Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.12.2023, Az.: 1 KN 146/22

Idealverein; Mitgliedsbeitrag; Prozesskostenhilfe; Rücklage; Umweltverband; Umweltvereinigung; Verein; (keine) Prozesskostenhilfe für Normenkontrollantrag eines anerkannten Umweltverbands

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
06.12.2023
Aktenzeichen
1 KN 146/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 44827
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:1208.1KN146.22.00

Fundstellen

  • BauR 2024, 503-504
  • DVBl 2024, 320
  • DÖV 2024, 248
  • JurBüro 2024, 91-92
  • NVwZ 2024, 93
  • NordÖR 2024, 146-147
  • ZUR 2024, 101-102

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Umweltverbände müssen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 UmwRG aus eigener Kraft die Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung bieten. Demzufolge sind Mitgliedsbeiträge in zur Finanzierung der satzungsmäßigen Aufgaben auskömmlicher Höhe zu erheben und Rücklagen zu bilden. Unterbleibt das, stellt sich ein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe als missbräuchlich dar.

  2. 2.

    An einem Rechtsstreit i.S.v. § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO wirtschaftlich beteiligt sind grundsätzlich auch alle Mitglieder eines Umweltverbands, sodass zur Prüfung der Bedürftigkeit auf deren persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse abzustellen ist.

Tenor:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO abgelehnt, weil die wirtschaftlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

Nach den vorgenannten Vorschriften erhält eine juristische Person oder parteifähige Vereinigung, die im Inland, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum gegründet und dort ansässig ist, Prozesskostenhilfe nur, wenn die Kosten weder von ihr noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde. Das ist aus zwei Gründen nicht der Fall.

1.

Der Senat lässt unentschieden, ob der antragstellende Umweltverband i.S.v. § 3 UmwRG in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins selbst über ausreichende Mittel verfügt, um die Kosten der weiteren Rechtsverfolgung zu bestreiten. Denn selbst wenn er die Kosten zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht aus eigenen Einnahmen und tatsächlich vorhandenem Vermögen bestreiten könnte, wäre der Prozesskostenhilfeantrag abzulehnen. Denn er müsste sich in diesem Fall entgegenhalten lassen, dass er es trotz der Tatsache, dass er anlassbezogen zur Verhinderung des mit dem angegriffenen Bebauungsplan ermöglichten Bauvorhabens der Beigeladenen gegründet wurde, unterlassen hat, zur Verfolgung seiner Zwecke auskömmliche Mitgliedsbeiträge zu erheben und entsprechende Rücklagen zu bilden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die relativ geringen Mitgliedsbeiträge, deren Steigerung angesichts der vom Verein verfolgten Ziele und der Maßgabe des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 UmwRG, dass ein Umweltverband aus eigener Kraft die Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung bieten muss, geboten ist. Ein Umweltverband, der seine satzungsmäßigen Ziele auf Kosten der Allgemeinheit verfolgen will, stellt seine eigene Existenzberechtigung in Frage (vgl. allgemein zu juristischen Personen und rechtsfähigen Vereinigungen BGH, Beschl. v. 9.11.2021 - II ZR 224/20 -, juris Rn. 7 m.w.N.; speziell zu Umweltverbänden zutreffend OVG NRW, Beschl. v. 30.4.2008 - 8 D 20/08.AK -, UPR 2008, 454 = juris Rn. 17 ff.). Die Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe stellt sich in einem solchen Fall als rechtsmissbräuchlich dar (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 5.4.2016 - 8 W 19/16 -, MDR 2016, 1286 [BGH 22.06.2016 - XII ZB 142/15] = juris Rn. 8 m.w.N.).

2.

Überdies setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen eingetragenen Verein voraus, dass auch die am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht in der Lage sind, die erforderlichen Kosten aufzubringen. Insofern sind alle Vereinsmitglieder als wirtschaftlich Beteiligte i.S.v. § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO anzusehen. Zweck dieser Bestimmung ist es zu verhindern, dass vermögende Personen, die sich unvermögender juristischer Personen im Rechtsverkehr bedienen oder am Ausgang des Verfahrens wirtschaftlich interessiert sind, die Kosten des Prozesses auf die Allgemeinheit verlagern. Diesem Gesetzeszweck entspricht es, die Regelung nicht nur auf vermögensrechtliche Streitigkeiten anzuwenden. Über den engen Wortlaut hinaus ist deshalb auch derjenige als am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligter anzusehen, der ein eigenes Interesse am Streitgegenstand hat und der als sachlich Betroffener durch die juristische Person repräsentiert wird. Der Begriff des wirtschaftlich Beteiligten umfasst daher auch die Mitglieder von (gemeinnützigen) Idealvereinen (vgl. zutreffend OVG NRW, Beschl. v. 30.4.2008 - 8 D 20/08.AK -, UPR 2008, 454 = juris Rn. 14 ff.; Sächs. OVG, Beschl. v. 2.2.2015 - 5 D 20/14 -, juris Rn. 4; OLG Frankfurt, Beschl. v. 5.4.2016 - 8 W 19/16 -, MDR 2016, 1286 [BGH 22.06.2016 - XII ZB 142/15] = juris Rn. 12 f.), und zwar auch dann, wenn es sich um Mitglieder eines anerkannten Umweltverbands i.S.v. § 3 UmwRG handelt.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass diese Voraussetzungen erfüllt sein könnten. Zu den Mitgliedern des Antragstellers gehören Personen, die am wirtschaftlichen und politischen Leben der Antragsgegnerin mitwirken und deren Einkommens- und Vermögenslosigkeit nach Lage der Dinge nicht anzunehmen ist. Zugleich ist der Antragsteller zweckorientiert zur Verfolgung ihrer Interessen gegründet worden. In einer solchen Situation ist es nicht Aufgabe der Staatskasse, also letztlich aller steuerzahlenden Bürgerinnen und Bürger, die Interessenvertretung einer interessierten Gruppe zu subventionieren.

Das Prozesskostenhilfeverfahren ist gerichtskostenfrei. Nach § 166 Abs.1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO werden außergerichtliche Kosten nicht erstattet.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).