Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.11.2016, Az.: 1 KN 61/15

Ausfertigung; Bekanntmachung; Erforderlichkeit; Ortsteil

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.11.2016
Aktenzeichen
1 KN 61/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43513
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Einem Änderungsbebauungsplan, der in einem durch den Ursprungsbebauungsplan festgesetzten Gewerbegebiet betriebsbezogenes Wohnen ausschließt fehlt i.d.R. die Erforderlichkeit, wenn der Ursprungsplan unwirksam ist und das Plangebiet infolgedessen im Außenbereich liegt.

Unterirdische Munitionsbunker sind nicht geeignet, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten städtebaulichen Charakter zu prägen.

Tenor:

Die vom Rat der Antragsgegnerin am 25. März 2014 als Satzung beschlossene 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 61 „E. F.“ wird für unwirksam erklärt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Antragstellerin wendet sich gegen den Ausschluss betriebsbezogenen Wohnens in einem in ihrem (Mit-)Eigentum stehenden Gewerbegebiet.

Die Antragstellerin ist neben ihrem Ehemann G. A. Miteigentümerin des Flurstücks 27/6, Flur 28 der Gemarkung B. (Grundbuchbl. 4202). Dieses ist Teil des ehemaligen Munitionslagers F., eines teils bewaldeten, mit von Erde bedeckten, bunkerartigen Lagerräumen sowie einem Eingangsgebäude bebauten Areals im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin außerhalb der gewachsenen Ortslagen. Für das Gelände beschloss der Rat der Antragsgegnerin am 19.9.2002 den Bebauungsplan Nr. 61, „E. F.“. Dieser setzt Teile des Plangeländes als Wald, private Grün- und private Verkehrsflächen fest, andere Teile – auch einen Teil des im Miteigentum der Antragstellerin stehenden Grundstücks – als Gewerbegebiete. Die textliche Festsetzung Nr. 1 dieses Bebauungsplans sieht vor, dass innerhalb des Gewerbegebiets die allgemein zulässigen Nutzungen Einzelhandelsbetriebe zur Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs, Vergnügungsstätten (soweit sie jeweils Gewerbebetriebe aller Art sind), Betriebe des Beherbergungsgewerbes, öffentliche Betriebe und Anlagen für sportliche Zwecke sowie die ausnahmsweise zulässigen Nutzungen Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke sowie Vergnügungsstätten nicht zulässig sind. Der Plan wurde am 4.4.2003 im Amtsblatt für den Landkreis H. bekannt gemacht, am 15.9.2003 unterzeichnete der Bürgermeister den Ausfertigungsvermerk auf der Planurkunde.

In der Folgezeit siedelten sich in den Bunkern verschiedene gewerbliche bzw. Hobbynutzungen an. Ob bzw. in welchem Umfang in dem Gebiet auch Wohnnutzung stattfindet und in welchem Umfang diese genehmigt ist, ist zwischen den Beteiligten strittig. Unstrittig ist, dass die Antragstellerin am 26.8.2013 eine bislang unbeschiedene Bauvoranfrage für den Neubau einer Betriebsleiterwohnung stellte und dass während des Planaufstellungsverfahrens jedenfalls zwei Personen im Plangebiet mit Wohnsitz gemeldet waren.

Am 14.3.2013 fasste der Verwaltungsausschuss der Antragsgegnerin den Aufstellungsbeschluss für die hier streitgegenständliche 1. Änderung des Bebauungsplans zum Ausschluss betriebsbezogenen Wohnens im Plangebiet. Hintergrund war das Bestreben der Antragsgegnerin, über eine parallel zum Bebauungsplanaufstellungsverfahren betriebene 19. Änderung ihres Flächennutzungsplans in unmittelbarer Nachbarschaft des Plangebiets Sondergebiete für Windenergieanlagen darzustellen und zu verhindern, dass die Anlagen in Konflikt mit einer schutzwürdigen Wohnnutzung geraten könnten. Vom 23.4. bis 23.5.2013 führte sie eine frühzeitige Bürger- und Behördenbeteiligung durch, vom 10.9. bis einschließlich 10.10.2013 eine erste und vom 2.1.2014 bis einschließlich 3.2.2014 eine zweite öffentliche Auslegung mit gleichzeitiger Beteiligung der Träger öffentlicher Belange. Die Antragstellerin gab im Rahmen der öffentlichen Auslegung Stellungnahmen ab. In seiner Sitzung vom 25.3.2014 beschloss der Rat der Antragsgegnerin die 1. Änderung des Bebauungsplans als Satzung. Nach Ausfertigung durch den Bürgermeister am 7.4.2014 machte die Antragsgegnerin den Satzungsbeschluss am 11.4.2014 im Amtsblatt für den Landkreis H. bekannt.

Die Änderung ist ein reiner Textbebauungsplan mit folgenden textlichen Festsetzungen:

„§ 1 Geltungsbereich der Änderungen

Die 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 61 betrifft die im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 61 festgesetzten Gewerbegebiete.

§ 2 Art der baulichen Nutzung

1. In den Gewerbegebieten (GE) gemäß § 8 BauNVO sind gemäß § 1 Abs. 6 BauNVO folgende Nutzungen ausgeschlossen:

Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, die dem Gewerbebetrieb zugeordnet und ihm gegenüber in Grundfläche und Baumasse untergeordnet sind.

Es gilt die BauNVO 1990.“

Es folgen einige Hinweise, unter anderem Hinweis (5), der lautet:

„Die bestehenden Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 61 werden mit Ausnahme der zulässigen Art der baulichen Nutzung durch diese 1. Änderung nicht berührt und gelten unvermindert fort.“

Am Montag, dem 13.4.2015 hat die Antragstellerin Normenkontrollantrag gestellt. Zur Begründung hat sie in der der Antragsgegnerin nach deren Aussage am 20.4.2015 zugestellten Antragsbegründung sowie nachfolgenden Schriftsätzen verschiedene Verfahrens- und Abwägungsfehler des Plans gerügt und geltend gemacht, die Ursprungsbebauung aus Bunkern werde teilweise zu Wohnzwecken genutzt. Die Antragsgegnerin räume selbst ein, dass auf dem Gelände zwei Personen gemeldet seien. Soweit sie beständig davon ausgehe, dass die Wohnnutzung nicht genehmigt sei, gehe sie von vollkommen unzutreffenden Sachverhalten aus; sie könne diesbezüglich keine Kenntnis haben, da sie nicht Baugenehmigungsbehörde sei. Dem Plan fehle die städtebauliche Rechtfertigung. Das Ziel, ein Hindernis für die Windenergieplanung in der Umgebung zu beseitigen, könne mit dem Plan nicht erreicht werden. Der Schutzanspruch betriebsbezogenen Wohnens sei ohnehin denkbar gering; zudem könne die vorhandene Wohnnutzung mit dem Plan nicht beseitigt werden. Der Windenergieplanung an der beabsichtigten Stelle stehe auch entgegen, dass das Gebiet des Munitionsdepots naturschutzrechtlich bedeutsam sei; dies sei nicht untersucht worden. Eine Abwägung habe nicht stattgefunden, jedenfalls sei sie fehlerhaft.

Die Antragstellerin beantragt,

festzustellen, dass die 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 61 „E. F.“ unwirksam ist.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie macht geltend, Verfahrens- und Abwägungsfehler seien nach § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB präkludiert. Sie lägen auch nicht vor. Die Planung sei erforderlich gewesen. Der Ausschluss der Wohnnutzung trage zum einen der fehlenden Eignung der vorhandenen Bausubstanz und Infrastruktur Rechnung, zum anderen dem Umstand, dass im Umfeld des Bebauungsplans attraktive Flächen für eine zukünftige Windenergienutzung lägen; würde sich im Plangebiet rechtmäßige Wohnnutzung ansiedeln, so könnten diese zu einem Gutteil nicht genutzt werden, da das Standortkonzept der Gemeinde zwischen Wohnen und Windenergieanlagen einen Schutzabstand in Höhe der zweifachen Anlagenhöhe (400 m) vorsehe. Die Nutzbarkeit des Windenergiestandortes sicherzustellen sei ein legitimes städtebauliches Anliegen. Abwägungsfehler lägen nicht vor. Für die Beschränkung spreche, dass Schallschutzanforderungen selbst für Anlagen außerhalb des Schutzabstandes Betriebsbeschränkungen erfordern würden, wenn im Plangebiet Wohnbebauung zulässig bleibe. Genehmigte Wohnnutzung habe im Plangebiet bislang nicht stattgefunden. Auf Nachfrage des Senats hat die Antragsgegnerin eingeräumt, dass der Ursprungsbebauungsplan mangels rechtzeitiger Ausfertigung unwirksam sein und die Unwirksamkeit auch den Änderungsbebauungsplan erfassen dürfte. Vor einer rückwirkenden Heilung des Mangels sei jedoch zu prüfen, ob der Ursprungsplan noch den städtebaulichen Vorstellungen der Antragsgegnerin entspreche.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Der Normenkontrollantrag ist zulässig. Das Miteigentum der Antragstellerin an zumindest einem Grundstück im Plangebiet ergibt sich aus dem auf mehrfache Aufforderung übersandten Grundbuchauszug. Da die Planänderung die Nutzbarkeit dieses Grundstücks beschränkt, ist die Antragstellerin antragsbefugt.

Der Normenkontrollantrag ist - wie die Antragsgegnerin selbst einräumt - auch begründet. Der Bebauungsplan Nr. 61 in seiner Ursprungsfassung ist unwirksam, da er vor seiner Bekanntmachung nicht ausgefertigt wurde (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 9.5.1996 - 4 B 60.96 -, NVwZ-RR 1996, 670 [OLG Düsseldorf 22.11.1995 - 9 U 71/95]). Diesen Fehler hat die Antragsgegnerin nicht geheilt.

Die Unwirksamkeit der Ursprungsfassung führt auch zur Unwirksamkeit der hier verfahrensgegenständlichen 1. Änderung. Der Regelungsgehalt dieser Norm erschöpft sich darin, eine der nach dem Ursprungsplan zulässigen Nutzungen - Wohnungen, die in einem Akzessorietätsverhältnis zu den dort ermöglichten Gewerbebetrieben stehen - auszuschließen. Eine solche Regelung kann isoliert nicht bestehen bleiben. Rechtstechnisch dürfte sie zwar möglich sein: Die 1. Änderung ist ohne den Ursprungsplan ein einfacher Bebauungsplan, der die im Außen- bzw. unbeplanten Innenbereich zulässigen Nutzungen ihrer Art nach zusätzlich beschränkt. Mit diesem Inhalt fehlt dem Plan jedoch bereits die Erforderlichkeit. Denn ohne die Ursprungsfassung des Bebauungsplans ist dort gewerbebetriebsakzessorisches Wohnen ohnehin nicht zulässig, da das Plangebiet als Außenbereich i.S.d. § 35 BauGB einzustufen ist.

Das ehemalige Munitionslager kann auch unter Berücksichtigung der dort faktisch vorhandenen Baulichkeiten und Nutzungen nicht als ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB angesehen werden. Ein Ortsteil in diesem Sinne setzt einen Bestand von Gebäuden voraus, die für die angemessene Fortentwicklung der vorhandenen Bebauung maßstabsbildend sind. Dies können nur Anlagen sein, die optisch wahrnehmbar und nach Art und Gewicht geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten städtebaulichen Charakter zu prägen (BVerwG, Beschl. v. 2.3.2000 - 4 B 15.00 -, BauR 2000, 1310 = BRS 63 Nr. 99 = juris Rn. 3; Urt. v. 14.9.1992 - 4 C 15.90 -, DVBl. 1993, 111 = NVwZ 1993, 985 = juris Rn. 12). Das ist hinsichtlich der ehemaligen Munitionsbunker nicht der Fall. Nach den Luftbildern bei google-Maps und bing-Maps sowie den als Anlage zum Sitzungsprotokoll genommenen Fotos der Bunker liegen diese jedenfalls ganz überwiegend unter einer Erddecke und sind bis auf die Eingänge mit Vegetation bedeckt. Ihre Grundfläche beträgt teils 26, teils 52 m², nur in drei Fällen mehr. Das Potential, eine Umgebungsbebauung zu prägen, haben derartige Anlagen schon baulich-optisch nicht. Unabhängig davon fehlt es auch an einer hinreichenden Anzahl von Baulichkeiten, die ihrer Nutzung nach prägenden Charakter haben. Dies können nämlich nur Anlagen sein, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen (dazu BVerwG, Beschl. v. 6.3.1992 - 4 B 35.92 -, BauR 1993, 303 = BRS 54 Nr. 64 = juris Rn. 5; Beschl. v. 2.3.2000 a.a.O., juris Rn. 3). Das muss zwar keine Wohnnutzung sein; auch eine gewerbliche Nutzung kann diese Voraussetzung erfüllen, wenn sie als Dauerarbeitsplatz dient. Indes ist in der mündlichen Verhandlung deutlich geworden, dass derartige Nutzungen im Plangebiet allenfalls vereinzelt vorkommen; überwiegend sind die Nutzungen (Hobbyschrauber, Proberäume für Bands, Lagerflächen, eine Ferienwohnung) nur mit vorübergehendem Aufenthalt von Menschen verbunden.

Ob die gebietsprägende Wirkung der Anlagen in ihrer gegenwärtigen Nutzung zusätzlich deshalb entfällt, weil diese formell und materiell baurechtswidrig sind, kann angesichts dessen unentschieden bleiben. Zwar dürfte keine der bestehenden Nutzungen von einer Baugenehmigung gedeckt sein. Etwaige zu Zeiten der militärischen Nutzung des Areals erteilte Zustimmungen der oberen Baubehörde gem. § 82 NBauO a.F. (oder der entsprechenden Vorgängerregelung in der Verordnung über die baupolizeiliche Behandlung von öffentlichen Bauten vom 20.11.1938) decken nur die Nutzung der jeweils betroffenen Anlagen zum damals vorgesehenen, militärischen Zweck ab. Der Übergang zu einer zivilen gewerblichen oder Wohnnutzung war eine nach §§ 68 Abs. 1, 2 Abs. 5, 69 Abs. 4 Nr. 1 NBauO a.F. genehmigungs- bzw., sofern Bauherr auch nach Aufgabe der militärischen Nutzung noch der Bund war, zustimmungspflichtige Nutzungsänderung. Derartige Änderungsgenehmigungen bzw. -zustimmungen hat die Antragstellerin nicht vorgelegt; die in der mündlichen Verhandlung überreichte „Bau- und Zustandsbeschreibung“ des Staatshochbauamts H. vom 6.11.2000 stellt eine solche jedenfalls nicht dar. In dieser wird, wie der Titel suggeriert, lediglich die Bausubstanz beschrieben; eine zivile Nutzungsart wird nicht einmal erwähnt. Indes vermag der Senat ohne - hier nicht angezeigte - weitere Ermittlungen nicht zu beurteilen, ob sich die zuständige Bauaufsichtsbehörde nicht mit dem Bestehen der Nutzungen in einer Weise abgefunden hat, die ihnen theoretisch die Möglichkeit eröffnen würde, gebietsprägend zu wirken (dazu BVerwG, Urt. v. 6.11.1968 - 4 C 31.66 -, BVerwGE 31, 22 = juris Rn. 22).

Auch die Vertreterin der Antragstellerin hat im Übrigen in der mündlichen Verhandlung den Außenbereichscharakter des Gebiets ausdrücklich bestätigt.

Im Außenbereich sind die mit § 2 der 1. Planänderung ausgeschlossenen Nutzungen auch ohne diese Festsetzung unzulässig. Zwar sind auch dort unter bestimmten Voraussetzungen betriebsakzessorische Wohnnutzungen zulässig, so für landwirtschaftliche Betriebe, ortsgebundene Betriebe und für Betriebe i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB. Namentlich letztere sind indes im Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO per definitionem (Vorhaben…, das „nur im Außenbereich ausgeführt werden soll“) unzulässig; für Bestrebungen zur Ansiedelung privilegierter Nutzungen mit einem Bedürfnis nach betriebsbezogenem Wohnen, denen zu begegnen die Antragsgegnerin Anlass gehabt hätte, bestehen im Übrigen keine Anhaltspunkte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 709 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.