Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 02.08.2018, Az.: S 2 VE 10/17

Gewährung von Elternrente durch den Tod des Geschädigten als Folge der anerkannten Schädigung (hier: Gehirnentzündung (Enzephalitis) infolge einer Pockenschutzimpfung)

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
02.08.2018
Aktenzeichen
S 2 VE 10/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 35405
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

  1. 1.

    Der Bescheid des Beklagten vom 15.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2017 wird abgeändert.

  2. 2.

    Es wird festgestellt, dass der Tod des Sohnes der Klägerin, des Geschädigten Herrn E., geboren am F ...1964, verstorben am 2016, Folge der anerkannten Schädigung ist.

  3. 3.

    Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin dem Grunde nach einen Anspruch auf Elternrente zu gewähren. 4. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Elternrente streitig.

Die am G. geborene Klägerin ist die Mutter des am H ...2016 verstorbenen Herrn E., geboren am F ...1964 (im Folgenden: Geschädigter).

Der Geschädigte erlitt im 2. Lebensjahr eine Gehirnentzündung (Enzephalitis) infolge einer Pockenschutzimpfung. Mit Bescheid vom 15.04.1966 wurde als Impfschaden ein Hirnschaden mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 % im Sinne der §§ 51 ff. Bundes-Seuchenschutzgesetz anerkannt. Als Schädigungsfolgen wurden eine Hirnleistungsschwäche sowie eine teilweise Lähmung aller Gliedmaßen anerkannt. Zunächst wurde eine Pflegezulage nach der Stufe I gewährt, ab dem 01.11.1980 nach der Stufe II, ferner eine Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe VI.

Mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 16.10.1990 wurde ausgeführt, dass bei dem Geschädigten als Folge der anerkannten Schädigungsfolgen erhebliche cerebrale Bewegungsstörungen sämtlicher Extremitäten bestünden, infolge derer der Geschädigte häufig hinfalle. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 20.03.1997 wurde beschrieben, dass der Geschädigte aufgrund der hochgradigen geistigen Behinderung nicht das Niveau eines Zweijährigen erreiche. Der Geschädigte könne nicht sprechen und nicht lesen, nur einige tierische Laute von sich geben und grimassieren. Er könne sich kaum bemerkbar machen, wenn er einen Wunsch habe. Mit Bescheid vom 01.04.1997 wurde ab dem 01.04.1996 eine Pflegezulage nach Stufe IV gewährt.

Am 02.07.2007 erfolgte eine neurologische Untersuchung im I. durch den Neurologen Dr. J ... Nach seinem Bericht vom 09.07.2007 war der Geschädigte zu Beginn seiner Erkrankung aufgrund epileptischer Anfälle mit Mylepsinum behandelt worden. Hierunter traten keine weiteren Anfälle mehr auf, so dass die antikonvulsive Behandlung ab dem 8. Lebensjahr beendet wurde. 1985 war von den Eltern ein schlafgebundener generalsiert tonisch klonischer Anfall beobachtet worden, weshalb wieder eine antikonvulsive Behandlung mit Timonil eingeleitet wurde. Zuletzt war es am 11.06.2007 in einer Kurzzeitpflegeeinrichtung zu einem erneuten, offenbar fokal mit Zuckungen im Bereich der oberen Extremitäten eingeleiteten, dann sekundär generalsiert tonisch klonischen Anfall gekommen. Eine Behandlung mit Lamotrigin wurde eingeleitet. Bei der Nachuntersuchung am 22.04.2008 wurden hierunter weitere Anfälle verneint, am 10.02.2008 trat erneut ein links fokal motorisch eingeleiteter Anfall auf (Bericht vom 19.05.2009).

Am 31.11.2008 erfolgte durch Frau Dr. eine Hausuntersuchung zur Nachprüfung der Schädigungsfolgen. Sie führte aus, dass sich seit dem letzten maßgeblichen Bescheid erneut ein cerebrales Anfallsleiden manifestiert habe, dass auch medikamentös behandelt werde. Die intellektuelle Beeinträchtigung sei schwerster Natur. Es bestünde keinerlei Sprechfähigkeit und nur ein minimales Sprachverständnis. Auch die motorischen Möglichkeiten seien sehr eingeschränkt. Im Rahmen ihrer Untersuchung befand sie als schädigungsunabhängige Erkrankungen nur eine Pollenallergie und eine Reflexoesophagitis. Die Untersuchung der Lunge und des Herzens ergab keine Auffälligkeiten.

Mit Bescheid vom 28.11.2008 wurde als Folge der Gehirnentzündung nach Pockenschutzimpfung eine Hirnleistungsschwäche mit Sprechunfähigkeit, eine teilweise Lähmung aller Gliedmaßen sowie ein cerebrales Anfallsleiden anerkannt und ab dem 01.07.2008 eine Pflegezulage nach der Stufe V gewährt, ferner weiterhin neben der Grundrente eine Schwerstgeschädigtenzulage der Stufe VI, eine Ausgleichsrente sowie ein Berufsschadensausgleich. Ab dem 01.12.2008 schloss die Klägerin einen Pflegearbeitsvertrag mit ihrem Ehemann ab. Ab diesem Zeitpunkt wurde sodann zusätzlich eine Erhöhung der Pflegezulage gewährt.

Im Rahmen einer neurologischen Nachuntersuchung am 15.09.2009 im Klinikum Emden gab die Klägern eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes des Geschädigten an. Das Auftreten weiterer Anfälle wurde verneint. Bei der Vorstellung am 23.08.2011 wurde seltene Anfälle angegeben. Zuletzt sei es am 03.01.2011 zu Zuckungen im Bereich der linken Extremität mit generalisierter tonischer Anspannung und kurzer Phase der Bewusstseinsstörung gekommen. Im Rahmen von Vorstellungen am 08.11.2012 und 14.08.2013 bei dem Neurologen Dr. L. gab die Klägern weiterhin fokal beginnende, sekundär generaliserte Anfälle an. Auch im Rahmen einer Unterbringung des Geschädigten im M. sei zweimal ein zerebraler Krampfanfall aufgetreten. Die Behandlung mit Lamotrigin wurde fortgesetzt.

Ab dem 29.01.2015 wurde der Beschädigte in einem Wohnheim für behinderte Menschen in N. untergebracht. Die Zahlung der erhöhten Pflegezulage wurde daraufhin eingestellt.

Vom 10.03.2015 bis 11.03.2015 befand sich der Geschädigte in stationärer Behandlung im O., nachdem dem betreuenden Pflegepersonal im P. eine Reihe von fokalen Anfällen sowie auch ein generalisierter epileptischer Anfall aufgefallen war. Als Anfallstrigger-Faktoren wurden Schlafstörungen mit aktuellem Schlafentzug angenommen. Es erfolgte eine Erhöhung der Medikation. Bei einer Untersuchung am 12.09.2015 bei dem Neurologen Dr. L. gab die Klägerin an, dass die Krankenschwester über unkontrollierte Zuckungen ohne generalisierte Krampfanfälle berichtet habe. Die Ereignisse würden sporadisch und mit unterschiedlichen Latenzen auftreten.

Vom 11.12.2015 bis 18.12.2015 befand sich der Kläger erneut in stationärer Behandlung im O ... Die Klägerin gab an, dass der Geschädigte seit der Unterbringung im Heim Zuckungen im Bereich der Arme und im ganzen Körper habe. Inzwischen würde etwa ein Anfallsereignis pro Woche auftreten, häufig in Serien, mit zum Teil mehrere Stunden anhaltender Symptomatik, jedoch ohne Grand-Mal-Symptomatik. Der internistische Aufnahmebefund ergab einen reduzierten Allgemein- und guten Ernährungszustand. Die Herztöne waren rein, die Herzaktion rhythmisch. Die Untersuchung der Lungen ergab ein vesikuläres Atemgeräusch ohne Rasselgeräusche. Es bestand eine regelrechte Peristatik, die Pulse waren beidseits gut tastbar. Das Langzeit-EEG zeigte keine regionale Funktionsstörung und keine epilepsietypischen Potentiale, das MRT wies starke strukturelle Veränderungen auf. Klinisch wurden während der stationären Bedingungen keine erneuten Myoklonien beobachtet. Die Medikation wurde erweitert. In dem Entlassungsbericht vom 29.12.2015 wurde ausgeführt, dass nicht ausgeschlossen sei, dass ein Teil der Symptome nicht epileptisch, sondern Folge der generalisierten Tonusstörung mit dystonen und spastischen Komponenten sei.

Der Geschädigte verstarb am H ...2016. In der Todesbescheinigung gab der feststellende Arzt Dr. an, der Geschädigte sei leblos in Bauchlage im Bett aufgefunden worden. Er äußerte den Verdacht auf einen cerebralen Krampfanfall mit Asphyxie.

Mit Schreiben vom 05.09.2016 berichtete die Abteilungsleiterin des Wohnheims über den Verlauf der letzten zwei Wochen vor dem Tod sowie über das Auffinden des Geschädigten. In den letzten 14 Tagen vor dem Tod hatte es keine besonderen Vorkommnisse gegeben, keine Stürze, kein Unwohlsein oder andere Auffälligkeiten. Am Todestag sei der Beschädigte vom Nachtdienst gewindelt und gelagert worden. Eine halbe Stunde später habe die Mitarbeiterin den Geschädigten gehört und gesehen, dass er sich auf den Bauch gedreht hatte. Mit Hilfe einer Kollegin sei er wieder auf den Rücken gelagert worden und dann eingeschlafen. Jede Stunde sei ein Kontrollgang durchgeführt worden. Beim letzten Rundgang um 5:45 Uhr habe der Geschädigte wach im Bett gelegen, seine Bettdecke habe auf dem Boden gelegen. Es sei vom Nachtdienst zugedeckt worden. Als eine Mitarbeiterin den Geschädigten gegen 7.30 Uhr habe wecken wollen, habe sie ihn leblos und rotblau angelaufen im Bett vorgefunden. Es seien Maßnahmen zur Reanimation durchgeführt worden, die ca. 20 Minuten später eingestellt worden seien.

Am 24.06.2016, 18.08.2016 und 14.10.2016 nahm Frau Dr. gutachtlich Stellung. Sie führte aus, dass es möglich, aber nicht hinreichend sicher sei, dass der Geschädigte an einem cerebralen Anfall im Rahmen seiner anerkannten Schädigungsfolgen verstorben sei. Ferner sei es möglich, aber nicht hinreichend sicher, dass der Tod darauf zurückzuführen sei, dass sich der Beschädigte bei auftretenden Beschwerden nicht habe melden können. Es müsse letztlich offenbleiben, woran der Beschädigte konkret verstorben sei.

Die Klägerin beantragte die Zahlung von Sterbegeld und Bestattungsgeld und legte eine Rechnung für die Bestattung des Geschädigten in Höhe von 5.723,79 Euro vor.

Der Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 26.10.2016 ein Bestattungsgeld nach § 60 Infektionsschutzgesetz (IfSG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Höhe von 838,00 Euro. Die Gewährung eines höheren Sterbegeldes lehnte der Beklagte mit der Begründung ab, dass der Tod nicht die Folge einer Schädigung im Sinne des IfSG sei. Ein Sterbegeld nach § 37 BVG stünde nicht zu, weil die Klägerin mit dem Geschädigten zur Zeit des Todes nicht in häuslicher Gemeinschaft gelebt habe. Eine Prüfung der Ermessensvorschrift des § 37 Abs. 3 BVG im Hinblick darauf, dass die Klägerin die Kosten der Bestattung getragen hat, erfolgte offenbar nicht.

Mit Schreiben vom 30.01.2017 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente. Sie habe ihn als Mutter 52 Jahre lang gepflegt.

Mit Bescheid vom 15.05.2017 gewährte der Beklagte der Klägerin ab dem 01.05.2016 einen Pflegeausgleich. Einen Anspruch auf Elternrente gem. § 60 IfSG in Verbindung mit dem BVG lehnte der Beklagte ab, weil der Tod nicht Folge der Schädigung gewesen sei. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.2017 als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die am 13.07.2017 vor dem Sozialgericht Osnabrück erhobene Klage.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

  1. 1.

    den Bescheid des Beklagten vom 15.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2017 abzuändern,

  2. 2.

    festzustellen, dass der Tod des Sohnes der Klägerin, des Geschädigten Herrn R., verstorben am H ...2016, Folge der anerkannten Schädigung ist,

  3. 3.

    den Beklagten zu verurteilen, ihr Elternrente zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf die ärztlichen gutachtlichen Stellungnahmen der Frau Dr. K. vom 16.05.2018 und 04.07.2017, auf die Bezug genommen wird. Es sei nicht mit notwendigem Vollbeweis nachgewiesen, dass dem Tod des Geschädigten ein cerebraler Krampfanfall vorausgegangen ist. Es seien alternative Krankheitsverläufe in Erwägung zu ziehen.

Die Kammer hat im vorbereitenden Verfahren ein Gutachten der Neurologin Dr. S ... vom 29.04.2018 eingeholt, auf das Bezug genommen wird.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt (Schriftsätze vom 09.07.2018 und 17.07.2018).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Die Klage ist auch begründet. Denn der Tod des Geschädigten ist Folge der anerkannten Schädigung, so dass die Klägerin dem Grunde nach Anspruch auf Gewährung einer Elternrente hat.

Wer durch eine gesetzlich vorgeschriebene, durch eine aufgrund dieses Gesetzes angeordnete, durch eine von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlene und in ihrem Bereich vorgenommene oder durch eine auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführte Schutzimpfung oder eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe (§ 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG) eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei anderen Maßnahmen Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG, soweit das IfSG nichts Abweichendes bestimmt.

Nach § 60 Abs. 4 ISfG erhalten die Hinterbliebenen eines Geschädigten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Zum Versorgungsanspruch zählt auch der Anspruch auf Elternrente, wenn der Geschädigte an den Folgen der Schädigung stirbt (§§ 9 Nr. 5, 38, 49, 50, 51 BVG). Anspruchsberechtigt sind die Eltern (§ 49 Abs. 1 BVG).

Der Elternversorgung nach dem BVG liegt - wie auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung - der Gedanke der Bestreitung des Unterhalts zugrunde. Elternrente erhält, wer voll erwerbsgemindert oder erwerbsunfähig im Sinne des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches ist oder das 60. Lebensjahr vollendet hat (§ 50 BVG). Gemäß § 38 BVG haben die Witwe, die Waisen und die Verwandten der aufsteigenden Linie Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente, wenn ein Beschädigter an den Folgen einer Schädigung verstorben ist. Bei der Elternrente handelt es sich um eine einkommensabhängige Leistung. Daher tritt die Verpflichtung zur Versorgungsleistung dann zurück, soweit Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt werden (Rohr/Sträßer/Dahm, Kommentar zum BVG, § 51 Rdnr. 3 m.w.N.).

Der Tod gilt dann als Folge einer Schädigung, wenn der Geschädigte an einem Leiden stirbt, welches als Folge einer Schädigung rechtsverbindlich anerkannt und für das ihm im Zeitpunkt des Todes eine Rente zuerkannt war (§ 38 Abs. 1 Satz 2 BVG).

Bei dem Geschädigte war nach einer Pockenschutzimpfung im 2. Lebensjahr ein Impfschaden im Sinne des § 60 ISfG mit der Folge einer Gehirnentzündung und nachfolgender Hirnleistungsschwäche mit Sprechunfähigkeit, teilweiser Lähmung aller Gliedmaßen sowie eines cerebralen Anfallsleidens anerkannt (Bescheid vom 28.11.2008). Er erhielt zum Zeitpunkt seines Todes eine Grundrente, eine Kleiderverschleißpauschale, eine Pflegezulage, eine Schwerstbeschädigtenzulage, eine Ausgleichsrente sowie einen Berufsschadenausgleich (vgl. zuletzt den Bescheid vom 22.06.2015). Die T. geborene Klägerin ist die Mutter des Geschädigten und hat das 60. Lebensjahr bereits vollendet.

Zur Überzeugung der Kammer ist entgegen der Ansicht des Beklagten die anerkannte Schädigungsfolge ursächlich für den Tod des Geschädigten gewesen.

In der Todesbescheinigung vom H ...2016 ist als Todesursache der Verdacht auf einen cerebralen Krampfanfall mit Asphyxie geäußert worden. Ein cerebrales Anfallsleidens ist als Schädigungsfolge anerkannt gewesen. Die Rechtsvermutung des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG setzt voraus, dass der Geschädigte an seinem Rentenleiden verstorben ist. Die Rechtsvermutung bezieht sich daher allein auf die Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen anerkanntem Schädigungsleiden und dem Tod des Geschädigten. Sie gilt jedoch nur dann, wenn ein Leiden, für das dem Geschädigten im Zeitpunkt des Todes eine Rente zuerkannt war, den Tod versursacht hat, d.h. wenn das Todesleiden dem Schädigungsleiden entspricht. Daher muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob der Tod des Geschädigten mit dem anerkannten Schädigungsleiden im ursächlichen Zusammenhang steht (Rohr/Sträßer/Dahm, Kommentar zum BVG, § 38 Rdnr. 4 m.w.N.).

Damit zählt die positive Feststellung, dass dem Tod des Geschädigte ein cerebrales Anfallsleiden vorausging, zu der anspruchsbegründenden Tatsache, die des Vollbeweises bedarf. Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht erforderlich, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch noch zweifelt, d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (Urteil des BSG vom 05.05.1993 - Az.: 9/9a RV 1/92 -, SozR 3-3100 § 38 Nr. 2, zitiert nach juris.). Vollbeweis bedeutet daher nicht, dass keinerlei Alternativursachen in Betracht kommen könnten. Eine Tatsache ist vielmehr bereits dann bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG, Urteil vom 08.08.2001, Az.: B 9 V 23/01 B). Dabei darf und muss sich der Richter in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, die den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Rein theoretische Zweifel, die immer vorliegen können, schaden daher nicht (vgl. hierzu BSG, Urteile vom 31.01.2012, Az.: B 2 U 2/11 R; vom 02.02.1978, Az.: 8 RU 66/77). Liegt tatsächlich eine unzureichende Aufklärbarkeit der Natur des Todesleidens vor, geht dies nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin.

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist der Ablauf eines cerebralen Krampfanfalls vor dem Tod des Geschädigten mit dem erforderlichen, aber auch ausreichenden Beweisgrad der "an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" feststellbar, so dass gem. § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG der Tod des Geschädigten als Folge der anerkannten Schädigungsfolge gilt.

Die Kammer stützt sich auf das Gutachten der Sachverständigen Frau Dr. S ... vom 29.04.2018. Frau Dr. S ... hat schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass ein SUDEP (Sudden Unexpexted Death in Epilepsy) vorgelegen hat. Frau Dr. E. hat ihre Auffassung, dass ein plötzlicher unerwarteter Tod bei Epilepsie (SUDEP) zum Tod des Geschädigten infolge eines nächtlichen Krampfanfalls geführt hat, nicht nur mit der aktuellen Studienlage zum SUDEP begründet, sondern schlüssig und nachvollziehbar auch mit Art und Ausmaß der Epilepsie-Erkrankung, die bei dem Geschädigten bestanden hat.

SUDEP ist der plötzliche und unerwartete Tod von Epilepsie-Patienten, der sich durch keine andere Ursache erklären lässt. Patienten mit häufigen generalisierten tonisch-klonischen Anfällen sind besonders gefährdet, ferner auch Patienten mit schlafgebundenen Anfällen und/oder mehr als zwei generalisierten tonisch-klonischen Anfällen pro Jahr. Zudem sind auch ein früher Beginn der Erkrankung und ein langer Krankheitsverlauf mit einem erhöhten Risiko vergesellschaftet; Männer sind wahrscheinlich gefährdeter als Frauen. Es wird nach der aktuellen Studienlage vermutet, dass der SUDEP in den meisten Fällen eine tödliche Komplikation epileptischer Anfälle ist, die nach den bisherigen Erkenntnissen auf einer Beeinträchtigung der Herz- und Atmungstätigkeit in der frühen Phase nach generalisierten tonisch-klonischen Anfällen beruht. Die anfallsbedingte Suppression der Herz- und Kreislauftätigkeit endet mit einem finalen Herz-/Kreislaufstillstand.

Bei dem Geschädigten waren schlafgebundene Anfälle bekannt, die trotz medikamentöser Einstellung schlecht kontrollierbar waren. Im Jahr 2013 wurden zwei cerebrale Anfälle im Pflegeheim beobachtet. Seit 2015 hat die Epilepsie bezüglich ihrer Schwere und ihrer Häufigkeit zugenommen. Im März 2015 und Dezember 2015 wurden stationäre Behandlungen wegen Anfälle erforderlich. Dem betreuenden Pflegepersonal im Christophorus-Werk war eine Reihe von fokalen Anfällen sowie auch ein generalisierter epileptischer Anfall aufgefallen. Später trat etwa ein Anfallsereignis pro Woche auf, häufig in Serien, mit zum Teil mehrere Stunden anhaltender Symptomatik, jedoch ohne Grand-Mal-Symptomatik. Die Medikation wurde deutlich erhöht, trotzdem waren die Anfälle nicht unter Kontrolle. Diagnostiziert wurde eine Epilepsie mit seltenen, z.T. schlafgebundenen tonisch-klonischen Anfällen, einfach fokal motorischen Anfällen und symptomarmen komplex-fokalen Anfällen. Damit hat ein hohes Risiko für den Eintritt eines SUDEK bestanden, welches sich in dem Jahr vor Eintritt des Todes aufgrund der Zunahme der Anfälle erhöht hat. Zudem hat die Erkrankung bereits in der Kindheit begonnen und es hat ein langer Krankheitsverlauf vorgelegen.

Schließlich spricht nicht nur das Geschlecht des Geschädigten für einen SUDEK, sondern auch die Auffinde-Situation. Frau Dr. S ... hat darauf hingewiesen, dass 75 % der SUDEK-Patienten in Bauchlage vorgefunden werden, als mögliche Erklärung wird eine Behinderung der Atmung durch die Bauchlage diskutiert. Nach der Todesbescheinigung wurde der Geschädigte in Bauchlage aufgefunden. Nach dem Bericht der Abteilungsleiterin des Wohnheims vom 05.09.2016 hatte sich der Geschädigte schon einige Stunden vor dem Tod auf den Bauch gedreht. Er war dann von den Pflegekräften wieder auf den Rücken gelagert worden und war wieder eingeschlafen. Beim letzten Rundgang um 5:45 Uhr lag er wach im Bett, seine Bettdecke befand sich auf dem Boden. Gegen 7.30 Uhr wurde er in Bauchlage leblos und rotblau angelaufen im Bett vorgefunden. Daher ist er in den frühen Morgenstunden verstorben, somit zu einem Zeitpunkt, zu dem sich schlafgebundene Anfälle typischerweise ereignen, worauf Frau Dr. S ... hingewiesen hat. Aufgrund der Schädigungsfolgen konnte sich der Geschädigte nicht selbständig bemerkbar machen.

Schließlich sind keine anderen Erkrankungen bekannt, durch die sich der Tod des Geschädigten nachvollziehbar erklären lässt.

Zwar führt Frau Dr. U. in ihren gutachtlichen Stellungnahmen allgemeine Erwägungen zu möglichen konkurrierenden Todesursachen an, insbesondere die Möglichkeit, dass ein Herzinfarkt zum Tode geführt habe. Diese träten gehäuft in den frühen Morgenstunden auf, das Risiko steige bei Männern ab dem 40. Lebensjahr. Gleichfalls sei ein akutes cerebrales Geschehen im Sinne eines Schlaganfalls oder einer Lungenembolie nicht auszuschließen.

Diese möglichen konkurrierenden Todesursachen sind jedoch - im Gegensatz zu der vorbestehenden Epilepsie - nicht nachgewiesen. Für deren Annahme gibt die Aktenlage auch keinen Anhalt. Frau Dr. S ... hat schlüssig und nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass es keine Hinweise dafür gibt, dass der Geschädigte ein Gefäßrisiko-Patient gewesen sein könnte. Ebenso sind keine Hinweise für Risiken einer fulminanten Lungenembolie ersichtlich. Im Rahmen der stationären Behandlung im Dezember 2015 - somit vier Monate vor dem Tod - sind die Herztöne sind rein gewesen, die Herzaktion war rhythmisch. Die Untersuchung der Lungen hat ein vesikuläres Atemgeräusch ohne Rasselgeräusche ergeben. Es hat eine regelrechte Peristatik bestanden, die Pulse sind beidseits gut tastbar gewesen. Nach dem Bericht der Abteilungsleiterin des Wohnheims vom 05.09.2016 haben auch in den letzten zwei Wochen vor dem Tod keine Besonderheiten vorgelegen, insbesondere auch kein Unwohlsein. Frau Dr. K. selbst hat im Rahmen ihrer Hausuntersuchung vom 31.11.2008 als schädigungsunabhängige Erkrankungen nur eine Pollenallergie und eine Reflexoesophagitis festgestellt. Auch bei ihrer Untersuchung der Lunge und des Herzens haben keine Auffälligkeiten bestanden.

Für eine von den Schädigungsfolgen unabhängige Krankheitsanlage bzw. ein von den Schädigungsfolgen unabhängiger Schaden, der zum Tod hätte führen können, bestehen somit keine Anhaltspunkte.

Frau Dr. S ... hat daher unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des konkreten Falls schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass aus ihrer Sicht der Geschädigte mit einem für das tägliche Leben brauchbaren Grad an Gewissheit am SUDEP und damit an den Folgen des Impfschadens gestorben ist.

Die Kammer schließt sich diesen Ausführungen an und sieht daher einen SUDEP als bewiesen an. Denn diese Todesursache ist für die Kammer unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles in so hohem Grade wahrscheinlich, dass hiermit für die Kammer die volle richterliche Überzeugung begründet wird. Es sprechen alle Argumente für einen SUDEP. Die von Frau Dr. U. vorgetragenen rein theoretischen Zweifel, die immer vorliegen können, schaden im vorliegenden Fall nicht, da es sich im Gegensatz zur nachgewiesenen Schädigungsfolge nicht um konkrete, auf die Person des Geschädigten bezogene Erwägungen handelt.

Die Klägerin hat daher Anspruch auf Elternrente. Da es sich hierbei jedoch - wie oben ausgeführt - um eine einkommensabhängige Leistung handelt, konnte nur eine Verurteilung dem Grunde nach erfolgen. Der Beklagte hat die entsprechenden Berechnungen durchzuführen.

Im Hinblick auf die Feststellung, dass der Tod Folge der Schädigung gewesen ist, regt die Kammer die Überprüfung des Bescheides vom 26.10.2016 hinsichtlich der Höhe des Bestattungsgeldes an. Im Hinblick darauf, dass die Klägerin die Kosten der Bestattung getragen hat, sollte auch die Gewährung von Sterbegeld nach § 37 Abs. 3 BVG überprüft werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.