Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 05.10.2023, Az.: 2 B 4469/23

Abordnung; Beamter; Ermessen; Ermessensausfall; Ermessensfehler; Leitungsaufgaben; Leitungsfunktion; Umsetzung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
05.10.2023
Aktenzeichen
2 B 4469/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 36651
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2023:1005.2B4469.23.00

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Im Falle einer Abordnung eines Beamten hat der Dienstherr Ermessen auszuüben. Ist der Abordnungsbescheid nicht begründet und ergeben sich auch sonst, etwa aus dem Verwaltungsvorgang, keine Anhaltspunkte für eine Ermessensausübung, ist von einem Ermessensausfall auszugehen. Eine Nachholung der Ermessensausübung im gerichtlichen Eilverfahren kommt nicht in Betracht.

  2. 2.

    Nimmt ein Beamter die Aufgaben der Behördenleitung im Zuge einer Vakanzvertretung wahr, handelt es sich bei der Übertragung der Leitungsaufgaben und deren Entzug in der Regel um eine Umsetzung. Eine Umsetzung ist kein Verwaltungsakt. Wendet sich der Beamte gegen den Entzug der Vakanzvertretung, ist ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 30. August 2023 - 2 A 4468/23 - gegen seine Abordnung im Bescheid des Antragsgegners vom 24. August 2023 wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Von den Kosten des Verfahrens haben der Antragsteller ein Drittel und der Antragsgegner zwei Drittel zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen den Entzug ihm übertragener Leitungsaufgaben und gegen seine Abordnung an eine andere Behörde.

Der Antragsteller ist seit dem 1. März 2019 Polizeivizepräsident der Zentralen Polizeidirektion Niedersachsen (ZPD Niedersachsen). Am 3. März 2021 wurde er zum Polizeivizepräsidenten im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit mit Wirkung zum 22. März 2021 ernannt. Am 29. März 2023 wurde er mit Wirkung zum 1. April 2023 mit der Wahrnehmung der Geschäfte der Leitung der ZPD Niedersachsen betraut (Besoldungsgruppe B 4), nachdem die bisherige Präsidentin wegen Dienstunfähigkeit Ende März 2023 in den Ruhestand versetzt wurde und der Dienstposten aufgrund geplanter Gesetzesänderungen zunächst nicht ausgeschrieben werden soll.

Mit Verfügung vom 24. August 2023, dem Antragsteller im Rahmen eines persönlichen Gesprächs ausgehändigt am 28. August 2023, hob der Antragsgegner die Verfügung vom 29. März 2023 mit sofortiger Wirkung auf. Gleichzeitig ordnete er den Antragsteller bis auf weiteres an die Polizeiakademie Niedersachsen ab und übertrug ihm einen nach der Besoldungsgruppe B 2 bewerteten Dienstposten der Koordinierung des Projekts "Digitalisierung in der polizeilichen Bildung". Eine Begründung enthielt die Verfügung nicht. Außerdem wurde dem Antragsteller ein mit Gründen versehenes Schreiben mit Datum vom 24. August 2023 ausgehändigt, wonach gegen ihn ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden sei.

Gegen die Verfügung vom 24. August 2023 hat der Antragsteller am 30. August 2023 Klage erhoben und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung trägt er vor, der angefochtene Bescheid sei weder begründet noch sei eine Anhörung erfolgt. Aus dem Verwaltungsvorgang ergebe sich nur, dass am 22. August 2023 der Leiter der Abteilung 1 des Antragsgegners dem Leiter des Referats 11 der Abteilung 1 geschrieben habe, dass er - der Antragsteller - während des Disziplinarverfahrens zunächst mit anderen Aufgaben im Polizeibereich außerhalb der ZPD betraut werden solle. Daher sei von einem Ermessensnichtgebrauch auszugehen. Dies verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Fürsorgeprinzip. Eine Anhörung sei auch nicht entbehrlich gewesen. Vor Bescheiderlass habe er keine Einzelheiten über die Dienstaufsichtsbeschwerde gekannt.

Dienstliche Gründe im Sinne des § 31 NBG seien weder aus den Akten noch der streitgegenständlichen Abordnungsverfügung ersichtlich. Auch in der Antrags- und Klageerwiderung würden keine konkreten Tatsachen benannt, die ein innerdienstliches Spannungsverhältnis zwischen ihm und den Mitarbeitern nahelegten. Er habe sich darum bemüht, die Differenzen mit Frau E. zu beheben. Auch die Differenzen mit Frau F. hätten beseitigt werden können. Die ordnungsgemäße Erfüllung der Führungsaufgaben stünde nur infrage, wenn die Gefahr bestünde, dass sich der zu untersuchende Führungsfehler während des Disziplinarverfahrens wiederholen könne. Dafür gebe es keine Anhaltspunkte, zumal er die Leitungsaufgaben nicht alleine wahrgenommen habe. Zutreffend sei, dass es zwischen ihm und Frau G., die die Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben habe, Differenzen darüber gebe, ob er die Mitarbeiterinnen, die von dem zu untersuchenden Fehlverhalten von Herrn POR H. betroffen seien, hätte schützen können und müssen und ob Frau G. die Vorgänge benutze, um eigene Interessen zu verfolgen. Sowohl er als auch Frau G. seien in der Lage, den Ausgang des Disziplinarverfahrens abzuwarten, ohne dass der Betriebsfrieden gestört werde. Die Abordnung stelle mangels hinreichender Begründung eine Sanktionierung dar. Dies schade seinem Ansehen massiv, zumal bereits die Presse über den Vorfall berichtet habe. Als milderes Mittel wäre eine Mitteilung an die Mitarbeiter in Betracht gekommen, dass der Antragsgegner den Sachverhalt aufkläre und ihm weitere Beschwerden und etwaige Spannungen zu melden seien. Die Maßnahme sei auch nicht geeignet, den Betriebsfrieden zu wahren; sie habe vielmehr Unruhen ausgelöst. Der Vortrag des Antragsgegners, dass es sich bei der Abordnung um eine "organisatorische Begleitmaßnahme" handele, finde im Gesetz keine Stütze.

Der Antragsteller beantragt,

der Klage gegen die Verfügungen des Antragsgegners mit Schreiben vom 24. August 2023 aufschiebende Wirkung beizumessen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er trägt vor, eine Begründung des Bescheids sei gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG entbehrlich gewesen. Aus dem Schreiben, mit dem der Antragsteller über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens informiert worden sei, ergäben sich die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Für ihn sei unmissverständlich, dass die Abordnung als personalorganisatorische Maßnahme in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Disziplinarverfahren stehe. Darüber hinaus sei dem Antragsteller die Entscheidung inklusive der Ermessenserwägungen im Rahmen des Gesprächs am 28. August 2023 erläutert worden. Hiernach habe man sich für die Dauer der disziplinarrechtlichen Ermittlungen für eine Abordnung als mildeste Maßnahme entschieden, da sich die Vorwürfe auf ein Führungsverhalten des Antragstellers bezögen. Ein solches Vorgehen sei bei der ZPD üblich. Die angefochtene Verfügung enthalte auch deshalb keine Begründung, damit die Gründe für die Einleitung des Disziplinarverfahrens nicht in die Personalakte des Antragstellers gelangten.

Hilfsweise werde die Begründung gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG nachgeholt. Hierzu trägt der Antragsgegner vor, die angefochtene Verfügung stelle eine organisatorische Begleitmaßnahme zur Einleitung der disziplinarrechtlichen Ermittlungen dar. Die erhobenen Vorwürfe bezögen sich auf die Wahrnehmung der Führungsaufgaben des Antragstellers. Die Abordnungsverfügung diene darüber hinaus der Vermeidung möglicher Spannungen im dienstlichen Umfeld. Das dienstliche Interesse, eine geeignete Vorsorge zur Wahrung des Dienstfriedens zu treffen, ergebe sich auch daraus, dass der Antragsteller in einer Stellungnahme vom 15. August 2023 von einem gestörten Vertrauensverhältnis zu einzelnen Beteiligten ausgehe, die wichtige organisatorische Funktionen bei der ZPD wahrnähmen. Sein persönliches Interesse an der Beibehaltung des bisherigen Dienstpostens sei vor diesem Hintergrund zurückzustellen. Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit der neuen Aufgaben lägen nicht vor.

Es liege auch kein Verstoß gegen das Anhörungsgebot aus § 28 Abs. 1 VwVfG vor. Die Ermittlungen gegen den Antragsteller seien aufgrund eines Hinweises der Gleichstellungsbeauftragten des Landespolizeipräsidiums am 14. August 2023 aufgenommen worden. Am 15. August 2023 habe sich der Antragsteller "zu möglichen Vorwürfen" geäußert. Auf diese Stellungnahme sei auch im Gespräch am 28. August 2023 eingegangen worden. Zudem sei an die Möglichkeit der Heilung gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG zu denken. Der Antragsteller werde durch die ausgehändigten Verfügungen, die mündlichen Erläuterungen und die im gerichtlichen Verfahren festgehaltene Begründung in die Lage versetzt, die Maßnahme nachzuvollziehen. Eine eventuelle weitere Stellungnahme des Antragstellers werde berücksichtigt werden. Zudem sei bislang keine endgültige oder unumkehrbare Organisationsentscheidung getroffen worden. Der Personalrat sei nicht zu beteiligen gewesen, da der Antragsteller mit der Besoldungsgruppe B besoldet werde (§ 65 Abs. 3 Nr. 1 NPersVG).

Auch unter materiellen Gesichtspunkten sei die Abordnungsverfügung nicht zu beanstanden. Die dienstlichen Gründe für die Abordnung im Sinne des § 27 NBG ergäben sich aus den disziplinarrechtlichen Ermittlungen. Soweit sich der Antragsteller gegen die Aufhebung der Beauftragung mit der Wahrnehmung der Geschäfte der Leitung der ZPD wende, sei zu berücksichtigen, dass die Beauftragung gesetzlich nicht geregelt sei. Sie sei mit der ebenfalls nicht gesetzlich geregelten Umsetzung vergleichbar, der keine Verwaltungsaktqualität zukomme. Durch die Aufhebung der übertragenen Dienstgeschäfte entfielen Zusatzaufgaben, sodass der Antragsteller ausschließlich Aufgaben seines originären Dienstpostens zu erfüllen habe. Der Antragsteller habe, wie auch der Rechtsgedanke aus § 44 Abs. 1 Satz 1 NBesG zeige, die Aufgaben eines höheren Amtes wahrgenommen, ohne dass ihm dieser Dienstposten vollständig übertragen worden sei. Wesentlich sei, dass die Bedeutung und Folgen der Aufhebung erkannt und bei der Ausübung des Ermessens berücksichtigt worden seien. Als dienstrechtliche Maßnahme falle die Aufhebung der Beauftragung mit der angefochtenen Abordnungsentscheidung zusammen und gehe in ihr auf. Bei entsprechender Anwendung der Verfahrensregeln des (Niedersächsischen) Verwaltungsverfahrensgesetzes gelange man auch hier zu dem Ergebnis, dass eine schriftliche Begründung nicht erforderlich gewesen sei oder - hilfsweise - durch den vorliegenden Vortrag als nachgeholt und geheilt gelte. Auch auf eine Anhörung komme es nicht an. Im Zuge der Beendigung der Beauftragung sei vom personalorganisatorischen Ermessen Gebrauch gemacht worden. Ein individueller Anspruch des Antragstellers auf die Beibehaltung der Beauftragung könne nicht mit Erfolg entgegengehalten werden. Die sachliche Rechtfertigung für die Beendigung ergebe sich aus dem Disziplinarverfahren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist zulässig, soweit sich der Antragsteller gegen seine Abordnung wendet.

Bei der Abordnung des Antragstellers an die Polizeiakademie Niedersachsen handelt es sich um einen Verwaltungsakt (BVerwG, Beschl. v. 17.5.1978 - 1 DB 9.78 -, juris Rn. 11 u. Beschl. v. 15.12.1992 - 1 DB 30.92 -, juris Rn. 11). Die hiergegen gerichtete Klage hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 105 Abs. 2 NBG keine aufschiebende Wirkung. Daher ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung statthaft.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Abordnung hat auch Erfolg (hierzu unter 1.). Soweit sich der Antragsteller gegen den Entzug der ihm bislang übertragenen Dienstgeschäfte wendet, bleibt der Antrag erfolglos (hierzu unter 2.).

1. Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage setzt eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus. Dem öffentlichen Vollzugsinteresse kann dabei nur dann Vorrang eingeräumt werden, wenn der angefochtene Verwaltungsakt voraussichtlich auch im Hauptsacheverfahren Bestand haben, mithin sich als rechtmäßig erweisen wird. Die Abwägung fällt hier zulasten des Antragsgegners aus, weil die Abordnungsverfügung voraussichtlich rechtswidrig ist. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob der Antragsgegner das ihm nach § 27 Abs. 2 NBG zustehende Ermessen ordnungsgemäß erkannt und ausgeübt hat.

Aus dem Verwaltungsvorgang "Nichteinschreiten bei unangemessenem Verhalten eines Mitarbeiters" (Beiakte 002 Bd. 1/1)) ergibt sich für die Kammer das folgende Bild: In einer am 21. August 2023 gegen den Antragsteller erhobenen Dienstaufsichtsbeschwerde wird diesem ein unangemessenes Verhalten im Zusammenhang mit Beschwerden gegen POR H. vorgeworfen. Gegen POR H. werde ermittelt, weil es durch ihn wiederholt zu Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen und Entwürdigungen bis hin zu beleidigenden Äußerungen gegenüber Mitarbeiterinnen gekommen sei. Es wirke so, als ob der Antragsteller aufgrund seiner freundschaftlichen Verbundenheit zu ihm nicht zu einer neutralen Amtsführung fähig sei. Daraufhin fand am 28. August 2023 ein Gespräch mit dem Antragsteller statt. Ihm wurden dabei die streitgegenständliche Verfügung und ein Schreiben ausgehändigt, in dem er über die Einleitung eines gegen ihn selbst gerichteten Disziplinarverfahrens informiert wurde.

Aus der Entbindungs- und Abordnungsverfügung ist nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner Ermessenserwägungen zur Abordnung des Antragstellers angestellt hat. Die Verfügung enthält keine Begründung. Das Informationsschreiben über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens enthält zwar eine Begründung für die Einleitung des Disziplinarverfahrens und fasst zudem eine Stellungnahme des Antragstellers zu den gegen ihn gerichteten Vorwürfen vom 15. August 2023 zusammen. Auf die Abordnung des Antragstellers und das insoweit auszuübende Ermessen wird jedoch nicht eingegangen.

Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen lässt, muss die Ermessensentscheidung der Verwaltung begründet werden, anderenfalls ist sie im Regelfall fehlerhaft (vgl. BFH, Urt. v. 29.5.1990 - VII R 85/89 -, juris Rn. 9; Ausnahmen werden etwa bei Soll-Vorschriften/beim intendierten Ermessen bzw. bei einer Ermessensreduzierung auf Null gemacht). Als Indiz für eine Ermessensunterschreitung dient regelmäßig, wenn die Begründung der Entscheidung - wie hier - die Gesichtspunkte der Abwägung nicht erkennen lässt (Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 3. EL 2022, § 40 VwVfG Rn. 97). Auch aus dem Verwaltungsvorgang ergibt sich nicht, welche konkreten Erwägungen der Antragsgegner bei der angefochtenen Entscheidung angestellt hat. Der nach Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich garantierte gerichtliche Rechtsschutz setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch für eine ordnungsgemäße Ausübung des einer Behörde eingeräumten Ermessens voraus, dass die Behörde offenbart, von welchen Gesichtspunkten sie sich bei der Ausübung des Ermessens hat leiten lassen. Diesem Zweck dient auch die Pflicht zur Begründung von Verwaltungsakten (Nds. OVG, Beschl. v. 13.4.2007 - 2 LB 14/07 -, juris Rn. 64).

Der Antragsgegner trägt vor, die auf den 24. August 2023 datierte Verfügung sei dem Antragsteller im Rahmen eines persönlichen Gesprächs mit Herrn LPP I. am 28. August 2023 ausgehändigt worden (Seite 2 der Klagerwiderung vom 14. September 2023). Dies zeigt, dass die Entscheidung bereits vor dem Gespräch am 28. August 2023 getroffen wurde. Im Verwaltungsvorgang finden sich - wie erwähnt - keine genauen Ermessenserwägungen, etwa in Form eines Vermerks, der dem Antragsteller hätte erläutert werden können. Dass die Abordnungsentscheidung bereits vor dem 28. August 2023 gefallen ist, ergibt sich auch aus dem mit der Klagerwiderung als "Anlage 1" vorgelegten Gedächtnisprotokoll des Herrn DdP J.. Dort heißt es, dass Anlass des Gesprächs am 28. August 2023 gewesen sei, dass Herr LPP I. dem Antragsteller das Einleitungsschreiben eines Disziplinarverfahrens und den streitgegenständlichen Abordnungs- und Übertragungserlass "auszuhändigen hatte". Darüber hinaus sei dem Antragsteller mitgeteilt worden, dass "entschieden worden sei, bis zur dienstrechtlichen Klärung der Vorwürfe seine temporäre Funktion als PP mit sofortiger Wirkung zu beenden und ihn bis auf Weiteres höhengleich (...) abzuordnen.". Weiter wird ausgeführt, dem Antragsteller sei der Erlass ausgehändigt worden, mit dem seine Beauftragung zur Aufgabenwahrnehmung der Geschäfte des Polizeipräsidenten der ZPD Niedersachsen mit sofortiger Wirkung aufgehoben und er an die Polizeiakademie Nienburg abgeordnet werde. Ferner sei dem Antragsteller unter Bezugnahme auf seine bereits erfolgte schriftliche Stellungnahme mitgeteilt worden, dass seine Argumente im weiteren Verfahren geprüft würden.

Es bleibt damit fraglich, ob der Antragsgegner sein Ermessen erkannt hat. Dafür könnte allenfalls die E-Mail des Abteilungsleiters 1, Herrn K., vom 22. August 2023 sprechen, in der vorgeschlagen wird, der Antragsteller sollte nach Einleitung und während des Disziplinarverfahrens mit anderen Aufgaben außerhalb der ZPD betraut werden. Dagegen spricht jedoch der Vortrag in der Klagerwiderung vom 14. September 2023 (dort Seite 2), dass es weder im Geschäftsbereich der ZPD Niedersachsen noch bei anderen Behörden ungewöhnlich sei, dass Abordnungsverfügungen zur vorläufigen Verwendung einer Beamtin oder eines Beamten parallel zu einem Disziplinarverfahren ausgesprochen würden. Dem Antragsteller ist vor dem Gespräch außerdem nicht die Möglichkeit eingeräumt worden, sich zu den Vorwürfen und zur beabsichtigten Versetzung zu äußern. Auch dessen Argumente wären im Rahmen einer Ermessensausübung zu berücksichtigen gewesen. Insoweit hilft es nicht, dass es in dem als Anlage 1 überreichten Gedächtnisprotokoll heißt, dass die Vorwürfe gegen den Antragsteller einen Verbleib in seiner bisherigen Funktion nicht zuließen, weshalb entschieden worden sei, ihn als mildeste Variante bis auf Weiteres abzuordnen. Dies lässt nicht erkennen, dass der Antragsgegner auch Belange des Antragstellers in seine Überlegungen eingestellt und gewichtet hat.

Es ist demnach nicht erkennbar, dass der Antragsgegner bei Bescheiderlass Ermessenserwägungen angestellt hat. Ein vollständiges Fehlen jeder Begründung wie im vorliegenden Fall kann im Eilverfahren nicht nachgeholt werden. § 114 Satz 2 VwGO sieht vor, dass Ermessenserwägungen ergänzt werden können. Bereits nach dem Wortlaut scheidet eine erstmalige Begründung im Eilverfahren aus (VG Wiesbaden, Beschl. v. 8.11.2022 - 3 L 960/22.WI -, juris Rn. 38). Ob die fehlende Anhörung des Antragstellers und die Begründung des Verwaltungsakts ordnungsgemäß im gerichtlichen Verfahren nachgeholt und die Verletzung von Formvorschriften geheilt worden sind, kann daher offenbleiben. Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht auf die ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz des Antragsgegners vom 5. Oktober 2023 an.

2. Soweit der Antragsteller sich im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes seinem Vorbringen nach nicht nur gegen seine Abordnung, sondern sich auch gegen den Entzug der Dienstgeschäfte des Leiters der ZPD wendet und damit auch in Bezug auf diese Maßnahme gerichtlichen Rechtsschutz anstrebt, bleibt sein Antrag ohne Erfolg.

Sein gestellter Antrag, seiner Klage gegen die Verfügungen des Antragsgegners mit Schreiben vom 24. August 2023 aufschiebende Wirkung beizumessen, ist in Bezug auf die vorgenannte Maßnahme nach § 80 Abs. 5 VwGO schon nicht statthaft, da insoweit im Hauptsacheverfahren nur ein Leistungsbegehren in Betracht kommt.

Mit der Beauftragung mit der Wahrnehmung der Geschäfte der Leitung der ZPD Niedersachsen übt der Dienstherr sein ihm zustehendes Direktionsrecht aus. Es handelt sich - wie noch auszuführen sein wird - um eine innerbehördliche Organisationsmaßnahme, die mangels unmittelbarer Außenwirkung keine Verwaltungsaktqualität besitzt. Folglich kann der Antragsteller dem Entzug dieser Beauftragung nicht erfolgreich mit der Anfechtungsklage begegnen; eine aufschiebende Wirkung kann nicht angeordnet werden. Da der Antragsteller durch sein Vorbringen deutlich macht, dass er weiterhin die ihm im März 2023 übertragenen Aufgaben wahrnehmen möchte (siehe vorletzter Absatz im Schriftsatz vom 14. September 2023), geht die Kammer davon aus, dass er auch insoweit einstweiligen Rechtsschutz begehrt. Da er sein Klageziel nur mit einer allgemeinen Leistungsklage erreichen kann, muss er sein Begehren für den vorläufigen Rechtsschutz mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verfolgen. Die Kammer sieht sich nicht dazu veranlasst, insoweit einen entsprechenden Hinweis zu geben und auf eine zusätzliche Antragstellung hinzuwirken, weil ein Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO keinen Erfolg hätte.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis erlassen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder wenn die Regelung aus anderen Gründen nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sowie die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit den §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft zu machen.

Der Antragsteller hat vorliegend bereits keinen Anordnungsgrund, d.h. eine besondere Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht. Wenn - wie hier - im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens mit der begehrten Rückübertragung der Wahrnehmung der Geschäfte der Leitung der ZPD Niedersachsen an den Antragsteller eine Vorwegnahme der Hauptsache verbunden ist, so sind an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes hohe Anforderungen zu stellen. Ein Anordnungsgrund besteht deswegen in Fällen solcher Art nur, wenn dem betroffenen Beamten in sonstiger Weise ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere, (schlechthin) unzumutbare Nachteile drohen, die sich auch bei einem späteren Erfolg im Hauptsacheverfahren nicht mehr ausgleichen lassen (OVG NRW, Beschl. v. 21.3.2019 - 6 B 1459/18 -, juris Rn. 18 ff. m.w.N.). Hierzu hat der Antragsteller nichts vorgetragen und entsprechendes ist auch nicht ersichtlich.

Darüber hinaus hat der Antragsteller auch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Beim Entzug von Leitungsaufgaben handelt es sich - wie oben ausgeführt - nicht um einen Verwaltungsakt (BVerwG, Urt. v. 22.5.1980 - 2 C 30.78 -, juris Rn. 16). Mit Schreiben vom 29. März 2023 wurde der Antragsteller mit Wirkung zum 1. April 2023 mit der Wahrnehmung der Geschäfte der Leitung der ZPD Niedersachsen beauftragt. Die Übertragung dieser Führungsfunktion ist vorübergehender Natur. Der Antragsteller sollte die Aufgaben wahrnehmen, weil die bisherige Präsidentin wegen Dienstunfähigkeit Ende März 2023 in den Ruhestand versetzt wurde. In einer Unterrichtung der Niedersächsischen Landesregierung aus März 2023, die seiner Personalakte zu entnehmen ist (Blatt 276 ff. BA 1 Bd. 3), wird ausgeführt, dass vorgesehen sei, den Dienstposten des Polizeipräsidenten bzw. der Polizeipräsidentin (erst) nach geplanten Gesetzesänderungen des Niedersächsischen Beamtengesetzes und des Niedersächsischen Besoldungsgesetzes auszuschreiben. Es handelt sich damit nur um eine Vakanzvertretung, die einer Umsetzung gleichkommt (vgl. OVG Berl.-Bbg., Beschl. v. 4.12.2007 - OVG 4 L 38.07 -, juris Rn. 1). Folglich kann der Antragsteller die Rückübertragung der Führungsaufgaben nur durch eine Leistungsklage erreichen, wobei ein entsprechender Anspruch darauf nicht ersichtlich ist.

Zwar muss der Dienstherr auch im Rahmen von gesetzlich nicht geregelten Organisationsmaßnahmen wie einer Umsetzung eine Ermessensentscheidung treffen, die im vorliegenden Fall (ebenso wie die Abordnungsverfügung) nicht dokumentiert ist. Allerdings ist der Beamte gegen die Entziehung von dienstlichen Aufgaben des funktionellen Amtes im konkreten Sinne (Dienstposten) in erheblich geringerem Maße als gegen die Entziehung des Amtes im statusrechtlichen Sinne und auch des funktionellen Amtes im abstrakten Sinne (u.a. durch Versetzung) geschützt. Dem Dienstherrn kommt insoweit ein sehr weites Ermessen zu. Die Ermessensentscheidung kann bei einer Umsetzung nur darauf überprüft werden, ob sie durch einen Ermessensmissbrauch maßgebend geprägt ist (BVerwG, Urt. v. 22.5.1980 - 2 C 30.78 -, juris Rn. 23 ff.). Danach kann der Dienstherr aus jedem sachlichen Grund den Aufgabenbereich des Beamten verändern, solange diesem ein amtsangemessener Aufgabenbereich verbleibt. Besonderheiten des bisherigen Aufgabenbereichs des dem Beamten übertragenen Amtes, wie z.B. der Vorgesetztenfunktion, Beförderungsmöglichkeiten oder einem etwaigen gesellschaftlichen Ansehen, kommt keine das Ermessen des Dienstherrn bei der Änderung des Aufgabenbereichs einschränkende Wirkung zu (BVerwG, Urt. v. 28.11.1991 - 2 C 41.89 -, juris Rn. 19). Nichts Anderes kann gelten, wenn es - wie hier - um die Rückübertragung von Leitungsaufgaben geht. Anhaltspunkte, die für ein missbräuchliches oder gar willkürliches Verhalten des Antragsgegners sprechen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Antragsgegner rechtfertigt den Entzug der Führungsfunktion des Antragstellers mit dem gegen ihn geführten Disziplinarverfahren. Soweit der Antragsteller seine Abordnung (und damit wohl auch die Umsetzung) als Sanktionierung ansieht, reicht dies allein noch nicht aus, um von einem Missbrauch durch den Antragsgegner ausgehen zu können. Die Argumentation des Antragsgegners, bis zur Entscheidung über das Disziplinarverfahren den Antragsteller von seinen Leitungsaufgaben zu entbinden, ist nachvollziehbar, zumal dem Antragsteller in Bezug auf diese Aufgaben bislang keine gesicherte Position zukommt. Ihm sind diese Aufgaben nur vertretungsweise übertragen worden; über die endgültige Nachbesetzung soll nach dem unbestrittenen Vorbringen des Antragsgegners nach Stellenausschreibung im Rahmen eines Auswahlverfahrens entschieden werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und berücksichtigt das jeweilige Obsiegen und Unterliegen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt für die Abordnung aus § 52 Abs. 2 GKG. Eine Halbierung des Auffangstreitwertes erfolgt in Anlehnung an die Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschl. v. 30.10.2019 - 5 ME 105/19 -) nicht. Für die Umsetzung nimmt die Kammer einen Streitwert von 2.500,00 EUR an, da ihr in Bezug auf die Abordnung nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt. Eine Reduzierung dieses Wertes im Eilverfahren unterbleibt, denn der Antragsteller begehrt der Sache nach eine Vorwegnahme der Hauptsache.