Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 22.02.2002, Az.: 3 A 930/01

Abschiebungshindernisse; anglophone Herkunft; frankophone Herkunft; Fulla; Herkunftsland; Krio; Sierra Leone; Sprachgutachten

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
22.02.2002
Aktenzeichen
3 A 930/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 42349
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Mit Nichtwissen, wieso die Sprache (Fulla, Krio) bei behaupteter Herkunft aus Sierra Leone gleichwohl frankophon geprägt ist, kann das Sprachgutachten welches deswegen die Herkunft aus Sierra Leone ausschließt nicht erschüttert werden.

Tatbestand:

1

Der Kläger begehrt seine Anerkennung als Asylberechtigter. Er ist - nach eigenen Angaben - am ... geboren und will im Mai 2000 aus Sierra Leone mit dem Schiff zunächst nach Marokko und mit einem weiteren Schiff nach Spanien gelangt sein. Dieses sowie die anschließenden Zugfahrten durch Spanien und Frankreich über Paris nach Straßburg habe er mit 600 US-Dollar für Helfer und Fahrkarten finanziert. In Kehl in Deutschland habe ihn der Bundesgrenzschutz aufgegriffen, die Fahrkarten abgenommen, weil diese nicht für Deutschland gültig seien und zunächst nach Frankreich zurückgeschickt. Französische Beamte wiederum hätten ihn auch zurückgewiesen und er habe für noch zurückbehaltene und inzwischen umgetauschte 100 US-Dollar eine Fahrkarte für die Weiterfahrt gekauft. Wieder in Deutschland habe er dann am 23. Mai 2000 einen Asylantrag gestellt. In seiner Anhörung vom 21. Juli 2000 gab er als Grund, Sierra Leone verlassen zu haben, an: Bei einem Rebellenüberfall sei sein Vater getötet worden. Die Rebellen hätten auch ihn verprügelt und dann mitgenommen. Durch eine Auseinandersetzung mit den Kamajors seien diese abgelenkt gewesen und dadurch habe er eine Woche später fliehen können.

2

Sprachauffälligkeiten (der Kläger sprach jeweils Englisch oder behauptete dieses nicht zu können) sowie mangelnde Kenntnisse über Sierra Leone veranlassten die Beklagte zur Einholung einer Sprachanalyse. Zum ersten Sprachtest am 27. November 2000 erschien der Kläger nicht. Das schließlich am 4. Juli 2001 erstellte Gutachten gibt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als Herkunftsregion des Klägers ein frankophones Land in Westafrika an.

3

Die Beklagte bemühte sich um eine Rücknahme des Klägers durch Spanien. Wie zuvor schon Frankreich, lehnte Spanien dieses ab: Es gebe keine Unterlagen, dass der Kläger überhaupt durch Spanien gereist sei, lediglich seine Angaben seien keine Entscheidungsbasis.

4

Nach Scheitern der Rückführungsbemühungen lehnte die Beklagte das Asylbegehren mit Bescheid vom 11. Juli 2001, zugestellt am 18. Juli 2001, als offensichtlich unbegründet ab und hielt auch das Begehren nach § 51 AuslG für offensichtlich und das nach § 53 AuslG für unbegründet: Der Kläger habe statt mitzuwirken, alles getan um seine Herkunft zu verschleiern. Mit Nr. 4 des Bescheides forderte die Beklagte den Kläger zur Ausreise auf und drohte ihm die Abschiebung in seinen Herkunftsstaat an.

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Die Klage vom 23. Juli 2001, begründet der Lageschilderung aus Sierra Leone, ergänzte der Kläger nach rechtskräftiger Versagung von Eilrechtsschutz mit Beschluss vom 2. Oktober 2001 ( 3 B 931/01), gestützt auf das Sprachgutachten, insoweit, als dass eine Dokumentenbeschaffung über seine Herkunft aus Sierra Leone derzeit nicht möglich sei. Der Kläger beantragt,

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Die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11.Juli 2001 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, hilfsweise,

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die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, ganz hilfsweise,

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die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 53 AuslG für Sierra Leone vorliegen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie bezieht sich auf die angefochtene Entscheidung:

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Der Beteiligte hat sich nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der zuständigen Ausländerbehörde (L. C.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist offensichtlich unbegründet.

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Dahinstehen kann, ob der Asylantrag des Klägers schon an § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG scheitert, weil er nach eigenen Angaben auf dem Landwege über zwei sichere Drittstaaten (Spanien, Frankreich) nach Deutschland eingereist ist. Denn soweit die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art 16 a GG und auf Verpflichtung zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG als unbegründet und zwar als offensichtlich i.S.d. § 30 Abs. 1 AsylVfG aus anderen Gründen abgelehnt wurden, wird von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen, weil das Gericht den Feststellungen und Begründungen im angefochtenen Verwaltungsakt folgt    (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).

16

Weder mit dem Eilantrag noch mit der Klage hat der Kläger die Richtigkeit des gegen seine Herkunft aus Sierra Leone und für seine Herkunft aus einem frankophonen westafrikanischen Land sprechenden Sprachgutachtens angezweifelt. Spätestens der abschlägige Eilbeschluss gab ihm dazu alle Veranlassung, wenn er an der Klage festhalten wollte. Denn dort hat das Gericht zu erkennen gegeben, das es die Sprachanalyse für widerspruchsfrei und nachvollziehbar hält. Mit den Gründen hat sich der Kläger nicht auseinandergesetzt und seine Mitwirkungspflichten verletzt. Diese gelten nach § 15 Abs. 1 Satz 2  AsylVfG auch dann, wenn er sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lässt. Auf die - bekannten - Schwierigkeiten einer Dokumentenbeschaffung zu verweisen, reicht nicht aus. Mindestens hätte der Kläger eine plausible Erklärung für sein frankophon überlagertes Englisch, Fulla oder Krio abgeben müssen. Dafür konnte er auch in der mündlichen Verhandlung auf Befragen keine Gründe angeben, sei es, dass er auf eine grenznahe Herkunft, sei es, dass er auf frankophone Herkunft seiner Familie, oder dass er auf längere Aufenthalte in frankophonen westafrikanischen Ländern hinweisen konnte. Die Widersprüche über seine Herkunft waren damit nicht aufzuklären. Asylrelevante Maßnahmen des sierra-leonischen Staates ihm gegenüber ist nicht nachzugehen. Spiegelbildlich fehlt es damit tatsächlich und rechtlich an jedem Hinweis einer möglichen asylrelevanten Verfolgung durch auch nur einen der im Sprachgutachten genannten und möglichen Herkunftsstaaten (Benin, Burkina Faso, Zentralafrikanische Republik, Cote d' Ivoire, Kamerun, Mali, Niger, Senegal, Tschad, Togo, Zaire) als dem von der Beklagten angenommenem Herkunftsland.

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Ebenso wenig kann sich der Kläger auf Abschiebehindernisse nach § 53 Abs. 6 AuslG berufen. Auch dazu hätte der Kläger im Zuge seiner Mitwirkung konkret das Sprachgutachten, welches das Bundesamt seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, angreifen und erschüttern müssen. So bleibt dieses dem Gericht - wie schon im Eilverfahren ausgeführt - nachvollziehbar und widerspruchsfrei, ohne dass es für die Verwertbarkeit als Sachverständigengutachten etwa der Darlegung des Ergebnisses des Sprach - und Text - Analyseverfahren S. - T. - A. durch den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung bedurfte. Unter Hinweis auf die überzeugende Methodik der S.-T.-A. (vgl. dazu Einzelentscheiderbrief Nr. 5 /2001 S. 5 und auf VG Berlin (GB v. 22.09.2000 VG 33 X 78.00 ), VG Potsdam (U. v. 17.11.2000, 4 K 417/00.A zur fraglichen Herkunft aus Sierra Leone oder dem anderen englischsprachigen Herkunftsland Nigeria ) geht das Gericht davon aus, dass bei afrikanischen Sprechern auf Grundlage von phonetischen, phonologischen, soziolinguistischen und soziokulturellen Anhaltspunkten, die Herkunftsregion verlässlich auszuschließen (hier: Sierra Leone) oder zu bestimmen ist (hier: frankophones Westafrika wegen der festgestellten frankophonen Einflüsse auf das gesprochene Englisch, Fulla, oder Krio statt der anglophonen Sprachanlehnung, wie sie für Sierra Leone üblich und bestimmend ist). Eine konkrete Gefahr für Leib, Leben und Freiheit bei Rückkehr nach Guinea ist weder vorgetragen noch derzeit ersichtlich. Solches vor- und nachzutragen hätte der Kläger noch effektiv Gelegenheit, wenn der Zielstaat konkretisiert wird und durch Vorliegen entsprechender Ersatzpapiere eine Abschiebung tatsächlich droht. In diesem Verfahrensstadium bedarf es keiner alternativen Prüfung von Abschiebehindernissen für die Zielstaaten Sierra Leone und die zahlreichen frankophonen Staaten (vgl. BVerwG U. v. 25. 07. 2000 - 9 C 42/99 in DVBl 2001, S. 209 und OVG Sachsen-Anhalt U. v. 09.09.1999 - A 2 S 183/98 in AuAS 2000, S. 15 - 17 sowie Nds OVG B. 30.08.1996 - 13 L 4828/96 -: keine weltweite Prüfung von Abschiebehindernissen).

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Damit war die Klage insgesamt als offensichtlich unbegründet abzuweisen.