Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.04.2013, Az.: 5 ME 108/13

Zurückverweisung eines Rechtsstreites an das Verwaltungsgericht bei Verletzung des Anspruchs eines Beteiligten auf rechtliches Gehör und fehlender Heilung des Verfahrensfehlers

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
26.04.2013
Aktenzeichen
5 ME 108/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 35066
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0426.5ME108.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 26.03.2013 - AZ: 13 B 2577/13

Fundstellen

  • DÖV 2013, 612
  • IÖD 2013, 118-120
  • NdsVBl 2013, 3
  • NordÖR 2013, 547

Amtlicher Leitsatz

Verletzt das Verwaltungsgericht in einem Verfahren nach §§ 80, 80a, 123 VwGO den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör und wird dieser Verfahrensfehler nicht geheilt, kann das Oberverwaltungsgerichts den Rechtsstreit im Beschwerdeverfahren gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 572 Abs. 3 ZPO an das Verwaltungsgericht zurückverweisen.

Beschluss

1

Die Beschwerde der Antragstellerin hat im tenorierten Umfang Erfolg.

2

Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen zwar nicht die begehrte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Zuweisungsverfügung vom 7. Februar 2013 (dazu unter I.). Da das Verwaltungsgericht jedoch das Recht der Antragstellerin auf rechtliches Gehör verletzt hat, ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (dazu unter II.).

3

I. Ohne Erfolg rügt die Antragstellerin, die Antragsgegnerin habe die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Zuweisungsverfügung nicht hinreichend begründet.

4

Gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen der Anordnung der sofortigen Vollziehung im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse der Behörde an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Die Pflicht zur Begründung soll der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, mit Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert. Diese vom Gesetzgeber beabsichtigte "Warnfunktion" beruht letztlich auf dem besonderen Stellenwert, den die Verfassung der aufschiebenden Wirkung beimisst. Der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Begründungspflicht ist aber auch hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen an die Begründung Rechnung zu tragen. Dem Erfordernis einer schriftlichen Begründung ist nicht bereits genügt, wenn überhaupt eine Begründung gegeben wird. Es bedarf vielmehr einer schlüssigen, konkreten und substantiierten Darlegung der wesentlichen Erwägungen, warum aus Sicht der Behörde gerade im vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeben ist und das Interesse des Betroffenen am Bestehen der aufschiebenden Wirkung ausnahmsweise zurückzutreten hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.9.2001 - BVerwG 1 DB 26.01 -, [...] Rn. 6, m. w. N.).

5

Diesen Anforderungen wird die von der Antragsgegnerin gegebene Begründung - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - in vollem Umfang gerecht. Die Antragsgegnerin hat dargelegt, dass bei der C. D. Services GmbH am Standort E. gegenwärtig ein Personalbedarf besteht, der andernfalls durch eine kostenträchtige Neueinstellung zu decken wäre. Sie hat weiter zutreffend auf ihre Rechtspflicht hingewiesen, die gegenwärtig beschäftigungslose Antragstellerin amtsangemessen zu beschäftigen. Dass die Antragsgegnerin demgegenüber in der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht auf die persönlichen Umstände der Antragstellerin eingegangen ist, ist unschädlich. Bereits in der Begründung der Zuweisungsentscheidung selbst legt die Antragsgegnerin ausführlich dar, warum diese Umstände der Zuweisungsentscheidung nicht entgegenstehen. Einer erneuten Würdigung bedurfte es deshalb nicht.

6

Ohne Erfolg wendet sich die Antragstellerin weiter gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, das von der Antragsgegnerin dargelegte Vollzugsinteresse überwiege ihr Interesse, von den Folgen der Zuweisungsentscheidung einstweilen verschont zu bleiben. Das Verwaltungsgericht hat sich zur Begründung seiner Entscheidung maßgeblich darauf gestützt, dass die auf § 4 Abs. 4 Satz 2 PostPersRG beruhende Zuweisungsentscheidung bei summarischer Prüfung als rechtmäßig anzusehen ist. Diese Einschätzung zieht die Antragstellerin mit ihrem Beschwerdevorbringen nicht wirksam in Zweifel.

7

Die Zuweisung bedeutet für die Antragstellerin insbesondere - wie bereits das Verwaltungsgericht zu Recht betont hat - trotz der erheblichen Fahrzeiten bzw. der Notwendigkeit eines Umzugs keine persönlich unzumutbare Härte. Grundsätzlich nimmt ein Bundesbeamter die mit der Möglichkeit der Versetzung oder Umsetzung, insbesondere mit einem Ortswechsel durch das ganze Bundesgebiet generell und unvermeidlich verbundenen persönlichen, familiären und auch finanziellen Belastungen mit seinem Dienstantritt in Kauf. Eine Umsetzungs- oder Zuweisungsverfügung erweist sich deshalb regelmäßig nicht schon dadurch als ermessensfehlerhaft, dass der Dienstherr den dienstlichen Bedürfnissen den Vorrang gegenüber den privaten Belangen des Beamten einräumt, auch wenn damit notwendigerweise Veränderungen im persönlichen und beruflichen Umfeld der Familie des Beamten verbunden sind. Die Bewältigung von dienstlich veranlassten Veränderungen ist eine Frage der persönlichen Lebensgestaltung des Beamten und seiner Familie, die diese allein zu beurteilen und zu entscheiden haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1986 - BVerwG 6 A 2.84 -, [...] Rn. 16).

8

Soweit sich die Antragstellerin demgegenüber auf eine psychische Erkrankung sowie die Ehe mit einem in F. tätigen Beamten beruft, sind beides keine Gesichtspunkte, die einem Einsatz in E. entgegenstehen. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragstellerin ein Umzug aus gesundheitlichen Gründen nicht zuzumuten sein könnte, sind der ärztlichen Stellungnahme vom 16. Dezember 2011 nicht zu entnehmen. Auch der Schutz von Ehe und Familie erfordert es nicht, die Antragstellerin ausschließlich in der näheren Umgebung ihres bisherigen Wohnortes einzusetzen. Erforderlichenfalls ist die Antragstellerin gehalten, am Dienstort einen zweiten Wohnsitz zu begründen.

9

II. Zu Recht rügt die Antragstellerin indes eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG bei der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter.

10

Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO soll die Kammer in der Regel den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Eine Anhörung sieht die Vorschrift ihrem Wortlaut zufolge nicht vor. Aus § 6 Abs. 3 Satz 1 VwGO, wonach vor der Rückübertragung auf die Kammer eine Anhörung der Beteiligten zu erfolgen hat, könnte man sogar den Umkehrschluss ziehen, dass bei der erstmaligen Übertragung eine Anhörung entbehrlich ist. Eine derartige Sichtweise würde jedoch der Bedeutung der Maßnahme, welche über die Zusammensetzung der Richterbank entscheidet und damit das verfassungsmäßige Recht auf den gesetzlichen Richter beeinflusst, nicht gerecht. Angesichts dessen gebietet es der Grundsatz rechtlichen Gehörs, den Beteiligten vor der Übertragung auf den Einzelrichter Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.11.1999 - BVerwG 6 C 30.98 -, [...] Rn. 18; Beschluss vom 7.10.2004 - BVerwG 3 B 62.04 -, [...] Rn. 5).

11

Den sich daraus ergebenden Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör zu der beabsichtigten Einzelrichterübertragung hat das Verwaltungsgericht verletzt. Unter dem 25. März 2013 hat der Berichterstatter verfügt, die Beteiligten ohne die Bestimmung einer Frist zu einer möglichen Einzelrichterübertragung anzuhören. Diese Verfügung hat die Geschäftsstelle am selben Tag ausgeführt. Bereits am 26. März 2013, also nur einen Tag später, hat die Kammer den Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Sodann hat der Einzelrichter ebenfalls am 26. März 2013 in der Sache entschieden. Eine Stellungnahme der Antragstellerin lag zum Entscheidungszeitpunkt nicht vor.

12

Die vorgenannte Verfahrensweise ist mit den aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anforderungen nicht zu vereinbaren. Eine Übertragung auf den Einzelrichter hätte angesichts der ohne eine Fristsetzung durchgeführten Anhörung erst nach dem Verstreichen einer angemessenen Zeitspanne nach Eingang des Anhörungsschreibens bei den Beteiligten erfolgen dürfen. Diese Zeitspanne ist - auch im Eilverfahren - so zu bemessen, dass die Beteiligten ausreichend Bedenkzeit erhalten und ihnen eine Stellungnahme tatsächlich ermöglicht wird. Das ist bei einer Entscheidung an dem Tag, an dem das Anhörungsschreiben unter optimalen Bedingungen frühestens hätte zugehen können, offensichtlich nicht der Fall.

13

Der demnach vorliegende Verstoß gegen das Recht der Antragstellerin auf rechtliches Gehör bei der Einzelrichterübertragung führt zugleich dazu, dass auch die nachfolgende Sachentscheidung des Verwaltungsgerichts mit einem Mangel behaftet ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.11.1999, a. a. O., Rn. 16). Dieser Mangel wird im Beschwerdeverfahren nicht geheilt. Anders als im Berufungsverfahren, bei dem es sich gemäß § 128 VwGO um eine volle weitere Tatsacheninstanz handelt und das demzufolge eine umfassende Prüfung des Klagebegehrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ermöglicht, ist der Prüfungsumfang im Beschwerdeverfahren gegen Beschlüsse in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eingeschränkt. Das Beschwerdegericht prüft gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur die dargelegten Gründe.

14

Vor diesem Hintergrund erscheint es geboten, den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen, weil über das Begehren der Antragstellerin andernfalls nur in verfahrensfehlerhafter Weise durch das Verwaltungsgerichts bzw. mit eingeschränktem Prüfungsumfang durch den Senat entschieden worden wäre. Der Senat macht deshalb von seiner Befugnis gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 572 Abs. 3 ZPO Gebrauch. Nach dieser Vorschrift, deren Anwendbarkeit im verwaltungsgerichtlichen Verfahren allgemein anerkannt ist (vgl. VGH BW, Beschluss vom 14.7.2003 - 7 S 536/03 -, [...] Rn. 5; OVG Saarl., Beschluss vom 28.9.2007 - 1 D 399/07 -, [...] Rn. 14 f.; ebenso Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 146 Rn. 43 und § 150 Rn. 2; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 150 Rn. 7; Meyer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 150 Rn. 5 <Stand der Bearbeitung: Juli 2005>), kann das Beschwerdegericht in Fällen, in denen es die Beschwerde für begründet erachtet, dem Gericht, von dem die beschwerende Entscheidung erlassen war, die erforderliche Anordnung übertragen. Diese Anordnung besteht hier darin, den begangenen Verfahrensfehler zu heilen.

15

Nach der Zurückverweisung wird das Verwaltungsgericht deshalb die Beteiligten zu der bereits erfolgten Einzelrichterübertragung ordnungsgemäß anhören müssen. Anschließend wird es sich mit der Möglichkeit einer Rückübertragung des Rechtsstreits auf die Kammer auseinanderzusetzen haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.11.1999, a. a. O., Rn. 19; Beschluss vom 7.10.2004, a. a. O.) und schließlich eine erneute Sachentscheidung zu treffen haben.