Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 13.02.2002, Az.: 2 A 1564/99
Asylfolgeantrag; Folter; Gruppenverfolgung; Kurden; Leserbrief; Sippenhaft; Türkei
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 13.02.2002
- Aktenzeichen
- 2 A 1564/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43435
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 16a Abs 1 GG
- § 51 Abs 1 AuslG
Tatbestand:
Die Kläger sind türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit; sie stammen aus der Provinz B.. Die Kläger zu 1. und 2. sind die Eltern der in den Jahren 1984 bis 1992 geborenen Kläger zu 3. bis 7.
Die Kläger reisten im September 1992 (Kläger zu 2. bis 7.) und Oktober 1992 (Kläger zu 1.) in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten hier am 27. Oktober 1992 und 4. Januar 1993 erstmals ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Der Kläger zu 1. führte zur Begründung seines Asylbegehrens im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 1. Dezember 1993 im Wesentlichen aus: Er sei seit 1985 Mitglied der "Islamische Bewegung" und habe für diese Organisation Mitglieder geworben und Informationsmaterial verteilt. Aufgrund seiner Aktivitäten für diese verbotene Organisation seien er und seine Familie unter Druck gesetzt worden. Sein Haus sei wiederholt durchsucht, Bücher seien beschlagnahmt worden. Weil sie dem auf sie ausgeübten Druck nicht länger hätten Stand halten können, seien sie nach Batman gezogen. Dort habe er seine politischen Aktivitäten fortgesetzt und sei deshalb zweimal inhaftiert worden, einmal für einen Monat und einmal für fünf Tage. Ferner sei sein Eigentum beschlagnahmt worden. Um sich zu retten, habe er die Türkei eine Woche vor dem Newrozfest 1992 verlassen. Er sei zunächst in den Irak gegangen, wo er sich ca. vier Monate aufgehalten habe und anschließend nach Syrien, wo er weitere drei Monate verbracht habe. Er habe dann erfahren, dass Ehefrau und Kinder nach Deutschland geflüchtet seien und habe sich daraufhin entschlossen, ebenfalls dorthin zu gehen. Die Klägerin zu 2. machte im Rahmen ihrer Anhörung geltend, dass sie nach der Flucht ihres Ehemannes aus der Türkei ständigen Repressalien seitens Militär und Polizei ausgesetzt gewesen sei. Man habe ihr Haus durchsucht, sie nach ihrem Ehemann gefragt, sie zwei- oder dreimal mit zur Wache genommen und ihr gedroht, ihren ältesten Sohn anstelle ihres Ehemannes mitzunehmen. Ihr Bruder habe ihr dann zur Ausreise verholfen.
Mit Bescheid vom 20. Dezember 1993 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Asylanträge der Kläger ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen und forderte die Kläger unter Fristsetzung und Androhung der Abschiebung in die Türkei auf, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen.
Gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge erhoben die Kläger beim Verwaltungsgericht Stade Klage (Az.: 4 A 10/94). Mit Urteil vom 15. April 1996 verpflichtete das Gericht die Beklagte, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass aus den Notstandsprovinzen der Türkei stammende Kurden einer landesweiten Gruppenverfolgung ausgesetzt seien. Auf die zugelassene Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten änderte das Nds. Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade vom 15. April 1996 und wies die Klage der Kläger ab (Urteil vom 17. November 1998 -11 L 3188/96 -). Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision verwarf das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluss vom 27. April 1999 - 9 B 226.99 -.
Am 18. August 1999 stellten die Kläger Asylfolgeanträge. Zur Begründung ihres erneuten Asylbegehrens machten sie im Wesentlichen geltend: Sie müssten im Falle der Rückkehr in die Türkei bereits aufgrund der dort herrschenden hochemotionalisierten Atmosphäre nach der Festnahme und Verurteilung A. Ö. mit asylrelevanten Übergriffen rechnen. Die Gefahr, staatlichen Maßnahmen ausgesetzt zu werden, werde in ihrem Fall noch durch weitere Umstände verstärkt. So sei über ihr Schicksal im O. Kreisblatt und im O. Anzeiger berichtet worden. Ferner hätten sie in den letzten drei Monaten an zahlreichen Demonstrationen teilgenommen, über die zum Teil in den türkischen Medien berichtet worden sei. Die minderjährigen Kinder der Familie hätten vor den Demonstrationsteilnehmern in kurdischer Tracht Lieder gesungen und Tänze aufgeführt. Einige der Kinder hätten auch Plakate mit der Aufschrift: "Nieder mit der Türkei" oder "Unser Erziehungsrecht wird nicht verhindert" getragen.
Mit Bescheid vom 2. September 1999 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Durchführung weiterer Asylverfahren sowie ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu § 53 AuslG ab.
Am 22. September 1999 haben die Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung sie ihr bisheriges Vorbringen vertiefen sowie unter Vorlage von Dokumenten - einer Anklageschrift der Staatsanwaltschaft beim Staatssicherheitsgericht von Istanbul vom 28. Juni 1999 und eines Urteils des 3. Staatssicherheitsgerichts Istanbul vom 22. März 2000, deren Echtheit das Auswärtige Amt auf Anfrage des Gerichts bestätigt hat - ergänzend geltend machen: Der Kläger zu 1. habe einen Leserbrief/einen Kommentar mit dem Titel "Iran: Bastion (Festung) des Islam" geschrieben, der in der am 17. Juli 1999 erschienenen Ausgabe der Wochenzeitschrift "E. b. D. i. S." unter dem Pseudonym N. S. veröffentlicht worden sei. In diesem Leserbrief/Kommentar habe er seine Meinung zu den Studentenprotesten im Iran und den öffentlichen Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten E. hierzu kundgetan. Nachdem er im September 1999 erfahren habe, dass gegen den Herausgeber und verantwortlichen Redakteur der Zeitung "S.", E. G., wegen der Veröffentlichung des Leserbriefes Anklage erhoben worden sei, habe der Kläger zu 1. E. G. zu dessen Entlastung eine persönliche Erklärung übersandt, dass er der Verfasser des Leserbriefes sei. E. G. sei durch Urteil des Staatssicherheitsgerichts Istanbul vom 22. März 2000 wegen Volksverhetzung und Verbreitung von Hass und Feindschaft unter Hervorhebung religiöser Unterschiede mittels Medien zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren sowie zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Weil E. G. den Namen des Verfassers des Leserbriefes genannt habe, sei die Strafe in eine Geldstrafe umgewandelt worden. Es stehe außer Frage, dass auch der Kläger zu 1. als Verfasser des Leserbriefes mit Strafverfolgung rechnen müsse. Bei Rückkehr in die Türkei würde im Rahmen der Personenkontrolle sofort festgestellt werden, dass der Kläger zu 1. wegen seiner Meinungsäußerung von den türkischen Sicherheitskräften gesucht werde und zur Fahndung ausgeschrieben sei. Es sei damit zu rechnen, dass er umgehend in Polizeigewahrsam genommen und einer menschenrechtswidrigen Behandlung unterzogen werde. Auch die übrigen Kläger müssten mit Übergriffen seitens der türkischen Sicherheitskräfte rechnen.
Den zeitgleich mit Klageerhebung gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Az.: 4 B 1565/99) hat das Gericht mit Beschluss vom 14. Oktober 1999 abgelehnt, dem neuerlichen Eilrechtsschutzantrag vom 7. Januar 2000 (Az.: 4 B 30/00) jedoch mit Beschluss vom 10. Februar 2000 teilweise - hinsichtlich der Kläger zu 1. bis 3. -stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass die Kläger zu 1. bis 3. vorläufig nicht in die Türkei abgeschoben werden dürfen.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2. September 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen
und bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes.
Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich zur Sache nicht geäußert.
Der Kläger zu 1. ist im Termin zur mündlichen Verhandlung informatorisch gehört worden. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der zu dieser beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und des Landkreises Osterholz Bezug genommen. Gegenstand der Entscheidungsfindung waren ferner die Verfahren 4 A 10/94 und 4 B 30/00.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, sie führt jedoch in der Sache nur hinsichtlich der Kläger zu 1. bis 5. zum Erfolg.
Die Kläger zu 1. bis 5. haben aufgrund des von ihnen gestellten Asylfolgeantrages einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte i.S.v. Art. 16 a Abs. 1 GG sowie auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG in ihrer Person (I.). Ohne Erfolg bleibt hingegen die Klage der Kläger zu 6. und 7.(II.)
I.
Der Asylfolgeantrag der Kläger zu 1. bis 5. erfüllt die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Absätze 1 bis 3 VwVfG.
Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG ein weiteres Asylverfahren durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. D.h. ein weiteres Asylverfahren ist nur dann durchzuführen, wenn sich die der letzten Sachentscheidung zu Grunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder aber Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO vorliegen (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Darüber hinaus muss der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande gewesen sein, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG); der Folgeantrag muss schließlich innerhalb einer Frist von drei Monaten ab dem Tag gestellt werden, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat (§ 51 Abs. 3 VwVfG).
Die Voraussetzungen, unter denen ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, sind im Falle der Kläger zu 1. bis 5. erfüllt. Durch die Veröffentlichung eines von dem Kläger zu 1. verfassten Leserbriefes/Kommentars mit dem Titel "Iran: Die Bastion (Festung) des Islam" in der am 17. Juli 1999 erschienenen Ausgabe der Zeitschrift "S." und die im Anschluss daran erfolgte Anklage und Verurteilung des verantwortlichen Redakteurs und Herausgebers der Zeitschrift "S." ist eine nachträgliche Änderung der Sachlage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG eingetreten, die eine den Klägern zu 1. bis 5. günstigere Entscheidung in ihren Asylfolgeverfahren möglich erscheinen lässt. Den Wiederaufgreifensgrund konnten die Kläger in ihren ersten Asylverfahren nicht geltend machen und auch an der Wahrung der Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG bestehen keine Zweifel.
Die Kläger zu 1. bis 5. sind auf ihren Folgeantrag als Asylberechtigte anzuerkennen (1.); ihnen steht ferner ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG zu (2.).
1. Nach Art. 16 a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht; sie werden nach Maßgabe der §§ 1 ff. AsylVfG als Asylberechtigte anerkannt. Eine Verfolgung ist dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale, d.h. aus Gründen, die allein in seiner politischen Überzeugung, seiner religiösen Grundentscheidung oder in für ihn unverfügbaren Merkmalen liegen, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (BVerfG, Beschl. vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502 u.a./86 -, BVerfGE 80, 315, 334). Die fragliche Maßnahme muss dem Betroffenen gezielt Rechtsverletzungen zufügen. Daran fehlt es bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Heimatstaat zu erleiden hat, wie Hunger, Naturkatastrophen aber auch bei den allgemeinen Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen (BVerfG a.a.o., S. 335). Das Asylgrundrecht des Art. 16 a GG beruht auf dem Zufluchtgedanken und setzt von seinem Tatbestand her grundsätzlich einen kausalen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht voraus (BVerfG a.a.O., S. 334, BVerwG, Urteil vom 19. Mai 1987 - 9 C 184.86 - , BVerwGE 77, 258, 260). Deshalb ist es von wesentlicher Bedeutung, ob der Asylsuchende verfolgt oder unverfolgt ausgereist ist. Im ersten Fall ist er als Asylberechtigter anzuerkennen, sofern die fluchtbegründenden Umstände im maßgebenden Zeitpunkt fortbestehen. Er ist weiter anzuerkennen, wenn diese zwar entfallen sind, aber an seiner Sicherheit vor abermals einsetzender Verfolgung bei einer Rückkehr in den Heimatstaat ernsthafte Zweifel bestehen, wenn also Anhaltspunkte vorliegen, die die Möglichkeit abermals einsetzender Verfolgung als nicht ganz entfernt erscheinen lassen (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1990 - 9 C 60.89 - ). Wer hingegen unverfolgt ausgereist ist, hat nur dann einen Asylanspruch, wenn ihm aufgrund eines asylerheblichen Nachfluchttatbestandes politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1990 - 9 C 60.89 - ).
Gemessen an diesen Grundsätzen können sowohl der Kläger zu 1. (a) als auch die Kläger zu 2. bis 5. (b) ihre Anerkennung als Asylberechtigte beanspruchen.
Ein solcher Anspruch ergibt sich jedoch nicht aus der Zugehörigkeit der Kläger zur kurdischen Volksgruppe. Nach ständiger Rechtsprechung der 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Stade (vgl. nur das Grundsatzurteil vom 15. August 1996 - 4 A 1900/94 -), die mit derjenigen des Nds. Oberverwaltungsgerichts (vgl. nur Urteil vom 30. August 2000 - 11 L 1255/00) übereinstimmt, und der sich das erkennende Gericht anschließt, kann offen bleiben, ob die im Südosten der Türkei ansässigen kurdischen Volkszugehörigen derzeit einer regionalen oder örtlich begrenzten Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, denn dem genannten Personenkreis steht im Westen der Türkei, vor allem in den dortigen Großstädten, grundsätzlich eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung.
a) Ein Asylanspruch (zunächst) des Klägers zu 1. ergibt sich jedoch aufgrund des folgenden, nach Überzeugung des Gerichts feststehenden Sachverhaltes:
Der Kläger zu 1. hat einen Leserbrief/Kommentar mit dem Titel "Iran: Islamin Kalesi " (Iran: Die Bastion bzw. Festung des Islam) verfasst, der in der am 17. Juli 1999 erschienenen Ausgabe der Zeitschrift "S." unter dem Pseudonym N. S. veröffentlicht worden ist. In diesem Leserbrief/Kommentar bewertet der Kläger zu 1. die Studentenproteste im Iran gegen das Regime der Mullahs. Er äußert erhebliche Kritik an dem türkischen Ministerpräsidenten E. und macht keinen Hehl aus seiner Sympathie für das Vorgehen der Hizbollah. In dem Leserbrief/Kommentar heißt es u.a.:
"Alle Pharaonen (Tyrannen) und ihre Helfer sollten eines sehr gut wissen. Das Volk der Hizbollah, das im Lichte des Koran die Revolution durchführte und zum Umsturz aller Götzenbilder auf der Erde die Einigkeit der islamischen Umma zum Ziel hat, wird bis zur universellen islamischen Revolution und der Errichtung des la ilahe illallah-Banners auf den Burgen der Tyrannen weder seine Sache aufgeben, noch sich den Tyrannen beugen! Die Besatzer Jerusalems, das zionistische Regime möge auf die Schwächung der islamischen Revolution hoffen. An dem Tage, an dem sie auf der von ihnen okkupierten Erde Palästinas zum betreten keinen Flecken Boden mehr finden werden, werden sie auf tragische Weise verstanden haben was die islamische Revolution bedeutet.
Der Ministerpräsident der R.T. B. E. sagte bezüglich der Vorkommnisse in Iran: Das iranische Volk konnte das unzeitgemäße Regime nicht länger ertragen...Wenn E., als der geistige Sohn der CHP..., die die einzige Stütze des Faschismus und der Junta während der Zeit der Einparteienherrschaft darstellte, die die auf dem Koran beruhende Ordnung als unzeitgemäße Ordnung zu beleidigen wagt, dann möchten wir ihn zur Rechtfertigung der durch den Prozeß des 28. Februar entstandenen Primitivität, Barbarei und Rückständigkeit und der beschämenden Unterdrückung der Frau M. K., die als Abgeordnete vom Volk gewählt wurde, durch ihn und seine Partei auffordern!
Verehrter Herr E.! Seid Ihr nicht das Überbleibsel der blutrünstigen Henker der Mörderbanden der Revolutionstribunale, die Dorf für Dorf, Stadt für Stadt unschuldige Menschen jagten und der gottlosen Gewalttäter, die die Moscheen zu Tierställen machten und die Koranbücher auf den Müll warfen? Seid Ihr nicht das Überbleibsel der Rassisten, die durch den Import von Zuchtmenschen eine überlegene türkische Rasse schaffen wollten und der Barbaren die das Volk zum Feind erklärten und ihn ausmerzten? Wenn es etwas Unzeitgemäßes gibt, dann muß man das aller erst in der abscheulichen Geisteshaltung von Leuten wie Ihnen suchen. Denn für alles Unheil, Not, Zwist und Unmoral in diesem Land ist diese überflüssige Geisteshaltung verantwortlich. daher ist unser größtes Ziel, diese unzeitgemäße satanische Geisteshaltung auf den Müll der Geschichte zu bringen und die sklavischen Fesseln des Volkes zu sprengen!"
Wegen der Veröffentlichung dieses vom Kläger zu 1. verfassten Leserbriefes/Kommentars hat die Staatsanwaltschaft beim Staatssicherheitsgericht von Istanbul gegen den Herausgeber und verantwortlichen Redakteur der Zeitschrift "S.", E. G., Anklage erhoben. Nachdem der Kläger zu 1. hiervon Kenntnis erhalten hatte, hat er E. G. zu dessen Entlastung eine notariell beglaubigte Erklärung übersandt, dass er der Verfasser des Leserbriefes/Kommentars mit dem Titel "Iran: Die Festung des Islam" sei. Durch Urteil des 3. Staatssicherheitsgerichts Istanbul vom 22. März 2000 ist E. G. wegen Volksverhetzung unter Hervorhebung religiöser Unterschiede mittels Medien zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zu 5.240.000 türk. Lira Geldstrafe verurteilt worden. Die Freiheitsstrafe ist, weil der Verfasser des Leserbriefes/Kommentars benannt worden ist, in eine Geldstrafe umgewandelt worden. In dem Urteil heißt es u.a.: Die während des Verhandlungsprozesses geprüfte Beiakte hat ergeben, dass der in der Zeitung mit der Überschrift "Iran: Bastion des Islams" erschienene Artikel von H. Ö., der in Deutschland wohnt, geschrieben ist.
Aufgrund des von ihm verfassten, im hohen Maße regimekritischen Leserbriefes/Kommentars muss der Kläger zu 1. bei Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung befürchten. Vor dem Hintergrund, dass sein Name im Rahmen des gegen E. G. geführten Prozesses preisgegeben worden ist, bestehen keine Zweifel daran, dass der Kläger zu 1. bei den türkischen Stellen in Verdacht steht, ein Regimegegner zu sein. Es muss die Möglichkeit ernsthaft in Betracht gezogen werden, dass er im Falle der Rückkehr in die Türkei festgenommen und - vor einer wahrscheinlichen Überstellung an die Justizbehörden - einem mit Misshandlungen verbundenen Verhör ausgesetzt wird, um Aufschluss darüber zu erhalten, ob er terroristische/separatistische Bestrebungen unterstützt, und/oder um Informationen über Umfeld und Kontakte des Klägers zu 1. im Bundesgebiet zu erlangen. Nach wie vor kommt es in der Türkei, obwohl die Strafprozessordnung dies untersagt, vor allem im Polizeigewahrsam bei Staatssicherheitssachen zu Folterungen (vgl. nur Auswärtiges Amt, Berichte über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 7. September 1999 und vom 15. Juli 2001; Rumpf, Gutachten vom 12. April 1999 an VG Gelsenkirchen).
Die im Bundesgebiet entfalteten politischen Aktivitäten des Klägers zu 1. führen auch zur Asylanerkennung. Sie stellen einen asylerheblichen subjektiven Nachfluchttatbestand dar.
Das Asylgrundrecht des Art. 16 a Abs. 1 GG setzt grundsätzlich den kausalen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht voraus. Eine Erstreckung auf nach der Flucht eingetretene Tatbestände kommt nur insoweit in Betracht, als dies nach Sinn und Zweck des Asylrechts gefordert ist (BVerfG, Beschluss vom 26. November 1986, 2 BvR 1058/85, BVerfGE 74, 51, 64). Bei Nachfluchttatbeständen, die - wie hier - durch eigenes Verhalten selbst geschaffen worden sind, kommt eine Asylberechtigung in aller Regel nur dann in Betracht, wenn sich die Nachfluchttatbestände als Ausdruck und Fortführung einer schon während des Aufenthaltes im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten Überzeugung darstellen, mithin als notwendige Konsequenz einer dauernden, die eigene Identität prägenden und nach außen kundgegebenen Lebenshaltung erscheinen. Dabei muss die Überzeugung und deren Betätigung den Behörden des Heimatstaates nicht unbedingt bekannt geworden sein oder weitgehend bereits den Charakter von Vorfluchtgründen haben. Auch ein Engagement von untergeordneter Bedeutung kann als Betätigung einer festen politischen Überzeugung in Betracht kommen (BVerfG, vgl. nur Beschluss vom 17. Januar 1992 - 2 BvR 1587/90 -, InfAuslR 1992, 142 ff.).
Es bestehen keine Zweifel daran, dass sich der Kläger zu 1. bereits in der Türkei, zwar nicht herausgehoben, aber aktiv - durch Werben von Mitgliedern und Verteilen von Informationsmaterial - für die Islamische Bewegung eingesetzt hat. Davon, dass der Kläger zu 1. in der genannten Weise aktiv war, ist auch das Nds. Oberverwaltungsgericht in seinem im Asylerstverfahren der Kläger ergangenen Urteil vom 17. November 1998 - 11 L 3188/96 - ausgegangen. Seine Betätigung für die islamische Sache hat der Kläger zu 1. im Bundesgebiet - nach einer gewissen Phase der Orientierung - fortgesetzt. Er hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft bekundet, zwei oder drei Monate nach seiner Einreise Mitglied im Islamischen Kulturverein geworden zu sein und sich seitdem aktiv an der Vereinsarbeit zu beteiligen.
b) Auch den Klägern zu 2. bis 5. droht im Falle der Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. Zwar bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sie sich selbst im Bundesgebiet in einer Art und Weise politisch betätigt haben, die eine Verfolgungsgefahr begründen könnte. Die Kläger zu 2. bis 5. müssen jedoch politische Verfolgung unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft befürchten.
In der Türkei gibt es keine Sippenhaft in Form strafrechtlicher Verfolgung. In der Praxis kommt es jedoch relativ häufig zu Übergriffen auf Verwandte von politischen Straftätern bzw. flüchtigen Verdächtigen (vgl. amnesty international -ai -, Auskunft vom 22. Juli 1996 an VG Stuttgart; Kaya, Gutachten vom 30. Juni 1997 an VG Hamburg und vom 11. März 1998 an VG Berlin; Oberdiek, Gutachten vom 15. November 1996 und vom 17. Februar 1997 an VG Hamburg; Rumpf, Gutachten vom 28. Juli 1997 und vom 24. Juli 1998 an VG Berlin; s. auch Auswärtiges Amt, Auskunft vom 23. Mai 2001 an VG Sigmaringen), um z.B. den Aufenthaltsort des Gesuchten zu ermitteln, Informationen über dessen politisches Umfeld zu gewinnen oder Druck auf den Gesuchten auszuüben, um ihn zu bewegen, sich zu stellen. Das erkennende Gericht folgt jedoch dem Nds. Oberverwaltungsgericht (vgl. nur Urteile vom 15. Oktober 1997 - 11 L 5801/94 -, vom 26. April 1999 - 11 L 2205/96 - und vom 12. September 2001 - 2 L 3955/99 -) in der Einschätzung, dass von derartigen Übergriffen grundsätzlich nur nahe Verwandte von Personen betroffen sind, die dem führenden Kreis der PKK oder anderen staatsfeindlichen Organisationen angehören oder in Verdacht stehen, deren Ziele aktiv zu unterstützen. Der Kreis der von sippenhaftähnlichen Maßnahmen betroffenen Personen ist im Allgemeinen auf nahe Angehörige - Eltern, Ehegatten, (ältere) Kinder, Geschwister - beschränkt.
Hiervon ausgehend müssen die Kläger zu 2. bis 5. bei Rückkehr in die Türkei damit rechnen, wegen der politischen Betätigung ihres Ehemannes/Vaters unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft Opfer politischer Verfolgung zu werden. Für sie besteht als nahe Angehörige einer Person, die sich zumindest verdächtig gemacht hat, staatsfeindliche Bestrebungen zu unterstützen, die Gefahr, wegen ihres Ehemannes bzw. Vaters - um nähere Informationen über dessen Aktivitäten, dessen Umfeld und Kontakte im Bundesgebiet zu erhalten - verhört und bei den Verhören menschenrechtswidriger Behandlung unterzogen zu werden.
2. Da die Beklagte aus den unter Ziffer 1. dargelegten Gründen verpflichtet ist, die Kläger zu 1. bis 5. als Asylberechtigte i.S.v. Art. 16 a Abs. 1 GG anzuerkennen, haben die Kläger zu 1. bis 5. gegen diese auch einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (§ 51 Abs. 2 Ziffer 1 AuslG).
II.
Ohne Erfolg bleibt jedoch die Klage der in den Jahren 1990 und 1992 geborenen Kläger zu 6. und 7.
Den Klägern zu 6. und 7. steht weder ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte noch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG zu. Sie können sich allenfalls auf die Asylgründe ihres Vaters berufen. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass Kinder ihres Alters Gefahr laufen, in die politische Verfolgung naher Angehöriger einbezogen zu werden, liegen jedoch nicht vor (std. Rspr. des Nds. OVG, vgl. nur Urteil vom 26. November 1998 - 11 L 3010/96 -).
Für das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG ist im Fall der Kläger zu 6. und 7. ebenfalls nichts ersichtlich.