Amtsgericht Hannover
Beschl. v. 09.11.2006, Az.: 906 IN 316/02 - 2

Unzulässigkeit des Antrags einer gesetzlichen Krankenversicherung auf Versagung einer Restschuldbefreiung; Firmenneugründungen als insolvenzrechtlicher Obliegenheitsverstoß

Bibliographie

Gericht
AG Hannover
Datum
09.11.2006
Aktenzeichen
906 IN 316/02 - 2
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 38509
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGHANNO:2006:1109.906IN316.02.2.0A

Fundstellen

  • InsbürO 2007, 158 (Volltext)
  • NZI (Beilage) 2007, 35 (amtl. Leitsatz)
  • ZInsO 2007, 50-51 (Volltext mit red. LS)
  • ZVI 2007, 575-576 (Volltext mit red. LS)

In dem Insolvenzverfahren
...
hat das Amtsgericht Hannover - Abteilung 906 -
durch
den Richter am Amtsgericht Dr. Kretschmer
am 09.11.2006
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung wird als unzulässig verworfen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Versagungsantragsverfahrens zu tragen.

Gründe

1

I.

Der Schuldner und Antragsgegner war bis zum 01.05.2001 im Bereich Hausverwaltung und Immobilienbereich selbständig tätig. Mit Schreiben vom 01.03.2002 hat er einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens für ehemals Selbständige gestellt. Zum Antragszeitpunkt erklärte er, keine Rückstände von Sozialversicherungsbeiträgen zu haben. Mit Beschluss vom 10.04.2002 hat das Amtsgericht Hannover nach Bewilligung der Stundung von Verfahrenskosten das Insolvenzverfahren eröffnet und zugleich bestimmt, dass etwaige Gläubiger ihre Insolvenzforderungen bis zum 10.06.2002 zur Tabelle anzufordern hatten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Eröffnungsbeschluss vom 10.04.2002 (Bl. 29 ff. d.A.) verwiesen.

2

Zur Insolvenztabelle nach §175 InsO wurden insgesamt 20 Forderungen angemeldet (Bl. 84 ff. d.A.), die zur ersten Gläubigerversammlung (Berichtstermin) und Prüftermin am 17.07.2002 inhaltlich geprüft und übernommen wurden. Der Schlusstermin fand am 18.08.2004 statt und mit Beschluss vom gleichen Tag wurde die Restschuldbefreiung angekündigt. Weitere Forderungen wurden nachträglich nicht angemeldet, so dass am selben Tag die Restschuldbefreiung nach §291 InsO angekündigt wurde und das Insolvenzverfahren nach §200 InsO aufgehoben wurde (Bl. 227 und 232 d.A.). Die Wohlverhaltensperiode beträgt 6 Jahre, beginnend mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 10.04.2002.

3

Mit Schreiben vom 18.09.2006 hat Antragstellerin, eine gesetzliche Krankenkasse, beantragt,

dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen.

4

Sie trägt vor, dass der Schuldner trotz Eröffnung des Insolvenzverfahrens seit dem 01.04.2003 eine neue Firma betreibe und sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftige, die bei der Antragstellerin gemeldet seien. Sie ist der Auffassung, dass eine Neugründung einer Firma keine angemessene Erwerbstätigkeit im Sinne von §295 InsO darstelle, mit der Folge, dass durch die Firmenneugründung ein Obliegenheitsverstoß vorliege. Zudem habe der Schuldner die Beiträge zur Gesamtsozialversicherung in der Zeit vom 01.04.2003 bis 31.07.2003 nicht gezahlt, was einer Verwirklichung einer Straftat nach §266 a StGB darstelle. Denn der Schuldner habe erst nach Zustellung des Feststellungsbescheides vom 11.07.2006 auf das am 10.04.2002 eröffnete Insolvenzverfahren hingewiesen.

5

Die Treuhänderin hat zum Antrag mit Schreiben vom 13.10.2006 Stellung genommen. Sie ist der Auffassung, dass der Antrag der Gläubigerin nach §§296 Abs. 1, 295 InsO zulässig sei. Der Schuldner hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

6

II.

Der Antrag der Antragstellerin vom 18.09.2006 war als unzulässig zu verwerfen. Denn entgegen der Auffassung der Antragstellerin und der Treuhänderin ist die Antragstellerin nicht antragsberechtigt, da sie nicht Insolvenzgläubigerin im Sinne von §296 Abs. 1 InsO ist.

7

Es kann vorliegend die Rechtsauffassung der Antragstellerin dahin gestellt bleiben, ob die Neugründung einer Firma eine Obliegenheitspflichtverletzung im Sinne von §295 Abs. 1 Ziffer 1 InsO darstellt, weil es sich aus ihrer Sicht nicht um eine angemessene Erwerbstätigkeit handeln würde. Ohne diese Rechtsauffassung abschließend zu beurteilen, bestehen jedoch an dieser Auffassung der Antragstellerin bereits deswegen durchgreifende Bedenken, da auch die Gründung einer Firma und damit eine Selbständigkeit grundsätzlich mit Blick auf Art. 12 GG aus Sicht des Gerichts als angemessene Erwerbstätigkeit zu werten sein dürfte. Lediglich, wenn für den objektiven Betrachter bereits bei Firmenneugründung feststeht, dass diese Firmengründung lediglich als Scheinfirmengründung zu qualifizieren ist oder einzig darauf ausgelegt ist, Verluste zu erzielen, könnte ein unangemessene Erwerbstätigkeit im Sinne von §295 Abs. 1 Ziff. 1 InsO vorliegen. Solche Hinweise wären jedoch von der Antragstellerin weder vorgetragen worden noch sonst wie ersichtlich gewesen. Dass die Vorenthaltung der von 01.04.2003 bis 31.07.2003 zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge - so der zutreffende Hinweis der Antragstellerin - die Voraussetzungen des §266 a StGB durchaus erfüllen könnte, mithin sich der Schuldner durch die Nichtabführung hiernach strafbar gemacht haben könnte, konnte gleichfalls dahingestellt bleiben, da es auch insoweit nicht hierauf ankam.

8

Denn nach §296 Abs. 1 S. 1 InsO versagt das Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung erstauf Antrag eines Insolvenzgläubigers, wenn der Schuldner eine Obliegenheitspflichtverletzung begeht und hierdurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt. Nach der Legaldefinition von§38 InsO sind jedoch nur diejenigen Insolvenzgläubiger,die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Die Antragstellerin hatte jedoch zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen solchen begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner nicht. Denn ausweislich ihres eigenen Vortrages im Antrag vom 18.09.2006 betreibt der Schuldner erst seit dem 01.04.2003 eine neue Firma und beschäftigt erst seither sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer. Hieraus folgt auch, dass der Schuldner Beiträge zur Gesamtsozialversicherung lediglich für die Zeit vom 01.04.2003 bis 31.07.2003 schuldet. Mithin sind die Verbindlichkeiten erst nach dem 01.04.2003 begründet worden, also zeitlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dieses ist unstreitig am 10.04.2002 eröffnet worden. Von daher ist die Antragstellerin nicht Insolvenzgläubigerin im Sinne von §§38, 296 Abs. 1 S. 1 InsO, sondern nur bloße Gläubigerin einer Forderung gegenüber dem Schuldner.

9

Eine Erweiterung des Antragsrechtes nach §296 InsO auf alle (zeitlich) später werdende Gläubiger widerspricht dem eindeutigen Wortlaut des §296 Abs. 1 S. 1 InsO und wäre demnach "de lege lata" (vgl. zur ausschließlichen Antragsberechtigung eines Insolvenzgläubigers auch Wenzel in Kübler/Prütting Rn. 2 zu §296 InsO). Gegen eine solche Erweiterung von antragsberechtigten Gläubigern sprechen zudem auch die unterschiedlichen Interessenlagen von Gläubigern des Schuldners zum Eröffnungszeitpunkt des Insolvenzverfahrens (Insolvenzgläubiger) und von denjenigen Gläubigern, die erst zeitlich nach Insolvenzeröffnung einen Anspruch gegen den Schuldner haben. Interesse der Insolvenzgläubiger ist es, dass der Schuldner sich während der Wohlverhaltensperiode ihnen gegenüber redlich verhält und nur in diesem Fall seine Restverbindlichkeiten ihnen gegenüber erlassen bekommt. Erst bei positiven Verlauf der Wohlverhaltensperiode geht der originäre (Rest-)Vermögensanspruch der Insolvenzgläubigern durch die Restschuldbefreiung unter. Die Ansprüche der zeitlich später hinzutretenden Gläubiger bleiben demgegenüber trotz möglicher Restschuldbefreiung Inhaber ihrer eigenen späteren Vermögensansprüche gegen Schuldner. Mithin sind ausschließlich die Interessen der Insolvenzgläubiger ersichtlich schützenswert und nicht (auch) die aller übriger Gläubiger. Zudem ist ein wirtschaftliches Risiko zeitlich später hinzutretender Gläubiger nicht erkennbar, da deren Vermögensansprüche trotz Erteilung der Restschuldbefreiung ihnen gegenüber unberührt bleiben.

10

Von daher ist die Antragstellerin nicht Insolvenzgläubigerin im Sinne von §296 Abs. 1 S. 1 InsO und damit zur Stellung eines Versagungsantrages der Restschuldbefreiung nicht berechtigt. Damit ist der Antrag der Antragstellerin unzulässig und war zu verwerfen.

11

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§4 InsO, 91 ZPO.

Dr. Kretschmer Richter am Amtsgericht