Sozialgericht Oldenburg
v. 04.07.2005, Az.: S 46 AS 133/05
Ansehung von Kindergeld für minderjährige Kinder als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts des Kindes; Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts; Berücksichtigung des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft bei einer Leistungsberechnung; Betrachtung von Eltern und minderjährigen Kindern einkommensmäßig als Einheit
Bibliographie
- Gericht
- SG Oldenburg
- Datum
- 04.07.2005
- Aktenzeichen
- S 46 AS 133/05
- Entscheidungsform
- Gerichtsbescheid
- Referenz
- WKRS 2005, 36296
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGOLDBG:2005:0704.S46AS133.05.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- LSG Niedersachsen-Bremen - 19.01.2006 - AZ: L 8 AS 191/05
- BSG - 19.03.2008 - AZ: B 11b AS 7/06 R
Rechtsgrundlagen
- § 136 Abs. 3 SGG
- § 9 Abs. 2 SGB II
- § 11 Abs. 1 S. 3 SGB II
- § 3 Nr. 1 der Alg II-VO
In dem Rechtsstreit
...
hat das Sozialgericht Oldenburg - 46. Kammer -
am 4. Juli 2005
gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
durch
den Richter am Sozialgericht Jost - Vorsitzender -
fürRecht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.
Die im Jahre 1971 geborene Klägerin ist allein erziehende Mutter eines im Jahre 1995 geborenen Sohnes. Mit Bescheid vom 19.11.2004 bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 1.1.2005 bis 31.5.2005 in Höhe von 787,20 EURO monatlich.
Mit fristgemäß erhobenem Widerspruch wandte die Klägerin hiergegen ein, der Regelbedarf und der Mehrbedarf nach den § 20, 21 SGB II sei für ihre Bedarfsgemeinschaft nicht zutreffend berechnet worden.
Ferner machte die Klägerin geltend, es fehle der nach § 11 Abs. 2 SGB II beim Einkommen zu berücksichtigende Absetzbetrag für angemessene Versicherungen. Denn gem. § 3 Nr. 1 Alg II-VO seien vom Einkommen eines jeden volljährigen Mitglieds einer Bedarfsgemeinschaft für angemessene private Versicherungen pauschal 30,00 EURO monatlich abzusetzen. Dieser Absetzbetrag gelte nach § 11 Abs. 1 und 2 SGB II für jede Einkommensart, auch für Kindergeld und auch für den Fall, dass volljährige Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft kein oder nur geringes Einkommen hätten, da diese übersteigende Absetzbeträge auch vom Einkommen anderer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (zunächst beim Partner) abgesetzt würden. Dies ergebe sich aus der Alg II-Verordnung und aus Randziffern 11.24 und 11.26 der dienstlichen Hinweise der Bundesagentur zum SGB II.
Mit Änderungsbescheid vom 10.2.2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin die Leistung für den genannten Zeitraum in Höhe von 828,20 EURO monatlich. Dazu teilte sie mit, der Mehrbedarf für Alleinerziehung sei rückwirkend ab 1.1.2005 festgesetzt worden. Im Übrigen wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, gem. § 3 der Alg II-Verordnung seien vom Einkommen volljähriger Hilfebedürftiger 30,00 EURO monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen als Pauschbetrag gem. § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Abzug zu bringen (§ 3 Nr. 1 Alg II-Verordnung). Die Klägerin, volljähriges Mitglied der Bedarfsgemeinschaft, erziele selbst kein Einkommen, so dass die Voraussetzungen für die Absetzung eine Versicherungspauschale durch sie nicht erfüllt würden. Das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft bestehe lediglich aus dem Kindergeld, das gem. § 11 SGB II zunächst auf den Bedarf des Kindes anzurechnen sei. Das Kind als minderjähriges Mitglied der Bedarfsgemeinschaft erfülle die Voraussetzungen für die Absetzung der Versicherungspauschale auf Grund des Alters nicht (Widerspruchsbescheid vom 2.3.2005).
Zur Begründung der am 21.3.2005 erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, als allein erziehende Mutter eines minderjährigen Kindes verfüge sie selbst über Einkommen in Form von Kindergeld.
Selbst wenn das Kindergeld als Einkommen des Kindes zu betrachten sei, ändere sich in ihrem Falle nichts an der Pflicht der Beklagten zur Absetzung der Pauschale von 30,00 EURO vom Kindergeld. Die dienstlichen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu§ 11 SGB II würden die Verlagerung der abzusetzenden Beträge vorsehen, wenn die Absetzbeträge das Einkommen der jeweiligen Person übersteigen würden.
Bei der Regelung der Absetzbeträge müsse die Erkenntnis berücksichtigt werden, dass in Haushaltsgemeinschaften aus einem Topf gewirtschaftet werde und deshalb die Bedürfnisse aller aus den gemeinsamen Beiträgen, z.B. zu Versicherungen, befriedigt würden wie das Bundessozialgericht (BSG) in einem Urteil vom 9.12.2004 (B 7 AL 24/04 R) entschieden habe.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
den Bescheid vom 19.11.2004 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 10.2.2005 abzuändern und den Widerspruchsbescheid vom 2.3.2005 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, ihr Leistungen für die Zeit ab 1.1.2005 unter Berücksichtigung einer Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EURO monatlich zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, gem. § 3 Nr. 1 Alg II-Verordnung seien als Pauschbeträge vom Einkommen volljähriger Hilfebedürftiger und vom Einkommen minderjähriger Hilfebedürftiger, soweit diese nicht mit einem volljährigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft lebten, 30,00 EURO monatlich für Beiträge zu privaten Versicherungen abzusetzen. Das Kind der Klägerin lebe jedoch mit dieser in einer Bedarfsgemeinschaft, so dass demnach kein Abzug der Versicherungspauschale vorzunehmen sei.
Die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten sind Gegenstand der Entscheidung gewesen. Auf Ihren Inhalt wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Im Widerspruchsbescheid der Beklagten ist der Inhalt der hier maßgeblichen Bestimmungen bereits zutreffend wiedergegeben und fehlerfrei dargelegt worden, warum der Klägerin hiernach keine höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zustehen. Hierauf kann, zur Vermeidung von Wiederholungen, verwiesen werden (§ 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Zu ergänzen bleibt Folgendes:
Nach § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II ist das Kindergeld für minderjährige Kinder dem jeweiligen Kind zuzurechnen, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhaltes benötigt wird. Diese Regelung ist, wie bereits eine andere Kammer des Sozialgerichts Oldenburg mit Beschluss vom 4.3.2005 (S 47 AS 48/05 ER) entschieden hat und vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen mit Beschluss vom 12.5.2005 (L 8 AS 51/05 ER) bestätigt worden ist, nicht zu beanstanden.
Auf das Einkommen des Kindes der Klägerin kann eine Versicherungspauschale i. S. von § 3 Nr. 1 der Alg II-VO nicht als Freibetrag eingeräumt werden.
Ob Versicherungsbeiträge auch vom Einkommen anderer volljähriger Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft abgezogen werden können, kann dahinstehen. Solche Fälle sind nämlich mit dem hier vorliegenden von vorn herein nicht vergleichbar. Bei Ehegatten oder gleichgestellten Lebensgemeinschaften kann in diesem Zusammenhang von einem gemeinsamen Gesamteinkommen i. S. eines Wirtschaftens aus einem Topf ausgegangen werden. Denn § 9 Abs. 2 Satz 1 bestimmt ausdrücklich, dass bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen sind. Anders verhält es sich jedoch in Bezug auf minderjährige Kinder. Im Satz 2 des Abs. 2 von § 9 SGB II ist nämlich nur bestimmt, dass bei minderjährigen unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes nicht aus ihrem eigenen Einkommen oder Vermögen beschaffen können, auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils zu berücksichtigen sind. Mithin ist - umgekehrt - ein Einkommensüberhang bei einem minderjährigen Kind nicht auf dessen Eltern anzurechnen (so auch Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 7.3.2005 - S 47 AS 59/05 ER; Eicher/Spellbrink Kommentar zum SGB II Rn. 31 zu § 9). Wenn aber Eltern und minderjährige Kinder insofern einkommensmäßig nicht als Einheit betrachtet werden können - insofern also kein Wirtschaften aus einem Topf i. S. der von der Klägerin genannten Rechtsprechung des BSG vorliegt -, kann für die Ausgabenseite nichts anderes gelten, so dass es ausgeschlossen ist, Versicherungsbeiträge der Eltern vom Einkommen ihrer minderjährigen Kinder abzuziehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen ( § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG)