Sozialgericht Oldenburg
Beschl. v. 15.04.2005, Az.: S 45 AS 165/05 ER
Berücksichtigung der tatsächlichen Heizkosten eines angemessenen, eigenen Einfamilienhauses im Rahmen der Gewährung von Arbeitslosengeld (ALG) II; Angemessenheit von Heizungskosten; Unzumutbarkeit des Abwartens bis zur Entscheidung in der Hauptsache im Hinblick auf den sog. notwendigen Bedarf; Gefahr der faktischen Aushöhlung des Schutzes von Wohneigentum durch Beschränkungen bei der Übernahme von Heizungskosten
Bibliographie
- Gericht
- SG Oldenburg
- Datum
- 15.04.2005
- Aktenzeichen
- S 45 AS 165/05 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 33770
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGOLDBG:2005:0415.S45AS165.05ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II
- § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II
- § 86b Abs. 2 S. 2 SGG
In der einstweiligen Anordnungssache
hat das Sozialgericht Oldenburg - 45. Kammer -
am 15. April 2005
durch
die Richterin am Sozialgericht Lücking
beschlossen:
Tenor:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten für Heizung zu gewähren.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Der im Jahre 1946 geborene Antragsteller lebt gemeinsam mit seiner Ehefrau in einem Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von ca. 102 qm. Hinzu kommt eine Nutzfläche (Keller, Boden, Garage) von ca. 35 qm. Das Haus steht im Eigentum des Antragstellers und seiner Ehefrau. Das Hausgrundstück ist - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - angemessen im Sinne des Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten für Heizung).
Mit Bescheid vom 26. November 2004 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller bzw. der Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dabei brachte er als angemessene Kosten für Heizung 62,43 EUR in Ansatz. Er ging insoweit von einer angemessenen Wohnfläche von 60 qm für zwei Personen aus. Gegen den Bescheid vom 26. November 2004 erhob der Antragsteller Widerspruch, den der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2005 als unbegründet zurückwies. Hiergegen richtet sich die Klage vom 15. März 2005 (S 45 AS 121/05).
Am 04. April 2005 wandte sich der Antragsteller an das Sozialgericht mit dem Antrag, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten für Heizung in Höhe von monatlich 101,00 EUR zu gewähren. Er trägt vor, er bewohne zusammen mit seiner Ehefrau ein angemessenes Hausgrundstück im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II. Hierfür habe er Heizkosten in Höhe von 101,00 EUR pro Monat (Abschlag EWE). Es gehe nicht an, dass der Antragsgegner Heizkosten lediglich in Höhe von 62,43 EUR anerkenne. Der Antragsteller verweist insoweit auf den Beschluss des Sozialgerichts Aurich vom 10. Februar 2005 (S 15 AS 3/05 ER).
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Es liege weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch vor. Auf den Schriftsatz des Antragsgegners vom 06. April 2005 wird verwiesen.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86 b Abs. 3 SGG). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist stets, dass ein Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) und ein Anordnungsanspruch (hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden. Dabei darf die einstweilige Anordnung des Gerichts wegen des summarischen Charakters dieses Verfahrens grundsätzlich nicht die endgültige Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen, weil sonst die Erfordernisse, die bei einem Hauptsacheverfahren zu beachten sind, umgangen würden. Auch besteht die Gefahr, dass in einem Eilverfahren zu Unrecht gewährte Leistungen später nach Beendigung des Hauptsacheverfahrens nicht oder nur unter sehr großen Schwierigkeiten wieder zurückgefordert werden könnten. Daher ist vorläufiger Rechtsschutz nur dann zu gewähren, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 79, 69, 74 [BVerfG 25.10.1988 - 2 BvR 745/88] mit weiteren Nachweisen).
Der Antrag ist zulässig. Der Antragsteller bzw. seine Ehefrau beziehen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Da die Regelleistung Heizungskosten gerade nicht umfasst, diese jedoch zum notwendigen Bedarf gehören, ist dem Antragsteller ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar. Daher bestehen keine Zweifel an der Eilbedürftigkeit einer Entscheidung des Gerichts.
Der Antrag ist auch begründet. Nach summarischer Prüfung geht das Gericht davon aus, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch hat. Dieser ergibt sich aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, wonach Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht werden, soweit diese angemessen sind. Der Antragsteller hat Heizungskosten in Höhe von 101,00 EUR pro Monat (Abschlag EWE; Bl. 9 Gerichtsakte). Diese sind angesichts der Wohnfläche von 102 qm auch angemessen.
Entgegen der Ansicht des Antragsgegners kann die Angemessenheit nicht unter Hinweis auf eine zu große Wohnfläche verneint werden. Zwar geht der Antragsgegner zutreffend davon aus, dass für zwei Personen grundsätzlich eine Wohnfläche von 60,00 qm angemessen ist. Im vorliegenden Fall ist jedoch zu beachten, dass das von dem Antragsteller bzw. seiner Ehefrau bewohnte Haus dem Anwendungsbereich des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II unterfällt. Danach ist als Vermögen nicht zu berücksichtigen ein selbstgenutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung. Das Hausgrundstück des Antragstellers ist angemessen im Sinne dieser Vorschrift. Dies wird auch von dem Antragsgegner nicht in Zweifel gezogen. Eine Verwertung des Hausgrundstücks zur Vermeidung der Hilfebedürftigkeit kann daher nicht verlangt werden. Zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs zwischen den Vermögensanrechnungsvorschriften und den Bestimmungen über die Berechnung der Unterkunftskosten ist die Angemessenheit der Heizungskosten für ein nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 geschütztes Hausgrundstück daher grundsätzlich unter Berücksichtigung der tatsächlichen Wohnfläche zu prüfen. Die Nichtberücksichtigung eines angemessenen Hausgrundstücks bei der Vermögensanrechnung ist auf Grund einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers erfolgt, das im Eigentum des Arbeitslosen stehende und von ihm und/oder seiner Familie selbst bewohnte Haus als Lebensmittelpunkt und nicht als Vermögensgegenstand zu schützen (vgl. Gagel, SGB III § 193 Anmerkung 172 mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts). Hieraus folgt jedoch zwingend, dass das betreffende Haus angemessen beheizt wird, um bewohnbar zu sein. Es geht nicht an, die Schutzvorschrift des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II durch Beschränkungen bei der Übernahme von Heizungskosten faktisch wieder auszuhöhlen. Von diesem Grundsatz kann es Ausnahmen nur in besonders gelagerten Einzelfällen geben, z.B. wenn auf Grund eines besonderen Zuschnitts der Wohnung oder des Hauses einzelne Räume von der Beheizung ausgenommen werden können, ohne dass diese Räume Schaden nehmen. Ein derartiger Sachverhalt liegt hier indes nicht vor.
Nach alledem ist dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben (so auch Sozialgericht Aurich, Beschluss vom 10.02.2005 - S 15 AS 3/05 ER -).
Die Kostenentscheidung folgt aus der analogen Anwendung des § 193 Sozialgerichtsgesetz.