Sozialgericht Oldenburg
Beschl. v. 02.02.2005, Az.: S 47 AS 18/05 ER
Verteilung der Kosten der Unterkunft, wenn neben einer Bedarfsgemeinschaft noch eine Wohngemeinschaft mit einer nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Person besteht; Bewertung der "angemessenen" Unterkunftskosten einer Pflegefamilie
Bibliographie
- Gericht
- SG Oldenburg
- Datum
- 02.02.2005
- Aktenzeichen
- S 47 AS 18/05 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 33735
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGOLDBG:2005:0202.S47AS18.05ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 22 SGB II
- § 39 Abs. 1 SGB VIII
- § 39 Abs. 2 SGB VIII
- § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG
Fundstellen
- FStBW 2005, 1053
- FStHe 2006, 377-378
- FStNds 2006, 235-236
- GV/RP 2006, 80-81
- KomVerw 2006, 62
- info also 2005, 81-83 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Kosten der Unterkunft nach dem SGB II
Redaktioneller Leitsatz
Bei der Berechnung der angemessenen Unterkunftskosten sind die Kosten nach Kopfteilen aufzuteilen, wenn neben einer Bedarfsgemeinschaft auch noch eine Wohngemeinschaft mit einer weiteren Person besteht.
In dem Rechtsstreit
hat das Sozialgericht Oldenburg - 47. Kammer -
durch
den Richter am Verwaltungsgericht Wündrich
ohne mündliche Verhandlung
am 2. Februar 2005
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Antragstellerinnen tragen die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Höhe des bei den Antragstellerinnen zu berücksichtigenden Bedarfs an Unterkunftskosten.
Die im Jahre 1957 geborene Antragstellerin zu 1. und ihre Tochter, die im Jahre 1991 Antragstellerin zu 2., erhielten von der Stadt Delmenhorst im Jahre 2004 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Bestimmungen des BSHG ergänzend zu Leistungen der Arbeitsverwaltung (Arbeitslosenhilfe). Mit den Antragstellerinnen lebt in Haushaltsgemeinschaft der im August 1984 geborene Herr X., dem die Stadt Delmenhorst laufende Hilfe zur Erziehung nach den Vorschriften des KJHG (SGB VIII) gewährt. In der Vergangenheit wurde bei der Berechnung der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt für die Antragstellerinnen so verfahren, dass auf der Bedarfsseite bei den Kosten der Unterkunft ein Drittel als Kostenanteil für Herrn X abgezogen wurde; jedoch wurde das von der Stadt Delmenhorst der Antragstellerin zu 1. ausgezahlte Pflegegeld nach dem KJHG nicht als Einkommen angesehen.
Auf den Antrag der Antragstellerin zu 1. gewährte ihr die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 29. November 2004 ab dem 1. Januar 2005 Arbeitslosengeld II und der Antragstellerin zu 2. Sozialgeld. Dabei wurde in der Berechnung des Bedarfs nicht von den Gesamtkosten der Unterkunft inklusive Heizung in Höhe von 335,29 EURO, sondern dieser Betrag vermindert um ein Drittel - als Unterkunftskostenanteil für den Pflegesohn - in Ansatz gebracht. Mit Bescheid vom 6. Dezember 2004 forderte die Stadt Delmenhorst von dem Pflegesohn die Rückzahlung der gewährten Jugendhilfe für die Zeit vom 1. August 2002 bis zum 31. Dezember 2004 in Höhe von insgesamt 9.367,11 EURO. Gegen die beiden vorgenannten Bescheide wurden Widersprüche eingelegt, über die - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden wurde.
Am 10. Januar 2005 haben sich die Antragstellerinnen an das Sozialgericht Oldenburg mit der Bitte um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gewandt. Sie machen geltend: Zu Unrecht würden bei ihnen lediglich zwei Drittel statt die vollständigen Unterkunftskosten berücksichtigt, weil der Pflegesohn - Herr X. - tatsächlich nicht zu den Unterkunftskosten beitragen könne. Denn nach dem Bescheid der Stadt Delmenhorst vom 6. Dezember 2004 sei er zur Kostenerstattung verpflichtet, so dass diesem keine Mittel zum Beitrag für die Unterkunftskosten zur Verfügung stünden. Soweit sie sich mit ihrem Antrag zunächst auch dagegen gewandt hätten, dass eine erhebliche zeitliche Verzögerung bei der Auszahlung der Leistungen nach dem SGB II eingetreten sei, habe sich dies nunmehr nach Stellung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch Überreichung eines Schecks erledigt.
Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten und macht geltend, dass sie zu Recht bei den Unterkunftskosten einen Anteil für den Pflegesohn abgezogen habe. Denn das Pflegegeld, das der Antragstellerin zu 1. ausgezahlt werde, umfasse gemäß § 39 Absätze 1 und 2 SGB VIII auch den notwendigen Unterkunftsbedarf. Bei einem Pflegekind der Altersstufe III betrügen die materiellen Aufwendungen, die neben den Kosten der Erziehung im Gesamtbetrag des Pflegegeldes enthalten seien, 21,84 v.H. der materiellen Aufwendungen von 586,00 EURO. Mithin sei im Bescheid zu Recht ein Abzug bei den Unterkunftskosten der Antragstellerinnen in Höhe von 128,00 EURO vorgenommen worden. Bei einem anzuerkennenden Bedarf der Unterkunftskosten in Höhe von 207,29 EURO, sei mithin durch den tatsächlich anerkannten Unterkunftsbedarf in Höhe von monatlich 223,53 EURO dieser nicht nur befriedigt, sondern auch überdeckt worden. Dass der Unterkunftskostenanteil am Pflegegeld 21,84 v.H. ausmache, ergebe sich aus der Auskunft des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 17. Januar 2005.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin ergänzend Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (so genannte Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist daher stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d.h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und ein Anordnungsanspruch (d.h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. mit § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei darf die einstweilige Anordnung des Gerichts wegen des summarischen Charakters dieses Verfahrens grundsätzlich nicht die endgültige Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen, weil sonst die Erfordernisse, die bei einem Hauptsacheverfahren zu beachten sind, umgangen würden. Auch besteht die Gefahr, dass eventuell in einem Eilverfahren vorläufig, aber zu Unrecht gewährte Leistungen später nach einem Hauptsacheverfahren, dass zu Lasten der Antragstellerinnen ausginge, nur unter sehr großen Schwierigkeiten erfolgreich wieder zurückgefordert werden könnten. Daher ist der vorläufige Rechtsschutz nur dann zu gewähren, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abzuwendende Nachteile entstünden, zur deren Beseitigung eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 79, 69, 74 [BVerfG 25.10.1988 - 2 BvR 745/88] m.w.N.).
Im vorliegenden Falle haben die Antragstellerinnen einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft dargetan. Gem. § 22 SGB II umfassen die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II und Sozialgeld) auch die Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, soweit diese angemessen sind. Besteht dabei neben einer Bedarfsgemeinschaft (und dabei handelt es sich bei den Antragstellerinnen), noch eine Wohngemeinschaft mit einer Person, die nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehört (wie hier der Pflegesohn Herr X.), so sind die Kosten der Unterkunft nach Kopfteilen zu verteilen (vgl. Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII und II, München 2005, § 29 SGB XII Rdn. 16 m.w.N.). Zutreffend ist daher in entsprechender Weise die Antragsgegnerin bei der Berechnung der Ansprüche der Antragstellerinnen nach dem SGB II verfahren.
Daran ändert es auch nichts, dass der Pflegesohn von der Stadt Delmenhorst mit Bescheid vom 6. Dezember 2004 aufgefordert wurde, Hilfen zur Erziehung, die ihm gewährt wurden, zurückzuzahlen. Abgesehen davon, dass einiges für die Annahme spricht, dass dieser Bescheid der Stadt Delmenhorst grob rechtswidrig ist, weil er keine an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Pflegesohnes getroffene Aufstellung über die zurückgeforderten Beträge enthält (so fehlt gänzlich jede genaue Gegenüberstellung von Leistungen und Leistungsfähigkeit nach den §§ 91 ff. SGB VIII), kann diese Frage nicht in den vorliegenden Rechtsstreit aus folgenden Gründen einbezogen werden: Es ist allein Sache des - nunmehr erwachsenen - Pflegesohnes gegen den Bescheid der Stadt Delmenhorst vorzugehen und dieser einer rechtlichen Überprüfung unterziehen zu lassen. Auch sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass gegenwärtig von der Stadt Delmenhorst dieser Bescheid vollstreckt würde, so dass dem Pflegesohn real weniger Finanzmittel zur Verfügung stünden. Denn tatsächlich wird das Pflegegeld für den jungen Erwachsenen zu Händen der Antragstellerin zu 1. gezahlt, so dass die materiellen Aufwendungen, die im Pflegegeld enthalten sind, nach wie vor weiter fließen. Zu Recht wurde auch, soweit ersichtlich, bei der Berechnung der Leistungen durch die Antragsgegnerin das Pflegegeld nach dem SGB VIII als Einkommen außer Betracht gelassen. Denn bei der Hilfe zur Erziehung für Pflegekinder ist der nicht dem Lebensunterhalt dienende Erziehungsbeitrag (vgl. Runderlass des MK vom 29. März 1996, Nds. MBl S. 593, Erlass vom 10. November 2003, Nds. MBl S. 747), nicht als Einkommen anzurechnen (vgl. insoweit zur früheren Rechtsprechung nach dem BSHG: OVG Lüneburg, Beschluss vom 18. Mai 1993 - 4 M 1702/93 - V.n.b.; OVG Münster, Urteil vom 24. November 1995 - 24 A 4833/94-FEVS 46,452 = info also 1996, 141). Zwar mag in diesem Zusammenhang möglicherweise die Überlegung zutreffen, dass in den wirtschaftlichen Hilfen zugleich ein Anteil für Unterkunftskosten in Höhe von 21,84 v.H. enthalten sei. Dieses Auseinanderfallen bei der Betrachtung der Unterkunftskosten nach dem SGB VIII einerseits und den Unterkunftskosten nach dem SGB XII und II andererseits verdeutlicht zwar, dass der Gesetzgeber diese Gesetzeswerke nicht miteinander harmonisiert hat. Andererseits ist es für das vorliegende Verfahren aber ohne durchgreifende Bedeutung, da die Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfteilen bei Wohngemeinschaften allgemein anerkannt ist und seit langem auch der früheren Rechtsprechung nach dem BSHG entspricht.
Über die außergerichtlichen Kosten war gem. § 193 SGG analog zu entscheiden. Nach Ansicht des Gerichts entspricht es nicht der Billigkeit, dass die Antragsgegnerin den Antragstellerinnen ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten hat. Denn der Antrag wird in der Sache abgelehnt. Die Entscheidung über die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens beruht auf § 183 Satz 1 SGG.
Die begehrte Prozesskostenhilfe war gem. § 73a SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO zu versagen, weil der Antrag aus den dargelegten Gründen in der Sache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.