Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.04.2013, Az.: 5 LA 15/13
Anrechnung einer kanadischen Altersrente auf die Beamtenversorgung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 25.04.2013
- Aktenzeichen
- 5 LA 15/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 35065
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2013:0425.5LA15.13.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 29.11.2012 - AZ: 13 A 5200/10
Rechtsgrundlagen
- § 55 Abs. 1 BeamtVG
- § 55 Abs. 8 BeamtVG
Fundstellen
- NdsVBl 2013, 3
- ZBR 2013, 431
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Leistungen eines Versicherungsträgers i. S. v. § 55 Abs. 8 BeamtVG sind nur Leistungen eines eigenständigen Rechtsträgers oder einer verselbstständigten staatlichen Einrichtung, der bzw. die der Absicherung eines in seiner Gesamtheit schätzbaren Risikos oder Bedarfs durch die Verteilung auf eine organisierte Vielzahl von Beteiligten dient (Prinzip der kollektiven Risikoübernahme bzw. Versicherungsprinzip) und dessen bzw. deren Finanzierung grundsätzlich durch Beiträge der Beteiligten erfolgt.
- 2.
Eine kanadische Old Age Security pension (OAS-Rente) ist keine Leistung eines Versicherungsträgers i. S. v. § 55 Abs. 8 BeamtVG.
Beschluss
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Anrechnung einer kanadischen Altersrente auf ihre Beamtenversorgung.
Die Klägerin bezieht als Ruhestandsbeamtin des Landes Niedersachsen Versorgungsbezüge. Zugleich erhält sie aufgrund eines vierjährigen Aufenthalts in Kanada eine kanadische Altersrente in Höhe von umgerechnet rund 23,98 EUR monatlich. Die Beteiligten gehen im gerichtlichen Verfahren übereinstimmend davon aus, dass es sich dabei um eine einkommensabhängige steuerfinanzierte Leistung des kanadischen Staates handelt (sog. Old Age Security pension - OAS-Rente -).
Die Beklagte rechnete diese Altersrente in vollem Umfang auf die Versorgungsbezüge der Klägerin an. Der dagegen gerichteten Klage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen einer Anrechnung nicht vorlägen. Es handele sich weder um eine Leistung eines ausländischen Versicherungsträgers, noch werde die Leistung nach einem für die Bundesrepublik Deutschland wirksamen zwischen- oder überstaatlichen Abkommen gewährt. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrem Zulassungsantrag.
II.
Der Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg.
Die Voraussetzungen des allein geltend gemachten Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht erfüllt.
Ernstliche Zweifel sind erst dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrages und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zu Tage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt. Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substantiiert mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist. Ist das angegriffene Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, müssen hinsichtlich aller dieser Begründungen Zulassungsgründe hinreichend dargelegt werden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 25.4.2008 - 5 LA 154/07 -).
Nach diesen Maßgaben ist es der Beklagten nicht gelungen, das Urteil des Verwaltungsgerichts ernstlich in Zweifel zu ziehen. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Anrechnung der kanadischen OAS-Rente auf die Versorgungsbezüge der Klägerin gemäß § 55 Abs. 1 BeamtVG nicht zulässig ist.
Gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG werden Versorgungsbezüge neben - in Absatz 1 Satz 2 der Vorschrift im Einzelnen benannten - Renten nur bis zum Erreichen der in Absatz 2 bezeichneten Höchstgrenze gezahlt. § 55 Abs. 8 BeamtVG sieht ergänzend vor, dass den in der vorgenannten Vorschrift bezeichneten Renten entsprechende wiederkehrende Geldleistungen gleichstehen, die von einem ausländischen Versicherungsträger nach einem für die Bundesrepublik Deutschland wirksamen zwischen- oder überstaatlichen Abkommen gewährt werden. Nach ihrem Tatbestand setzt die Vorschrift mithin voraus, dass die Leistungen von einem Versicherungsträger erbracht werden. Für einen Versicherungsträger sind drei Merkmale wesentlich: Es muss sich erstens um einen eigenständigen Rechtsträger oder jedenfalls um eine verselbstständigte staatliche Einrichtung handeln. Die Einrichtung muss zweitens der Absicherung eines in seiner Gesamtheit schätzbaren Risikos oder Bedarfs durch die Verteilung auf eine organisierte Vielzahl von Beteiligten dienen (Prinzip der kollektiven Risikoübernahme bzw. Versicherungsprinzip). Drittens muss die Finanzierung grundsätzlich durch Beiträge der Beteiligten erfolgen (vgl. zu den Merkmalen einer Versicherung - bezogen auf den Begriff der Sozialversicherung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG - BVerfG, Beschluss vom 8.4.1987 - 2 BvR 909/82 u. a. -, [...] Rn. 95; Urteil vom 7.7.1992 - 1 BvL 51/86 u. a. -, [...] Rn. 115; ähnlich auch Plog/Wiedow, BBG, § 55 BeamtVG Rn. 248 <Stand der Bearbeitung: Juni 2011>). In welcher Form die Deckung erfolgt, welche Rechtsform gewählt wird, ob neben die Beitragsfinanzierung weitere Säulen der Finanzierung treten und ob es sich um ein System der verpflichtenden oder freiwilligen Versicherung handelt, ist demgegenüber für den Begriff des Versicherungsträgers nicht entscheidend.
Legt man dies zugrunde, ist die steuerfinanzierte und nicht auf der Organisation einer Vielzahl von Beteiligten in einem kollektiven Sicherungssystem beruhende OAS-Rente - insoweit ist dem Verwaltungsgericht zuzustimmen - keine Leistung eines Versicherungsträgers. Es handelt sich vielmehr um eine aus dem allgemeinen Staatshaushalt finanzierte staatliche Sozialleistung, die aufgrund ihrer Einkommensabhängigkeit im Ausgangspunkt der deutschen Grundsicherung im Alter gemäß §§ 8 Nr. 2, 41 ff. SGB XII vergleichbar ist. Eine Anrechnung derartiger Leistungen ist - das zeigt auch § 55 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG - dem Versorgungsrecht fremd.
Soweit die Beklagte demgegenüber meint, für die Anwendbarkeit des § 55 Abs. 8 BeamtVG genüge es, dass es sich um eine Leistung handele, die aus einem aus öffentlichen Kassen finanzierten Alterssicherungssystem erbracht werde und den Zweck einer Altersrente erfülle, ist dies mit dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 55 Abs. 8 BeamtVG nicht zu vereinbaren. Die Vorschrift spricht nicht allgemein von Leistungen eines "Sozialleistungsträgers" oder "Versorgungsträgers", sondern explizit von Leistungen eines "Versicherungsträgers". An die damit einher gehenden Beschränkungen sind Verwaltung und Gerichte gebunden. Die Entscheidung, ob über die gegenwärtige Regelung hinaus rechtspolitische Gründe dafür sprechen, auch Leistungen aus steuerfinanzierten Alterssicherungssystemen anzurechnen, obliegt allein dem Gesetzgeber.
Handelt es sich demnach bei der kanadischen OAS-Rente nicht um die Leistung eines Versicherungsträgers, kommt es auf die - wohl berechtigten - Einwände der Beklagten gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Leistung werde nicht nach einem für die Bundesrepublik Deutschland wirksamen zwischen- oder überstaatlichen Abkommen gewährt, nicht mehr an (vgl. zu diesem Merkmal Nds. OVG, Beschluss vom 9.1.2001 - 2 L 4192/00 -, [...] Rn. 18 f.).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).