Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.12.2023, Az.: 14 OA 123/23

Antrag auf Bewilligung einer Schulbegleitung als Sachleistung; Ausrichtung des Interesses der Antragstellerin auf den Erhalt einer angemessenen Schulbildung unter Zuhilfenahme einer Schulbegleiterin bzw. eines Schulbegleiters als Maßnahme der Eingliederungshilfe

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
21.12.2023
Aktenzeichen
14 OA 123/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 46597
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:1221.14OA123.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 25.08.2023 - AZ: 13 B 197/23
VG Oldenburg - 01.11.2023

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ein Antrag auf Bewilligung einer Schulbegleitung betrifft keine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt i.S.d. § 52 Abs. 3 GKG, sondern eine Sachleistung.

  2. 2.

    Das im gerichtlichen Verfahren zum Ausdruck kommende (ideelle und soziale) Interesse der Antragstellerin ist auf den Erhalt einer angemessenen Schulbildung unter Zuhilfenahme einer Schulbegleiterin bzw. eines Schulbegleiters als Maßnahme der Eingliederungshilfe gerichtet. Dieses Interesse ist i.S.d § 52 Abs. 1 GKG nicht objektiv bestimmbar, insbesondere auch nicht wirtschaftlich eindeutig bewertbar.

  3. 3.

    An dem für die Wertfestsetzung maßgeblichen Interesse an einem erforderlichen Schulbesuch und hierfür erforderlicher Begleitung als ideellem Anspruch ändert sich nichts dadurch, dass der Antrag der Antragstellerin auf die Gewährung eines persönlichen Budgets gerichtet war.

  4. 4.

    Auch eine lediglich vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache vermittelt dem jeweiligen Antragsteller die mit dem Klageverfahren verfolgte Rechtsposition und stellt ihn vorweg so, als wenn er im Klageverfahren bereits obsiegt hätte.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 1. November 2023 (Berichterstatterin der 13. Kammer) geändert.

Der Gegenstandswert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

Über die Beschwerde entscheidet, weil der angefochtene Gegenstandswertbeschluss durch die Berichterstatterin erlassen wurde, nach § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbs. 2 RVG die Berichterstatterin des Beschwerdegerichts als Einzelrichterin.

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 1. November 2023, mit dem dieses den Gegenstandswert des einstweiligen Anordnungsverfahrens auf 2.500,00 Euro festgesetzt hat. Gegenstand des Verfahrens war der Antrag der Antragstellerin, ihr für den Besuch der E. in Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig eine pädagogische Fachkraft als Schulbegleitung für 25 Wochenstunden zu einem Stundensatz von 47,00 Euro im Rahmen des persönlichen Budgets zu gewähren. Der Antragsgegnerin hat der Antragstellerin im Wege der Abhilfe ein monatliches Budget von 4.856,85 Euro (25 Zeitstunden/wöchentlich x 4,3 Wochen = 107,50 Zeitstunden/Monat; 107,50 Zeitstunden x 45,18 Euro = 4.856,85 Euro bewilligt).

Die Antragstellerin beantragt,

den Gegenstandswert für das einstweilige Anordnungsverfahren auf 58.390,20 (4.865,85 Euro (?, wahrscheinlich ein Zahlendreher) x 12 Monate) Euro festzusetzen.

Gemeint sind wahrscheinlich 58.282,20 Euro (4.856,85 Euro x 12 Monate).

Die Beschwerde hat lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

1. Das Verwaltungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Gegenstandswerts nicht genügend Anhaltspunkte bietet und daher auf den Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000,00 Euro zurückzugreifen ist.

Die Festsetzung des Wertes des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit richtet sich nach den § 23 Abs. 1, § 33 Abs. 1 RVG i.V.m. § 52 und § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Danach ist der Gegenstandswert nach der sich aus dem Antrag des Antragstellers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (vgl. § 52 Abs. 1 GKG). Betrifft der Antrag des Antragstellers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist die Höhe der Geldleistung maßgeblich (vgl. § 52 Abs. 3 GKG). Bietet der Sach- und Streitstand nicht genügend Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000,- EUR anzunehmen (§ 52 Abs. 2 GKG).

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass ein Antrag auf Bewilligung einer Schulbegleitung keine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt i.S.d. § 52 Abs. 3 GKG betrifft, sondern eine Sachleistung (vgl. auch VGH BW, Beschl. v. 14.3.2022 - 12 S 3283/21 -, juris Rn. 10 f.; SächsOVG, Beschl. v. 29.12.2021 - 3 E 54/21 -, juris Rn. 2 und Beschl. v. 12.9.2018 - 4 E 98/18 -, juris Rn. 7).

Das im gerichtlichen Verfahren zum Ausdruck kommende (ideelle und soziale) Interesse der Antragstellerin ist auf den Erhalt einer angemessenen Schulbildung unter Zuhilfenahme einer Schulbegleiterin bzw. eines Schulbegleiters als Maßnahme der Eingliederungshilfe gerichtet. Dieses Interesse ist i.S.d § 52 Abs. 1 GKG nicht objektiv bestimmbar, insbesondere auch nicht wirtschaftlich eindeutig bewertbar (vgl. auch VGH BW, Beschl. v. 14.3.2022 - 12 S 3283/21 -, juris Rn. 10 f.; SächsOVG, Beschl. v. 29.12.2021 - 3 E 54/21 -, juris Rn. 2 und Beschl. v. 12.9.2018 - 4 E 98/18 -, juris Rn. 7). Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, welche Kosten mit der Maßnahme für den Antragsgegner verbunden sind. Die Bedeutung der Sache für den Antragsgegner oder einen Beigeladenen beeinflusst den Streitwert nicht (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 4.5.1999 - 5 A 5682/97 -, juris; Dörndorfer, in: Binz/Dörndorfer /Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Aufl. 2021, § 52 Rn. 2).

Das Verwaltungsgericht hat weiterhin zutreffend angenommen, dass sich an dem für die Wertfestsetzung maßgeblichen Interesse an einem erforderlichen Schulbesuch und hierfür erforderlicher Begleitung als ideellem Anspruch nichts dadurch ändert, dass der Antrag der Antragstellerin auf die Gewährung eines persönlichen Budgets i.H.v. 4.856,85 Euro für eine Schulbegleitung im Umfang von wöchentlich 25 Zeitstunden gerichtet war. Für das allein maßgebliche Interesse der Antragstellerin macht es keinen Unterschied, ob sie im Rahmen der Eingliederungshilfe unmittelbar eine Schulbegleitung oder das dafür erforderliche Geld in Form eines persönlichen Budgets begehrt. Es handelt sich dabei nicht um eine Geldleistung, die Auswirkungen auf das Vermögen der Antragstellerin hat (vgl. zu dieser Voraussetzung Dörndorfer, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, KVEG, 5. Aufl. 2021, § 52 GKG Rn. 7), sondern lediglich um eine zweckgebundene Durchlaufleistung, mit der die Antragstellerin ausweislich der Zielvereinbarung für das persönliche Budget eine Schulbegleitung zu finanzieren hat. Eine anderweitige Verwendung der Gelder ist ihr nicht gestattet.

Es kann hier auch nicht auf Nr. 21.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 zurückgegriffen werden, der für "laufende Leistungen" den "Wert der streitigen Leistung, höchstens Jahresbetrag" empfiehlt. Der Begriff der "laufenden Leistung" nimmt erkennbar Bezug auf § 39 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII, da "Leistungen zum Unterhalt des Kindes oder des Jugendlichen" Leistungen darstellen, die durch Geldzahlungen erbracht werden und damit auch dem wirtschaftlichen Interesse eines Antragstellers entsprechen. Diese Leistungen sind den Ansprüchen auf Erfüllung der gesetzlichen Unterhaltspflicht vergleichbar (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 29.12.2021 - 3 E 54/21 -, juris Rn. 5).

2. Für eine Reduzierung des Gegenstandwerts mit Blick auf das Eilverfahren besteht dabei allerdings - anders als vom Verwaltungsgericht angenommen - kein Anlass (vgl. auch VGH BW, Beschl. v. 14.3.2022 - 12 S 3283/21 -, juris Rn. 12 m.w.N.), da die Antragstellerin irreversible Nachteile geltend gemacht hat und in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, die die Entscheidung in der Sache vorwegnehmen, der Streitwert bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwertes angehoben werden kann (vgl. die Empfehlung in Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013). Die Antragstellerin hat mit der begehrten Leistung eine Vorwegnahme der Hauptsache erstrebt. Denn selbst wenn theoretisch die Möglichkeit einer Rückzahlung des verauslagten persönlichen Budgets besteht, würde der Antragstellerin letztlich die Eingliederungshilfe zuteil, deren Gewährung sie auch in der Hauptsache begeht hat. Auch die bloße vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache vermittelt dem jeweiligen Antragsteller die mit dem Klageverfahren verfolgte Rechtsposition und stellt ihn - ohne dass diese Rechtsstellung rückwirkend wieder beseitigt werden könnte - vorweg so, als wenn er im Klageverfahren bereits obsiegt hätte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.12.1989 - 2 ER 301/89 -, juris Rn. 3; Senatsbeschl. v. 21.9.2023 - 14 ME 91/23 -, juris Rn. 4 und v. 23.6.2022 - 14 ME 243/22 -, juris Rn. 13; Nds. OVG, Beschl. v. 8.10.2003 - 13 ME 342/03 -, juris Rn. 29 und Beschl. v. 12.3.2012 - 8 ME 159/11 -, juris Rn. 13; SächsOVG, Beschl. v. 21.3.2023 - 3 B 319/22 -, juris Rn. 13 m.w.N.).

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 188 Satz 2 VwGO und § 33 Abs. 9 RVG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).