Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.11.2016, Az.: 11 OB 232/16

Abgabenverhältnis; Finanzrechtsweg; Insolvenzschuldner; Insolvenzverwalter; öffentlich rechtliche Streitigkeit; Rechtsweg; Rechtswegverweisung; Sonderzuweisung; Steuerkontoauszug; Verwaltungsrechtsweg

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.11.2016
Aktenzeichen
11 OB 232/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43493
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 22.09.2016 - AZ: 1 A 563/15

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Für einen auf § 16 Abs. 1 und Abs. 3 NDSG gestützten Anspruch des gerichtlich bestellten Insolvenzverwalters gegen das Finanzamt auf Erteilung eines Auszuges des Steuerkontos des Insolvenzschuldners ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet.

Tenor:

Die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 1. Kammer - vom 22. September 2016 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt als gerichtlich bestellter Insolvenzverwalter über das Vermögen des Insolvenzschuldners B. von dem beklagten Finanzamt, ihm einen umfassenden Steuerkontoauszug für das Konto des Insolvenzschuldners zu erteilen.

Diesen Anspruch hat der Beklagte mit Bescheid vom 23. September 2014 abgelehnt. Den Einspruch des Klägers hat der Beklagte mit Bescheid vom 9. März 2015 zurückgewiesen. Hiergegen hat der Kläger am 25. März 2015 bei dem Verwaltungsgericht Klage erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, der Verwaltungsrechtsweg sei eröffnet, der streitgegenständliche Anspruch stehe ihm nach § 16 Abs. 1 und Abs. 3 NDSG zu und besondere Rechtsvorschriften, insbesondere solche der Abgabenordnung, die diese Anspruchsgrundlage nach § 2 Abs. 6 NDSG verdrängten, bestünden nicht.

Das Verwaltungsgericht hat auf die Rüge des Beklagten, der Verwaltungsrechtsweg sei nicht gegeben, nach Anhörung der Beteiligten mit dem angefochtenen Beschluss den Verwaltungsrechtsweg für zulässig erklärt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, dass es sich bei dem Rechtsstreit um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handele, die nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sei. Insbesondere handele es sich nicht um eine Streitigkeit über Abgabenangelegenheiten, für die gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 2 FGO der Finanzrechtsweg gegeben sei. Die Abgrenzung des einschlägigen Rechtsweges sei danach zu treffen, welcher Art das Klagebegehren nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt sei, wobei maßgebend die Rechtsnatur des erhobenen Anspruchs sei, wie sie sich aus dem tatsächlichen Vorbringen des klagenden Beteiligten ergebe. Es sei bereits höchstrichterlich geklärt, dass für eine auf landesrechtliche Informationsfreiheitsgesetze gestützte Klage des Insolvenzverwalters gegenüber einem Finanzamt auf Akteneinsicht und Auskunftserteilung der Verwaltungsrechtsweg gegeben sei. Dieser Anspruch wurzele weder im Abgabenverhältnis, da er eigenständig neben einem etwaigen Anspruch auf der Grundlage der Abgabenordnung stehe, noch wurzele er im Steuerrechtsverhältnis des Insolvenzschuldners, da der Insolvenzverwalter nicht in Erfüllung der steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners, sondern im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger tätig sei. Nichts anderes gelte für einen auf das Niedersächsische Datenschutzgesetz gestützten Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters. Der Anspruch nach § 16 Abs. 1 und Abs. 3 NDSG sei den Regelungen der landesrechtlichen Informationsfreiheitsgesetze nachgebildet. Die Vorschriften über den Schutz des Steuergeheimnisses stellten lediglich eine steuerrechtliche Vorfrage dar. Schließlich sei der Verwaltungsrechtsweg nicht deshalb ausgeschlossen, weil die materielle Rechtsgrundlage, für die der beschrittene Rechtsweg an sich zulässig sei, offensichtlich nicht gegeben sei. Denn die Frage, ob § 2 Abs. 6 NDSG eine sogenannte bereichsspezifische Ausnahme für Ansprüche auf Akteneinsicht in Steuerdaten darstelle, bedürfe einer eingehenden Beurteilung im Rahmen der materiellen Prüfung des geltend gemachten Anspruchs.

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Beschwerde. Er beantragt, den Rechtsstreit unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung an das Niedersächsische Finanzgericht zu verweisen.

II.

Die zulässige Beschwerde des Beklagten ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass es sich bei dem vorliegenden Rechtsstreit um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handelt, die nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist. Der Senat macht sich daher die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu Eigen und verweist auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Die Beschwerdebegründung des Beklagten, der Rechtsstreit sei nach § 33 Abs. 1 und Abs. 2 FGO als abdrängende Sonderzuweisung im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO dem Finanzrechtsweg zuzuordnen, greift nicht durch. Insbesondere handelt es sich nicht um eine Abgabenangelegenheit im Sinne des § 33 Abs. 2 FGO.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Abgrenzung des einschlägigen Rechtsweges danach zu treffen ist, welcher Art das Klagebegehren nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt ist, wobei die Rechtsnatur des erhobenen Anspruches maßgebend ist. Der Kläger beruft sich als Anspruchsgrundlage für sein Begehren auf die landesrechtliche Vorschrift des § 16 Abs. 1 und Abs. 3 NDSG, die Behörden als Träger hoheitlicher Gewalt verpflichtet und daher dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist. Dies stellt auch der Beklagte nicht in Abrede. Entgegen seiner Ansicht besteht keine offensichtlich gegebene bereichsspezifische Sonderzuweisung nach § 2 Abs. 6 NDSG. Eine solche kann insbesondere nicht daraus abgeleitet werden, dass das streitgegenständliche Begehren des Klägers allein auf der Grundlage der Vorschriften der Abgabenordnung zu bestimmen ist und nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ein Recht auf Einsichtnahme in und Auskunft aus Steuerakten auf dieser Grundlage nicht besteht. Der Auskunftsanspruch und das Einsichtsrecht des Insolvenzverwalters nach § 16 Abs. 1 und Abs. 3 NDSG wurzeln nicht im Abgabenverhältnis des Steuerschuldners zum Finanzamt, da es weder um die Verwaltung von Abgaben noch um die Anwendung abgabenrechtlicher Vorschriften durch die Finanzbehörden geht, sondern stehen eigenständig neben den Bestimmungen der Abgabenordnung (in diesem Sinn zu den vergleichbaren Regelungen in den Informationsfreiheitsgesetzen auch BVerwG, Beschl. v. 15.10.2012 - BVerwG 7 B 2.12 -, juris, Rdnr. 7 ff., und dem sich unter Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung anschließend BFH, Beschl. v. 8.1.2013 - VII ER-S 1/12 -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 9.3.2012 - OVG 12 L 67.11 -, juris, Rdnr. 3 ff.; VG Trier, Beschl. v. 26.6.2012 - 5 K 504/12.TR -, NVwZ-RR 2012, 783, juris; FG Münster, Beschl. v. 25.6.2012 - 15 K 874/10 -, juris, Rdnr. 12). Unerheblich ist, dass das vom Kläger ausschließlich auf das Niedersächsische Datenschutzgesetz gestützte Informationsbegehren einen abgabenrechtlichen Hintergrund hat.

Deshalb entscheidet nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Bei einem gemischten Rechtsverhältnis, d. h. in dem Fall, in dem ein prozessualer Anspruch bei identischem Lebenssachverhalt gegebenenfalls auf mehrere materiell-rechtliche Anspruchsgrundlagen aus unterschiedlichen Rechtsgebieten gestützt werden kann, ist das zuerst angerufene Gericht insgesamt zuständig, sofern seine Zuständigkeit für zumindest einen Klagegrund gegeben ist. Dabei genügt es, dass die rechtswegbegründende Norm möglicherweise anwendbar ist. Dies gilt nur ausnahmsweise dann nicht, wenn die in Betracht kommende Rechtsgrundlage, für die der Rechtsweg tatsächlich eröffnet ist, bei Zugrundelegung des vorgetragenen Sachverhalts offensichtlich unter keinen Umständen einschlägig sein kann (BVerwG, Beschl. v. 4.3.2015 - BVerwG 6 B 58.14 -, NVwZ 2015, 991, juris, Rdnr. 11; Beschl. v. 15.12.1992 - BVerwG 5 B 144.91 -, NVwZ 1993, 358, juris, Rdnr. 3; OVG Nordrh.-Westf., Beschl. v. 10.10.2012 - 16 E 1324/11 -, DVBl. 2013, 131, juris, Rdnr. 31 ff., m. w. N.). Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass die Frage, ob § 2 Abs. 6 NDSG eine bereichsspezifische Ausnahme für Ansprüche eines Insolvenzverwalters auf Akteneinsicht und Auskunftserteilung hinsichtlich von Steuerdaten auf der Grundlage von Bestimmungen des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes darstellt, höchstrichterlich nicht geklärt ist und einer eingehenden Beurteilung im Rahmen der materiellen Prüfung des Anspruchs im Hauptsacheverfahren bedarf (einen datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch bejahend OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 6.12.2012 - 4 LB 11/12 -, NVwZ 2013, juris, Rdnr. 60 ff.). Ob dem Kläger nach den Vorschriften des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes der streitgegenständliche Anspruch zusteht, ist daher nicht im Rahmen des Verfahrens über die Bestimmung des zulässigen Rechtsweges zu klären.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr (Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum GKG) nicht.

Gründe für die Zulassung der Beschwerde nach § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG an das Bundesverwaltungsgericht sind nicht gegeben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 17a Abs. 4 Satz 4 GVG).