Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 23.01.2018, Az.: S 42 KR 182/16

Erstattung von Kosten einer sog. Fettschürzenresektion eines Versicherten durch die Krankenkasse

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
23.01.2018
Aktenzeichen
S 42 KR 182/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 13154
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

  1. 1.

    Der Bescheid vom 13.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.03.2016 wird aufgehoben.

  2. 2.

    Die Beklagte wird verurteilt, 5.712,00 EUR an die Klägerin zu zahlen.

  3. 3.

    Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand

Streitig ist die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die Kosten einer sog. Fettschürzenresektion zu erstatten. Die A. geborene Klägerin ist Krankenschwester und bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie hat in der Zeit von November 2013 bis Spätsommer 2015 46 kg abgenommen und wiegt seither bei einer Größe von 170 cm 73,5 Kg (Body Mass Index (BMI) 25,43). Nachdem die Beklagten im Jahr 2014 einen Antrag auf Bewilligung einer Fettschürzenresektion ablehnte, beantragte die Klägerin am 10.06.2015 unter Beifügung einer ärztlichen Empfehlung des Chirurgen Dr. D. erneut die Kostenübernahme der Fettschürzenresektion bei der Beklagten. Die Beklagte kontaktierte den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK), der mit Stellungnahme vom 09.07.2015 unter Berufung auf die Untersuchung im Jahr 2014 und Zugrundelegung eines Gewichts von 77 kg (BMI 26,64) feststellte, die Haut sei ausweislich des behandelnden Arztes Dr. D. durch gute Pflege reizlos und eine zu befürchtende optische Entstellung durch Mieder kompensierbar. Anzustreben sei das Idealgewicht, das bei einem BMI von 21-23 liege. Die vorgelegten Fotos ergäben keine Entstellung mit Krankheitswert im Rechtssinne. Mit Bescheid vom 13.07.2015 lehnte die Beklagte sodann unter Berufung auf den MDK den Antrag ab. Hiergegen legte die Klägerin unter Beibringung einer weiteren ärztlichen Stellungnahme Widerspruch ein. Zu dessen Begründung macht sie insbesondere geltend, der Bauchüberschuss sei gerade nicht mit normaler Konfektionskleidung abzudecken und falle jedem Mitmenschen störend ins Auge. Unter Zugrundelegung weiterer Stellungnahmen des MDK vom 29.09.2015 und 21.12.2015 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.03.2016 zurück. Hiergegen hat die Klägerin am 04.04.2016 Klage erhoben. Am 13.01.2017 hat die Klägerin die Fettschürze im D-Stadt durch Dr. D. entfernen lassen. Hierfür sind ausweislich der Rechnung vom 03.02.2017 Kosten in Höhe von 5.712,00 entstanden, die von der Klägerin beglichen wurden. Zur Begründung der Klage trägt sie im Wesentlichen ergänzend vor, die Hautfalten seien so ausgeprägt gewesen, dass sich trotz bester Pflege ständig Schweiß und dadurch auch Geruch gebildet habe. Wegen der im Krankenhaus obligatorischen Berufskleidung habe dies immer wieder zu Problemen auch innerhalb des Kollegenkreises geführt, Überdies seien dadurch die Möglichkeiten, die Hautfalten optisch zu kaschieren eingeschränkt gewesen. Die psychischen Beeinträchtigungen und das Vermeideverhalten seien immer stärker geworden.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

den Bescheid der Beklagten vom 13.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.03.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.712,40 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die angefochtenen Bescheide und deren Begründungen sowie insbesondere auf die Ausführungen des MDK. Das Gericht hat einen Befundbericht von Dr. D. vom 01.12.2016 eingeholt, hinsichtlich dessen Ergebnisses auf Blatt 31 f. der Gerichtsakte verwiesen wird. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die von der Beklagten beigezogene Verwaltungsakte verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13.07.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.03.2016 ist rechtswidrig und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin die für die Fettschürzenresektion gezahlten 5.712,- EUR zu erstatten. Der Kostenerstattungsanspruch richtet sich nach § 13 Abs. 3 Satz 1 des Sozialgesetzbuches (SGB) V. Konnte nach dieser Vorschrift die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entsprechenden Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Hier hat die Beklagte die Leistung zur Unrecht abgelehnt; denn die Fettschürzenresektion wäre im Fall der Klägerin bereits als Sachleistung zu bewilligen gewesen. Die Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) setzt nach § 27 Absatz 1 Satz 1 SGB V eine Krankheit voraus. Damit wird ein regelwidriger, vom Leitbild eines gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand umschrieben, welcher der ärztlichen Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Dabei kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert im Rechtssinne vor; die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hat diese Grundvoraussetzung für die krankenversicherungs-rechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingegen präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (BSG, Urteil vom 19.10.2004, Aktenzeichen: B 1 KR 3/08 R; sowie Urteil vom 28.02.2008, Aktenzeichen: B 1 KR 19/07 R). Unstreitig begründen im zu entscheidenden Fall weder Hautveränderungen, noch eine krankheitswertige Adipositas oder eine mit der Fettschürze verbundene körperliche Fehlfunktion eine Operationsindikation bzw. die nachgehende Kostenerstattung. Ebenso wenig begründet - grundsätzlich - psychischer Leidensdruck die Rechtfertigung für einen operativen Eingriff (vgl. hierzu LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 10.07.2017, Az.: L 16 KR 13/17 unter Verweis auf BSG). Die Größe und das Erscheinungsbild der Fettschürze bewirkten jedoch eine Entstellung. Um eine solche annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anomalität. Vielmehr muss es sich nach der Rechtsprechung objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegenden Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier und Betroffenheit hervorruft und damit zugleich erwarten lässt, dass die Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Betrachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen droht, sodass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.). Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein, sodass sich diese schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt (vgl. BSG, Urteil vom 28.02.2008, B 1 KR 19/07 R). Diese Entstellung kann nicht durch einen Sachverständigen festgestellt werden, maßgeblich ist vielmehr der unmittelbare Eindruck des Gerichts, den es sich durch Augenschein zu verschaffen hat (LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O. unter Hinweis auf BSG SozR 3-1750 § 372 ZPO Nr.1). Abzustellen ist auf das Erscheinungsbild in üblicher Alltagskleidung, nicht jedoch auf den unbekleideten Zustand. Die Kammer konnte sich aufgrund der Inaugenscheinnahme der Fotodokumentation (Blatt 35- 38 d. Gerichtsakte) - Zustand vor Operation - davon überzeugen, dass die überschüssige Haut im Bereich des Bauches im individuellen Fall der Klägerin entstellend gewesen ist. Bei wertender - objektiver - Betrachtungsweise ist das Erscheinungsbild der Klägerin ungewöhnlich und zur Überzeugung der Kammer gerade nicht mehr innerhalb der Normvarianz (gewesen). Angesichts des ansonsten schlanken Erscheinungsbildes der Klägerin ist das Herunterhängen der Hautschürze in mindestens zwei Falten und dies deutlich über den Hosenbund außergewöhnlich prominent. Für die Kammer erscheint die subjektive Wahrnehmung der Klägerin, die diese im Rahmen des Termins zur mündlichen Verhandlung geschildert hat, sie sei ständig im Alltag und nicht nur im Rahmen von unvermeidbaren Umkleidesituationen neugierigen Blicken ausgesetzt gewesen, absolut plausibel. Angesichts der obligaten Berufskleidung als Stationsschwester im Krankenhaus waren die Möglichkeiten der Klägerin, die Hautfalten zu kaschieren, zusätzlich begrenzt. Da Kosten nicht in Höhe von beantragten 5.712,40 EUR, sondern ausweislich Blatt 45 der Gerichtsakte nur in Höhe von 5.712,- EUR angefallen sind, war die Klage hinsichtlich 0,40 EUR abzuweisen gewesen. Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens. Das geringe Unterliegen der Klägerin (0,40 EUR) wirkt sich bei der Kostenentscheidung nicht aus.