Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 15.02.2002, Az.: 4 A 343/01

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
15.02.2002
Aktenzeichen
4 A 343/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 42341
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Der Kläger begehrt die Bewilligung von Jugendhilfeleistungen für die Betreuung seiner Tochter.

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Die Ehefrau des Klägers erlitt am 23.07.1999 eine Hirnblutung und befand sich danach längere Zeit in einem Wachkoma. Nach notärztlicher Versorgung und einem chirurgischen Eingriff befand sich Frau K. mehrere Wochen auf der Intensivstation und erhielt anschließend einen Frührehabilitationsplatz in einem Behandlungszentrum in H.-E.. Dort erwachte sie aus dem Wachkoma. In der Zeit von Februar bis Juni 2000 wurde Frau K. in einem anderen Intensivzentrum bei E. weiterbehandelt. Ende Juni 2000 ist sie in den Langzeittherapie-/Pflegebereich dieses Therapiezentrums gewechselt.

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Die am 14.01.1998 geborene Tochter L.-S. wurde nach der Erkrankung ihrer Mutter zunächst durch eine Tante zu Hause betreut. Bis Anfang des Jahres 2000 erfolgte eine Betreuung durch eine Nachbarin. Seit März 2000 kümmert sich die Erzieherin Frau P. um L.. Der Kläger hat mit Frau P. am 21.02.2000 einen Anstellungsvertrag geschlossen. Danach wird Frau P. als Kinderfrau für L. beschäftigt. Weiterhin obliegt ihr die Haushaltsführung, wobei ihr hierbei im erforderlichen Maße weitere personelle Unterstützung nach Absprache zur Verfügung gestellt werden soll. Sobald es der Gesundheitszustand von Frau K. zulässt, wieder zuhause zu wohnen, soll sich Frau P. nach diesem Vertrag auch betreuend um Frau K. kümmern. Die Regelarbeitszeit beträgt 40 Stunden wöchentlich. Frau P. erhält ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 3.000,00 DM sowie eine Mehraufwandspauschale von 580,00 DM. Die vom Kläger abgeführten Arbeitgeberanteile betragen monatlich 621,00 DM. Mithin wendet der Kläger für die Beschäftigung von Frau P. monatlich ca. 4.200,00 DM auf. Diese Kosten hat die Krankenkasse des Klägers bis zum Wechsel von Frau K. in das Pflegeheim in voller Höhe übernommen.

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Mit Schreiben vom 28.07.2000 beantragte der Kläger die Gewährung von Jugendhilfeleistungen für die ihm aus der Beschäftigung von Frau P. entstehenden Aufwendungen. Nach einer dem Antrag beigefügten Einnahmen-, Ausgaben- und Vermögensaufstellung hatte die Familie des Klägers monatliche Gesamtausgaben einschließlich der Therapie- und Pflegekosten für Frau K. von 12.986,51 DM. Die Einnahmen gab der Kläger mit 5.084,76 DM an, wobei er von der Frau K. gewährten Erwerbsunfähigkeitsrente, dem Pflegegeld der Pflegekasse und dem Kindergeld ausging. Das Barvermögen der Familie bezifferte der Kläger mit 111.730,01 DM. Hiervon brachte er Steuer- und Darlehensverbindlichkeiten sowie eine Lebensversicherung und die sich im Jahre 2000 ergebene Unterdeckung der Ausgaben in Abzug, so dass noch ein Betrag von 5.409,35 DM verblieb.

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Im Verlauf des Verwaltungsverfahrens legte der Kläger eine ärztliche Bescheinigung der Kinderärztinnen W. und L. vom 07.09.2000 vor. Danach sei es geboten, L. in der gewohnten Umgebung zu belassen. Die Beschäftigung einer anderen Tagesmutter würde ein erneutes Verlusttrauma bedeuten und zu einer schweren Störung der psychosozialen Entwicklung des Kindes führen. Nach Einschätzung einer Mitarbeiterin des Jugendamtes der Beklagten vom 19.09.2000 ist eine Tagespflege nicht ausreichend, um L.s Entwicklung angemessen zu fördern. Sie würde aus der vertrauten Umgebung gelöst, und vor allen Dingen würde die enge, gewachsene vertrauensvolle Beziehung zu Frau P. verloren gehen, die für L. einen großen Halt bei der Verarbeitung der Erlebnisse mit ihrer Mutter bedeute. Für das Wohl des Kindes sei es deshalb weiter erforderlich, dass L. im elterlichen Haushalt durch Frau P. betreut werde.

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Mit Bescheid vom 21.09.2000 bewilligte die Beklagte zur teilweisen Deckung der Kosten der Betreuung von L. mit Wirkung ab dem 31.08.2000 Jugendhilfeleistungen in Höhe von monatlich 953,70 DM. Diese Bewilligung wurde zunächst bis einschließlich 31.01.2001 befristet. Die Entscheidung beruhe auf § 20 SGB VIII. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien erfüllt. Gleichwohl ergebe sich hieraus kein Anspruch auf Übernahme der vollen Kosten der vom Kläger geschaffenen Betreuungssituation. Die Beklagte habe sich unabhängig von der vom Kläger getroffenen Regelung an der Ausgestaltung sonstiger finanzieller Leistungen der Jugendhilfe zu orientieren. Diese gingen grundsätzlich nicht von der Begründung eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses aus. Angesichts der besonderen Situation, in der die Tochter des Klägers betreut werde, werde die Beklagte Leistungen in der Höhe zahlen, wie sie grundsätzlich für Wochenpflege in einer entsprechenden Pflegestelle zu zahlen wären. Bei der Wochenpflege handele es sich um eine Betreuung, in der ein Kind von montags bis freitags über Tag und Nacht außerhalb des elterlichen Hauses betreut werde. Das Pflegegeld für Wochenpflege entspreche 85% des Pflegegeldes, das für die dauerhafte Unterbringung eines Kindes bis zum Alter von sechs Jahren in einer Pflegefamilie gezahlt werde. Dieses Entgelt betrage zur Zeit monatlich 1.122,00 DM. Damit ergebe sich der bewilligte Betrag von 953,70 DM. Für die Zeit ab der Antragstellung wurde dem Kläger eine Nachzahlung bewilligt.

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Der Kläger erhob hiergegen mit Schreiben vom 05.10.2000 Widerspruch. Offenbar gehe auch die Beklagte davon aus, dass die Unterbringung von L. in einer externen Einrichtung nicht in Betracht komme. Vor diesem Hintergrund sei ihm nicht klar, wie die tatsächliche Betreuung mit dem bewilligten Zuschuss bewerkstelligt werden solle. In einer weiteren Widerspruchsbegründung des nunmehr anwaltlich vertretenen Klägers wird darauf hingewiesen, dass eine Betreuung in der eigenen häuslichen Umgebung zwangsläufig höhere Kosten verursache, als bei einer Betreuung in einer Pflegefamilie anfielen. Dieses müsse die Beklagte berücksichtigen. Entscheidend sei das Wohl des Kindes und gemäß § 5 SGB VIII das Wunsch- und Wahlrecht der Erziehungsberechtigten. Ob durch die vom Kläger gewählte Betreuungsform unverhältnismäßige Mehrkosten entstünden, habe die Beklagte nicht belegt. Denn vergleichbar seien lediglich andere Formen einer Betreuung im Hause des Klägers, also möglicherweise durch eine von der Beklagten zu stellende Betreuungsperson. In diesem Fall sei aber zusätzlich zu berücksichtigen, dass ein Wechsel der Pflegeperson problematisch sei. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2001 als unbegründet zurück. Der Kläger habe durch seine eigenständige Entscheidung, eine Kinderfrau für seine Tochter einzustellen, dem Jugendamt die Möglichkeit genommen, rechtzeitig ein Betreuungsangebot zu machen, dass der Situation und damit dem Wohl des Kindes entsprochen hätte. Es sei anzumerken, das das KJHG den Einsatz von Fachkräften für die Betreuung von Kindern nicht gebiete, sondern dass auch Tagespflegekräfte im häuslichen Bereich eingesetzt werden könnten. Im Übrigen sei Frau P. nicht nur als Kinderfrau beschäftigt, sondern sei auch für die Haushaltsführung angestellt. Ein erheblicher Anteil ihrer Arbeitszeit betreffe damit einen Bereich, für den Jugendhilfe nicht zu gewähren sei.

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Der Kläger hat am 16.03.01 Klage erhoben, mit der er geltend macht:

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Er sei wegen seiner Berufstätigkeit nicht in der Lage, selbst seine Tochter zu betreuen. Auch könne er die anfallenden Betreuungskosten nicht selbst bezahlen. Es komme hinzu, dass die Beklagte seit Januar 2001 auch die bisher gewährte Leistung nicht mehr übernehme, da L. nunmehr einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz habe. Dem gemäß besuche sie an drei Tagen in der Woche für je zweidreiviertel Stunden einen Kindergarten. Frau P. werde gleichwohl noch 40 Stunden pro Woche beschäftigt. Der vorliegende Einzelfall gebiete eine spezielle Betreuung von L.. Das Gesetz schließe es nicht aus, dass auch sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftigt werden dürften. Das Ziel des § 20 SGB VIII sei es, dem Kind den familiären Lebensraum zu erhalten. Dazu gebe es im vorliegenden Fall keine Alternativen. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass Leistungen nach § 20 SGB VIII auch die Haushaltsführung mit umfassten. Der Kläger habe im Übrigen nicht willkürlich eine kostenintensive Maßnahme gewählt. Er habe dies in Absprache mit seiner Krankenkasse getan, die die Kosten übernommen habe. Er habe somit davon ausgehen dürfen, eine legitime Lösung gefunden zu haben. Insbesondere habe er damit die Beklagte nicht vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Beklagte habe bis heute kein vergleichbares geeignetes Betreuungsangebot vorgelegt. Der pauschale Hinweis auf die Kosten der Unterbringung in einer Pflegefamilie gehe damit an der konkreten Bedarfssituation von L. vorbei. Die Beklagte bemühe sich nicht einmal um ein Eingehen auf die ärztlichen Stellungnahmen und die Einschätzung der Mitarbeiterin des eigenen Jugendamtes. Wenn aber die Beklagte keine andere angemessene Betreuungsform angeben könne, habe sie die anfallenden Kosten für die Betreuung im familiären Umfeld der Tochter des Klägers zu übernehmen. Was die Einkommensverhältnisse der Familie des Klägers betreffe, so habe sich dieser nicht armgerechnet. So verfüge er heute nicht mehr über ein Monatseinkommen von 11.000,00 DM netto. Er sei aufgrund der hohen Belastung krank geworden und hoffe demnächst etwa 6.500,00 DM brutto zu verdienen. Zwischenzeitlich hätten sich die Kosten für die Betreuung von L. durch den zusätzlichen Kindergartenaufenthalt auf 2.720,00 DM im Monat reduziert.

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Der Kläger beantragt,

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die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für die Betreuung der Tochter des Klägers L.-S. K. durch die Erzieherin Frau M. P. gemäß § 20 SBG VIII in einem Umfang von 40 Wochenstunden zu übernehmen und den Bescheid vom 21. September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2001 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie habe dem Kläger 85% des Pflegesatzes für eine dauernde Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie bewilligt. Zwar gäbe es nach dem KJHG ein Wahlrecht der Erziehungsberechtigten. Im vorliegenden Fall lägen die Kosten der vom Kläger gewählten Betreuungsform aber etwa fünfmal so hoch wie bei einer Pflegefamilie. Im Übrigen hätte der Kläger das Jugendamt der Beklagten von vornherein beteiligen müssen. Dass eine neue Bezugsperson für L. nicht in Betracht komme, treffe nicht zu. Denn L. befinde sich jetzt seit geraumer Zeit im Kindergarten und habe damit auch neue Bezugspersonen erfahren. Der Kläger verkenne den Sinn des Sozialstaates. Kein Kind habe das Recht, allein von einer ausgebildeten Erzieherin betreut zu werden. Bei einem Nettogehalt von über 11.000,00 DM im Monat sei es unverständlich, wenn ein Bürger den Staat für die Betreuung seiner Kinder in Anspruch nehme. Deshalb ergäben sich Zweifel, ob der Kläger überhaupt anspruchsberechtigt sei. Denn gemäß § 92 SGB VIII seien die Kosten durch das Jugendamt nur zu übernehmen, wenn die Aufbringung der Mittel den Erziehungsberechtigten nicht zuzumuten sei.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II.

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Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange Erfolg.

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Die Beklagte war zu verpflichten, über den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Denn dem Kläger steht ein weitergehender Anspruch zu, als die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden Leistungen bewilligt hat. Abzuweisen war die Klage hingegen, soweit der Kläger die Übernahme der anfallenden Kosten ohne jede Einschränkung begehrt. Dazu im Einzelnen:

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Zutreffend gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch § 20 SGB VIII ist. Diese Vorschrift lautet wie folgt:

(1)

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Fällt der Elternteil, der die überwiegende Betreuung des Kindes übernommen hat, für die Wahrnehmung dieser Aufgabe aus gesundheitlichen oder anderen zwingenden Gründen aus, so soll der andere Elternteil bei der Betreuung und Versorgung des im Haushalt lebenden Kindes unterstützt werden, wenn

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1. er wegen berufsbedingter Abwesenheit nicht in der Lage ist, die Aufgabe wahrzunehmen,

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2. die Hilfe erforderlich ist, um das Wohl des Kindes zu gewährleisten,

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3. Angebote der Förderung des Kindes in Tageseinrichtungen oder in Tagespflege nicht ausreichen.

(2)

23

Fällt ein alleinerziehender Elternteil oder fallen beide Elternteile aus gesundheitlichen oder anderen zwingenden Gründen aus, so soll unter der Voraussetzung des Absatzes 1 Nr. 3 das Kind im elterlichen Haushalt versorgt und betreut werden, wenn und solange es für sein Wohl erforderlich ist.

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Die Voraussetzungen des Absatzes 2 dieser Vorschrift sind im vorliegenden Fall erfüllt. Die Ehefrau des Klägers ist aus gesundheitlichen Gründen seit dem 23.07.1999 nicht in der Lage, die gemeinsame Tochter zu versorgen und zu betreuen. Ebenso wenig ist dies dem Kläger möglich, der ganztags berufstätig und darüber hinaus in erheblichem zeitlichen Umfange bemüht gewesen ist, sich um seine schwer erkrankte Ehefrau zu kümmern, z.B. durch häufige Besuche in Krankenhäusern bzw. Pflegeeinrichtungen.  Dass es dem Kläger bei dieser Sachlage möglich gewesen wäre, auch nur ansatzweise für die Betreuung seiner Tochter zur Verfügung zu stehen, ist nicht ersichtlich, und auch die Beteiligten gehen davon nicht aus.

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Auch die weitere Voraussetzung des § 20 Absatz 2 SGB VIII ist erfüllt. Die Angebote der Förderung des Kindes in Tageseinrichtungen oder in Tagespflege reichen nämlich nicht aus. Hierzu vertreten die Kinderärztinnen W. und L. sowie das Jugendamt der Beklagten übereinstimmend die Auffassung, dass eine Tagespflege nicht ausreichend ist, um L.-S. Entwicklung angemessen zu fördern. In der Stellungnahme der Ärztinnen vom 07.09.2000 heißt es hierzu u.a.:

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Um das Kind in vertrauter Umgebung zu belassen, wurde das Kind zunächst von einer Nachbarin mit gleichaltrigem Kind tagsüber betreut. Da die Familie der Nachbarin Anfang des Jahres verzog, war ein erneuter Wechsel der Bezugsperson erforderlich. L.-S. wird von einer Kinderfrau, zu der sie zwischenzeitlich eine gute Beziehung aufgebaut hat, weiterhin in ihrer vertrauten Umgebung mit vertrauten Spielkameraden und wöchentlichem Besuch bei der stationär liegenden Mutter betreut. Eine Übernahme des Kindes durch eine Tagesmutter würde ein erneutes Verlusttrauma bedeuten, zusätzlich würde das Kind aus der vertrauten Umgebung gerissen. Dies würde eine schwere Störung der psychosozialen Entwicklung des Kindes bedeuten. Um Gefahr von der weiteren Entwicklung des Kindes abzuwenden, ist meines Erachtens hier Hilfe für die Familie i.S.d. Jugendhilfegesetzes erforderlich.

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Die Sachbearbeiterin im Jugendamt der Beklagten, Frau B., hat in einem Vermerk vom 19.09.2000 u.a. Folgendes festgehalten:

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Meiner Meinung nach ist eine Tagespflege nicht ausreichend, um L.-S. Entwicklung angemessen zu fördern. Der Kontakt zur Mutter würde darunter leiden. L. würde aus der vertrauten Umgebung gelöst. Vor allen Dingen würde die enge, gewachsene vertrauensvolle Beziehung zu Frau P. verloren gehen, die für L.-S. einen großen Halt bedeutet bei der Verarbeitung der Erlebnisse mit ihrer Mutter. Für das Wohl des Kindes ist es weiter erforderlich, dass das Kind im elterlichen Haushalt durch Frau P. betreut wird.

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Die Erforderlichkeit einer Betreuung von L.-S. im elterlichen Haushalt steht damit zur Überzeugung der Kammer fest. Dabei steht dem Klagebegehren im vorliegenden Fall nicht entgegen, dass die für erforderlich gehaltene Hilfe bereits seit dem 01.03.2000 gewährt wird, und zwar ohne dass das Jugendamt der Beklagten zu diesem Zeitpunkt beteiligt worden wäre. Denn grundsätzlich kann der zuständige Träger der Jugendhilfe auch zur Übernahme der Kosten bereits durchgeführter Hilfemaßnahme verpflichtet sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.06.91, Buchholz 436.51, § 6 JWG Nr. 13). Zwar sind die Jugendämter in erster Linie gehalten, die erforderliche Hilfe durch eigene Einrichtungen und Veranstaltungen oder durch die Inanspruchnahme fremder Einrichtungen und Veranstaltungen originär zu gewähren. Geschieht dies jedoch nicht und wird dem Leistungsberechtigten die notwendige Hilfe anderweitig zuteil, hat sich damit der Hilfeanspruch nicht in der Weise erledigt, dass nunmehr keinerlei Verpflichtungen des Jugendamtes mehr bestünden. Lagen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vor, kann und muss der Jugendhilfeträger vielmehr noch nachträglich diese Hilfe leisten, indem er die Kosten der bereits durchgeführten Maßnahmen übernimmt. Hierdurch wird nicht die Gefahr geschaffen, dass der Jugendhilfeträger von dem Leistungsberechtigten vor vollendete Tatsachen gestellt werden könnte und auf diese Weise Maßnahmen finanzieren müsste, für die er sonst nicht aufzukommen hätte. Denn der Anspruch auf die Übernahme der Kosten einer bereits durchgeführten Hilfe ist in der selben Weise vom Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen abhängig, wie die primäre Verpflichtung des Jugendamtes, Hilfe als Sachleistung zu gewähren (BVerwG, Beschluss vom 25.08.87, Buchholz 436.51; § 5 JWG Nr. 2). Es kommt im vorliegenden Fall hinzu, dass der Abschluss des Arbeitsvertrages zwischen dem Kläger und Frau P. am 21.02.2000 erfolgte, zu einem Zeitpunkt, als eine Beteiligung des Jugendamtes in Zusammenhang mit der erforderlichen Betreuung der Tochter des Klägers nicht geboten war. Denn zu diesem Zeitpunkt übernahm die Krankenkasse des Klägers die Kosten der Beschäftigung von Frau P. in vollem Umfange. Mit der Krankenkasse hatte der Kläger dieses im Einzelnen abgestimmt, und eine Inanspruchnahme und Beteiligung des Jugendamtes war erst in dem Augenblick angezeigt, als ein Wechsel der Mutter von L.-S. aus dem Krankenhaus in eine Pflegeeinrichtung erfolgt ist mit der Folge, dass ein Eintreten der Krankenversicherung nicht mehr erfolgte. Zu diesem Zeitpunkt hatte es aber bereits eine mehrmonatige Betreuung durch Frau P. gegeben, so dass es aus der Sicht des Klägers nahe lag, den Zustand zu belassen.

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Zwar ist es denkbar, dass die Beklagte als Jugendhilfeträger im Zeitpunkt der Hilfebeantragung, also am 28.07.2000 ein eigenes Konzept vorgelegt hätte, mit dem der Jugendhilfebedarf von L.-S. gedeckt werden konnte. In diesem Fall stellte sich die Frage, ob der Kläger aus seinem Wunsch- und Wahlrecht nach § 5 SGB VIII die weitere Betreuung durch Frau P. und in der Folge die Kostenübernahme durch das Jugendamt hätte beanspruchen können. Die Beklagte hat jedoch eine alternative Betreuungsmöglichkeit im vorliegenden Fall nicht aufgezeigt. Sie hat zwar bei der Bewilligung von Jugendhilfe in dem angefochtenen Bescheid vom 21.09.2000 die Kosten einer Tagespflege zu-

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grunde gelegt. Eine Betreuung im Haushalt des Klägers durch Mitarbeiter des Jugendamtes oder von diesem beauftragte andere Personen ist jedoch nach dem Vorbringen der Beteiligten und dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten zu keinem Zeitpunkt erwogen worden und demzufolge hatte es auch ein entsprechendes Angebot gegenüber dem Kläger nicht gegeben. Bei dieser Sachlage kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, sie pflege in vergleichbaren Fällen stets pauschal die Kosten der Wochenpflege in einer Pflegestelle heranzuziehen. Denn im vorliegenden Fall ist die gebotene und geeignete Maßnahme - wie bereits ausgeführt - die Betreuung im elterlichen Haushalt nach Maßnahme von § 20 SGB VIII. Wenn eine solche Betreuung nur zu den Konditionen des zwischen dem Kläger und Frau P. abgeschlossenen Anstellungsvertrages möglich ist, ist grundsätzlich Hilfe in dieser Form zu gewähren, bzw. hat eine Kostenübernahme zu erfolgen. Wenn eine andere Betreuungsmöglichkeit besteht, ist diese zunächst aufzuzeigen, bevor entschieden werden kann, ob der Anspruchsberechtigte darauf verwiesen werden kann.

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Zwar kann ein Kostenübernahmebegehren für den hier maßgeblichen Zeitraum bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides grundsätzlich nur dann Erfolg haben, wenn die Kosten, deren Erstattung begehrt wird, nicht unverhältnismäßig sind. Dieses folgt bereits aus § 5 SGB VIII, wonach der Träger Wünschen der Leistungsberechtigten nur dann zu entsprechen hat, wenn diese nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sind. Es sind deshalb die Kosten, welche die erforderliche Maßnahme unter Berücksichtigung des Wunsches der Leistungsberechtigten erfordert, mit den Kosten zu vergleichen, die bei Durchführung der Maßnahme entstehen würden, ohne dass ein solcher Wunsch in Frage stünde. Da im vorliegenden Fall nicht feststellbar ist, dass eine dem Hilfebedarf genügende anderweitige Betreuungsmöglichkeit in dem fraglichen Zeitraum überhaupt zur Verfügung gestanden hätte und ob diese darüber hinaus kostengünstiger gewesen wäre, lässt sich nicht feststellen, dass die durch die Beauftragung der Frau P. entstandenen Aufwendungen unverhältnismäßig sind. Dabei obliegt die Beweislast für die anderweitige Möglichkeit der Bedarfsdeckung dem öffentlichen Träger. Besteht ein annehmbares anderes Angebot nicht, müssen auch Kosten übernommen werden, die erheblich vom Durchschnitt abweichen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Oktober 1995 - 7 S 1345/93 - zitiert nach Juris).

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Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus Folgendes: Gemäß § 92 Absatz 3 SGB VIII tragen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Kosten der in § 91 Absatz 1, Nr. 2, 4, 5, 6, 7 Absatz 3 Nr. 3 und Absatz 4 genannten Leistungen und anderen Aufgaben auch insoweit, als den dort genannten Personen die Aufbringung der Mittel aus ihrem Einkommen und Vermögen nach Maßgabe der §§ 93, 94 zuzumuten ist. Die Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen gemäß § 20 SGB VIII ist in § 91 Absatz 1 Nr. 2 SGB VIII ausdrücklich aufgeführt. Daraus folgt, dass das Einkommen und Vermögen der Familie des Klägers für die grundsätzliche Verpflichtung der öffentlichen Jugendhilfe zur Kostentragung nicht maßgeblich ist. Die Argumentation der Beklagten, dem Kläger stehe ein weitergehender Anspruch bereits deshalb nicht zu, weil ihm nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen  die Bestreitung der anfallenden Kosten auch ohne Inanspruchnahme des Jugendamtes zumutbar gewesen wäre, geht damit fehl. Das Gesetz stellt hierauf im § 92 SGB VIII nicht ab. Allerdings besteht die Möglichkeit, die Eltern zu den Kosten heranziehen oder einen Unterhaltsanspruch geltend zu machen. Dieses ist jedoch, soweit ersichtlich, bisher nicht geschehen und muss damit einem eventuell nachfolgenden Verwaltungsverfahren vorbehalten bleiben.

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Die Verpflichtung der Beklagten zur Kostenübernahme ist allerdings nur in dem Umfange anzuerkennen, soweit es um die erforderlichen Aufwendungen für die Betreuung von L.-S. und damit um die Umsetzung der Vorschrift des § 20 SGB VIII geht. Nach dem zwischen dem Kläger und Frau P. geschlossenen Anstellungsvertrage obliegt Frau P. nicht nur die Betreuung von L., sondern auch die Haushaltsführung ohne Einschränkung. Dabei wird die Haushaltsführung zumindest teilweise von der Betreuung nicht zu trennen sein. Soweit die Haushaltsführung jedoch darüber hinaus auch dem Kläger unmittelbar zugute kommt, können die hierfür getätigten Aufwendungen nicht aus Jugendhilfemitteln beansprucht werden. Die Beklagte wird daher gemäß § 113 Abs. 2 VwGO zu überprüfen haben, in welchem Umfange die für die Beschäftigung von Frau P. getätigten Aufwendungen unmittelbar oder mittelbar der Betreuung von L. zugute kommen und damit den Jugendhilfebedarf aus § 20 Abs. 2 SGB VIII decken. In diesem Umfang hat eine Kostenübernahme des Jugendhilfeträgers und damit der Beklagten zu erfolgen. Ebenso wird die Beklagte zu prüfen haben, in welchem Umfang ein Jugendhilfebedarf in der Zeit ab dem 01.02.2001 bis zum Ergehen des Widerspruchsbescheides besteht. In diesem Zeitraum ist der stundenweise Besuch des Kindergartens durch L. zu berücksichtigen, der Auswirkungen auf die Höhe des Betreuungsbedarfs durch Frau P. gehabt haben dürfte. Die Zeit nach Erlass des Widerspruchsbescheides ist hingegen nicht Streitgegenstand dieses Rechtsstreits. Insoweit bedarf es ggfs. zunächst der Durchführung eines gesonderten Verwaltungsverfahrens.

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Aus dem Vorstehenden ergibt sich zugleich, dass die Klage keinen Erfolg haben konnte, soweit der Kläger eine Leistungsgewährung ohne Einschränkungen  begehrt. § 20 Abs. 2 SGB VIII dient lediglich der Deckung eines bestehenden Jugendhilfebedarfs. Allgemeine Kosten der Hausführung fallen hierunter nicht.