Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.04.2013, Az.: 1 KN 33/10
Unmittelbarer Schutz der Vogelschutzrichtlinie für ein Plangebiet bei Nachmeldung eines Europäischen Vogelschutzgebietes und Lage im Vorfeld einer Siedlung als faktisches Vogelschutzgebiet
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 10.04.2013
- Aktenzeichen
- 1 KN 33/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 35060
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2013:0410.1KN33.10.0A
Rechtsgrundlage
- Art. 4 Abs. 4 S. 1 RL 2009/147/EG
Fundstelle
- NuR 2013, 424-429
Redaktioneller Leitsatz
1.
Ein Normenkontrollantrag ist zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, durch die Rechtsnorm oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden.
2.
Antragsbefugt ist, wer geltend machen kann, durch den Bebauungsplan in seinem Recht auf gerechte Abwägung seiner privaten Belange verletzt zu sein.
3.
Nach § 1 Abs. 3 BauGB haben die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Die Bauleitplanung bedarf danach der Rechtfertigung durch städtebauliche Gründe.
4.
Welche städtebaulichen Ziele die Gemeinde sich setzt, liegt in ihrem planerischen Ermessen. Ein planerischer Missgriff liegt erst dann vor, wenn eine Plankonzeption nicht existiert oder erkennbar nicht die vorgegebenen städtebaulichen Planungsziele, sondern allein andere Ziele verfolgt und verwirklicht werden sollen.
5.
Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL verlangt von den Mitgliedstaaten, dass sie geeignete Maßnahmen treffen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel, sofern sie sich auf die Zielsetzungen von Art. 4 VRL auswirken, in den in der Vorschrift genannten Vogelschutzgebieten vermeiden. Diesem vorläufigen Schutzregime unterliegen diejenigen Gebiete, die nach den Kriterien der Vogelschutzrichtlinie förmlich unter Vogelschutz hätten gestellt werden müssen, aber nicht als Vogelschutzgebiet gemeldet und unter Schutz gestellt worden sind.
6.
Schutzmaßnahmen sind zu ergreifen, soweit sie erforderlich sind, um das Überleben und die Vermehrung der in Anhang I aufgeführten Vogelarten und der in Art. 4 Abs. 2 VRL angesprochenen Zugvogelarten sicherzustellen. Die Auswahlentscheidung hat sich ausschließlich an diesen ornithologischen Erhaltungszielen zu orientieren. Eine Abwägung mit anderen Belangen findet nicht statt.
7.
Unter Schutz zu stellen sind die Landschaftsräume, die sich nach ihrer Anzahl und Fläche am ehesten zur Arterhaltung eignen. Entscheidend ist die ornithologische Wertigkeit, die nach quantitativen und nach qualitativen Kriterien zu bestimmen ist.
8.
Je mehr der im Anhang I aufgeführten oder in Art. 4 Abs. 2 VRL genannten Vogelarten in einem Gebiet in einer erheblichen Anzahl von Exemplaren vorkommen, desto höher ist der Wert als Lebensraum einzuschätzen. Je bedrohter, seltener oder empfindlicher die Arten sind, desto größere Bedeutung ist dem Gebiet beizumessen, das die für ihr Leben und ihre Fortpflanzung ausschlaggebenden physischen und biologischen Elemente aufweist. Nur Lebensräume und Habitate, die unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe für sich betrachtet in signifikanter Weise zur Arterhaltung beitragen, gehören zum Kreis der im Sinne des Art. 4 VRL geeignetsten Gebiete.
9.
Bei der Bestimmung der Gebiete, die nach ornithologischen Kriterien als zahlen- und flächenmäßig geeignetste Gebiete anzusehen sind, verfügen die Mitgliedstaaten über einen vom Europäischen Gerichtshof als "Ermessensspielraum" bezeichneten Beurteilungsspielraum.
10.
In dem Maße, in dem sich die Gebietsvorschläge eines Landes zu einem kohärenten Netz verdichten, verringert sich die richterliche Kontrolldichte. Mit dem Fortschreiten des mitgliedstaatlichen Auswahl- und Meldeverfahrens steigen die prozessualen Darlegungsanforderungen für die Behauptung, es gebe ein (nicht erklärtes) "faktisches" Vogelschutz-gebiet, das eine "Lücke im Netz" schließen solle.
In dem Normenkontrollverfahren
des Herrn A. B.,
Antragstellers,
Proz.-Bev.:
KNH Rechtsanwälte,
Huyssenallee 105, 45128 Essen, -
gegen
die Stadt Esens, vertreten durch den Stadtdirektor,
Am Markt 2 - 4, 26427 Esens,
Antragsgegnerin,
Proz.-Bev.:
Rechtsanwälte Prof. Dr. Stüer und andere,
Schützenstraße 21, 48143 Münster,
Streitgegenstand: Feststellung der Unwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 72 "Kommunale Entlastungsstraße Bensersiel" und der 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 72
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 1. Senat - auf die mündliche Verhandlung vom 10. April 2013 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Claus, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Berner-Peschau, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Luth sowie die ehrenamtlichen Richterinnen C. und D.
für Recht erkannt:
Tenor:
Die vom Rat der Antragsgegnerin am 31. Januar 2011 als Satzung beschlossene 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 72 "Kommunale Entlastungsstraße Bensersiel" und der vom Rat der Antragsgegnerin am 8. Februar 2010 als Satzung beschlossene Bebauungsplan Nr. 72 "Kommunale Entlastungsstraße Bensersiel" werden für unwirksam erklärt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Normenkontrollverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Antragsteller wendet sich gegen die im Betreff genannten Bebauungspläne, weil er seine landwirtschaftlichen Flächen durch die Entlastungsstraße entwertet und den Vogelschutz beeinträchtigt sieht.
Der Antragsteller ist Eigentümer des ehemaligen landwirtschaftlichen Hofes E. mit etwa 70 ha zusammenhängender Fläche, die er bislang verpachtet hat und von denen etwa 2/3 durch die zwischenzeitlich fertiggestellte Umgehungsstraße vom Hofgebäude abgetrennt werden. Die Hofgebäude sind der Ortslage von Bensersiel westlich vorgelagert.
Die Entlastungsstraße ist etwa 2.140 m lang und schließt mit einem Kreisel an den bisherigen Verlauf der Landesstraße 5 an. Sie führt von dort in südöstliche Richtung im Bogen im Abstand von 200 - 250 m um die Ortslage herum; die Hofgebäude des Antragstellers liegen linksseitig der Straße. Der Teilplan I endet vor der Querung des F. Weges im Teilplan II. Im Teilplan III befinden sich Anschlüsse an die Landesstraßen 8 und 5; die dortige Anbindung des nach Osten weiterführenden Teils der Landesstraße 5 an die Landesstraße 8 wird auf die neue Trasse verlegt. Der Teilplan IV betrifft Kompensationsflächen außerhalb des Trassenbereiches.
Die Entlastungsstraße war in Gestalt des Bebauungsplanes Nr. 67 bereits Gegenstand des Normenkontrollurteils des Senats vom 22. Mai 2008 (- 1 KN 149/05 -, NuR 2008, 805), gegen welches das Bundesverwaltungsgericht die Revision zur Klärung der Frage zugelassen hat, ob ein Bebauungsplan für eine Umgehungsstraße, der beschlossen wurde, ohne zu klären, ob die Trasse in einem faktischen Vogelschutzgebiet lag, allein deshalb als wirksam betrachtet werden kann, weil das Land der Europäischen Kommission das fragliche Gebiet nach der ortsüblichen Bekanntmachung des Bebauungsplans als Europäisches Vogelschutzgebiet nachgemeldet hat, ohne das Plangebiet in die Meldung einzubeziehen (BVerwG, Beschl. v. 17.6.2009 - 4 BN 28.08 -, [...]; nunmehr unter dem Aktenzeichen 4 CN 2.09). Das Bundesverwaltungsgericht hat das Revisionsverfahren mit Beschluss vom 1. Juli 2010 - 4 CN 2.09 - bis zur Erledigung des hier anhängigen Normkontrollantrags gegen den Bebauungsplan Nr. 72 ausgesetzt.
Zur Behebung etwaiger - nach Auffassung der Antragsgegnerin mit der Zulassungsfrage aufgezeigter - verfahrensrechtlicher Bedenken gegen den Plan Nr. 67 führte die Antragsgegnerin das Bauleitplanverfahren insgesamt neu durch. Ihr Verwaltungsausschuss beschloss am 12. Oktober 2009 die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 72 sowie am 26. November 2009 die öffentliche Auslegung. Am 28. November 2009 machte die Antragsgegnerin den Aufstellungsbeschluss im Anzeiger Harlingerland sowie öffentlich bekannt, dass der Entwurf des Bebauungsplanes einschließlich Begründung, Umweltbericht, Grünordnungsplan und die Avifaunistische Bestandserfassung vom 7. Dezember 2009 bis zum 7. Januar 2010 öffentlich ausliege.
Der Bebauungsplan Nr. 72 ist im Wesentlichen inhaltsgleich mit seiner Urfassung und dem Vorgängerplan Nr. 67. Er setzt allerdings erstmals fest, dass die Umgehungsstraße mit so genanntem Flüsterasphalt ausgebaut und mit einer 1,75 m hohen Lärm- und Sichtschutzwand zum Schutze der Wohnbevölkerung und des Vogelschutzgebietes versehen wird. Sein etwa 47,5 ha großes Plangebiet berührt die zwischenzeitlich vom Land Niedersachsen gemäß § 34b Abs. 1 NNatG zum Europäischen Vogelschutzgebiet erklärte "Ostfriesische Seemarsch zwischen Norden und Esens" (V 63, Bekanntmachung vom 28. Juli 2009, Nds.MBl. S. 783).
Mit der Bekanntmachung dieses 8.043 ha großen Vogelschutzgebietes reagierte das Land im Nachmeldeverfahren auf die Aufforderung der Europäische Kommission im Vertragsverletzungsverfahren 2001/5117, die Fläche "Important Bird Areas Norden-Esens" in einer Größe von etwa 10.000 ha als besonderes Schutzgebiet auszuweisen, weil es die Kriterien hierfür nicht nur hinsichtlich der Rastbestände von Gänsen, Watvögeln, Möwen etc., sondern auch in Bezug auf das Blaukehlchen (150 Brutplätze) erfülle (unter Bezugnahme auf G. 2002, 1998). Dabei nahm das Land das Plangebiet, das nach Sudfeldt et al. ebenfalls unter der Nummer NI044 als bedeutende Vogelschutzgebiete in Deutschland aufgeführt war (Ber. Vogelschutz 38 [2002], Eintrag "Norden-Esens, "Important Bird Areas Norden-Esens", Binnendeichs, 10.485 ha", Stand vom 1. Juli 2002, 48), von der Meldung aus. Das gemeldete Vogelschutzgebiet verläuft im Bereich Bensersiel von Westen kommend entlang des F. Tiefs bis zum landwirtschaftlichen Hof Lohrbergweg 2, von dort entlang der Parzellengrenze (Flurstück 34) nach Westen und weiter entlang der streitgegenständlichen Kommunalen Entlastungsstraße und des landwirtschaftlichen Hofes H. 6 an der L 5 und weiter östlich von Bensersiel entlang der L 5 bis etwa Höhe Meedhammer Weg und dann in nördlicher Richtung bis zum Oldenburger Tief. Es erstreckt sich zwischen den Städten Norden und Esens vom Deich aus bis maximal 4,5 km, meist jedoch auf einer Breite von etwa 2 km, ins Hinterland.
Nach der vom Land Niedersachsen in Auftrag gegebene Gastvogelerfassung im EU-Vogelschutzgebiet V63 "Ostfriesische Seemarsch zwischen Norden und Esens 2008/2009" ist die Landschaft geprägt durch intensive landwirtschaftliche Nutzung. Überwiegend wird Raps und Wintergetreide sowie - vor allem in den südlichen Bereichen - auch Mais angebaut. Grünland ist im wesentlichen Teil des Gebietes nur vereinzelt in den dort südlich gelegenen Bereichen zu finden. Westlich Bensersiel nimmt der Grünlandanteil zu und überwiegt dann zwischen Bensersiel und Neuharlingersiel. Auch die Polder werden ackerbaulich genutzt. Die landwirtschaftlichen Parzellen werden vielfach von schilfbestandenen Gräben gesäumt. Das Gebiet hat eine besondere Bedeutung durch ökologische Wechselbeziehungen mit dem Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, z.B. als Hochwasserrastplatz oder als Nahrungshabitat für Gastvögel. Die Gastvogelerfassung hat im Zeitraum von Oktober 2008 bis April 2009 insgesamt 73 Gastvogelarten festgestellt. Danach nutzt der Große Brachvogel in einer Anzahl von bis zu 3.499 Vögeln den Planungsraum im östlichen Bereich des Teilabschnittes III. Dem dortigen Bestand kommt eine nationale Bedeutung zu (vgl. Karte 9). Die Karte zur Raumnutzung aller erfassten Arten im gesamten Untersuchungsraum - V63 - zeigt eine Ballung von Trupps an der östlichen Grenze des Vogelschutzgebietes im Bereich Bensersiel. Direkt an der westlichen Grenze der Entlastungsstraße sind zwei Trupps eingetragen, in der unmittelbaren Umgebung südlich der Entlastungsstraße befinden sich weitere 5 Trupps (vgl. Karte 14). Nach der nachrichtlichen Übernahme der Schutzgebietsgrenzen betrifft das Plangebiet festgesetzte Flächen für die Landwirtschaft und öffentliche Grünflächen, aber auch Straßenverkehrsflächen und Verkehrsflächen besonderer Zweckbestimmung (landwirtschaftlicher Weg). Außerdem liegen die Ausgleichsflächen des Teilplanes IV im Vogelschutzgebiet.
Zur Begründung des Bebauungsplans Nr. 72 stellt die Antragsgegnerin auf die Ausführungen des Vorgängerplans ab. Danach will sie die Ziel- und Quellverkehre der touristisch stark frequentierten Bereiche im Osten und Westen von Bensersiel, die in den Sommermonaten ca. zwei Drittel der Gesamtverkehrsmenge ausmachten, um den Ortskern herumführen. Zusätzlich solle die Möglichkeit der Erschließung zukünftiger Siedlungsflächen geschaffen werden. Außerdem sollten weitere im Zuge der Baumaßnahme benötigte Flächen gesichert sowie Flächen für Kompensationsmaßnahmen vorgehalten werden. Die Begründung stellt die Bedeutung des Fremdenverkehrs für Bensersiel dar und erörtert die Verkehrsbelastung anhand einer 1998 in Auftrag gegebenen Verkehrsuntersuchung durch das Ingenieurbüro I.. Danach seien in Teilabschnitten der Landesstraße 5 im Bereich des Ortskerns in der Ferienzeit bis zu 11.450 Kfz/24 h gezählt worden. Durch diese enorme Belastung, die einem erholsamen Kur- und Urlaubserlebnis durch die damit verbundenen Lärm- und Abgasbelastung abträglich sei, werde die wesentliche Lebensgrundlage der lokalen Wirtschaft gefährdet. Eine Aufschlüsselung nach Verkehrsarten habe für den Durchgangsverkehr einen Anteil von 22,4% und für den Binnenverkehr einen Anteil von 10,9% erbracht, für den Quell- und den Zielverkehr jeweils von 33,3%. Die so belastete Ortsdurchfahrt bilde eine Barriere zwischen Strand- und Hafenbereich sowie den Wohn- und Ferienquartieren. Die Lärm- und Abgasbelastung müsse nach der Klimauntersuchung zum Anerkennungsverfahren für das Heilbad kurzfristig zurückgeführt werden. Nach dem Gutachten seien untypischerweise die Quell- und Zielverkehre das Problem, insbesondere die Verkehre zum Fährhafen und zu den Inselparkplätzen im Osten bzw. zu den Strandarealen und den Stellplätzen im Westen. Ein weiterer planerischer Aspekt sei die städtebauliche Entwicklungsperspektive des westlichen Teilbereiches von Bensersiel. Dieser Bereich werde nur von Norden im Wesentlichen durch zwei Straßen erschlossen, die in der Ferienzeit erheblich belastet seien. Eine zusätzliche Erschließung von Süden her bzw. die Anbindung künftiger Siedlungserweiterungsflächen vermeide diese Problematik.
Eine ursprüngliche Planung der Straße durch den Landkreis Wittmund sei wegen Zuständigkeitsbedenken gestoppt worden; die bereits erarbeitete verkehrstechnische Planung bilde aber die Grundlage für den jetzigen Bebauungsplan. Das gleiche gelte für die von Dr. J. in den Jahren 1999/2000 erstellte avifaunistische Bestandserfassung (Brut- und Rastvögel) sowie eine ergänzende Nachkartierung aus 2003, für die Biotopkartierung und für die 2002 durchgeführte Umweltverträglichkeitsstudie, die Grundlage für die Auswahl der Trassenalternativen gewesen sei.
Als erhebliche nachteilige Umweltauswirkung, die zu kompensieren sei, führte die Begründung u.a. die Zahl der durch den Straßenbau verloren gehenden Brutplätze an, wobei diese abgesehen von Kibitzen (bis etwa 18 Brutpaare) maximal jeweils vier Brutpaare nicht übersteigen soll (bei Blaukehlchen bis zu 0,4 Brutpaare). Im Grünordnungsplan sind die sicheren und möglichen Brutplätze im Umfeld der Trasse im Konflikt- und Bestandsplan verzeichnet. Danach komme dem gesamten Plangebiet bis direkt an die Siedlungsfläche von Bensersiel hinsichtlich der Wiesenbrut- und Rastvögel eine zum Teil hohe Bedeutung zu (S. 42 f. Grünordnungsplan von September 2004, BA C). Ausschlaggebend - unter Bezugnahme auf die Beurteilung von K. und G. - seien die Rastvogelzahlen in diesem Gebiet - insbesondere von Ringelgans, Sturmmöwe, Lachmöwe, großer Brachvogel, Goldregenpfeifer und Kiebitz - gewesen; im Planungsraum seien hiervon mit Rastvogelvorkommen lokaler Bedeutung der Große Brachvogel vertreten, mit kleineren Vorkommen Lachmöwe, Goldregenpfeifer und Kiebitz. Daneben spielten Brutvogelvorkommen eine bestimmte Rolle, wobei aus dem Plangebiet vor allem das Blaukehlchen und die Rohrweihe genannt werden müssten.
Die Antragsgegnerin führt zum zwischenzeitlich gemeldeten Vogelschutzgebiet aus, aufgrund der Meldung des Gebietes an die EU-Kommission stehe fest, dass die Straßentrasse nicht im Vogelschutzgebiet liege und insofern auch nicht die Anforderungen für einen Eingriff in ein faktisches Vogelschutzgebiet zur Anwendung kämen.
Nach der durch das Büro I. erstellten Avifaunistischen Bestandserfassung vom Januar 2000 sind im Plangebiet etwa 430 Kiebitze und 155 Große Brachvögel kartiert worden (Ausgewählte Beobachtungen, BA E). Im Plangebiet befinden sich wahrscheinliche Brutplätze der Feldlerche, des Feldschwirl, des Schilfrohrsängers, der Rohrammer und des Austernfischers. Die Auswertungskarte "Rote-Liste-Arten" weist sichere und wahrscheinliche Brutpaare des Kiebitz, des Schilfrohrsängers, der Rohrweihe und des Braunkehlchens im Verlauf der Entlastungsstraße aus. In der Anschlussstelle der Umgehungsstraße/ L5 nordwestlich von Bensersiel sind an zwei Stellen Kiebitze als sicher brütend kartiert worden.
Der Antragsteller machte im Auslegungsverfahren mit Schreiben vom 7. Januar 2010 Anregungen und Bedenken gegen den Planentwurf geltend. Er trug vor, dass der Plan an diversen Mängeln leide. Die Abgrenzung des V63 im Bereich der Ortschaft Bensersiel sei mit dem Ziel erfolgt, die Entlastungsstraße zu ermöglichen. Es sei kein sachlicher Grund ersichtlich, weshalb das Vogelschutzgebiet nicht weiter an den westlichen und südlichen Siedlungsbereich heranrücken solle. Die Grenzziehung werde den Anforderungen an eine europarechtlich gebotene Schutzgebietsausweisung nach ausschließlich naturschutzfachlichen Kriterien nicht gerecht. Die Rechtmäßigkeit der Schutzgebietsausweisung unterliege der gerichtlichen Kontrolle.
Zudem sei die Planung nicht erforderlich. Der Begründung lasse sich nicht entnehmen, wie die Ziel- und Quellverkehre im Osten und Westen von Bensersiel in den Sommermonaten um den Ortskern herum geführt werden könnten. Ungeachtet dessen seien die im Verkehrsgutachten genannten Zahlen aus dem Jahr 1998 veraltet und stellten die Belastung im Ortskern zu negativ dar. Die Übernachtungszahlen seien entgegen der damaligen Prognosen in den Jahren 2008 und 2009 gesunken. Außerdem sei die Antragsgegnerin von ihrem Stadtentwicklungskonzept, südlich und westlich von Bensersiel Siedlungsfläche zu erschließen, abgerückt. Auch deshalb entfalle die Erforderlichkeit der Planung.
Der Rat der Antragsgegnerin beschloss in seiner Sitzung vom 8. Februar 2010 über die Einwendungen sowie den Plan als Satzung. Dies wurde am 11. Februar 2010 im Amtsblatt bekannt gemacht.
Mit Beschluss vom 19. April 2010 hat das Bundesverwaltungsgericht (- 4 VR 2.09 -) den Eilantrag des Antragstellers auf Außervollzugsetzung des Bebauungsplanes Nr. 67 abgelehnt, weil sich die Antragsgegnerin für den Bau der Straße nunmehr allein noch auf den Bebauungsplan Nr. 72 stütze.
Am 29. Oktober 2010 machte der Landkreis Wittmund die Landschaftsschutzverordnung "Ostfriesische Seemarsch zwischen Norden und Esens im Bereich des Landkreises Wittmund" in seinem Amtsblatt bekannt. Sie umfasst im Bereich des Landkreises Wittmund 2.555 ha und ist deckungsgleich mit dem Vogelschutzgebiet V63.
Am 8. November 2010 beschloss der Rat der Antragsgegnerin die 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 72, mit der die zuvor festgesetzte Lärm- und Sichtschutzwand entfällt. Am 8. Dezember 2010 machte die Antragsgegnerin den Aufstellungsbeschluss im Anzeiger Harlingerland und öffentlich bekannt, dass die 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 72 einschließlich Begründung, Umweltbericht und der Bebauungsplan Nr. 72 einschließlich Begründung und Umweltbericht sowie der Grünordnungsplan zum Bebauungsplan Nr. 67 vom 16. Dezember 2010 bis zum 17. Januar 2011 öffentlich ausliege. Der Antragsteller erhob im Auslegungsverfahren mit Schreiben vom 29. Dezember 2010 unter Bezugnahme auf seine gerichtlichen Ausführungen, insbesondere in diesem Verfahren, Anregungen und Bedenken gegen den Planentwurf. Der Rat der Antragsgegnerin beschloss in seiner Sitzung vom 31. Januar 2011 über die Einwendungen sowie den Plan als Satzung. Das wurde am 28. Februar 2011 im Amtsblatt bekannt gemacht.
Anlass für die 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 72 sei, dass mit der Ausweisung des Landschaftsschutzgebietes das bisherige faktische Vogelschutzgebiet mit seinen strengen Verbotstatbeständen in ein ausgewiesenes Vogelschutzgebiet überführt worden sei. Das habe zur Folge, dass eine Verträglichkeits- bzw. Abweichungsprüfung anhand der Erhaltungsziele des Vogelschutzgebietes und der Landesschutzgebietsverordnung erfolgen könne; diese habe ergeben, dass unverträgliche Auswirkungen des Planvorhabens nicht bestünden und die festgesetzte Lärm- und Sichtschutzeinrichtung entbehrlich sei. Darüber hinaus würde der Verzicht auf diese Einrichtung das Landschaftsbild wahren und Aufwände in Millionenhöhe einsparen. Die Antragsgegnerin hielt an ihrer Auffassung, dass das Planvorhaben außerhalb des Vogelschutzgebietes liege, fest. Eine direkte Flächeninanspruchnahme des ausgewiesenen Vogelschutzgebietes finde nur in einem zu vernachlässigenden Umfang statt. Bezogen auf die Brutvogelpopulation sei durch das gesamte Straßenbauvorhaben mit einem Gesamtverlust von insbesondere 18 Kiebitzbrutpaaren zu rechnen. Zu den Planungsvorgaben führt sie aus, dass die kommunale Entlastungsstraße auf der Grundlage des Bebauungsplanes Nr. 72 errichtet werde.
Der Antragsteller hat am 17. Februar 2010 sowohl einen Normkontrollantrag als auch einen Eilantrag gegen den Bebauungsplan Nr. 72 gestellt. Letzteren hat der Senat mit Beschluss vom 30. April 2010 - 1 MN 34/10 -, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, abgelehnt. Zur Begründung des Normkontrollantrags trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor:
Der Senat habe sich auch im Beschluss vom 30. April 2010 nicht mit seinem substantiierten Vortag zum mangelnden Entlastungseffekt der Umgehungsstraße und dem Verkehrsgutachten aus dem Jahr 1998 auseinandergesetzt. Beispielsweise unterstelle das Gutachten auf Grünlandflächen des Antragstellers ein Verkehrsaufkommen von 1.600 Fahrzeugen täglich. Diese Fehlerhaftigkeit stelle das Gutachten grundsätzlich in Frage.
Die Ausführungen des Senats zum Vogelschutz stünden nicht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts und des 7. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts. Danach habe die Abgrenzung europäischer Vogelschutzgebiete gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 4 Vogelschutzrichtlinie ausschließlich nach ornithologischen Kriterien und gerade nicht nach Praktikabilitätserwägungen unter Berücksichtigung eines zukünftig geplanten Vorhabens zu erfolgen. Das "Anschmiegen" eines Vogelschutzgebietes an eine noch nicht realisierte Straßentrasse sei kein ornithologisches Kriterium, sondern ein sachfremder Grund. Ob eine Ausweisung als Vogelschutzgebiet aus sachfremden Erwägungen unterblieben sei, könne gerichtlich voll überprüft werden.
Das Plangebiet liege in einem faktischen Vogelschutzgebiet, was die Karte "Durchschneidung des Grabensystems durch die Trasse (18x) und straßenbaubedingte Auswirkungen in das (faktische) Vogelschutzgebiet" aus dem Jahr 2004 (Anlage 4, GA III, Bl. 405), die Stellungnahme des Landkreises Wittmund vom 10. Juni 2004 (BA A zu - 1 KN 149/05 -, Bl. 11) und der Vorschlag des Niedersächsischen Umweltministeriums für das V63 im Jahr 2007 (GA - 1 KN 149/05 -, Bl. 162 bis 165) bestätige. Ferner habe sich das Plangebiet zum Zeitpunkt der Planung und Aufstellung des Plans Nr. 67 in allen relevanten IBA-Verzeichnissen befunden. Die Europäische Kommission habe im Vertragsverletzungsverfahren 2001/5117 die Bundesrepublik Deutschland aufgefordert, das (gesamte) Gebiet "IBA Norden-Esens" von etwa 10.000 ha als Besonderes Vogelschutzgebiet auszuweisen. Dies sei der Antragsgegnerin ausweislich der Begründungen der Pläne Nrn. 67 (GOP September 2004, S. 42 f.) und 72 sowie der Änderung des 83. Flächennutzungsplans, wonach der großräumige Vogelbrut- und Rastbereich Norden-Esens bis an den Ortsrand von Bensersiel reiche, bekannt. Das belege auch der Gebietsvorschlag V63 des Niedersächsischen Umweltministeriums von 2006 (Anlage 3, GA III, Bl. 401).
Ferner bestehe - im Vergleich zur durchschnittlichen Bestandsdichte im gesamten Vogelschutzgebiet V63 - aufgrund der Altschilfbestände, der Gräben und Feuchtwiesen eine außergewöhnlich hohe Populationsdichte an geschützten Vogelarten im Plangebiet. Das gelte insbesondere für den Kiebitz, den Schilfrohrsänger und das Blaukehlchen.
Das Plangebiet stelle einen unverzichtbaren Korridor zu den Schutzgebieten "Ostfriesische Seemarsch zwischen Norden und Esens" und dem "Niedersächsischen Wattenmeer (V1)" dar, weil es zur Netzverknüpfung ("Kohärenz") beitrage.
Die Grenze des V63 sei nach sachfremden Kriterien gezogen worden. Der erste Entwurf der Gebietsgrenze sei von einer Gebietsgrenze bis an die Ortschaft Bensersiel ausgegangen und habe damit der IBA-Abgrenzung aus K. & G. (2000) entsprochen. Die Grenzziehung habe sich an im Gelände nachvollziehbaren Strukturen wie etwa Straßen oder Ortsrändern orientiert. Eine solche Grenze wäre auch vor dem Hintergrund der oben genannten Bestandszahlen nicht zu beanstanden gewesen. Die spätere Gebietsabgrenzung, die im Rahmen des Beteiligungsverfahrens im Herbst 2006 per CD verteilt worden sei, sei hiervon deutlich abgewichen und bereits von der Ortschaft abgerückt, habe aber immerhin insoweit im streitigen Bereich einen Schein von Fachlichkeit bewahrt, indem die Grenze wenigstens noch anhand von im Gelände erkennbarer Strukturen gezogen worden seien. Die gemeldete Gebietsgrenze verließe den Boden der Fachlichkeit vollends, denn sie verlaufe ohne erkennbare Anbindung an vorhandene Geländestrukturen um Bensersiel herum. Eine fachlich begründete Abgrenzung hätte sich hingegen an der Verbreitung der für die Abgrenzung maßgeblichen Brutvogelbestände orientieren müssen. Die bewusste Heranziehung nichtfachlicher Gesichtspunkte bei der Grenzziehung habe der Sachverständige Dr. G. in seinem Gutachten "Zur Notwendigkeit eines Baustopps für die Ortsentlastungsstraße zum Schutz der Vogelwelt" vom 23. Februar 2010 (G. 2010b, S. 5 f.) bestätigt. Er berichte darin von einem Gespräch im Niedersächsischen Umweltministerium am 18. Dezember 2006, bei dem unter den Fachleuten Einigkeit darüber herrschte, dass die Flächen des Plangebietes die fachlichen Anforderungen an ein Vogelschutzgebiet erfüllten.
Der Antragsteller beantragt,
die vom Rat der Antragsgegnerin am 31. Januar 2011 als Satzung beschlossenen 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 72 "Kommunale Entlastungsstraße Bensersiel"
und
den vom Rat der Antragsgegnerin am 8. Februar 2010 als Satzung beschlossene Bebauungsplan Nr. 72 "Kommunale Entlastungsstraße Bensersiel" für unwirksam zu erklären,
hilfsweise, d.h. für den Fall, dass der Antrag gegen die 1. Änderung ohne Erfolg bleibt,
festzustellen, dass der vom Rat der Antragsgegnerin am 8. Februar 2010 als Satzung beschlossene Bebauungsplan Nr. 72 "Kommunale Entlastungsstraße Bensersiel" unwirksam gewesen ist,
(weiter) hilfsweise,
die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof, sollte der Senat abweichend von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs davon ausgehen, dass das Plangebiet zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses nicht als faktisches Vogelschutzgebiet zu behandeln und zu schützen und der Bebauungsplan Nr. 72 vor der Unterschutzstellung und ohne FFH-verträgliche Umweltprüfung zu vollziehen war,
(weiter) hilfsweise unter Beweis zu stellen,
dass die EU-Kommission nicht gewusst hat, dass bei der Abgrenzung des Schutzgebietes V 63 "Ostfriesische Seemarsch zwischen Norden und Esens" der Trassenverlauf der geplanten und sich in der gerichtlichen Überprüfung befindlichen Umgehungsstraße Bensersiel als leitende Richtschnur berücksichtigt wurde und
dass die EU-Kommission die wirtschaftlich motivierte Ausgliederung des Trassengebiets der Umgehungsstraße Bensersiel aus dem faktischen Vogelschutzgebiet nicht erkannt hat, weil ihr der beabsichtigte Straßenbau und seine gerichtlich noch jetzt andauernde Überprüfung nicht mitgeteilt worden ist,
(weiter) hilfsweise, das Revisionsverfahren beim Bundesverwaltungsgericht zuzulassen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Anträge abzulehnen.
Sie hält die Abgrenzung des Vogelschutzgebietes V 63 im Bereich Bensersiel für fachlich vertretbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren sowie in den Verfahren 1 KN 149/05, 1 MN 34/10, BVerwG 4 CN 2.09 und die dazugehörigen Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die (Haupt-)Anträge haben Erfolg.
1. Der Normenkontrollantrag gegen die 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 72 "Kommunale Entlastungsstraße Bensersiel" hat Erfolg.
a) Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist die Antragsbefugnis des Antragstellers gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gegeben. Danach ist ein Normenkontrollantrag zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, durch die Rechtsnorm oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden.
Antragsbefugt ist, wer geltend machen kann, durch den Bebauungsplan in seinem Recht auf gerechte Abwägung seiner privaten Belange verletzt zu sein (BVerwG, Urt. v. 24.9.1998 - 4 CN 2.98 -, BVerwGE 107, 215BRS 60 Nr. 46). Der Antragsteller ist durch die 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 72 in seinem Eigentum betroffen, weil für die neue Straßentrasse Teile seines Grundeigentums benötigt und 2/3 seiner landwirtschaftlich genutzten Flächen durch die Planung durchschnitten werden.
Der Einwand der Antragsgegnerin, der Antragsteller habe einen fristgerechten Normkontrollantrag gegen die 1. Änderungsplanung nicht gestellt, trifft nicht zu. Denn der Antragsteller hatte mit Schriftsatz vom 13. Februar 2013 gegen die mit Satzung vom 28. Februar 2012 beschlossene 1. Änderung ausdrücklich einen Normkontrollantrag gestellt.
b) Der Normenkontrollantrag ist auch begründet.
aa) Die 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 72 "Kommunale Entlastungsstraße Bensersiel" lässt sich städtebaulich rechtfertigen.
Der Bebauungsplan ist im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich. Danach haben die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Die Bauleitplanung bedarf danach der Rechtfertigung durch städtebauliche Gründe (BVerwG, Urt. v. 12. Dezember 1969 - IV C 105.66 -, BVerwGE 34, 301). Welche städtebaulichen Ziele die Gemeinde sich setzt, liegt in ihrem planerischen Ermessen. Ein planerischer Missgriff liegt erst dann vor, wenn eine Plankonzeption nicht existiert oder erkennbar nicht die vorgegebenen städtebaulichen Planungsziele, sondern allein andere Ziele verfolgt und verwirklicht werden sollen (BVerwG, Beschl. v. 16. Dezember 1988 - 4 NB 1.88 -, NVwZ 1989, 464).
Die Antragsgegnerin verfolgt mit der 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 72 ein städtebauliches Planungskonzept (Begründung des Plans Nr. 72, BA G, S. 10 ff.).
Aus der Planbegründung in der Fassung des Satzungsbeschlusses vom 31. Januar 2011 geht hervor, dass der Urlaubsort Bensersiel in den Sommermonaten von Verkehr in einem problematischen Umfang belastet ist. In den Jahren 2004 bis 2007 hätten jährlich etwa 120.000 bis 135.000 Gäste Bensersiel aufgesucht; die Anzahl der Übernachtungen habe zwischen 910.000 und 950.000 gelegen. Die Verkehrsbelastung resultierte aus der Funktion des Ortes als Nordseebad mit seiner ausgeprägten touristischen Infrastruktur. Dazu gehörten die Strandbereiche mit einem neu errichteten Strandportal, Schwimmbäder, Kureinrichtungen, Hotels, Campingplätzen, Pensionen, Ferienwohnungen und gastronomischen Einrichtungen. Darüber hinaus verfüge der Ort über einen zentral gelegenen Fährhafen für die Insel Langeoog, ein Frei- und Hallenbad im Westen und ein Erlebnisbad im östlichen Bereich von Bensersiel. Zur Bewältigung des ruhenden Verkehrs habe die Antragsgegnerin bereits mehrere großflächige Parkplätze im Randbereich des Ortes angelegt. Im Westen von Bensersiel und unmittelbar südlich der L5 liegt ein Parkplatz mit etwa 1.000 Stellplätzen. Ein weiterer befindet sich im nordöstlichen Bereich des Ortes mit etwa 2.750 Stellplätzen. Aufgrund der verkehrlichen Erschließung Bensersiels durch die küstenparallel verlaufende L5 (im Westen), die direkt durch den Ort führe, und die L8 (im Süden) werde der Durchgangsverkehr durch den Ort geleitet. Des Weiteren müsse der Ziel- und Quellverkehr, welcher den Fähranleger bzw. die südlichen Parkplätze ansteuere, den Ort durchqueren.
Diese Einschätzung der Antragsgegnerin ist unter Berücksichtigung dessen, dass der überörtliche Verkehr aus südlicher Richtung kommend über die L8 geleitet wird und westlich von Bensersiel eine Parkfläche für etwa 1.000 Stellplätze sowie der Strand mit Campingplätzen und Frei- und Hallenbad liegt, nicht von der Hand zu weisen. Aus Westen über die L5 kommend ist die verbesserte verkehrliche Erreichbarkeit der 2.750 südlichen Parkplätze durch die Entlastungsstraße unter Umgehung des Ortskerns offenkundig gegeben. Die der Planung zugrunde liegende Vorstellung der Antragsgegnerin, dass der Umweg über die kommunale Entlastungsstraße die (z.B. zeitlichen) Nachteile aufwiegt, welche in der Ferienzeit mit dem Durchfahren des Ortskerns verbunden sind, ist plausibel. Laut der Verkehrsuntersuchung des Ingenieurbüros I. aus dem Jahr 1998 bestehe in der Ferienzeit eine Belastung des Ortskerns (Hauptstraße, L5) bei ca. 11.450 Kfz/24 h. Der Anteil der Ziel- und Quellverkehre betrage 33,3%, der des Durchgangsverkehrs 22,4%. Daran gemessen führt die Herausnahme des Ziel-, Quell- und Durchgangsverkehrs (insbesondere unter Berücksichtigung etwaiger baulicher Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung im Ortskern) für Bensersiel zu einer spürbaren Verringerung des Gesamtverkehrsaufkommens im Ortskern um etwa 6.378 KfZ/24 h. Das Ziel, den Ortskern in der Ferienzeit spürbar zu entlasten, kann folglich durch diesen Plan erreicht werden (vgl. zur Erforderlichkeit der Entlastungsstraße "Hintere Anbindung Duhnen [in Cuxhaven]", Senatsurteil vom 28. April 2005 - 1 KN 58/03 -, [...]). Das gilt allerdings nur dann, wenn die Antragsgegnerin bauliche Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung in der Ortsmitte - wie im Verkehrsgutachten auf Seite 16 vorausgesetzt - umgesetzt. Nach den Planungen der Antragsgegnerin wird die Hauptverkehrsstraße im Ortskern als "Promenade" ausgebaut und im Jahr 2017 aufgrund der über Übernahme der Straßenbaulast hinsichtlich der Entlastungsstraße das Land Niedersachsen für den Straßenverkehr vollständig gesperrt. Ungeachtet dessen verfolgt die Antragsgegnerin mit der Planung weitere Ziele. Mit der Verkehrsentlastung des Ortskerns will sie die mit der Anerkennung als staatliches Nordseeheilbad verbundene Auflage erfüllen, den Verkehr in der Ortdurchfahrt zu reduzieren. Nicht zuletzt soll die Planung der Entwicklung und Erschließung zukünftiger Wohngebiete im Westen Bensersiels dienen, die bislang lediglich über die Straßen Taddingshörn, Am Kajedeich und Friesenstraße erschlossen würden. Dies sind städtebaulich Gründe die eine Planung rechtfertigen.
Die von dem Antragsteller erhobenen Bedenken gegen die Verkehrsuntersuchung sind nicht geeignet, die Erforderlichkeit gerade der hier geplanten Verkehrsführung in Frage zu stellen. Sein Einwand, das Gutachten weise fehlerhaft auf seinen Grünlandflächen ein tägliches Verkehrsaufkommen von 1.600 Fahrzeugen aus, stellt die Untersuchung nicht grundsätzlich in Frage. Zwar trifft es zu, dass die Karte 11 auf der Friesenstraße eine grüne Linie mit 1.620 Fahrzeugen pro Tag prognostiziert, die westlich abknickt und auf einer Grünfläche endet. Doch besteht kein Zweifel daran, dass diese Prognose allein die Friesenstraße meint und nicht Fahrzeuge auf einer Grünfläche des Antragstellers. Das gilt auch für die in Karte 6 dargestellte tägliche (Ist-)Verkehrsmenge von 1.470. Denn zum einen sind die Zahlen jeweils direkt auf dem Verlauf der Friesenstraße eingetragen worden. Zum anderen folgt dies aus dem Kontext zu den Karten 2, 7 und 8, wonach der Friesenstraße als Gemeindestraße eine gewisse Verkehrsbedeutung beigemessen wird. Der Grünfläche des Antragstellers hingegen, die westlich der Friesenstraße liegt, kommt diese Bedeutung nach der Verkehrsuntersuchung gerade nicht zu.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers bringt der Umstand allein, dass die 1998 erhobene Verkehrsuntersuchung zum Zeitpunkt des maßgeblichen Satzungsbeschlusses am 31. Januar 2011 bereits 13 Jahre alt war, die Planungsabsichten der Antragsgegnerin nicht zu Fall. Die von der Antragsgegnerin in der Planbegründung genannten Übernachtungszahlen stammen aus den Jahren 2004 bis 2007 und belegen hinreichend, dass die Annahmen und Prognosen der Verkehrsuntersuchung richtig waren.
Die Frage, ob die Antragsgegnerin eine Entscheidung zwischen den verschiedenen Alternativen der Trassenführung für die kommunale Entlastungsstraße aufgrund ordnungsgemäßer Abwägung getroffen hat, ist nicht eine Frage der Erforderlichkeit des Plans, sondern im Rahmen der Abwägungsentscheidung zu überprüfen.
bb) Die 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. 72 "Kommunale Entlastungsstraße Bensersiel" führt zu einer unzulässigen Beeinträchtigung eines faktischen Vogelschutzgebietes und verstößt damit gegen Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten - Vogelschutzrichtlinie (VRL), die an die Stelle der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 getreten ist. Damit hält der Senat an seiner im Normkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan Nr. 67 geäußerten Feststellung, dass das Plangebiet wegen der Nachmeldung des Europäischen Vogelschutzgebietes V 63 und seiner Lage im Vorfeld einer Siedlung nicht als faktisches Vogelschutzgebiet unter unmittelbarem Schutz der Vogelschutz-Richtlinie steht (Urteil vom 22. Mai 2008 - 1 KN 33/10 -), nicht mehr fest.
Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL verlangt von den Mitgliedstaaten, dass sie geeignete Maßnahmen treffen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel, sofern sie sich auf die Zielsetzungen von Art. 4 VRL auswirken, in den in der Vorschrift genannten Vogelschutzgebieten vermeiden. Diesem vorläufigen Schutzregime unterliegen diejenigen Gebiete, die nach den Kriterien der Vogelschutzrichtlinie förmlich unter Vogelschutz hätten gestellt werden müssen, aber nicht als Vogelschutzgebiet gemeldet und unter Schutz gestellt worden sind (stRspr., vgl. nur EuGH, Urt. v. 13. Dezember 2007 - C-418/04, Slg. 2007, I-10947; Urt. v. 2. August 1993 - C-355/90, Slg. 1993, I-4221; BVerwG, B. v. 13. März 2008 - 9 VR 10.07 -, [...]). Zu einem solchen Gebiet zählen sowohl die Erweiterungsfläche als auch (zumindest) der Teil der bisherigen Abbau- und Betriebsfläche, der von Änderungen der Rekultivierungsplanung betroffen ist.
Gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 4 VRL erklären die Mitgliedstaaten insbesondere die für die Erhaltung der im Anhang I aufgeführten Vogelarten zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten, wobei die Erfordernisse des Schutzes dieser Arten in dem geographischen Meeres- und Landgebiet, in dem die Richtlinie Anwendung findet, zu berücksichtigen sind. Art. 4 Abs. 2 VRL verlangt weiter, dass die Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der Schutzerfordernisse die entsprechenden Maßnahmen für die nicht in Anhang I aufgeführten, regelmäßig auftretenden Zugvogelarten hinsichtlich ihrer Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete sowie der Rastplätze in ihren Wanderungsgebieten treffen. Aus diesen Regelungen folgt jedoch nicht, dass sämtliche Landschaftsräume unter Schutz gestellt werden müssen, in denen vom Aussterben oder sonst bedrohte Vogelarten vorkommen. Vielmehr haben die Mitgliedstaaten die Gebiete auszuwählen, die im Verhältnis zu anderen Landschaftsteilen am besten die Gewähr für die Verwirklichung der Richtlinienziele bieten. Schutzmaßnahmen sind danach zu ergreifen, soweit sie erforderlich sind, um das Überleben und die Vermehrung der in Anhang I aufgeführten Vogelarten und der in Art. 4 Abs. 2 VRL angesprochenen Zugvogelarten sicherzustellen. Die Auswahlentscheidung hat sich ausschließlich an diesen ornithologischen Erhaltungszielen zu orientieren. Eine Abwägung mit anderen Belangen findet nicht statt. In Abweichung zu der Senatsauffassung in dem Normkontrolleilverfahren gegen den Bebauungsplan Nr. 72 (Beschluss vom 30. April 2010 - 1 MN 34/10 -) dürfen Praktikabilitätserwägungen wie städtebauliche Entwicklungsmöglichkeiten bei der Grenzziehung nicht berücksichtigt werden.
Unter Schutz zu stellen sind die Landschaftsräume, die sich nach ihrer Anzahl und Fläche am ehesten zur Arterhaltung eignen. Entscheidend ist die ornithologische Wertigkeit, die nach quantitativen und nach qualitativen Kriterien zu bestimmen ist. Je mehr der im Anhang I aufgeführten oder in Art. 4 Abs. 2 VRL genannten Vogelarten in einem Gebiet in einer erheblichen Anzahl von Exemplaren vorkommen, desto höher ist der Wert als Lebensraum einzuschätzen. Je bedrohter, seltener oder empfindlicher die Arten sind, desto größere Bedeutung ist dem Gebiet beizumessen, das die für ihr Leben und ihre Fortpflanzung ausschlaggebenden physischen und biologischen Elemente aufweist. Nur Lebensräume und Habitate, die unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe für sich betrachtet in signifikanter Weise zur Arterhaltung beitragen, gehören zum Kreis der im Sinne des Art. 4 VRL geeignetsten Gebiete (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. März 2008 - 9 VR 10.07, [...]; Urteil vom 21. Juni 2006 - 9 A 28.05, BVerwGE 126, 166). Ist ein Gebiet - wie hier das mehr als 8.000 ha große Europäische Vogelschutzgebiet V 63 - als geeignetstes Gebiet identifiziert, sind im Rahmen der konkreten Gebietsabgrenzung diejenigen Flächen als integrale Bestandteile einzubeziehen, die von den wertbestimmenden Vogelarten in einem zumindest durchschnittlichen Umfang genutzt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Dezember 2007 - C-418/04, Slg. 2007, I-10947). Ferner hat das Bundesverwaltungsgericht zu den "maßgeblichen" Bestandteilen eines FFH-Gebietes ausgeführt, dass ökologische Beziehungsgefüge im Einzelfall dazu Anlass geben können, auch sonstige Gebietsbestandteile als maßgeblich für den günstigen Erhaltungszustand einzustufen. Als Beispiel zu nennen sind in das Gebiet eingeschlossene Rand- und Pufferzonen zu angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen oder Pflanzen- oder Tierarten, die eine unentbehrliche Nahrungsgrundlage der dem Gebietsschutz unterfallenden Arten sind (Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20/05 -, [...] Rn. 77).
Bei der Bestimmung der Gebiete, die nach ornithologischen Kriterien als zahlen- und flächenmäßig geeignetste Gebiete anzusehen sind, verfügen die Mitgliedstaaten über einen vom Europäischen Gerichtshof als "Ermessensspielraum" bezeichneten Beurteilungsspielraum (vgl. EuGH, Urteil vom 23. März 2006 - C-209/04, Slg. 2006, I-2755; Urteil vom 2. August 1993 - C-355/90, Slg. 1993, I-4221; Urteil vom 28. Februar 1991 - C-57/89, Slg. 1991, I-883). Dabei sind die Eignungsfaktoren mehrerer Gebiete vergleichend zu bewerten. Gehört ein Gebiet nach dem naturschutzfachlichen Vergleich zu den für den Vogelschutz geeignetsten Gebieten, ist es zum Vogelschutzgebiet zu erklären. Unterschiedliche fachliche Wertungen sind möglich. Die Nichtmeldung eines Gebiets ist nicht zu beanstanden, wenn sie fachwissenschaftlich vertretbar ist. Die Vertretbarkeitskontrolle umfasst auch die Netzbildung in den einzelnen Bundesländern, hat aber auch insoweit den Beurteilungsrahmen der Länder zu beachten. In dem Maße, in dem sich die Gebietsvorschläge eines Landes zu einem kohärenten Netz verdichten, verringert sich die richterliche Kontrolldichte. Mit dem Fortschreiten des mitgliedstaatlichen Auswahl- und Meldeverfahrens steigen die prozessualen Darlegungsanforderungen für die Behauptung, es gebe ein (nicht erklärtes) "faktisches" Vogelschutzgebiet, das eine "Lücke im Netz" schließen solle (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2006 - 9 A 28.05, - BVerwGE 126, 166; Urteil vom 14. November 2002 - 4 A 15.02 -, BVerwGE 117, 149). Diese gesteigerten Anforderungen gelten auch dann, wenn die fehlerhafte Abgrenzung eines als solches identifizierten Vogelschutzgebietes geltend gemacht wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. März 2008 - 9 VR 10.07 -, [...]).
Gemessen daran ist die vom Niedersächsischen Ministerium für Umwelt und Klimaschutz vorgenommene Grenzziehung des der Europäischen Kommission gemeldeten Vogelschutzgebietes V 63 insofern fehlerhaft, als sie das Plangebiet "Kommunale Entlastungsstraße Bensersiel" von der Unterschutzstellung ausnimmt.
Die Ausweisung des Europäischen Vogelschutzgebiets V 63 "Ostfriesische Seemarsch zwischen Norden und Esens" beruht ausweislich der im Stammdatenbogen zusammengefassten Meldedaten darauf, dass es sich um ein binnendeichs gelegenes, offenes Marschland, geprägt durch überwiegend intensive Acker- und Grünlandflächen handele, die von schilfbestandenen Gräben gesäumt würden. Die Schutzwürdigkeit des Gebietes ergibt sich daraus, dass es eine besondere Bedeutung durch ökologische Wechselbeziehungen mit dem Nationalpark Wattenmeer (Hochwasserrastplatz, Nahrungshabitat für Gastvögel) habe. Es bestehe eine sehr hohe Bedeutung für Röhricht-Arten. Eine Gefährdung stelle die Intensivierung der Grabenunterhaltung dar. Ausweislich der Gastvogelerfassung im EU-Vogelschutzgebiet V 63 sind im Rahmen der (von Herbst 2008 bis Frühjahr 2009) erfassten Wasser- und Wattvogelarten als wertbestimmende Vogelbestände zur Auswahl des Vogelschutzgebietes nach Art. 4 Abs. 1 der EU-Vogelschutzrichtlinie die Wiesenweihe, das Blaukehlchen, die Weißwangengans und den Goldregenpfeifer aufgeführt. Hochgerechnet auf der Basis von Teilflächenerfassungen in den Jahren 1995 bis 2006 sind etwa 240 Brutpaare des Blaukehlchens ansässig. Nach Roter Liste Deutschland und Niedersachsen steht die Art auf der Vorwarnliste. Dem Bestand an Blaukehlchen komme als wertbestimmende im V63 eine besondere Bedeutung zu. Rein quantitativ ist der Bestand von 240 Revieren der höchste, der für ein zusammenhängendes Vorkommensgebiet in Niedersachsen aufgeführt wird (Vorschlag V63 des Umweltministeriums, Fassung Februar 2007, GA 1 KN 149/05 B. 162 ff.). Dem Bestand der Weißwangengans komme sogar eine internationale Bedeutung zu, dem der Goldregenpfeifer eine nationale. Zu den wertbestimmenden Vogelbeständen nach Art. 4 Abs. 2 der EU-Vogelschutzrichtlinie (Zugvögel) gehörten der Schilfrohrsänger, der Große Brachvogel, die Lachmöwe, die Sturmmöwe, die Rohrweihe und der Kiebitz. Es existierten hochgerechnet auf der Basis von Teilflächenerfassungen in den Jahren 1995 bis 2006 etwa 240 Brutpaare des Schilfrohrsängers. Diese Art werde nach Roter Liste Deutschland und Niedersachsen als stak gefährdet bewertet. Sie nutze die im Gebiet zahlreich vorhandenen Schilfgräben als Bruthabitat und könne zusammen mit dem Blaukehlchen als Charakterart der Seemarsch zwischen Norden und Esens bezeichnet werden, beide würden der Landschaft im Frühjahr eine "Stimme" geben. Schilfrohrsänger kämen im Gebiet im landesweiten Vergleich in herausragender Dichte vor (Vorschlag V63 des Umweltministeriums, Fassung Februar 2007, GA 1 KN 149/05 B. 162 ff.). Der Bestand des Großen Brachvogels habe eine internationale Bedeutung mit einer maximalen Individuenzahl von 4.850 Vögeln erreicht. Dementsprechend seien insbesondere die genannten wertbestimmenden Vogelbestände nach Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 der EU-Vogelschutzrichtlinie für die Ausweisung des Vogelschutzgebiets maßgebend gewesen.
Die Entscheidung des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt und Klimaschutz, das Plangebiet vom Vogelschutzgebiet 63 auszunehmen, lässt sich mit diesen Zielsetzungen nicht vereinbaren. Die tatsächlich vorgenommene Gebietsabgrenzung im Bereich Bensersiel weicht von dieser eigenen Zielsetzung erkennbar ab, weil sie eine von schilfbestandenen Gräben durchzogene Grünlandfläche ausgrenzt, die als Nahrungs- und Bruthabitat für das Blaukehlchen, den Goldregenpfeifer, die Rohrweihe, den Schilfrohrsänger und den Großen Brachvogel dient. Der Antragsteller hat substantiiert dargelegt, dass die Abgrenzung des V 63 entlang der Kommunalen Entlastungsstraße Bensersiel fachwissenschaftlich unvertretbar ist.
Nach der Brutvogelerfassung des Büros für Biologie und Umweltplanung, Diplombiologe Dr. J., vom Juni 1999 sind im Planungsgebiet drei Brutpaare des Blaukehlchens (Anhang I der VRL) wahrscheinlich, sechs möglich. Ferner ist ein Brutpaar der Rohrreiher (Anhang II der VRL) wahrscheinlich. Hinsichtlich des Schilfrohrsängers (Anhang II der VRL) sind 28 Brutpaare wahrscheinlich und 32 möglich. Nach der abschließenden Bewertung kommt der Biologe zu dem Ergebnis, dass sich für das Plangebiet die Bewertung "Brutvogellebensraum von nationaler Bedeutung" ergebe. Diese Einstufung ergebe sich sowohl aus der Rote-Liste-Region als auch für Niedersachsen. Die extrem hohe Bewertung des Plangebiets beruhe fast ausschließlich auf dem individuenreichen Auftreten des Schilfrohrsängers. Ohne diese vom Aussterben bedrohte Art käme dem Plangebiet nur die Bewertung "Brutvogellebensraum von lokaler Bedeutung" zu. Die landwirtschaftlichen Brachen zwischen F. Weg und Bensertief trügen aufgrund ihrer strukturellen Vielfalt zur Wertsteigerung des Gebietes bei.
Die avifaunistische Bestandserfassung (Brut- und Rastvögel) der I. vom Januar 2000 bestätigt die Ergebnisse der Brutvogelerfassung aus dem Vorjahr. Danach sind im Planungsgebiet drei Brutpaare des Blaukehlchens wahrscheinlich und sechs möglich. 28 Brutpaaren des Schilfrohrsängers sind dort wahrscheinlich und weitere 32 möglich. Überdies ist die Brut zweier Braunkehlchenpaare (Anhang II der VRL) im Plangebiet wahrscheinlich. Hinsichtlich des Kiebitz (Anhang II der VRL) ist die Brut zweier Paare sicher, die Brut von 29 Paaren wahrscheinlich und von neun weiteren Paaren möglich. Der Goldregenpfeifer ist im Planungsgebiet ebenso Nahrungsgast wie der Kiebitz, der Große Brachvogel und die Lachmöwe (Anhang II der VRL). Ausweislich der Tabelle 3 (Bewertung ausgewählter Arten) kommt dem Bestand des Großen Brachvogels im Plangebiet eine lokale Bedeutung zu.
Der Grünordnungsplan der Antragsgegnerin zum Bebauungsplan Nr. 67 und der 83. Flächennutzungsplanänderung "Kommunale Entlastungsstraße Bensersiel" vom September 2004 kommt zu der zusammenfassenden Bewertung, dass fast der gesamte küstennahe Marschbereich zwischen Neuharlingersiel und Norden von K. und G. (2000) - aufgrund der hohen Bedeutung des gesamten Küstenraums als Gebiet auf dem Vogelzug der Westpaläarktischen Vogelpopulation als auch der hier lebenden Brutvögel - als wichtiges Brut- und Rastvogelgebiet in Niedersachsen abgegrenzt werde. Dieses Gebiet umfasse den gesamten Planungsraum bis an die direkte Siedlungsfläche von Bensersiel. Ausschlaggebend für diese Beurteilung seien die Rastvogelzahlen in diesem Gebiet, insbesondere von der Ringelgans, der Sturmmöwe, der Lachmöwe, des Großer Brachvogel, des Goldregenpfeifers und des Kiebitz gewesen. Im Planungsraum sei der Große Brachvogel mit lokaler Bedeutung vertreten, sowie mit kleinerem Vorkommen die Lachmöwe, der Goldregenpfeifer und der Kiebitz. Daneben spielten Brutvogelvorkommen eine bestimmende Rolle, wobei aus dem Plangebiet vor allem das Blaukehlchen und die Rohrweihe genannt werden müssen. Als Rote-Liste-Art hätten im Planungsbereich folgende Vogelarten in den Grabenröhrichten kartiert werden können: Das Blaukehlchen mit zwei wahrscheinlichen und drei möglichen Brutpaaren und der Schilfrohrsänger mit sieben wahrscheinlichen und 18 möglichen Brutpaaren. Der Grünordnungsplan hebt die hohe Bedeutung der röhrichtbestandenen Gewässer für die Tierwelt und die Röhrichtvögel hervor. Ausweislich des Konflikt- und Bestandplanes für die einzelnen Tailabschnitte des Bauvorhabens wird der Große Brachvogel als erheblich beeinträchtigte Tierart kartiert. Das gilt insbesondere auch für das Blaukehlchen im Teilabschnitt 2 des Planbereichs. Im 3. Teilabschnitt ist südlich der Trasse als erheblich beeinträchtigte Tierart zweimal der Große Brachvogel verzeichnet. Auch das Braunkehlchen ist unmittelbar westlich des Gewässers Oldenburger Tief und unmittelbar nördlich der Trassenführung verzeichnet. Darüber hinaus ist die Rohrweihe im 2. Teilabschnitt als erheblich beeinträchtigte Tierart verzeichnet.
Die Karte "Durchschneidung des Grabensystems durch die Trasse (achtzehnmal) und straßenbaubedingte Auswirkungen in das (faktische) Vogelschutzgebiet" weist insbesondere im 2. Teilabschnitt des Planvorhabens auf ein hohes Risiko durch die Querung von Flächen mit hoher Bedeutung für den Wiesenbrutvogel und Bedeutung für Rastvögel hin. Danach quert das Vorhaben Gewässer mit Röhrichtbestand mindestens siebzehnmal. Unmittelbar nördlich und südlich des Trassenverlaufs im 2. Planabschnitt besteht ein hohes Risiko der Entwertung und Isolierung von Flächen mit hoher Bedeutung für Wiesenbrutvögel und Rastvögel.
Das durch den Antragsteller im Jahr 2010 in Auftrag gegebene Gutachten zur "Notwendigkeit eines Baustopps für die Ortsentlastungsstraße zum Schutz der Vogelwelt" von Herrn Dr. G. bestätigt, dass die Vogelbestände im Planungsbereich zwingend eine Einbeziehung dieser Flächen zum Vogelschutzgebiet V 63 erfordert hätten. Es hebt beispielhaft das Vorkommen des Kiebitzes als wandernde Vogelart gemäß Art. 4 Abs. 2 der Vogelschutzrichtlinie und des Schilfrohrsängers hervor. Durch die Aufschüttung des Straßendammes würden zweifellos Brutreviere europäischer Vogelarten wie des Schilfrohrsängers, Teichrohrsängers, Sumpfrohrsängers, Feldlerche, Wiesenpieper, Stockente und Blaukehlchen, sowie Braunkehlchen durch Verfüllung von Schilfgräben ganz oder teilweise vernichtet. Diese Feststellungen decken sich mit den Aussagen des Herrn Dr. G. zum Bestand von schutzwürdigen Vogelarten im Planungsbereich aus den Jahren 2005 und 2010. Er wies bereits 2005 darauf hin, dass diesem Bereich eine hohe Dichte des Blaukehlchens zukomme.
Ausweislich der Gastvogelerfassung im EU-Vogelschutzgebiet V 63 aus den Jahren 2008 und 2009 wird der Raum im östlichen Planbereich des 3. Teilabschnittes vom Großen Brachvogel genutzt (Karte 9). Seiner Anzahl im dortigen Bereich kommt eine nationale Bedeutung zu, der Große Brachvogel ist dort mit einer Anzahl von bis zu 3.499 Tieren angetroffen worden. Eine höhere, beziehungsweise vergleichbare Anzahl und Bewertung dieser Art lässt sich im gesamten Vogelschutzgebiet V 63 nicht verzeichnen. Nach der Gastvogelerfassung ist unmittelbar westlich des Plangebiets ein Bestand an Kiebitzen von bis zu 689 Tieren angetroffen worden.
Ferner räumt die Antragsgegnerin in der Begründung des Bebauungsplans Nr. 72 im Rahmen der Erörterung der Trassenvarianten selbst ein, dass dem Planvorhaben eine hohe Bedeutung für Wiesen- und Wasservögel zukomme.
Nach alledem erfüllt das Plangebiet aufgrund seines Ausstattungspotentials die Anforderungen nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL. Diese Einschätzung des Senats wird durch die Verzeichnisse über die IBA noch bekräftigt. Danach wird das Plangebiet unter der Nummer NI044 als bedeutendes Vogelschutzgebiet in Deutschland aufgeführt (Sudfeldt et al., Ber. Vogelschutz 38 (2002), Eintrag "Norden-Esens, "IBA Norden-Esens", Binnendeichs, 10.485 ha", Stand vom 1. Juli 2002, 17-109, 48). Diese IBA-Verzeichnisse, die durch Behörden, wissenschaftliche Einrichtungen und ornithologische Verbände erstellt und in Abständen aktualisiert werden, sind nach dem EuGH und dem BVerwG die bedeutsamste Erkenntnismittel bei der Gebietsauswahl (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. Januar 2004 - 4 A 32/02 -, BVerwGE 120, 87 = BauR 2004, 957; vom 19. Mai 1998 - 4 A 9.97 -, BVerwGE 107, 1, vom 31. Januar 2002 - 4 A 15.01 -, DVBl. 2002, 990, Buchholz 407.4, § 17 FStrG Nr. 168 und vom 14. November 2002 -4 A 15.02 -, BVerwGE 117, 149; Schlacke, Großkommentar-Bundesnaturschutzgesetz, 2012, § 32 Rn. 22). Sie haben zwar keinen Rechtsnormcharakter; ihre Indizwirkung kann aber eine Vertragsverletzung begründen, wenn der Mitgliedstaat darin aufgelistete Gebiete ohne überzeugenden Gegenbeweis nicht ausgewiesen hat (EuGH, Urteil vom 13. Dezember 2007 - C-418/04 -, [...] Leitsatz Nr. 2). Folglich liegt ein faktisches Vogelschutzgebiet vor.
Selbstständig tragend stellt der Senat zur Begründung seiner Entscheidung, dass das Plangebiet als faktisches Vogelschutzgebiet zu bewerten ist, darauf ab, dass es unter Berücksichtigung der vorliegenden ornithologischen Feststellungen jedenfalls deshalb als integraler Bestandteil des V 63 hätte einbezogen werden müssen, weil es von den wertbestimmenden Vogelarten (Blaukehlchen, Schilfrohrsänger und Großen Brachvogel) in einem zumindest durchschnittlichen Umfang genutzt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Dezember 2007 - C-418/04, Slg. 2007, I-10947).
Ungeachtet dessen steht das Plangebiet als Rand- und Pufferzone (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20/05 -, [...] Rn. 77) zum ausgewiesenen V 63 in einem engen räumlichen und ökologischen Beziehungsgefüge zu dem Nationalpark V 1 "Niedersächsisches Wattenmeer" und dient Vögeln als Nahrungs-, Brut- und Rasthabitat. Davon geht auch das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz ausweislich der Hinweise zur Gebietsabgrenzung (Vorschlag V 63, Stand Februar 2007, Anlage 8 zur Stellungnahme des Ministeriums vom 27. März 2013) aus. Danach umfasst das Schutzgebiet nach den Vorkommensdaten der relevanten Vogelarten eine Kernzone vom Hauptdeich aus bis zu einer Tiefe von 2,2 km landwärts sowie - der Forderung der EU-Kommission entsprechend - (Binnendeich-)Bereiche, die an den Nationalpark "Niedersächsisches Wattenmeer" angrenzen und zu diesem in einem funktionalen Zusammenhang stehen. Im Übrigen hebt der Stammdatenbogen des V 63 die Wechselbeziehung zum Nationalpark V 1 als Hochwasserplatz und Nahrungshabitat für Gastvögel sowie die Schutzwürdigkeit des Binnendeichs gelegenen, offenen Marschenlandes - geprägt durch überwiegend intensive Acker- und Grünlandflächen, die von Schilf bestandenen Gräben gesäumt werden - ausdrücklich hervor. Daher hätte das Ministerium das Plangebiet in das Gebiet V 63 einbeziehen müssen. Diese weitere Begründung trägt die Feststellung des Senats, dass es sich beim Plangebiet um ein faktisches Vogelschutzgebiet handelt, ebenfalls selbstständig.
Ornithologische Gründe, die geeignet wären zu belegen, dass das Plangebiet im Hinblick auf die Populationsdichte oder die räumliche Schwerpunkte der wertbestimmenden Arten im Gesamtgebiet nicht erheblich ins Gewicht fällt, liegen nicht vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. April 2004 - 4 C 2/03 -). Weder die Antragsgegnerin noch das Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz haben den Ausschluss des Plangebiets fachlich begründet bzw. die zahlreichen Indizien, welche für ein faktisches Vogelschutzgebiet sprechen, widerlegt.
Vielmehr hat die Antragsgegnerin laut Begründung des Bebauungsplans Nr. 72 im Rahmen der Erörterung der Trassenvarianten eingestanden, dass dem Planvorhaben zwar eine hohe Bedeutung für Wiesen- und Wasservögel zukomme. Um die Trasse allerdings vollständig außerhalb des Kernbereichs für Wiesen- und Wasservögel zu verschieben, müsste sie um 80 bis 90 m in Richtung Ortsrand verschoben werden. Davon sei aber Abstand genommen worden, weil dadurch verursachte Verschiebungen der Zonen unter erheblichen Lärmimmissionen den Spielraum für künftige Siedlungsentwicklungen erheblich reduziert hätte. Damit bliebe bloß ein schmaler Bereich, in dem allgemeine Wohngebiete ohne besondere Schallschutzmaßnahmen errichtet werden könnten. Städtebaulich sinnvolle Erschließungsmöglichkeiten (insbesondere eine Anbindung an die kommunale Entlastungsstraße im Süden) seien unter diesen Voraussetzungen vor allem in finanzieller Hinsicht nicht möglich. Diese Erwägungen der Antragsgegnerin zeigen auf, dass bei der Planung vornehmlich die wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Gesichtspunkte eine Rolle gespielt haben. Trotz Kenntnis, dass die Trasse in einem für Wiesen- und Brutvögel sehr bedeutsamen Bereich liegen würde, ist von den Trassenvarianten aus den genannten Gründen Abstand genommen worden.
Des Weiteren hat das Ministerium mit der Stellungnahme zur Abgrenzung des EU-Vogelschutzgebietes V 63 "Ostfriesische Seemarsch zwischen Norden und Esens" vom 27. März 2013 ausgeführt, dass es die Abgrenzung des Vogelschutzgebietes im Bereich Bensersiel nach fachlicher Auswertung der Stellungnahme des Dr. G. durch die Staatliche Vogelschutzwarte (NLWKN) unter Berücksichtigung des Bebauungsplans Nr. 67 "Kommunale Entlastungsstraße Bensersiel" vorgenommen habe. Dabei weist das Umweltministerium mit Fußnote 1 darauf hin, dass die Aussparung von Bereichen bei der Meldung von Natura-2000-Gebieten, für die ein rechtsgültiger Bebauungsplan, ein Planfeststellungsbeschluss oder eine Bodenabbaugenehmigung vorliege, der ständigen Praxis für die Gebietsauswahl entspreche und von der EU-Kommission nicht zu Beanstandungen geführt habe. Diese Vorgehensweise ist bereits deshalb fehlerhaft, weil die Abgrenzung des V 63 im Bereich Bensersiel unter Berücksichtigung des Bebauungsplans Nr. 67 nicht ausschließlich ornithologisch begründet ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Juni 2003 - 4 B 37.03 -, NVwZ 2004, 98 = [...] Rn. 4 m.w.N.).
Denn bei der Ausweisung der geeignetsten Gebiete als besondere Schutzgebiete nach Art. 4 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 79/409 über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten in der durch die Richtlinie 97/49 geänderten Fassung verfügen die Mitgliedsstaaten zwar über einen gewissen Ermessensspielraum. Doch ist dieser dadurch begrenzt, dass die Ausweisung dieser Gebiete ausschließlich den in dieser Richtlinie festgelegten ornithologischen Kriterien gehorcht. Denn Art. 4 Abs. 1 Satz 4 VRL ist das Ergebnis einer bereits vom Gemeinschaftsgesetzgeber getroffenen Abwägungsentscheidung, die keiner weiteren Relativierung zugänglich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Juni 2003 - 4 B 37/03 -, a.a.O.; Urteile vom 19. Mai 1998 - 4 A 9.97 -, BVerwGE 107, 1, vom 31. Januar 2002 - 4 A 15.01 -, DVBl. 2002, 990 und vom 14. November 2002 - 4 A 15.02 -, NVwZ 2003, 485). Mit dieser Rechtsprechung befindet sich das Bundesverwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Urteile vom 2. August 1993 - C 355/90 -, Slg. 1993, I - 4221 Rn. 26, vom 11. Juli 1996 -C 44/95 -, Slg. 1996, I - 3805 Rn. 26, vom 19. Mai 1998 - C 3/96 -, Slg. 1998, I - 3031 Rn. 59, vom 18. März 1999 - C 166/97 -, Slg. 1999, I - 1719 Rn. 21, vom 25. November 1999 - C 96/98 -, Slg. 1999, I - 8531 Rn. 22, vom 7. Dezember 2000 - C 374/98 -, Slg. 2000, I - 10799 Rn. 55 und vom 13. Februar 2003 - C 378/01 - n.v. Rn. 15). Die in Art. 2 dieser Richtlinie genannten wirtschaftlichen Erfordernisse dürfen daher bei der Auswahl und Abgrenzung eines besonderen Schutzgebietes nicht berücksichtigt werden. Demzufolge kann beispielsweise die Ausweisung eines besonderen Schutzgebietes nicht das Ergebnis einer isolierten Prüfung des ornithologischen Werts jeder einzelnen der in Rede stehenden Flächen sein, sondern muss unter Berücksichtigung der natürlichen Grenzen des Feuchtgebiets erfolgen, und die ornithologischen Kriterien, auf denen die Ausweisung ausschließlich zu beruhen hat, müssen wissenschaftlich begründet sein. Denn die Verwendung fehlerhafter, angeblich ornithologischer Kriterien könnte auf eine falsche Festlegung der Grenzen von besonderen Schutzgebieten hinauslaufen (EuGH, 2. Kammer, Urt. v. 13.12.2007 - C-418/04 -, a.a.O.).
Die Abgrenzung des Vogelschutzgebietes V 63 im Bereich Bensersiel entlang der kommunalen Entlastungsstraße Bensersiel stellt einen wirtschaftlichen Belang im Sinne des Art. 2 der genannten Richtlinie dar. Da darüber hinausgehende ornithologische Gründe für die Abgrenzung des Vogelschutzgebietes V 63 in diesem Bereich vom Ministerium nicht angeführt werden können, erfolgte die Gebietsabgrenzung nicht aufgrund ausschließlich fachlicher Erwägungen. Ebenso wenig folgt die Abgrenzung entlang der kommunalen Entlastungsstraße Bensersiel natürlichen Grenzen. Sie verläuft vielmehr exakt entlang des Plangebiets der Entlastungsstraße und wird auch insoweit den europarechtlichen Anforderungen an eine Gebietsabgrenzung von EU-Vogelschutzgebieten nicht gerecht.
In diesem Zusammenhang passen die Ausführungen des Herrn Dr. G. in seinem Gutachten von 2010 in das Bild. Er weist darin darauf hin, dass die Gebietsabgrenzung des Vogelschutzgebietes V 63 im Bereich Bensersiel bewusst und nachweisbar fachfremde Kriterien berücksichtigt hätte. Bei einem Gespräch am 18. Dezember 2006 im Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz, in dem der Verfasser zusammen mit Mitarbeitern der Staatlichen Vogelschutzwarte und dem Ministerium die abschließende Grenze des EU-Vogelschutzgebietes anhand der vogelkundlichen Daten erarbeitet hätte, sei die Frage offen geblieben, wie mit den ausgelassenen Freiflächen um Bensersiel und Ostbensersiel zu verfahren sei. Herr Mey vom Niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz habe darauf hingewiesen, dass diese Frage durch die Juristen des Hauses bisher noch nicht beantwortet sei. Unter den Teilnehmern der Gesprächsrunde habe jedoch keinerlei Dissens darüber bestanden, dass die strittigen Flächen aus fachlicher Sicht eindeutig in die Gebietskulisse einzubeziehen seien. Zu keinem anderen Ergebnis müsse man kommen, wenn man die gebietsspezifischen Kriterien anwendet, die seinerzeit von der Staatlichen Vogelschutzwarte zur Abgrenzung des Gebietes V 63 entwickelt worden seien. Danach sollte, von der Küste beginnend, ein ca. 2,2 km breiter Streifen als Vogelschutzgebiet abgegrenzt werden, und im Deichhinterland von Fall zu Fall modifiziert werden, sofern wichtige Bereiche für Rastvögel durch entsprechende Daten dokumentiert seien. Für den Bereich Bensersiel hätte sich danach die Grenzziehung nach dem IBA nach K. und G. (2000) ergeben, wonach das Vogelschutzgebiet bis zur Siedlungsgrenze Bensersiel gezogen worden wäre. Diese Grenzziehung habe sich an im Gelände nachvollziehbaren Strukturen wie etwa Straßen und Ortsrändern orientiert. Solche Grenzziehungen seien nach den Bestandszahlen nicht zu beanstanden gewesen. Sie ist aber nicht vollzogen worden.
Bei Gesamtschau der vorliegenden Erkenntnisquellen gelangt der Senat zu der Überzeugung, dass die Grenzziehung des V 63 im Bereich der kommunalen Entlastungsstraße Bensersiel nicht ausschließlich nach ornithologischen Gründen erfolgte.
Dieses Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des 12. Senats des Nds. OVG vom 22. November 2012 - (12 LB 64/11 -, ZfBR 2013, 162 = NuR 2013, 196; [...] Rn 75) wonach "es vor diesem Hintergrund angesichts der unterschiedlichen Ausgangslage nicht zu beanstanden [ist], dass der Beklagte nicht alle bebauten Grundstücke dem Geltungsbereich der LSG-VO entzogen hat, sondern nur Ortslagen, Geltungsbereiche von Bebauungsplänen, Abgrenzungssatzungen gemäß § 34 Abs. 4 BauGB sowie Hofstellen und Hausgrundstücke". In dem bereits angesprochenen Erlass des Ministeriums für Umwelt und Klimaschutz vom 25. Januar 2010 ist - wie ausgeführt - in nicht zu beanstandender Weise die Herausnahme von Hofstellen beziehungsweise Hausgrundstücken aus dem Geltungsbereich der Landschaftsschutzgebietsverordnung mit der Begründung für gerechtfertigt erachtet worden, diese Bereiche seien für die für das Vogelschutzgebiet wertbestimmenden Vogelarten als Lebensraum nicht geeignet und außerdem könne ausgeschlossen werden, dass sich die auf den Hofstellen und Hausgrundstücken üblichen menschlichen Aktivitäten erheblich auf den Schutzzweck auswirken". Diese Gesichtspunkte für einen gerechtfertigten Ausschluss einzelner Bereiche aus einem Vogelschutzgebiet können für den Planungsbereich des Bebauungsplans Nr. 67, dessen Entlastungsstraße zum Zeitpunkt seiner Beschlussfassung im Jahr 2004 noch nicht nennenswert umgesetzt worden ist, nicht angeführt werden. Denn der Planungsbereich dient ausweislich der vorliegenden Planunterlagen und Bestandserfassungen als Lebensraum für wertbestimmende Vogelarten. Ferner konnte nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die kommunale Entlastungsstraße Bensersiel mit den üblichen verkehrlichen Aktivitäten den Schutzzweck des V 63 erheblich stören kann.
Ungeachtet dessen lag der vom Ministerium genannte Grund für die Aussparung von Bereichen bei der Meldung von Natura-2000-Gebieten, nämlich das Vorliegen eines "rechtsgültigen Bebauungsplans", im Zeitpunkt der fachlichen Auswertung durch das Ministerium Ende 2006/Anfang 2007 im Hinblick auf den Bebauungsplan Nr. 67 gerade nicht vor. Der am 20. September 2004 vom Rat der Antragsgegnerin beschlossene Bebauungsplan Nr. 67 ist vom Antragsteller mit Normenkontrollantrag vom 27. Juli 2005 angegriffen worden. Das vom Senat im Jahr 2008 entschiedene Normenkontrollverfahren 1 KN 149/05 ist derzeit beim Bundesverwaltungsgericht anhängig und bis zu einer Entscheidung in dem hier vorliegenden Verfahren ausgesetzt worden. Folglich ist der Bebauungsplan in seiner Urfassung Nr. 67 noch nicht rechtsverbindlich und kann durch gerichtliche Entscheidung mit Wirkung ex tunc, d.h. von Anfang an, für unwirksam erklärt werden. Folglich hätte das Plangebiet selbst nach der ständigen Verwaltungspraxis des Ministeriums in das Vogelschutzgebiet V 63 einbezogen werden müssen.
Der Umstand allein, dass die EU-Kommission das Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2001/5117 gegen die Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Nachmeldung des Europäischen Vogelschutzgebietes V 63 im Oktober 2009 eingestellt hat, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Ein Rückschluss dahingehend, dass die Kommission mit der Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens die Richtigkeit der Grenzziehung des Vogelschutzgebietes im Bereich Bensersiel bestätigt bzw. anerkennt, kann dem "Dialogverfahren" zwischen der Bunderepublik Deutschland und der Kommission nicht entnommen werden (vgl. Anlagen 1 und 12 zur Stellungnahme des Niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz vom 27. März 2013). Vielmehr nimmt die Kommission Beanstandungen bei der Ausweisung von Vogelschutzgebieten lediglich bei offenkundigen Abweichungen von den IBA-Gebieten vor. Beispielsweise hat die völlige Unterlassung einer Ausweisung eines Vogelschutzgebietes bzw. die im Vergleich zur IBA-Fläche evident flächenmäßig geringere Ausweisung eines Schutzgebietes durch ein Mitgliedstaat (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Mai 1998 - C - 3/96 -) oder die abrupte Begrenzung eines Schutzgebietes an einer Landesgrenze Grund zur Beanstandung gegeben. Somit überprüft die Kommission die Grenzziehung der Vogelschutzgebietsausweisung eines Mitgliedstaates nicht in jedem Einzelfall parzellenscharf, sondern nimmt eher eine globale Vergleichsprüfung mit den IBA-Gebieten vor. Es liegt auch nahe, dass die Kommission eine regelmäßig parzellenscharfe Überprüfung vom Verwaltungsaufwand praktisch nicht leisten kann. Ein derartiges mit Händen zu greifendes Defizit bei der Unterschutzstellung liegt hier nicht vor, so dass der Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens nicht eine so gewichtige Indizwirkung für die Richtigkeit der Grenzziehung des Vogelschutzgebietes im Bereich Bensersiel zukommt, welche die vorangegangenen Ausführungen ernsthaft in Frage stellen könnte.
Damit unterliegt das Plangebiet der 1. Änderung des Plans Nr. 72 als faktisches Schutzgebiet dem Schutzregime des Art. 4 Abs. 4 VRL (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. April 2004 - 4 C 2.03 -, BVerwGE 120, 276 = BRS 67 Nr. 215 = [...] 38). Das Vorhaben beeinträchtigt den Lebensraum der geschützten Populationen im Sinne dieser Vorschrift erheblich. Eine erhebliche Beeinträchtigung liegt nämlich nicht erst vor, wenn die Verwirklichung der Erhaltungsziele der VRL (Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 VRL) im Gebiet unmöglich oder unwahrscheinlich werden würden. Der Europäische Gerichtshof hat vielmehr eine Verletzung schon bei einer Gebietsverkleinerung zugunsten einer Straße angenommen, ohne dabei explizit zu prüfen, ob das Vorhaben geeignet wäre, die Erhaltungsziele im gesamten Vogelschutzgebiet zu vereiteln oder Kernbestandteile des Gebiets unwiederbringlich zu zerstören (Schlacke, a.a.O., § 32 Rdn. 39). Hier ist der baubedingte Verlust eines immerhin etwa 47 ha großen Brut- und Nahrungsreviers für die wertbestimmenden Arten des Blaukehlchens, des Schilfrohrsängers (Anhang I der VRL) und des Großen Brachvogels (Anhang II des VRL) zu verzeichnen. Dieser Verlust kann nicht als so geringfügig eingeschätzt werden, dass er im Rahmen von Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL außer Betracht bleiben könnte. Ausnahmen von diesem Schutzgebot sieht die VRL nicht vor. Der EuGH und ihm folgend das Bundesverwaltungsgericht haben Ausnahmen von Art. 4 Abs. 4 VRL nur unter engen Voraussetzungen und zugunsten überragenden Gemeinwohlbelangen, wie etwa Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen oder Schutz der völligen Sicherheit anerkannt (EuGH, Urteil vom 28. Februar 1991 - Rs. C-57/89 -, Slg. 1991, I-883 Rn. 22 = NuR 1991, 249 - Leybucht; BVerwG, Urteil vom 1. April 2004 - 4 C 2/03 -, BVerwGE 120, 276 = BRS 67 Nr. 215 = [...] 40; Schlacke, a.a.O., § 32 Rdn. 40). Ausnahmen aus rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten sind hingegen unzulässig (BVerwG, Urteil vom 1. April 2004 - 4 C 2/03 -, a.a.O. m.w.N.). Derartige Ausnahmegründe hat die Antragsgegnerin für das Planvorhaben, welches das faktische Vogelschutzgebiet um eine nicht unerhebliche Flächengröße von etwa 47 ha verkleinert, weder im gerichtlichen Verfahren angeführt noch bei der Planung eingestellt. Die durch die Entlastungsstraße beabsichtigte Abgasreduzierung im Ortskern von Bensersiel stellt jedenfalls keinen überragenden Gemeinwohlbelang dar.
2. Der weitere Normenkontrollantrag des Antragstellers gegen den Bebauungsplan Nr. 72 "Kommunale Entlastungsstraße Bensersiel", den der Antragsteller als Stufenklage in Form einer kumulativen objektiven Klagehäufung nach § 44 VwGO und entsprechend § 254 ZPO zulässigerweise stellen durfte (vgl. BayVGH, Urteil vom 14. Juli 2006 - 1 N 05.300 -, BauR 2006, 1941 = [...] Rn. 20 sowie Urteil vom 14. August 2008 - 1 N 07.2753 -, [...] Rn. 35), hat ebenfalls Erfolg.
Der Antrag ist aus den voranstehenden Gründen zum Bebauungsplan Nr. 72 - 1. Änderung - begründet.
3. Nach dem Gesagten bedarf es keiner Entscheidung über die von dem Antragsteller in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten vier weiteren (Beweis-)Anträge.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert für das Normenkontrollverfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9 lit. a der regelmäßigen Streitwertannahmen des Senats für Verfahren, die nach dem 1. 2002 anhängig geworden sind (NdsVBl. 2002, 192 = NordÖR 2002, 197), auf 40.000,- EUR festgesetzt.