Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 15.02.2002, Az.: 2 A 1540/00

Albaner; Altfallregelung ; Arbeitsverhältnis; Aufenthaltsbefugnis; wirtschaftliche Integration

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
15.02.2002
Aktenzeichen
2 A 1540/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 41758
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die Kläger, die albanische Staatsangehörige sind, begehren von dem Beklagten die Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen.

2

Der am 3. August 1959 geborene Kläger zu 1. und die am 13. November 1962 geborene Klägerin zu 2. reisten im Oktober 1991 gemeinsam mit ihrer im Jahre 1988 geborenen Tochter, der Klägerin zu 3., in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo im Jahre 1992 eine weitere Tochter, die Klägerin zu 4., zur Welt kam. Nach ihrer Einreise bzw. Geburt beantragten die Kläger ihre Anerkennung als Asylberechtigte.

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Den Asylantrag der Kläger lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge durch Bescheid vom 17. August 1994 ab und stellte gleichzeitig fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz (AuslG) noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorlägen. Darüber hinaus wurde den Klägern die Abschiebung nach Albanien angedroht. Die hiergegen erhobene Klage wurde durch Urteil der 5. Kammer des erkennenden Gerichts vom 23. Februar 1996 (5 A 2046/94) abgewiesen. Rechtsmittel legten die Kläger nicht ein. Seither wird ihr Aufenthalt im Bundesgebiet geduldet.

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Am 12. Dezember 1996 beantragten die Kläger erstmals die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis, weil der Kläger zu 1. aufgrund seiner gesundheitlichen Situation nicht in der Lage sei, in sein Heimatland zurückzukehren. Diesen Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 5. Januar 1999 ab. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (vgl. Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung L. v. 1. 9. 1999) erhoben die Kläger zwar Klage (3 A 1635/99), nahmen diese aber in der mündlichen Verhandlung am 23. Februar 2000 zurück.

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Während des noch laufenden Klageverfahrens 3 A 1635/99 beantragten die Kläger am 8. Februar 2000 bei dem Beklagten die Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen nach § 32 AuslG in Verbindung mit dem Erlass des Nds. Innenministeriums vom 10. Dezember 1999 (sogenannte Altfallregelung). Zur Begründung machten sie geltend: Die erfüllten die Voraussetzungen der Altfallregelung bis auf die Tatsache, dass die Kläger zu 1. und 2. über keine Arbeitserlaubnis verfügten und daher ihren Lebensunterhalt bisher nicht aus eigener Erwerbstätigkeit beschreiten könnten. Es gebe aber sowohl für den Kläger zu 1. als auch für die Klägerin zu 2. jeweils eine verbindliche Einstellungszusage, wie die unter dem Vorbehalt einer Aufenthaltsgenehmigung und einer Arbeitserlaubnis zwischen dem Kläger zu 1. und der Firma J. F. S. B.-, S. u. T. G., B., einerseits und zwischen der Klägerin zu 2. und der K. R. W., B., andererseits am 28. Februar 2000 bzw. 3. März 2000 geschlossenen Arbeitsverträge belegten.

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Durch Bescheid vom 7. Juni 2000 lehnte der Beklagte die von den Kläger beantragte Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis ab und begründete dies unter anderem wie folgt: Eine Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis komme hier schon deshalb nicht in Betracht, weil die Kläger die in dem Erlass vom 10. Dezember 1999 geforderten Integrationsbedingungen für eine Teilnahme an der Altfallregelung nicht erfüllten. Der Lebensunterhalt der gesamten Familie werde aus Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bestritten. Dies sei auch an dem nach der Altfallregelung maßgeblichen Stichtag (19. 11. 1999) so gewesen. Zur Zeit erhielten die Kläger von der Gemeinde N. monatlich 2.131,64 DM. Im Übrigen reiche eine Zusage für einen Arbeitsplatz nach dem Willen des Erlassgebers nur dann aus, wenn bereits früher eine legales sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestanden habe. Hier sei der Kläger zu 1. aber während seines gesamten Aufenthalts im Bundesgebiet noch keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen.

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Gegen diesen Bescheid legten die Kläger am 19. Juni 2000 Widerspruch ein, den die Bezirksregierung L. durch Widerspruchsbescheid vom 4. September 2000, den Klägern zugestellt am 7. September 2000, zurückwies.

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Die Kläger haben am 9. Oktober 2000 (Montag) Klage erhoben. Zur Begründung machen sie unter anderem geltend:

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Der Kläger zu 1. habe nach mehreren vergeblichen Versuchen am 21. September 2000 eine Arbeitserlaubnis für eine Beschäftigung bei der F. D. G. i. S. erhalten und sei dort seit dem 1. September 2000 beschäftigt. Der Arbeitsvertrag sei zwar bis zum 31. Dezember 2000 befristet, werde jedoch nach mündlicher Zusage des Arbeitgebers verlängert werden. Aufgrund der Erwerbstätigkeit des Klägers zu 1. erhielten die Kläger seit dem 1. Oktober 2000 keine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz mehr. Darüber hinaus sei zur Zeit bei dem Arbeitsamt Bremen eine Antrag der Klägerin zu 2. auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis zur Arbeitsaufnahme bei der Firma C. D. i. B. anhängig. Es werde nur noch eine Bescheinigung des Beklagten benötigt, der ihr das vorübergehende Betreten des Landes Bremens zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlaube. Einen entsprechenden Antrag habe sie bereits gestellt. Es sei daher festzustellen, dass die Kläger nunmehr sämtliche Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach der Altfallregelung erfüllten. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Bremen bei der Stichtagsregelung allein eine Prognose, ob der Lebensunterhalt in Zukunft gesichert werden könne, maßgeblich. Diese Prognose sei hier positiv. Der Kläger zu 1. sei bereits erwerbstätig und die Klägerin zu 2. werde es sein, sobald ihr die beantragte Arbeitserlaubnis erteilt werde.

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Die Kläger haben schriftsätzlich beantragt,

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den Beklagten zu verpflichten, ihnen unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 7. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung L. vom 4. September 2000 die beantragte Aufenthaltsbefugnis zu erteilen.

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Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

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die Klage abzuweisen.

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Er wiederholt im Wesentlichen die Begründung der angefochtenen Bescheide und weist ergänzend unter anderem auf Folgendes hin:

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Bei der Beschäftigung des Klägers zu 1. auf dem Gemüsehof handele es sich lediglich um eine Saisonarbeit als Erntehelfer mit einer Arbeitszeit von 16 Stunden je Woche. Mit dem Einkommen aus dieser Teilzeitbeschäftigung sei er nicht in der Lage, den Unterhalt seiner vierköpfigen Familie sicherzustellen, zumal er lediglich 11,10 DM brutto je Stunde erhalte. Aus diesem Grund seien die Kläger nach wie vor auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angewiesen. Die gegenteilige Behauptung sei schlicht falsch.

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Die Beteiligten haben durch Schriftsätze vom 31. Januar 2002 (Kläger) und vom 21. Januar 2002 (Beklagter) auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

17

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Beiakten A bis F) und der Bezirksregierung L. (Beiakte G) sowie die Gerichtsakten 5 A 2046/94 und 3 A 1635/99 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist unbegründet.

19

Der Bescheid des Beklagten vom 7. Juni 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung L. vom 4. September 2000 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Kläger daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil sie keinen Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen nach § 32 AuslG in Verbindung mit dem Erlass des Nds. Innenministeriums vom 10. Dezember 2000 haben. Dazu im Einzelnen:

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Gemäß § 32 Satz 1 und 2 AuslG kann die oberste Landesbehörde im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass Ausländern aus bestimmten Staaten oder dass in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen nach den §§ 30 und 31 Abs. 1 AuslG eine Aufenthaltsbefugnis erteilt wird oder dass erteilte Aufenthaltsbefugnisse verlängert werden.

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Von dieser Ermächtigung hat hier der Nds. Innenminister zur Umsetzung eines entsprechenden Beschlusses der Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder aus ihrer Sitzung vom 18./19. November 1999 durch Erlass vom 10. Dezember 1999 Gebrauch gemacht und im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern unter anderem angeordnet, dass Asylbewerberfamilien mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern - ausgenommen Staatsangehörige der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien einschließlich Kosovo und Montenegro) und der Republik Bosnien und Herzegowina - eine Aufenthaltsbefugnis erhalten, wenn sie vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, seitdem ihren Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik Deutschland gefunden und sich in die hiesige wirtschaftliche, soziale und rechtliche Ordnung eingefügt haben (vgl. Ziffer 2.1. Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 5 des Runderlasses - begünstigter Personenkreis). Hinsichtlich des danach erforderlichen Einfügens in die wirtschaftliche, soziale und rechtliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland setzt Ziffer 2.2.1 Buchstabe a Abs. 1 Satz 1 des Runderlasses für die wirtschaftliche Integration voraus, dass am 19. November 1999 der Lebensunterhalt der Familie einschließlich eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes durch legale sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel der Sozialhilfe gesichert ist, wobei Einkünfte aus nicht sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten keine ausreichende Sicherung des Lebensunterhaltes begründen, weil durch die Beitragszahlung in die Sozialversicherung sichergestellt werden soll, dass grundsätzlich Leistungen der öffentlichen Hand auch künftig nicht in Anspruch genommen werden müssen (vgl. Ziffer 2.2.1 Buchstabe a Abs. 1 Satz 2 des Runderlasses). Diese Voraussetzung ist nach Ziffer 2.2.1 Buchstabe a Abs. 2 des Runderlasses auch als erfüllt anzusehen, wenn entweder (= 1. Spiegelstrich) am 19. November 1999 ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis oder ein Teilzeitarbeitsverhältnis bestanden hat, das in ein Beschäftigungsverhältnis mit ausreichendem Einkommen umgewandelt wird, oder (= 2. Spiegelstrich) ein legales sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bereits früher bestanden hat, Bemühungen um eine Beschäftigung nachgewiesen sind und am 19. November 1999 ein Arbeitsvertrag oder eine verbindliche Zusage für ein Beschäftigungsverhältnis vorlag, mit dem der Lebensunterhalt gesichert gewesen wäre, und das Arbeitsverhältnis nur auf Grund des fehlenden Aufenthaltsrechts und der damit fehlenden Arbeitsgenehmigung nicht aufgenommen werden konnte, oder (= 3. Spiegelstrich) Saisonarbeitskräfte, die bereits vor dem 19. November 1999 regelmäßig legal beschäftigt waren, Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben und damit auch außerhalb der Beschäftigungssaison Sozialhilfe nicht oder nur ergänzend in Anspruch genommen haben. Schließlich können gemäß Ziffer 2.2.1 Buchstabe a Abs. 3 des Runderlasses Ausnahmen von der Sicherung des Lebensunterhaltes in besonderen Härtefällen gemacht werden, und zwar unter anderem (= 1. Spiegelstrich) bei Ausländerfamilien mit Kindern, die vorübergehend auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen sind, wenn die ergänzende Hilfe nicht höher als das zustehende Kindergeld im Falle des Kindergeldanspruchs ist.

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Gemessen an diesen Vorgaben gehören die Kläger als albanische Staatsangehörige zwar zu dem von der Altfallregelung begünstigten Personenkreis und die noch in Albanien geborenen Kläger zu 1. bis 3. sind auch alle vor dem 1. Juli 1993 eingereist, doch scheitert im vorliegenden Fall die Anwendbarkeit der Altfallregelung vom November/Dezember 1999, weil die Kläger die Anforderungen an eine Integration in die wirtschaftliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zweifelsfrei nicht erfüllen. Unstreitig war der Lebensunterhalt der Kläger einschließlich eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes am 19. November 1999, dem maßgeblichen Stichtat, nicht durch eine legale sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel der Sozialhilfe gesichert, sondern sie mussten tatsächlich in vollem Umfang Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Anspruch nehmen. Da es sich bei den Klägern zu 1. und 2. auch nicht um Saisonarbeitskräfte im Sinne der Ziffer 2.2.1 Buchstabe a Abs. 2 - 3. Spiegelstrich - des Runderlasses handelt und in ihrem Fall am 19. November 1999 auch kein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis oder Teilzeitarbeitsverhältnis im Sinne der Ziffer 2.2.1 Buchstabe a Abs. 2 - 1. Spiegelstrich - des Runderlasses bestand, könnte im Falle der Kläger eine Sicherung des Lebensunterhaltes der Familie überhaupt nur noch auf der Grundlage der Ziffer 2.2.1 Buchstabe a Abs. 2 - 2. Spiegelstrich - des Runderlasses als erfüllt angesehen werden. Dies scheitert aber bereits an der ersten Voraussetzung dieser Regelung, weil weder im Falle des Klägers zu 1. noch im Falle der Klägerin zu 2. bereits früher, also vor dem 19. November 1999 jemals ein legales sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestanden hat. Aufgrund eines bereits fehlenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses vor dem 19. November 1999 kommt es im vorliegenden Fall auf die Bemühungen der Kläger zu 1. und 2. um eine Beschäftigung nicht an. Schließlich greift im Falle der Kläger auch nicht die Härtefallregelung der Ziffer 2.2.1 Buchstabe a Abs. 3 - 1. Spiegelstrich - des Runderlasses, weil bei ihnen nicht nur ein vorübergehender ergänzender Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt gegeben war, sondern sie diesen vollständig aus öffentlichen Mitteln (Leistungen nach den Asylbewerberleistungsgesetz) bestritten haben.

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Soweit die Kläger unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Bremen (Beschl. v. 28. 1. 2000 - OVG 1 B 406/99) die Auffassung vertreten hat, dass eine Sicherung des Lebensunterhaltes der Familie im Sinne der Ziffer 2.2.1 Buchstabe a Abs. 1 Satz 1 des Runderlasses schon dann gegeben sei, wenn zwar am 19. November 1999 noch keine Erwerbstätigkeit ausgeübt werde, aber zu diesem Stichtag oder auch noch später jedenfalls ein Arbeitsvertrag oder eine verbindliche Zusage für ein zukünftig den Lebensunterhalt sicherndes Beschäftigungsverhältnis vorgelegen habe bzw. vorgelegt werde, vermag die Kammer dem nicht zu folgen, weil diese Rechtsauffassung zum einen weder mit der klaren Stichtagsregelung der Ziffer 2.2.1 des hier allein maßgeblichen niedersächsischen Runderlasses (" ... Vorliegen folgender Integrationsbedingungen am 19. 11. 1999 ...") noch mit dem eindeutigen Wortlaut der Ziffer 2.2.1 Buchstabe a Abs. 1 Satz 1 des Runderlasses in Einklang steht und zum anderen übersieht, dass ein Arbeitsvertrag oder eine verbindliche Zusage für ein zukünftiges Beschäftigungsverhältnis überhaupt nur im Rahmen der Regelung der Ziffer 2.2.1 Buchstabe a Abs. 2 - 2. Spiegelstrich - des Runderlasses rechtliche Bedeutung erlangt.