIV. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 22. Februar 1996,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin Hausfrau ...
ehrenamtlicher Richter Dipl.-Wirtschaftsingenieur ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Einkommensteuerbescheid 1979 vom 24. Februar 1992 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 9. September 1992 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs abzuwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Der Kläger erzielte Einkünfte aus einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb, den er bis zum Jahresende 1978 von seinem Vater gepachtet hatte und der ihm zum 1. Januar 1979 in vorweggenommener Erbfolge übertragen worden war.
Der Kläger ermittelte die Einkünfte bis zum 30. Juni 1981 nach § 13 a Einkommensteuergesetz (EStG) und in der Folgezeit nach § 4 Abs. 1 EStG. Aufgrund eines von seinem Vater mit der Deutschen Bundesbahn zum Ende des Jahres 1978 geschlossenen Vertrages über die Zahlung einer Entschädigung für die Aufgabe der Nutzungsrechte an einem privaten Bahnübergang und die damit verbundenen betrieblichen Wirtschaftserschwernisse erhielt der Kläger im Januar 1979 u.a. eine Entschädigung für Wirtschaftserschwernisse in Höhe von 326.156 DM. Weder der Vater des Klägers noch der Kläger selbst erfaßten die Entschädigung als Betriebseinnahme.
Nach einer Außenprüfung ging der Beklagte davon aus, daß der Anspruch auf die Entschädigung bereits im Jahre 1978 entstanden sei und zusammen mit einem Schuldposten "Rücklage für erhöhte Aufwendungen aufgrund von Wirtschaftserschwernissen" mit der Betriebsübertragung auf den Kläger übergegangen sei. Dieser Schuldposten sei beim Übergang zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG in der Anfangsbilanz auszuweisen und entsprechend Abschn. 131 Abs. 3 der Einkommensteuerrichtlinien (EStR) zeitanteilig zu versteuern.
Die daraufhin ergangenen Änderungsbescheide 1981 bis 1983 wurden durch das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. November 1990 IV R 131/89 insoweit aufgehoben, als die Entschädigung zeitanteilig gewinnerhöhend versteuert worden war. In dem Urteil führte der BFH aus, die Entschädigung sei im Wirtschaftsjahr der Vereinnahmung 1978/79 nicht durch den Ansatz des Grundbetrages gemäß § 13 a Abs. 4 EStG abgegolten. Vielmehr sei die Entschädigung als Einnahme im Zuschlagsbereich gemäß § 13 a Abs. 8 EStG (§ 13 a Abs. 6 EStG 1974) zu erfassen. Im Billigkeitswege komme allerdings eine Verteilung der Entschädigung auf 20 Jahre in Betracht.
Daraufhin änderte der Beklagte den Einkommensteuerbescheid 1979 durch Einkommensteuerbescheid vom 24. Februar 1992 gemäß § 174 Abgabenordnung (AO) und erfaßte den halben Entschädigungsbetrag. Mit dem Einspruchsbescheid vom 9. September 1992 ging der Beklagte von einer Verteilung der Entschädigung auf 20 Jahre aus. Für das Streitjahr wurde ein anteiliger Betrag in Höhe von 16.308 DM gewinnerhöhend erfaßt.
Hiergegen richtet sich die Klage. Die Kläger tragen vor, die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO seien nicht gegeben. Anläßlich der Einkommensteuerveranlagung 1979 sei nicht strittig gewesen, daß die Entschädigung für Wirtschaftserschwernisse nicht zuschlagspflichtig sei. Der Beklagte habe die Entschädigung auch nicht deshalb zuschlagsfrei gelassen, um sie in späteren Wirtschaftsjahren gewinnerhöhend zu berücksichtigen. Bei Durchführung der Veranlagung 1979 habe der Beklagte auch noch gar nicht wissen können, ob jemals innerhalb eines Zeitraums von 20 Jahren eine Übergangsbilanz aufzustellen gewesen sei. Er habe deshalb auch nicht aus diesem Grunde die Entschädigung von einem Zuschlag ausgenommen. Der einzige Grund sei die durch die Einkommensteuerrichtlinien gedeckte Rechtsauffassung gewesen, nach der die Entschädigung mit dem Grundbetrag abgegolten und deshalb nicht zuschlagspflichtig sei. Es fehle an der erforderlichen Verknüpfung zwischen dem Begehren im Rechtsstreit wegen Einkommensteuer 1981 bis 1983, wo es um die Bildung und spätere Auflösung einer Rücklage in der Übergangsbilanz gegangen sei, und der nur für das Wirtschaftsjahr 1978/79 relevanten Erkenntnis des BFH in jenem Rechtsstreit, daß Entschädigungen für Wirtschaftserschwernisse bei der Gewinnermittlung nach Durchschnittsätzen zuschlagspflichtig seien. Im übrigen seien die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 letzter Satz in Verbindung mit Abs. 3 Satz 1 AO nicht gegeben. Zudem stehe § 176 Abs. 2 AO einer Änderung des Einkommensteuerbescheides 1979 entgegen. Der BFH habe die Regelung in Abschn. 131 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStR als rechtswidrig beurteilt. Dies dürfe nicht zuungunsten der Kläger berücksichtigt werden.
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid 1979 vom 24. Februar 1992 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 9. September 1992 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Voraussetzungen für die Änderung des Einkommensteuerbescheides 1979 gemäß § 174 Abs. 4 AO seien gegeben. Entscheidend sei, daß der Beklagte entsprechend der Verwaltungsanweisung in Abschn. 131 Abs. 3 EStR zunächst davon ausgegangen sei, daß die Entschädigung im Rahmen der Gewinnermittlung gemäß § 13 a EStG nicht gesondert zu erfassen sei. Diese Rechtsauffassung sei mit dem geltenden Recht nicht vereinbar. Der Beklagte habe den Sachverhalt damit irrig beurteilt. Die entsprechend dieser irrigen Beurteilung ergangenen Steuerbescheide 1981 bis 1983 seien aufgrund eines Rechtsbehelfs zugunsten der Kläger geändert worden. Der Beklagte könne daher gemäß § 174 Abs. 4 AO aus dem Sachverhalt durch Erlaß oder Änderung des Einkommensteuerbescheides 1979 nachträglich die richtigen steuerlichen Konsequenzen ziehen. Im übrigen habe der BFH in seinem Vorbescheid vom 17. Mai 1990 ausdrücklich auf eine Änderungsmöglichkeit gemäß § 174 Abs. 4 AO hingewiesen. Auch § 176 Abs. 2 AO stehe einer Anwendung des § 174 Abs. 4 AO nicht entgegen. Die Kläger seien nur dann als schutzwürdig anzusehen, wenn sie auf die Gültigkeit der Verwaltungsanweisung in Abschn. 131 Abs. 3 EStR vertraut hätten. Gerade das sei jedoch nicht der Fall, denn dann hätten die Kläger die vom Beklagten im Rahmen des Verfahrens wegen Einkommensteuer 1981 bis 1983 vertretene Rechtsauffassung akzeptieren müssen. Die Klage wegen Einkommensteuer 1981 bis 1983 habe deshalb Erfolg gehabt, weil die Verwaltungsanweisung in Abschn. 131 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStR mit dem geltenden Recht nicht vereinbar sei. Das Verhalten der Kläger sei treuwidrig und somit nicht schutzwürdig, wenn sie nunmehr eine Anwendung des Abschn. 131 Sätze 8 und 9 EStR begehrten.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Einkommensteuerbescheid für 1979 vom 5. Februar 1982 durfte wegen Festsetzungsverjährung nicht gemäß § 174 Abs. 4 AO geändert werden.
1.
Nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO beträgt die Festsetzungsfrist für Einkommensteuern vier Jahre. Sie beginnt gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird. Die Steuererklärung der Kläger für 1979 ging am 12. Juni 1981 ein. Die Festsetzungsfrist endete am 31. Dezember 1985.
2.
Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist nicht gemäß § 174 Abs. 4 Satz 3 AO unbeachtlich.
a)
Der erkennende Senat kann offenlassen, ob die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AO erfüllt sind. Ist nach dieser Vorschrift aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltes ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde oder durch ein Gericht aufgehoben wird, so können aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlaß oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden.
Unter einem bestimmten Sachverhalt ist der einzelne Lebensvorgang zu verstehen, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft (BFH-Urteil vom 22. August 1990 I R 42/88, BStBl II 1991, 387 m.w.N.). Allerdings muß den Bescheiden nicht in vollem Umfange derselbe Sachverhalt zugrunde liegen. Setzen sich die den Steuerbescheiden zugrunde gelegten Sachverhalte aus mehreren Lebensvorgängen zugrunde, so reicht es aus, daß einer dieser Lebensvorgänge in beiden Steuerbescheiden erfaßt wurde (BFH-Beschluß vom 6. Dezember 1979 IV B 56/79, BStBl II 1980, 314).
Ein Lebensvorgang in diesem Sinne ist die im Wirtschaftsjahr 1978/79 vom Kläger als Landwirt bezogene Entschädigung für Wirtschaftserschwernisse. Aus diesem Vorgang sind sowohl in den geänderten Einkommesteuerbescheiden für 1981 bis 1983 als auch in dem hier streitigen Einkommensteuerbescheid 1979 steuerliche Folgerungen gezogen worden. Indessen war die steuerliche Beurteilung der Entschädigung von der Art der Gewinnermittlung abhängig. Maßgebend für die steuerliche Erfassung in den Jahren 1981 bis 1983 war der Übergang des Klägers zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG, während bei der Gewinnermittlung nach Durchschnittsätzen in 1979 eine Gewinnerhöhung nicht in Betracht kam. So gesehen läßt sich die Auffassung vertreten, daß in den Jahren 1981 bis 1983 einerseits und im Streitjahr 1979 andererseits zwei verschiedene Sachverhalte steuerlich zu beurteilen waren, nämlich zum einen die steuerliche Behandlung einer Entschädigung bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG und zum anderen bei der Gewinnermittlung nach Durchschnittsätzen.
b)
Diese Frage kann allerdings unentschieden bleiben, weil der Ablauf der Festsetzungsfrist einer Änderung des Einkommensteuerbescheides für 1979 entgegensteht. Zwar ist nach § 174 Abs. 4 Satz 3 AO der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen aus der Änderung der Steuerbescheide 1981 bis 1983 innerhalb eines Jahres nach Änderung dieser Steuerbescheide gezogen werden. Im Streitfall ist das Urteil des BFH vom 29. November 1990 im März 1991 zugestellt worden. Der Einkommensteuerbescheid für 1979 ist am 24. Februar 1992 und damit innerhalb der Jahresfrist geändert worden. Die aufgrund der Betriebsprüfung geänderten Einkommensteuerbescheide 1981 bis 1983 mit der anteiligen Erfassung der Entschädigung sind am 20. Oktober 1986 erteilt worden. Zu diesem Zeitpunkt war die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1979 aber bereits abgelaufen. Gemäß § 174 Abs. 4 Satz 4 AO ist der Ablauf der Festsetzungsfrist deshalb nur unter den Voraussetzungen des Abs. 3 Satz 1 AO unbeachtlich. Nach § 174 Abs. 3 AO kann die Steuerfestsetzung geändert werden, wenn ein bestimmter Sachverhalt in einem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt worden ist, daß er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, wenn sich diese Annahme als unrichtig herausstellt. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Die Kläger haben zutreffend darauf hingewiesen, daß anläßlich der Einkommensteuerveranlagung 1979 zwischen den Beteiligten nicht strittig gewesen ist, daß die Entschädigung für Wirtschaftserschwernisse steuerlich nicht zu erfassen sei. Diese Auffassung stand im Einklang mit den Einkommensteuerrichtlinien in Abschn. 131 Abs. 3 Sätze 8 und 9. Danach kann nach Auffassung des Senats nicht festgestellt werden, daß der Ansatz der Entschädigung erkennbar nur im Hinblick auf eine spätere (anteilige) Erfassung in einem anderen Steuerbescheid unterblieben ist. Dies gilt schon deswegen, weil Abschn. 131 Abs. 3 EStR die Frage der steuerlichen Behandlung erhaltener Entschädigungen im Falle des Übergangs zur Buchführung nicht regelte.
Die Festsetzungsverjährung war daher eingetreten.
3.
Einer Änderung des Einkommensteuerbescheides für 1979 steht auch die Vorschrift des § 176 Abs. 2 AO entgegen. Nach dieser Vorschrift darf bei der Änderung eines Steuerbescheides nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, daß eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist.
Diese Voraussetzung liegt im Streitfall vor. Die Einkommensteuerrichtlinien werden vom Bundesministerium der Finanzen herausgegeben. Der BFH hat die Regelung in Abschn. 131 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStR als rechtswidrig beurteilt. Diese Beurteilung durfte der Beklagte nicht zuungunsten der Kläger berücksichtigen.
Der Senat läßt dahingestellt, ob § 176 Abs. 2 AO die subjektive Schutzwürdigkeit des Steuerpflichtigen voraussetzt (vgl. hierzu Tipke/Kruse, AO, § 176 Rdnr. 3). Selbst wenn man das bejahen wollte, erscheinen die Kläger auch schutzwürdig. Sie haben sich nicht treuwidrig verhalten, als sie sich gegen die anteilige Erfassung der bezogenen Entschädigung in den Kalenderjahren 1981 bis 1983 wandten. Sie haben damit die Verwaltungsanweisung in Abschn. 131 Abs. 3 EStR nicht insgesamt in Frage gestellt, zumal darin eine Regelung für den Fall des Übergangs zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG nicht getroffen war. Die begünstigende Verwaltungsanweisung in Abschn. 131 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStR haben die Kläger nicht beanstandet.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Gegen dieses Urteil ist die Revision zugelassen worden.