Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.02.2008, Az.: 5 LB 365/07

Voraussetzungen für die Schadensersatzpflicht eines Polizeibeamten wegen Falschbetankens eines Dienstfahrzeugs; Anforderungen an das Vorliegen eines minder schweren Schuldvorwurfs aufgrund dienstbedingter Eilbedürftigkeit beim Betanken eines Dienstfahrezeugs

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.02.2008
Aktenzeichen
5 LB 365/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 12864
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2008:0211.5LB365.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Osnabrück - 21.06.2007 - AZ: 3 A 19/07

Fundstellen

  • NdsVBl 2008, 177
  • NordÖR 2008, 185-186 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Zur Schadensersatzpflicht eines Polizeibeamten wegen des Falschbetankens eines Dienstfahrzeugs.

Tatbestand

1

Die Beklagte wendet sich mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 21. Juni 2007. Mit diesem Urteil sind die Bescheide der Beklagten vom 18. Januar 2007 und 17. April 2007, mit denen sie den Kläger wegen fehlerhaften Betankens eines Dienstkraftwagens auf Schadensersatz in Anspruch genommen hat, aufgehoben worden.

2

Der Kläger ist Polizeibeamter des Landes Niedersachsen. Am 8. Juli 2006 betankte er das von seinem Kollegen und ihm benutzte Polizeidienstfahrzeug mit Benzin statt - wie erforderlich - mit Dieselkraftstoff. Zu Beginn des Tankvorgangs wurde der Kläger von einem älteren Mitbürger angesprochen und in ein Gespräch betreffend dienstliche Belange verwickelt. Während des Gesprächs setzte der Kläger den Tankvorgang fort. Anschließend wurde anhand der Tankquittung die Falschbetankung mit Benzin festgestellt. Durch die notwendigen Reparaturmaßnahmen entstanden dem Land Niedersachsen Aufwendungen in Höhe von 285,44 EUR.

3

Mit Leistungsbescheiden vom 18. Januar 2007und 17. April 2007 forderte die Beklagte vom Kläger diesen Betrag mit der Begründung zurück, er habe grob fahrlässig gegen seine Pflicht zum sorgsamen Umgang mit dem Dienstwagen verstoßen.

4

Am 21. Februar 2007 hat der Kläger Klage mit der Begründung erhoben, es sei nicht als grobe Fahrlässigkeit zu bewerten, wenn er abgelenkt durch ein Bürgergespräch versehentlich die falsche Zapfpistole gegriffen habe.

5

Der Kläger hat beantragt,

die Bescheide der Beklagten vom 18. Januar 2007 und 17. April 2007 aufzuheben.

6

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie hat vorgetragen, der Kläger habe grob fahrlässig gehandelt, weil eine dienstbedingte Eilbedürftigkeit nicht vorgelegen habe. Der Kläger habe die Möglichkeit gehabt, den Bürger um einen Moment Geduld zu bitten, damit ihm beim Tankvorgang kein Fehler unterlaufe.

8

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 21. Juni 2007 der Klage stattgegeben und die Bescheide der Beklagten vom 18. Januar 2007 und 17. April 2007 aufgehoben. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe das Dienstfahrzeug nicht grob fahrlässig falsch betankt, sondern es habe sich bei dem Falschbetanken um ein Augenblicksversagen mit dem besonderen Umstand gehandelt, dass der Kläger bei dem routinemäßig abzuwickelnden Vorgang des Betankens des Dienstfahrzeugs durch unvorhersehbare äußere Umstände, nämlich durch die Verwicklung in ein dienstliche Belange betreffendes Gespräch mit einem Bürger, abgelenkt worden sei.

9

Die Beklagte hat am 10. Juli 2007 gegen das am 28. Juni 2007 zugestellte Urteil einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Der beschließende Senat hat die Berufung mit dem der Beklagten am 12. Oktober 2007 zugestellten Beschluss vom 10. Oktober 2007 (5 LA 269/07) wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zugelassen.

10

Die Beklagte verweist in ihrem Schriftsatz vom 30. Oktober 2007 zur Begründung der Berufung auf die Begründung im Berufungszulassungsverfahren im Schriftsatz vom 11. Juli 2007.

11

Sie beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 21. Juni 2007 - 3. Kammer (Einzelrichter) - zu ändern und die Klage abzuweisen.

12

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

13

Er trägt unter Verweis auf sein Vorbringen im Zulassungsverfahren vor, der Schuldvorwurf der groben Fahrlässigkeit sei nicht gegeben, weil es sich bei dem Betankungsvorgang um einen routinemäßigen Vorgang gehandelt habe, bei dem unvorhergesehene Umstände hinzugekommen seien.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (Beiakte A) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.

16

Der Senat entscheidet über die Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 130a Satz 1 VwGO durch Beschluss. Er hält sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.

17

Der Zulässigkeit der Berufung der Beklagten steht nicht entgegen, dass die Beklagte zur Begründung der Berufung nur auf die im Berufungszulassungsverfahren vorgetragene Begründung verwiesen hat. Denn dies genügt den Anforderungen an eine Berufungsbegründung nach § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO, wonach die Begründung die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten muss, weil die Beklagte konkret auf die Begründung in ihrem im Zulassungsverfahren überreichten Schriftsatz vom 11. Juli 2007 (insofern handelt es sich um einen Schreibfehler, gemeint ist offenkundig der Schriftsatz vom 31. Juli 2007) Bezug nimmt (vgl. auch: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 124a Rdnr. 115) und Wiederholungen in Anbetracht des in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht schwer zu durchdringenden Falles unnötig gewesen wären.

18

Die Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 18. Januar 2007 und 17. April 2007 aufgehoben. Das der Klage stattgebende Urteil ist daher auf die Berufung der Beklagten zu ändern und die Klage abzuweisen.

19

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 18. Januar 2007 und 17. April 2007 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

20

Nach § 86 Abs. 1 NBG hat ein Beamter, der vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm obliegenden Pflichten verletzt, dem Dienstherrn, dessen Aufgaben er wahrgenommen hat, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Zu den Dienstpflichten des Beamten gehört es, das Eigentum und das Vermögen des Dienstherrn nicht zu schädigen. Dementsprechend schuldet der Beamte seinem Dienstherrn einen sorgsamen und pfleglichen Umgang mit den ihm dienstlich anvertrauten Sachgütern. Dies gilt auch für den Gebrauch eines Dienstwagens (vgl. auch: Ziff. 9 der Richtlinie über Dienstkraftfahrzeuge in der Landesverwaltung <Kfz-Richtlinie>, Anlage zum RdErl. d. MF v. 4. Oktober 2002, Nds.MBl. 2002, 911).

21

Der Kläger hat seinem Dienstherrn, dem Land Niedersachsen, einen Schaden unter Verletzung der ihm obliegenden Dienstpflicht, die ihm zur Dienstausübung überlassenen Sachen des Dienstherrn nicht zu beschädigen, zugefügt, weil er das Polizeidienstfahrzeug am 8. Juli 2006 mit Benzin statt - wie erforderlich - mit Dieselkraftstoff falsch betankt hat. Der Kläger handelte grob fahrlässig.

22

Der Schuldvorwurf der groben Fahrlässigkeit i.S. des § 86 Abs. 1 NBG ist gerechtfertigt, wenn der Beamte im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der gesamten Umstände seine Pflicht zum sorgsamen Umgang objektiv besonders schwerwiegend und auch subjektiv unentschuldbar, erheblich über das gewöhnliche Maß hinausgehend verletzt. Das ist anzunehmen, wenn er ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl.: BVerwG, Urt. v. 17.9.1964 - BVerwG II C 147.61 -, BVerwGE 19, 243). Bei der Benutzung eines Dienstfahrzeuges, dessen Tank vor der Rückgabe aufgefüllt werden muss, handelt ein Beamter angesichts der verschiedenen Kraftstoffsorten in der Regel grob fahrlässig, wenn er sich nicht vergewissert, welcher Kraftstoff zu tanken ist. Ein minder schwerer Schuldvorwurf ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen gerechtfertigt, etwa bei einer durch einen polizeilichen Einsatz bedingten (unverschuldeten) Eilbedürftigkeit (vgl.: OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 26.02.2004 - 2 A 11982/03.OVG -, NVwZ-RR 2004, 366 m.w.N.). Ein Augenblicksversagen ist allein noch kein Grund, den Schuldvorwurf der groben Fahrlässigkeit herabzustufen, wenn die objektiven Merkmale der groben Fahrlässigkeit gegeben sind. Vielmehr müssen noch weitere, in der Person des Handelnden liegende besondere Umstände hinzukommen, die den Grund des momentanen Versagens erkennen und in einem milderen Licht erscheinen lassen (vgl.: BGH, Urt. v. 08.07.1992 - IV ZR 223/91 -, zitiert nach [...]).

23

Gemessen an diesen rechtlichen Vorgaben hat der Kläger den durch die Falschbetankung an dem von ihm benutzten Dienstwagen verursachten Schaden grob fahrlässig herbeigeführt. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dem Kläger fehle es an einem in subjektiver Hinsicht unentschuldbaren Fehlverhalten, weil er die zutreffende Treibstoffart des Dienstfahrzeugs gekannt habe, aber aufgrund einer Konzentrationsbeeinträchtigung infolge einer Ablenkung durch von außen an ihn herangetragene Umstände das Dienstfahrzeug unbewusst falsch betankt habe, teilt der Senat nicht. Denn auch wenn sich der Kläger über den richtigen Treibstoff bewusst gewesen ist, erschöpfte sich seine Sorgfaltspflicht nicht hierin, sondern er hätte sich beim Tankvorgang selbst der Wahl der richtigen Zapfsäule vergewissern müssen. Dies gilt um so mehr, als - wie der Kläger in seiner schriftlichen Erklärung vom 10. Oktober 2006 ausgeführt hat - in seiner Dienststelle Streifenfahrzeuge eingesetzt werden, die entweder Dieselkraftstoff oder Superbenzin benötigen. Die unterschiedliche Betankung der Dienstfahrzeuge stellte für den Kläger deshalb keine gleichförmige gewohnheitsmäßige Handlung dar, sondern hätte ihm in besonderem Maße Anlass geben müssen, auf die Wahl der richtigen Treibstoffsorte zu achten. Weder hat sich der Kläger im Zeitpunkt des Betankens in einer besonders belastenden Situation befunden noch haben außergewöhnliche dienstliche Ereignisse vorgelegen, die einen minder schweren Schuldvorwurf begründen könnten. Dass der Kläger beim Tankvorgang durch ein dienstliches Gespräch mit einem Bürger abgelenkt worden und für kurze Zeit unaufmerksam gewesen ist, stellt keinen besonderen Umstand dar, der die Annahme eines unverschuldeten Fehlverhaltens des Klägers rechtfertigen könnte. Es hätte dem Kläger oblegen, die Handlungen nacheinander vorzunehmen und entweder zunächst das Gespräch mit dem Bürger zu führen oder den Tankvorgang zu beenden. Eine Notwendigkeit, beide Handlungen gleichzeitig vorzunehmen, bestand nicht, zumal keine der beiden Handlungen eilbedürftig gewesen ist.

24

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

25

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

26

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §§ 132 Abs. 2 VwGO, 193 NBG liegen nicht vor.

27

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 3 GKG. Der Beschluss über die Festsetzung des Streitwerts ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).