Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.04.2013, Az.: 5 LA 117/12

Beurteilung des Beruhens des Abhandenkommens eines Schlüssels auf grober Fahrlässigkeit nach den Umständen des Einzelfalls

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
26.04.2013
Aktenzeichen
5 LA 117/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 36055
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0426.5LA117.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 16.04.2012 - AZ: 2 A 3425/10

Fundstellen

  • IÖD 2013, 158-159
  • SchuR 2014, 181
  • SchuR 2014, 149
  • ZBR 2013, 431

Amtlicher Leitsatz

Ob das Abhandenkommen eines Schlüssel auf grober Fahrlässigkeit beruht, ist stets nach dem Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.

[Tatbestand]

Der Kläger wendet sich gegen seine Inanspruchnahme auf Schadensersatz.

Der Kläger steht als Lehrer im Beamtenverhältnis. Im August 20 ließ er seinen Schulschlüssel während einer Unterrichtsstunde im Schloss der geöffneten Tür des Nachbarraums zu seinem ebenfalls geöffneten Klassenraum stecken. Während der folgenden fünf Minuten hielt sich der Kläger abwechselnd in den beiden Räumen auf; seinen Schlüssel hatte er dabei nicht stets im Blick. In dieser Zeit wurde der Schlüssel von einer unbekannt gebliebenen Person entwendet.

Die Beklagte nahm den Kläger mit Bescheid vom 4. Mai 20 auf Schadensersatz in Höhe von 24.000,- EUR für den erforderlich gewordenen Austausch von Teilen der Schließanlage in Anspruch. Der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage hat das Verwaltungsgericht mit der Begründung stattgegeben, der Kläger habe nicht grob fahrlässig gehandelt. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrem Zulassungsantrag.

[Entscheidungsgründe]

II.

Der Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg.

Die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht erfüllt.

Ernstliche Zweifel sind erst dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrages und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zu Tage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt. Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substantiiert mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 25.4.2008 - 5 LA 154/07 -).

Nach diesen Maßgaben ist es der Beklagten nicht gelungen, das Urteil des Verwaltungsgerichts ernstlich in Zweifel zu ziehen. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr zu Recht und mit zutreffender Begründung entschieden, dass Schadensersatzansprüche gegen den Kläger nicht bestehen. Der Senat teilt insbesondere die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass das Verhalten des Klägers zwar als fahrlässig, nicht aber als grob fahrlässig einzustufen ist.

Gemäß § 48 Satz 1 BeamtStG, der mit identischem Regelungsgehalt an die Stelle des zum Zeitpunkt des Schadenseintritts noch geltenden § 86 Abs. 1 Satz 1 NBG (in der Fassung vom 19.2.2001, Nds. GVBl. S. 33) getreten ist, haben Beamte, die vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihnen obliegenden Pflichten verletzen, dem Dienstherrn, dessen Aufgaben sie wahrgenommen haben, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, indem er nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss, oder indem er die einfachsten, ganz nahe liegenden Überlegungen nicht anstellt (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 14.8.2012 - 5 LA 220/11 -, [...] Rn. 10; Beschluss vom 2.4.2013 - 5 LA 50/12 -, [...] Rn. 5). Ein solches Handeln ist dem Kläger - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - nicht vorzuwerfen.

Im Ausgangspunkt ist der Beklagten allerdings darin zuzustimmen, dass überlassene Schlüssel mit besonderer Sorgfalt zu verwahren sind. Richtig ist auch, dass der Kläger diesen Sorgfaltsanforderungen nicht gerecht geworden ist. Daraus folgt allerdings - anders als die Beklagte offenbar meint - nicht zugleich, dass bei dem Verlust eines Schlüssels aufgrund mangelnder Sorgfalt in jedem Fall von einer besonders schweren Sorgfaltspflichtverletzung und damit von grober Fahrlässigkeit auszugehen ist. Diese Frage ist vielmehr stets unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu prüfen.

Eine solche Prüfung ergibt auch nach Auffassung des Senats, dass die Pflichtverletzung des Klägers nicht als besonders schwerwiegend anzusehen ist. Erstens steckte der Schlüssel nur für kurze Zeit, nämlich für maximal fünf Minuten, im Schloss der Tür. Zweitens hat sich der Kläger - auch wenn er den Schlüssel nicht stets im Blick hatte - während der gesamten Zeit in unmittelbarer Nähe in den nur wenige Meter entfernten Schulräumen aufgehalten, zwischen denen er zudem hin- und hergewechselt ist. Drittens hat sich der Vorfall während der Unterrichtszeit und damit zu einer Zeit ereignet, zu der sich die Schüler üblicherweise in ihren Klassenräumen und nicht auf dem Gang befanden. Diese Umstände schließen die Annahme grober Fahrlässigkeit aus.

Auf das weitere Vorbringen der Beklagten kommt es vor diesem Hintergrund nicht mehr an.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).