Amtsgericht Hannover
Beschl. v. 16.11.2006, Az.: 905 IK 181/02 - 7
Versagung einer Restschuldbefreiung wegen Nichtanzeige eines Wohnsitzwechsels gegenüber dem Treuhänder; Pflicht des Verbrauchers in der Insolvenz zur Mitteilung der Änderungen des Wohnsitzes, der Beschäftigungsdienststelle oder des Verdienstes; Verspätete Anzeige wegen fehlender telefonischer Erreichbarkeit des Treuhänders; Notwendigkeit einer unverzüglichen Anzeige des Wohnsitzwechsels
Bibliographie
- Gericht
- AG Hannover
- Datum
- 16.11.2006
- Aktenzeichen
- 905 IK 181/02 - 7
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 33733
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGHANNO:2006:1116.905IK181.02.7.0A
Rechtsgrundlagen
- § 175 InsO
- § 295 InsO
Fundstellen
- InsbürO 2007, 317-318 (Volltext)
- NZI (Beilage) 2007, 35 (amtl. Leitsatz)
- ZInsO 2007, 48-50 (Volltext mit red. LS)
- ZVI 2007, 211-213 (Volltext mit red. LS)
Redaktioneller Leitsatz
Der Wechsel des Wohnsitzes oder der Beschäftigungsstelle ist eine Obliegenheit des Schuldners im Sinne von § 295 Abs. 1 Ziff. 3 InsO und daher dem Treuhänder unverzüglich mitzuteilen. Die Mitteilung kann telefonisch erfolgen. Die Obliegenheit wird nicht vom Schuldner verletzt, wenn dieser drei Mal versucht hat, den Treuhänder hierüber telefonisch zu unterrichten, die vom Sekretariat zugesagten Rückrufe aber nicht erfolgen. Der Schuldner ist in einem solchen Fall nicht verpflichtet, die Änderungen schriftlich mitzuteilen.
Tenor:
Der Antrag der Insolvenzgläubigers vom 05.09.2006, dem Insolvenzschuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Restschuldversagungsantragsverfahrens hat der Insolvenzgläubiger zu tragen.
Gründe
I.
Der Schuldner und Antragsgegner ist natürliche Person. Er stellte mit Schreiben vom 27.05.2002 einen Antrag auf Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens. Mit Beschluss vom 23.07.2002 hat das Amtsgericht Hannover nach Bewilligung der Stundung von Verfahrens kosten das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet und zugleich bestimmt, dass etwaige Gläubiger ihre Insolvenzforderungen bis zum 28.08.2002 zur Tabelle anzumelden hatten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Eröffnungsbeschluss vom 25.07.2002 (Bl. 24 ff. d.A.) verwiesen.
Zur Insolvenztabelle nach § 175 InsO wurde u.a. auch die Forderung des Antragstellers und Insolvenzgläubigers, ein Versicherungsverein, gegen den Schuldner angemeldet. Am 25.09.2002 wurde die Forderung inhaltlich geprüft und übernommen. Der Schlusstermin fand am 18.06.2003 statt. Mit Beschluss vom gleichen Tag wurde die Restschuldbefreiung die Restschuldbefreiung nach § 291 InsO angekündigt und das Insolvenzverfahren nach § 200 InsO aufgehoben (Bl. 108 und 110 d.A.). Die Wohlverhaltensperiode beträgt 6 Jahre, beginnend mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 25.07.2002.
Mit Schreiben vom 05.09.2006 hat der Insolvenzgläubiger beantragt,
dem Insolvenzschuldner die Restschuldbefreiung zu versagen.
Er ist der Ansicht, dass der Schuldner eine Obliegenheitspflichtverletzung nach § 295 Abs. 1 Ziffer 3 InsO i.V.m. § 296 InsO begangen habe. Hierzu trägt er vor, dass der Schuldner dem Treuhänder weder seine neue Wohnanschrift mitgeteilt habe noch mitgeteilt habe, dass er wieder eine Erwerbstätigkeit nachginge. Zudem habe er auch neue Einkommensnachweise ebenfalls nicht nachgereicht. In diesem Zusammenhang verweist er auf das Schreiben des Treuhänders vom 22.08.2006.
Der Schuldner hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. Er gibt an, den Treuhänder im vergangenen Jahr wegen des Wohnsitzwechsels und der Aufnahme der Erwerbstätigkeit drei Mal versucht zu haben anzurufen. Das Sekretariat habe versichert, dass der Treuhänder zurückrufen werde, was jedoch nicht geschehen sei. Anschließend habe er die Mitteilungen durch die Aufnahme der neuen Erwerbstätigkeit und der Aussage der dortigen Personalsachbearbeiterin, dass seine Einkünfte unterhalb der Pfändungsfreigrenze liegen, vergessen.
Der Treuhänder hat zum Antrag mit Schreiben vom 11.10.2006 Stellung genommen. Er gibt an, dass er erfahren habe, dass ihn Dritte dieses Jahr in seiner urlaubsbedingten Abwesenheit versucht haben anzurufen. Sein Auftragsdienst habe ihm dies jedoch nicht immer mitgeteilt, so dass es sein könne, dass der Schuldner ihn wegen des Wohnsitzwechsels und der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auch im vergangenen Jahr versucht habe anzurufen, jedoch der Telefonauftragsdienst diese Anrufe nicht weitergeleitet habe.
II.
Der Antrag des Antragstellers und Insolvenzgläubigers vom 11.09.2006 ist zulässig, insbesondere gemäß § 296 Abs. 1 InsO form- und fristgerecht eingelegt. Jedoch ist der Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung unbegründet.
Denn entgegen der Auffassung des Antragstellers hat der Insolvenzschuldner keine Obliegenheitspflicht nach § 295 Abs. 1 Ziffer 3 InsO i.V.m. § 296 Abs. 1 InsO verletzt, weil er die neue Wohnanschrift, wie von dem Antragsteller gefordert, nicht schriftlich mitgeteilt hat oder weil er die Aufnahme seiner neuen Erwerbstätigkeit nicht schriftlich mitgeteilt hat.
1.
Zurecht weist der Antragsteller zwar darauf hin, dass der Wechsel des Wohnsitzes oder der Beschäftigungsstelle eine Obliegenheit des Schuldners im Sinne von § 295 Abs. 1 Ziff. 3 InsO darstellt. Jedoch ist diese Obliegenheit erst verletzt, wenn der Wohnsitz- und / oder Beschäftigungswechsel nicht unverzüglich angezeigt wird. Unverzüglich bedeutet nach herrschender Auffassung ohne schuldhaftes Verzögern. Eine schuldhafte Verzögerung ist jedoch entgegen der Ansicht des Antragsstellers vorliegend nicht ersichtlich.
Der Schuldner hat angegeben, dass er den Treuhänder im vergangenen Jahr, als der Wohnsitzwechsel und die Aufnahme der neuen Beschäftigung anstand, drei Mal versucht habe anzurufen. Das - aus seiner Sicht - vom Treuhänder eingeschaltete Sekretariat teilte ihm mit, dass der Treuhänder zurückrufen werde. Dieses Vorbringen kann dem Schuldner nicht wiederlegt werden. Vielmehr ist dieser Vortrag durch die Stellungnahme des Treuhänders aus Sicht des Gerichts schlüssig und nachvollziehbar dargetan. Denn der Treuhänder hat bestätigt, dass in diesem Jahr der von ihm während der Urlaubszeit eingeschaltete Telefonauftragsdienst mehrere Telefonate nicht mitgeteilt habe und er daher nicht ausschließen könne, dass ihm die Anrufe des Schuldners im vergangenen Jahr ebenfalls nicht mitgeteilt worden seien könnten.
2.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners hatte der Schuldner auch vorliegend nicht die Pflicht, dem Treuhänder die Änderungen des Wohnsitzes bzw. die Änderung der Beschäftigungsdienststelle oder aber Auskünfte über seinen Verdienst schriftlichmitzuteilen. Eine solche vom Antragsteller geforderte schriftliche Mitteilungspflicht findet bereits "de lege lata" keine Grundlage im Gesetz. Denn nach § 295 Abs. 1 Ziffer 3 InsO wird lediglich gefordert, dass der Wechsel des Wohnsitzes oder Beschäftigungsstelle anzuzeigen ist bzw. auf Verlangen Auskunft über die Bezüge zu erteilen ist.
Sinn und Zweck der Mitteilung des Wohnsitzwechsels ist es, die Erreichbarkeit für den Treuhänder zu gewährleisten (so auch Wenzel in Kübler/Prütting, InsO Rn. 21 zu § 295 InsO m.w.N.). Gleiches gilt für die Mitteilung des Wechsels bzw. der Aufnahme einer Beschäftigungsstelle (Wenzel, a.a.O. Rn. 23 zu § 295 InsO m.w.N.). Der Treuhänder muss jederzeit darüber unterrichtet sein, an welcher Stelle oder welchen Stellen der Schuldner einer Beschäftigung nachgeht, um die finanzielle Lage des Schuldners unter Berücksichtigung einer etwaigen Abführungspflicht hinreichend beurteilen zu können (ähnlich Wenzel a.a.O., Rn. 23 zu § 295 InsO unter Hinweis auf Uhlenbruck/Vallender, InsO, Rn 46 zu § 295 InsO).
Hierbei wird in der Literatur zwar die Auffassung vertreten, dass ein bloßes Schweigen ausreiche, um eine Obliegenheitspflichtverletzung begründen zu können (so offensichtlich Wenzel a.a.O., Rn. 24 zu § 295 InsO m.w.N. u.a. auf Uhlenbruck/Vallender, InsO, Rn 48 zu § 295 InsO). Es kann jedoch vorliegend dahinstehen, ob das Gericht die Auffassung, dass ein bloßes Schweigen für eine Obliegenheitspflichtverletzung ausreiche, uneingeschränkt folgt. Denn hierauf kommt es nicht an, da der Schuldner gegenüber dem Treuhänder im Sinne dieser Auffassung der Literatur nicht geschwiegen hat. Der Schuldner hat unbestritten versucht, mit dem Treuhänder telefonisch in Kontakt zu treten. Dies genügt zur Überzeugung des Gerichts bereits unter Berücksichtigung des Gesetzeswortlautes des § 295 Abs. 1 Ziffer 3 InsO aus. Unerheblich ist vorliegend ebenfalls, dass der Schuldner den Treuhänder telefonisch nicht erreicht hat. Auch in diesem Fall trifft ihm nicht die Pflicht, die Änderungen schriftlich mitzuteilen. Denn von dem Sekretariat / Telefonauftragsdienst ist dem Schuldner unbestritten mitgeteilt worden, dass der Treuhänder sich nach Urlaubsrückkehr mit ihm in Verbindung setzen wird. Dass das Sekretariat bzw. der vom Treuhänder eingeschaltete Auftragsdienst die Anrufe an den Treuhänder - wie in der Vergangenheit offensichtlich geschehen - nicht weiterleitet und alleine hierdurch ein Rückruf scheitert, konnte dem Schuldner nicht angelastet werden. Denn er hat zumindest bis heute darauf vertrauen können, dass entsprechende Anrufe dem Treuhänder mitgeteilt werden. Auf diese - an sich -selbstverständliche Weiterleitung von telefonischen Anrufen des Schuldners an den Treuhänder kann sich der Schuldner allerdings für die Zukunft nicht mehr berufen. Denn nunmehr weiß der Schuldner, dass etwaige Telefonanrufen ggfs. den Treuhänder nicht erreichen. Er muss daher zukünftig jegliche Wohnsitzwechsel bzw. Wechsel der Beschäftigungsstelle in jedem Fall schriftlich nachweisbar mitteilen, wenn er den Treuhänder selbst telefonisch nicht persönlich erreicht.
Dass der Schuldner nicht im Nachhinein, also nachdem sich der Treuhänder nach den telefonischen Kontakten mit dem Sekretariat / Auftragsdienst im Juli 2005 nicht gemeldet hat, nochmals schriftlich alle Änderungen angezeigt hat, weil der Schuldner hätte merken und erkennen können, dass sich der Treuhänder bei ihm nicht meldet, ist vorliegend auch aus anderen Erwägungen rechtlich unbeachtlich. Denn das hier angeführte Unterlassen ist zur Überzeugung des Gerichts allenfalls als leicht fahrlässige Verhaltensweise zu qualifizieren. Denn insoweit übersieht der Antragsteller, dass der Schuldner nach einer langen Arbeitslosigkeit eine neue Arbeitsstelle aufgenommen hat und damit nachvollziehbar sich um seine finanzielle Selbständigkeit vorrangig zu kümmern hatte. Die Ausführungen des Schuldners, dass er es schlicht aufgrund seiner Wechselschicht und des Umstandes, dass er kein pfändbares Einkommen verdient, vergessen habe, dem Treuhänder "nachzutelefonieren", sind in sich schlüssig und nachvollziehbar und entschuldigen diese leicht fahrlässige Nachlässigkeit. Insbesondere ist in diesem Verhalten keine dem § 295 Abs. 1 Ziffer 3 InsO anhaftende Verheimlichungsintentionen bzw. -absichten eines Schuldners zu erkennen. Schutzzweck des § 295 Abs. 1 Ziffer 3 InsO ist es, den unredlichen Schuldner von der Restschuldbefreiung auszuschließen (ähnlich Römermann, InsO, Rn. 6 zu § 295 InsO). Der Schuldner hat sich jedoch redlich verhalten, wenngleich er den Wohnsitzwechsel bzw. die Beschäftigungsaufnahme nicht schriftlich mitgeteilt hat. Denn bei der Beurteilung der Redlichkeit ist objektiv zu beurteilen, ob der Schuldner durch seine fehlende schriftliche Mitteilung des Wohnsitzwechsels bzw. der Aufnahme der Beschäftigung objektive Vorteile hätte erzielen können. Solche Vorteile sind aus Sicht des Gerichts nicht erkennbar. Denn der Schuldner hat sich zum einen ordnungsgemäß beim Einwohnermeldeamt umgemeldet, so dass auch für den Treuhänder jederzeit die Möglichkeit bestand, den neuen Wohnsitz durch eine einfache Anfrage beim Einwohnermeldeamt in Erfahrung zu bringen. Mithin ist nicht erkennbar, dass der Schuldner seinen Aufenthalt ansatzweise hätte verheimlichen wollen und können. Zum anderen lag der Schuldner seit Beschäftigungsaufnahme unterhalb der Pfändungsfreigrenze, mithin hätte er nichts abzuführen gehabt. Folglich wären den Gläubigern auch nichts zur Befriedigung ihrer Schulden zugeflossen, was aber letztlich die Schutznorm des § 295 Abs. 1 Ziffer 3 InsO bezweckt. Mithin wäre selbst unter der Annahme des Antragstellers, dass im Verhalten des Schuldners eine Obliegenheitspflichtverletzung läge, nicht die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt.
Auch der Umstand, dass der Schuldner die geänderten Bezüge nicht sofort mitgeteilt hat, bewirkt keine Obliegenheitspflichtverletzung nach § 295 Abs. 1 Ziffer 3 InsO. Denn Änderungen der Bezüge hat der Schuldner entgegen der Ansicht des Antragstellers de lege lata nur auf Verlangen des Treuhänders zu erteilen. Ein solches Verlangen wurde jedoch ausweislich der Akte und den Mitteilungen des Treuhänders erst im Juli 2006 gestellt. Dem ist der Schuldner auch gemäß dem Schreiben der Treuhänders vom 26.07.2006 und vom 22.08.2006 nachgekommen, so dass eine Obliegenheitspflichtverletzung auch insoweit nicht ersichtlich ist.
3.
Von daher hat der Schuldner eine Obliegenheit im Sinne von § 295 Abs. 1 Ziffer 3 InsO i.V.m. § 296 Abs. 1 InsO nicht verletzt. Auch weitere Obliegenheitspflichtverletzungen sind nicht ersichtlich. Von daher war der Antrags des Antragstellers und Insolvenzgläubigers als unbegründet zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 4 InsO, 91 ZPO.