Sozialgericht Oldenburg
Beschl. v. 20.01.2005, Az.: S 45 AS 2/05 ER
Bibliographie
- Gericht
- SG Oldenburg
- Datum
- 20.01.2005
- Aktenzeichen
- S 45 AS 2/05 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 42751
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGOLDBG:2005:0120.S45AS2.05ER.0A
Amtlicher Leitsatz
Die minderjährigen Kinder einer Studentin, die alleinerziehende Mutter ist und die selbst wegen § 7 Abs. 5 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hat, haben bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen einen Anspruch auf Sozialgeld gem. § 28 SGB II.
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für die Kinder C., geboren am 31. März 1994, und D., geboren am 06. Mai 1996, Sozialgeld nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
Im übrigen wird der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin vier Fünftel der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Die im Jahre 1973 geborene Antragstellerin ist Studentin an der Universität Oldenburg. Sie studiert Mathematik und Physik (Lehramt) im 3. Semester. Die Regelstudienzeit beträgt acht Semester. Die Antragstellerin ist alleinerziehende Mutter der Kinder C., geboren am 31. März 1994, und D., geboren am 06. Mai 1996.
Die Antragstellerin bezieht Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Außerdem bezog sie bis zum 31. Dezember 2004 Mehrbedarfsleistungen nach § 23 Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Die Kinder bezogen bis Ende 2004 Hilfe zum Lebensunterhalt ebenfalls nach den Bestimmungen des BSHG.
Im Hinblick auf die zu erwartenden Gesetzesänderungen beantragte die Antragstellerin am 20. November 2004 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Mit Bescheid vom 20. Dezember 2004 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab mit der Begründung, eine Gewährung von Leistungen nach dem SGB II komme gemäß § 7 Abs. 5 SGB II nicht in Betracht, da die Klägerin eine Ausbildung absolviere, die im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig sei und eine Härte im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II nicht vorliege. Daher bestehe auch kein Anspruch auf Mehrbedarfsleistungen, auch wenn diese der Antragstellerin bislang gewährt worden seien.
Am 27. Dezember 2004 wandte sich die Antragstellerin an das Sozialgericht mit dem Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, für sie, die Antragstellerin, Mehrbedarfsleistungen zu erbringen, sowie für die Kinder C. und D. Sozialgeld zu zahlen. Sie trägt vor, sie bzw. ihre Kinder hätten Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Bei dem Mehrbedarfszuschlag handle es sich nicht um ausbildungsgeprägten Bedarf. Daher sei dieser trotz der Ausbildung zu gewähren. Folglich sei auch für die Kinder Sozialgeld zu zahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Die Antragstellerin sei Studentin und gehöre damit zum ausgeschlossenen Personenkreis nach § 7 Abs. 5 SGB II. Demzufolge sei auch ein Anspruch auf Sozialgeld für die minderjährigen Kinder der Antragstellerin nicht gegeben.
Es hat ein Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 11. Janaur 2005 stattgefunden. Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86 b Abs. 3 SGG).
Der Antrag ist zulässig. Die Antragstellerin macht geltend, ihr Lebensunterhalt und der ihrer Kinder sei in naher Zukunft nicht mehr sichergestellt. Im Hinblick darauf, daß die Familie bis zum 31. Dezember 2004 Leistungen nach dem BSHG bezogen hat, bestehen an diesem Vorbringen und damit an der Eilbedürftigkeit einer Entscheidung des Gerichts keine Zweifel. Ein Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache ist der Antragstellerin nicht zuzumuten.
Der Antrag ist jedoch nur teilweise begründet. Nach summarischer Prüfung geht das Gericht davon aus, daß die Antragstellerin keinen Anspruch auf Mehrbedarfsleistungen gemäß § 21 SGB II hat. Diese Vorschrift regelt den Mehrbedarf für werdende Mütter, für alleinerziehende Personen, für behinderte Hilfebedürftige und für Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen eine kostenaufwendige Ernährung benötigen. Voraussetzung für einen Anspruch auf Mehrbedarfsleistungen nach § 21 SGB II ist jedoch, daß die betreffende Person leistungsberechtigt nach § 7 SGB II ist (Linhart/Adolph/Gröschel-Gundermann, SGB II § 21 Anmerkung 12; vgl. auch Hauck/Noftz, SGB II § 21 Anmerkung 2 und 3). Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig sind, hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Diese Voraussetzung erfüllt zwar auch die Antragstellerin. Da sie sich jedoch im Studium befindet und Leistungen nach dem BAföG erhält, hat sie keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dies folgt aus der Ausnahmevorschrift des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II, wonach Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Leistungsanspruch haben. Damit entfällt auch ein eventueller Anspruch auf Mehrbedarfsleistungen nach § 21 SGB II. Auf die Tatsache, daß sich der Mehrbedarf aus der Alleinerziehung und nicht aufgrund der Ausbildung ergibt, kommt es dabei nicht an.
Auch eine besondere Härte im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II liegt nicht vor. Gemäß § 7 Abs. 5 Satz 2 können in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen geleistet werden. Derartige besondere Umstände sind im vorliegenden Fall jedoch nicht ersichtlich und werden von der Antragstellerin auch nicht vorgetragen.
Nach alledem ist in Bezug auf die geltend gemachten Mehrbedarfsleistungen gemäß § 21 SGB II eine Anordnungsanspruch nicht gegeben. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist daher insoweit zurückzuweisen.
Begründet ist der Antrag hingegen in Bezug auf den Anspruch auf Sozialgeld für die zwei minderjährigen Kinder der Antragstellerin. Die Antragstellerin ist nicht gehindert, derartige Ansprüche im eigenen Namen geltend zu machen. Dies folgt aus § 38 SGB II, wonach vermutet wird, soweit Anhaltspunkte nicht entgegenstehen, daß der erwerbsfähige Hilfebedürftige bevollmächtigt ist, Leistungen nach diesem Buch auch für die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen. Diese aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und Verwaltugsökonomie in das Gesetz aufgenommene Vorschrift ist auch im gerichtlichen Verfahren anwendbar.
Der Anspruch auf Sozialgeld ergibt sich aus § 7 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 Nr. 4 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II.
Die Antragstellerin ist eine erwerbsfähige Hilfebedürftige im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Demzufolge sind gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 die Kinder der Antragstellerin anspruchsberechtigt, denn nach dieser Vorschrift erhalten auch Personen Leistungen, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Zur Bedarfsgemeinschaft gehören u.a. der erwerbsfähige Hilfebedürftige selbst (§ 7 Abs. 3 Nr. 1) und die dem Haushalt angehörenden minderjährigen, unverheirateten Kinder des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, soweit sie nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts beschaffen können (§ 7 Abs. 3 Nr. 4). Danach bilden die Antragstellerin und ihre zwei minderjährigen Kinder eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des Gesetzes. Der Umstand, daß die Antragstellerin selbst aufgrund der Sondervorschrift des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II keinen Leistungsanspruch hat, steht dem nicht entgegen. Die Bedarfsgemeinschaft als solche bleibt hiervon unberührt. Damit haben die Kinder der Antragstellerin Anspruch auf Sozialgeld gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II.
Das Sozialgeld umfaßt die sich aus § 19 Satz 1 Nr. 1 ergebenden Leistungen (§ 28 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Dies sind die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts beträgt im Rahmen des Sozialgeldes im vorliegenden Fall 60 vom Hundert der nach § 20 Abs. 2 maßgebenden Regelleistungen, hier für jedes Kind 207,00 € pro Monat, wobei Einkommen, insbesondere Kindergeld, nach Maßgabe des § 11 SGB II zu berücksichtigen ist. Ferner sind als Sozialgeld die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung zu zahlen. Dabei sind die Unterkunftskosten nach der Anzahl der Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft aufzuteilen (Hauck/Noftz, SGB II § 22 Anmerkung 5). Da im vorliegenden Fall drei Personen in der Haushaltsgemeinschaft (Bedarfsgemeinschaft) leben, erhält jedes Kind im Rahmen des Sozialgeldes ein Drittel der angemessenen Unterkunftskosten.
Die Kostenentscheidung folgt aus der analogen Anwendung des § 193 SGG.