Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 10.10.2023, Az.: 10 A 5223/19

Beschwerde; Datenschutzverstoß; DS-GVO; Eingabe; Nichtanwendbarkeit der DS-GVO; Petition; Übergangsvorschrift; Prüfungsmaßstab bei der Rüge eines Datenschutzverstoßes vor Geltung der DS-GVO

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
10.10.2023
Aktenzeichen
10 A 5223/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 42179
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2023:1010.10A5223.19.00

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die DS-GVO findet wegen ihres Art. 99 Abs. 2 keine Anwendung auf Datenverstöße, die sich vor dem 25. Mai 2018 ereignet haben. Eine Übergangsvorschrift existiert im deutschen Recht nicht.

  2. 2.

    Die Regelungen der DS-GVO, aus denen sich nach Auffassung der überwiegenden Rechtsprechung ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung über das ob und das wie eines aufsichtsrechtlichen Tätigwerdens der unabhängigen Aufsichtsbehörde und im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null auch einen Anspruch auf ein konkretes Einschreiten der Aufsichtsbehörde ergeben kann, sind auf einen gerügten Datenschutzverstoß vor Geltung der DS-GVO nicht anwendbar. Die Prüfung des Gerichts ist darauf beschränkt, ob die Eingabe entgegengenommen, sachlich und rechtlich geprüft und das Ergebnis der Prüfung mitgeteilt wurde.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung des Beklagten, dass bei der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten durch die D. keine datenschutzrechtlichen Verstöße vorliegen und begehrt die Fortführung des Prüfverfahrens.

Im Jahr 2008 zog sich die Klägerin bei einem Autounfall als Beifahrerin eine instabile Fraktur des fünften Lendenwirbelkörpers mit einer anfänglich inkompletten Querschnittssymptomatik zu. In der Folgezeit wurde ihr fünfter Lendenwirbelkörper in mehreren Operationen durch einen Titan-Wirbelkörper ersetzt.

Die Klägerin nahm nach dem Unfall ihre private Unfallversicherung, die D., in Anspruch. Außerdem machte sie zivilrechtliche Schadensersatzforderungen gegenüber der Mecklenburgischen Versicherung als Haftpflichtversicherung des unfallverursachenden Fahrers geltend. Die Haftpflichtversicherung des Fahrers übernahm die aufgrund des Unfalles entstandenen Kosten für medizinische Leistungen und Heil- und Hilfsmittel. Die Krankenversicherung der Klägerin trat dafür in Vorleistung.

Durch intensive krankengymnastische Übungsbehandlungen und eine Rehabilitation erholte sich die Klägerin in den ersten zehn Monaten nach dem Unfall zunächst so weit, dass sie in der Rehabilitationsklinik wieder Wegstrecken von bis zu drei Kilometern ohne Hilfsmittel zurücklegen konnte. Sie erhielt seit Juni 2009 Pflegeleistungen der Pflegestufe I. Nach ihrem Umzug nach B-Stadt verschlechterte sich ihr gesundheitlicher Zustand, sodass sie wieder im Rollstuhl saß und nur wenige Schritte mit Unterarmstützen laufen konnte. Aufgrund einer erneuten Begutachtung wurde ihr seit Juli 2010 Pflegestufe II gewährt.

Die D. hielt die gravierende Verschlechterung im Heilungsverlauf nicht für plausibel. Deswegen beauftragte sie eine Detektei, die Fotos von der Klägerin anfertigte (u.a. beim Tragen ihres Kindes und bei einem Spaziergang mit einem Hund) und führte Internet-Recherchen durch, die sich auch auf den Lebensgefährten der Klägerin erstreckten.

Auf Betreiben der Mecklenburgischen Versicherung unterzog sich die Klägerin im Mai 2012 einer Begutachtung in dem E. }, auf deren Grundlage ein Invaliditätsgrad von 40 Prozent anerkannt wurde.

Im August 2012 beauftragte die D. den Chirurg Herrn Dr. F. mit der Beurteilung des gesundheitlichen Zustandes der Klägerin und übermittelte ihm zu diesem Zweck ihr vorliegende Berichte und Gutachten über den gesundheitlichen Zustand der Klägerin.

In seiner chirurgisch-traumatologischen Stellungnahme vom 5. Dezember 2012 kam Herr F. zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine Invalidität von 30 Prozent anzunehmen sei. Er führte weiter aus: Der medizinische Sachverhalt sei bekannt. Es seien "zahlreiche ärztliche Befund- und Behandlungsberichte sowie auch gutachterliche Zusammenfassungen im Aktenauszug vorhanden". Wolle man die Verletzungsfolgen mit einem geringeren Invaliditätsgrad bemessen, müsse der medizinische Sachverhalt umfangreich aufgeklärt werden. Unter anderem sei ein "Konversionssyndrom" auszuschließen, bei dem Patienten über neurologische Symptome klagten, für die sich keine organische Ursache finde; diese seien als psychische Störung von der Regulierung von der Versicherung ausgenommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Stellungnahme des Herrn F. verwiesen (Bl. 39 ff. Gerichtsakte).

Die D. teilte ihre durch die Detektei gesammelten Erkenntnisse sowie das Ergebnis der Begutachtung durch Herrn F. per "Mitteilung nach § 197a SGB V" der Staatsanwaltschaft B-Stadt mit. Außerdem forderte sie die Klägerin auf, sich ergänzend neurologisch untersuchen zu lassen, was sie ablehnte.

In der Folgezeit setzten sich die Klägerin und die D. zivilgerichtlich über die Höhe des der Klägerin zustehenden Invaliditätsanspruches auseinander.

Im April 2018 wandte sich die Klägerin (zunächst vertreten durch ihren Lebensgefährten) an die Beklagte. Sie beanstandete, dass die D. medizinische Dokumente an einen ihr nahestehenden Gutachter - Herrn F. - weitergegeben habe. Es habe keine Entbindung von der Schweigepflicht vorgelegen. Aufgrund der mutwillig zu niedrigen Begutachtung sei der Klägerin ein Vermögensschaden entstanden. Die übermittelten Befunde seien nicht anonymisiert worden. Über die Schadensnummer, Geburtsdatum und Unfalltag könne man auf ihre Identität schließen. In seinem Gutachten habe Herr F. selbst zugegeben, dass er schon lange in diesen Fall involviert sei; er verwende computertomographische Bilder der Klägerin, die sämtlich ihren Namen und ihr Geburtsdatum trügen. Es sei unklar, wie die CD mit den Befunden der Klägerin in die Hände der Mecklenburgischen Versicherung gelangt sei.

Unter dem 26. Mai 2018 wandte sich der Beklagte an die D. und unterrichtete sie über die Beanstandungen der Klägerin. Sie bat um Vorlage der Schweigepflichtentbindungserklärung, um Auskunft über die zur Klägerin derzeit gespeicherten Daten zu erlangen, sowie um Mitteilung, auf welcher Rechtsgrundlage und aus welchen Gründen die Weitergabe der medizinischen Dokumente erfolgt sei. Über dieses Vorgehen unterrichtete sie die Klägerin.

Die D. teilte unter dem 28. August 2018 mit, sie sei zur Feststellung der Berechtigung der geltend gemachten Ansprüche darauf angewiesen, die Unfallfolgen medizinisch feststellen zu lassen. Auf Basis der ihr bis dahin vorgelegten Gutachten, in denen nicht kritisch hinterfragt worden sei, wie die erhebliche Verschlechterung der Gehfähigkeit der Klägerin etwa ein Jahr nach dem Unfall zu erklären sei, habe sie eine sachliche Beurteilung der Leistungspflicht nicht vornehmen können. Mitarbeiter einer Versicherungsgesellschaft verfügten regelmäßig nicht selbst über medizinische Fachkenntnisse, sodass die Expertise eines Sachverständigen, der die erforderliche versicherungsmedizinische Qualifikation besitze, einzuholen gewesen sei. Eine Weitergabe personenbezogener Daten an den Gutachter sei nicht erfolgt. Der Gegenstand des Gutachtenauftrages habe sich ausschließlich auf die versicherungsmedizinische Beurteilung des Sachverhaltes ohne Bezug auf relevante personenbezogene Daten bezogen. Soweit ihm bereits vorhandene Unterlagen - Kopien der Arztberichte - vorgelegt worden seien, sei dies in geschwärzter Form erfolgt. Es habe sich danach um medizinische Informationen zu einer abstrakten weiblichen Person im Alter der Klägerin gehandelt. Sie fügte ihrem Schreiben eine allgemeine Schweigepflichtentbindungserklärung und eine im Rahmen der Beauftragung des Reha-Dienstes "Gen Re Rehabilitationsdienst GmbH" eingeholte Einwilligung bei (Bl. 57 f. des Verwaltungsvorgangs). Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Mecklenburgischen Versicherung, insbesondere zu der Übersicht aller zur Klägerin dort gespeicherten Daten, wird auf das Schreiben vom 26. August 2018 verwiesen (Bl. 50 ff. des Verwaltungsvorgangs).

Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 26. September 2018 mit, dass sie nicht tätig werden könne, weil keine personenbezogenen Daten an Herrn F. übermittelt worden seien. Sie schließe den Vorgang ab.

Dem widersprach die Klägerin mit Schreiben vom 12. Oktober 2018. Sie meint, selbst wenn die Anonymisierung ihrer Daten zwecks Weitergabe erfolgt sei, was sie bestreite, hätte bereits diese eines Erlaubnistatbestands bedurft. Dass Herr F. bereits im Vorfeld mit ihrem Fall betraut gewesen sei, könne aus seiner Formulierung "der medizinische Sachverhalt ist bekannt" sowie daraus, dass er den Namen einer Assistenzärztin genannt habe, gefolgert werden. Weiter habe er ausgeführt, ihm habe eine Kontrolluntersuchung durch Computertomographie der Lendenwirbelsäule "in Kopie" vorgelegen. Es sei nicht möglich, die auf einer CD gespeicherten, personenbezogenen Daten zu schwärzen. Schon beim Öffnen der CD sowie auf jedem einzelnen Bild erscheine ihr vollständiger Name sowie ihr Geburtsdatum. Die D. habe die Gutachten aus G. und H. außerdem nicht anonymisiert an die Staatsanwaltschaft in G. sowie medizinische Daten nicht anonymisiert an einen Rechtsanwalt, ihre Krankenkasse und drei verschiedene Gutachter übersandt.

Daraufhin bat die Beklagte die D. um Stellungnahme zu den von der Klägerin vorgebrachten Punkten und fügte das Schreiben der Klägerin vom 12. Oktober 2018 bei.

Die D. nahm unter dem 27. März 2019 Stellung. Sie wiederholte ihr bisheriges Vorbringen und ergänzte, dass die in sich anonymisierten Unterlagen im Rahmen eines bestehenden Mandatsverhältnisses an einen Rechtsanwalt übermittelt worden seien. Die Rechtsgrundlage dafür sei § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG-alt gewesen. Eine Übermittlung von Unterlagen an die weiteren, von der Klägerin genannten Personen, sei nicht erfolgt. I. und J. seien von der Kammer des Landgerichts C-Stadt als Gutachter bestellt worden und hätten durch die Übersendung der Gerichtsakte in dem Prozess Kenntnis von dem Prozessstoff erlangt. Die von der Klägerin angesprochene CD habe Herrn F. nicht vorgelegen, wenngleich sie einräume, dass die entsprechende Formulierung in seinem Gutachten missverständlich sei. Betrachte man die Formulierung jedoch im Kontext des gesamten Abschnittes, werde deutlich, dass die CD nicht ihm selbst, sondern dem E. } vorgelegen habe und sie dort ausgewertet worden sei. Der genannte Name der Assistenzärztin betreffe keine personenbezogenen Daten der Klägerin.

Mit Bescheid vom 1. Oktober 2019 stellte der Beklagte fest, dass die von ihr geprüfte Verarbeitung der personenbezogenen Daten der Klägerin durch die D. datenschutzrechtlich nicht zu beanstanden sei und beendete das eingeleitete Verfahren (Bl. 175 des Verwaltungsvorgangs). Zur Begründung wiederholte er im Wesentlichen das Vorbringen der Mecklenburgischen Versicherung; abweichend davon meint er, dass für die Übermittlung der Unterlagen an Herrn F. als einschlägige Rechtsgrundlage § 28 Abs. 8 i.V.m. Abs. 6 Nr. 3 BDSG-alt heranzuziehen sei.

Dagegen hat die Klägerin am 4. November 2019 Klage erhoben. Sie führt ergänzend zu ihrem bisherigen Vortrag aus: Das Schwärzen von Name und Anschrift genüge nicht, wenn Dokumente weitere personenbezogene Daten enthielten, die eine Identifizierung der sie betreffenden Person ohne unverhältnismäßig hohen Aufwand ermöglichten. Dem Gutachten des Herrn F. ließen sich zahlreiche Identifikatoren im Sinne des BDSG entnehmen, über die der Gutachter keine Kenntnis gehabt hätte, wären die ihm übermittelten Unterlagen ausreichend anonymisiert worden. Dazu zähle die Schadensidentifikationsnummer, Zeiträume und Orte vorangegangener Untersuchungen, medizinische Befunde - besonders in Kombination mit Zeiträumen und Orten der Untersuchungen und aufgrund der Seltenheit des Krankheitsbildes -, Bezugnahme auf eine computertomographische Untersuchung, weil Name und Geburtsdatum auf den Bildern nicht unkenntlich gemacht werden könnten, die Erwähnung der Geburt des ersten Kindes der Klägerin sowie Nennung der Körpergröße und des Gewichts. Sie meint, eine Weitergabe medizinischer Daten könne grundsätzlich nur nach Entbindung der Schweigepflicht der jeweiligen Person erfolgen. Die Möglichkeit, der Verbreitung derart sensibler Daten entgegenzuwirken, würde ad absurdum geführt, wenn einfache wirtschaftliche Geschäftszwecke der Gegenseite ausreichen würden, um von diesem Erfordernis abzurücken.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das Prüfverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts fortzuführen und zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er meint, es könne dahinstehen, ob die Anonymisierung der Daten als solche bereits einer Einwilligung bedurft habe, weil die an Herrn Dr. F. übersandten Unterlagen unstreitig nicht anonymisiert, sondern nur pseudonymisiert worden seien. Die Übermittlung der Daten habe dem Zweck gedient, die Leistungspflicht der Mecklenburgischen Versicherung zu prüfen und sei zur Verteidigung rechtlicher Ansprüche erforderlich gewesen. Es sei auch kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse der Klägerin daran ersichtlich, dass das Übermitteln der Daten unterbleibe. Durch die Pseudonymisierung der Daten seien die Interessen der Klägerin bestmöglich geschützt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte das Prüfverfahren gegen die D. fortführt.

1. Auf den vorliegenden Fall findet die Verordnung (EU) Nr. 2016/679 des Europäischen Parlamentes und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung, hiernach: DS-GVO) keine Anwendung.

Grundsätzlich ist für Frage, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage abzustellen ist, bei Leistungs- oder Verpflichtungsklagen - wie hier - auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen (vgl. dazu Hamb. OVG, Urteil vom 7.10.2019 - 5 Bf 279/17 -, juris Rn. 40). Aufgrund der Bindung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG sind dabei aber Rechtsänderungen, die vor der behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts in Kraft getreten sind, bei der Entscheidung zu beachten, sofern das neu in Kraft gesetzte Recht nichts anderes bestimmt. Durch seine Auslegung ist zu ermitteln, ob das klägerische Begehren noch nach altem, also dem aufgehobenen oder nach dem inhaltlich geänderten Recht zu beurteilen ist (vgl. Decker in BeckOK VwGO, 66. Ed. 1.7.2023, VwGO § 113 Rn. 74.1; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.3.2004 - 8 C 5/03 -, juris Rn. 35 f.)

Danach findet die DS-GVO auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Die Anwendbarkeit der DS-GVO ist in deren Art. 99 Abs. 2 DS-GVO festgelegt. Danach gilt die DS-GVO erst seit dem 25. Mai 2018. Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten beanstandet, dass sie betreffende medizinische Unterlagen im Jahr 2012 an einen Gutachter weitergegeben worden sind. Zu Sachverhalten, die sich vor Geltung der DS-GVO ereignet haben, enthält die DS-GVO keine expliziten Regelungen. Eine Übergangsvorschrift, die die Geltung der DS-GVO auch für Sachverhalte vor diesem Datum anordnet, existiert im deutschen Recht nicht. Im österreichischen Recht findet sich eine Regelung, welche die Anwendung des neuen Rechts, also der DS-GVO, explizit auch für Sachverhalte vor dem Inkrafttreten der DS-GVO anordnet, wenn die Fälle noch bei den Aufsichtsbehörden liegen (vgl. zu allem: VG Ansbach, Urteil vom 22.9.2021 - AN 14 K 19.01274 -, juris Rn. 21 m.V.a. VGH der Republik Österreich, Beschluss vom 5.6.2020 - VwGO RO 2018/04/0023 -, abrufbar über das Rechtsinformationssystem des Bundes, https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Vwgh&Dokumentnummer=JWT_2018040023_20200605J00, zuletzt abgerufen am 10.10.2023).

Das Inkrafttreten der DS-GVO stellt nach deren Art. 99 eine klare Zäsur zwischen dem alten und dem neuen Recht dar. Da der deutsche Gesetzgeber keine Übergangsvorschrift erlassen hat, die unter bestimmten Umständen eine Anwendung des neuen Rechts auch auf vor deren Geltung begangene Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften angeordnet hat, unterliegen vor diesem Datum erfolgte Verstöße vollständig dem alten Recht (VG Ansbach, Urteil vom 22.9.2021 - AN 14 K 19.01274 -, juris Rn. 44).

2. Aus der Nichtanwendbarkeit der DS-GVO auf den vorliegenden Fall folgt, dass die Rüge, welche die Klägerin wegen der Weitergabe sie betreffender, medizinischer Unterlagen im April 2018 gegenüber dem Beklagten erhoben hat, keine "Beschwerde" im Sinne des Art. 77 DS-GVO darstellen kann, sondern nur als eine "Eingabe" im Sinne des Art. 28 Abs. 4 der (inzwischen außer Kraft getretenen) Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr vom 24. Oktober 1996 (hiernach: RL 95/46/EG) anzusehen sein kann. Für vor dem 25. Mai 2018 liegende Verstöße gegen die Datenschutzrichtlinie werden Aufsichtsbehörden und Gerichte grundsätzlich nach dem bisherigen Rechtsregime tätig (vgl. VG Ansbach, Urteil vom 22.9.2021 - AN 14 K 19.01274 -, juris Rn. 38 m.V.a. Hornung/Spiecker in Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann, Datenschutzrecht, 1. Auflage 2019, Art. 99 DS-GVO, Rn. 4).

3. Die Eingabe der Klägerin gemäß Art. 28 Abs. 4 RL 95/46/EG kann keinen Anspruch auf aufsichtsbehördliches Einschreiten begründen.

Die überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur hat die Auffassung vertreten, dass die Eingabe gemäß Art. 28 Abs. 4 RL 95/46/EG petitionsähnlich ausgestaltet gewesen ist und die gerichtliche Prüfung sich daher darauf beschränkt hat, ob die Eingabe entgegengenommen, sachlich und rechtlich geprüft und das Ergebnis mitgeteilt worden war (vgl. VG Ansbach, Urteil vom 22.9.2021 - AN 14 K 19.01274 -, juris Rn. 21 m.V.a. BayVGH, Beschluss vom 23.3.2015 - 10 C 15.165 - BeckRS 2016, 44250; Döhmann in Simitis, BDSG a.F., 8. Auflage 2014, § 21 Rn. 18; Gola/Schomerus, BDSG, Kommentar, 11. Auflage 2012, § 21 Rn. 6; Körffer in Paal/Pauly, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Auflage 2018, Art. 77 Rn. 5; Will, ZD 2020, 97; vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 23.7.2013 - 11 PA 145/13 -, n.v.). Ein Anspruch auf aufsichtsbehördliches Einschreiten bestand dagegen nicht (Brink in BeckOK Datenschutzrecht, 22. Edition Stand 1.11.2017, § 38 BDSG, Rn. 51).

Die Regelungen der DS-GVO, aus denen sich nach Auffassung der überwiegenden Rechtsprechung ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung über das "ob" und das "wie" eines aufsichtsrechtlichen Tätigwerdens der unabhängigen Aufsichtsbehörde und - im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null - auch einen Anspruch auf ein konkretes Einschreiten der Aufsichtsbehörde ergeben kann, sind hier nicht anwendbar (vgl. zum Prüfungsumfang des Gerichts nach der DS-GVO OVG Hamburg, Urteil vom 7.10.2019 - 5 Bf 279/17 -, juris Rn. 63 ff. m.w.N.; VG Stuttgart, Urteil vom 11.11.2021 - 11 K 17/21 -, juris Rn. 90 f.; VG Wiesbaden, Beschluss vom 31.8.2021 - 6 K 226/21.WI -, juris; Urteil vom 7.6.2021 - 6 K 307/20.WI -, juris Rn. 37; VG Hamburg, Urteil vom 1.6.2021 - 17 K 2977/19 -, juris; VG Mainz, Urteil vom 16.1.2020 - 1 K 129/19.MZ -, juris; zur gegenteiligen Auffassung vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26.10.2020 - 10 A 10613/20 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.1.2020 - 1 S 3001/19 -, juris). Insoweit wird mit den Erwägungsgründen 11, 142 und 143 der DS-GVO und Art. 57 Abs. 1 lit. f DS-GVO, der den Aufsichtsbehörden für das Beschwerdeverfahren konkrete Aufgaben zuweist, argumentiert (vgl. statt vieler: OVG Hamburg, Urteil vom 7.10.2019 - 5 Bf 279/17 -, juris Rn. 63 ff.). Diese Argumente können aber für den vorliegenden Fall nicht herangezogen werden. Der Erwägungsgrund 142 stellt nur auf die "Rechte nach dieser Verordnung" ab. Die Sätze 4 und 5 des Erwägungsgrundes 143 nennen zwar nicht ausdrücklich "diese Verordnung", nach ihrem Sinn und Zweck stellen sie jedoch auf die durch die DS-GVO ab ihrem Geltungsbeginn geschaffene Rechtslage ab und sprechen damit ebenfalls gegen einen Gleichlauf des gerichtlichen Prüfungsumfangs vor und nach dem Geltungsbeginn der DS-GVO. Nach Erwägungsgrund 11 erfordert ein wirksamer Schutz von personenbezogenen Daten die Stärkung der Rechte der Betroffenen. Diese Stärkung der Rechte der Betroffenen soll aber, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang ergibt, gerade durch die DS-GVO erfolgen. Demnach lässt sich für den hier zu entscheidenden Fall, in dem die beanstandete Weitergabe von medizinischen Unterlagen Jahre vor Inkrafttreten der DS-GVO stattgefunden hat, aus den Erwägungsgründen nichts für die Rechtsauffassung der Klägerin ableiten. Anhaltspunkte dafür, dass diese Stärkung der Rechte der Betroffenen auch für Verstöße vor dem Inkrafttreten der DS-GVO gegen das zu diesem Zeitpunkt maßgebliche materielle Datenschutzrecht gelten soll, lassen sich daraus aber wiederum nicht ableiten (VG Ansbach, Urteil vom 22.9.2021 - AN 14 K 19.01274 -, juris Rn. 42).

Ebenso wenig kann Art. 57 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO für die Begründung eines über das alte Recht hinausgehenden Prüfungsumfangs herangezogen werden. Denn auch diese Bestimmung gilt nur für Beschwerden wegen einer Verletzung der DS-GVO i.S.v. Art. 77 DS-GVO. Dies ist aber nach den obigen Ausführungen hier nicht der Fall.

4. Danach ergibt sich bei Anwendung des hier einschlägigen Rechts, dass die gerichtliche Prüfung darauf beschränkt ist, ob die Eingabe der Klägerin von dem Beklagten entgegengenommen, sachlich und rechtlich geprüft und dass der Klägerin das Ergebnis der Prüfung mitgeteilt wurde. Dies ist hier der Fall. Der Beklagte hat den von der Klägerin im April 2018 mitgeteilten Sachverhalt an die D. weitergeleitet und diese zur Stellungnahme sowie ggf. zur Vorlage einer Schweigepflichtentbindungserklärung aufgefordert. Es ist zwar nicht erkennbar, dass sie auf Grundlage der Stellungnahme der Mecklenburgischen Versicherung eine eigene rechtliche Prüfung vorgenommen hat, bevor sie der Klägerin mitgeteilt hat, dass keine personenbezogenen Daten weitergegeben worden sind. Sie hat die D. aber jedenfalls auf den Widerspruch der Klägerin gegen die Einstellung des Verfahrens vom 12. Oktober 2018 erneut zur Stellungnahme aufgefordert. Deren umfangreiche Stellungnahme hat sie in dem Bescheid vom 1. Oktober 2019 gewürdigt, seine - in Teilen von der Mecklenburgischen Versicherung abweichende - Rechtsauffassung kundgetan und das Ergebnis der Prüfung mitgeteilt.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.