Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 25.01.2018, Az.: S 8 U 272/14

Feststellung einer Berufskrankheit bei einem Paukisten wegen eines degenerativen Wirbelsäulenverschleißes mit Rundrückenbildung

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
25.01.2018
Aktenzeichen
S 8 U 272/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 65283
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung einer Berufskrankheit (BK) gemäß der Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) oder als "Wie"-BK nach § 9 Abs. 2 des 7. Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) im Zugunstenwege.

Der 1947 geborene Kläger ist von Beruf Musiker (Paukist). Seit 1976 bis Mai 2005 war er bei den Städtischen Bühnen B. beschäftigt. Die Betriebsärztin Dr. C. erstattete am 5. November 2002 eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit. U.a. sei bei dem Kläger ein degenerativer Wirbelsäulenverschleiß mit Rundrückenbildung festzustellen. Am 27. Oktober 2003 beantragte der Kläger, die Schädigung der Wirbelsäule mit erheblicher kyphotischer Verbiegung der Brustwirbelsäule und der mitbedingten berufsbedingten kyphotischen Verbiegung der Halswirbelsäule, insbesondere die Verengung des Spinalkanals als Berufskrankheit anzuerkennen. Diese Veränderungen seien auf die berufsbedingten Belastungen zurückzuführen.

Nach Durchführung der notwendigen Ermittlungen hinsichtlich der arbeitsmedizinischen und arbeitstechnischen Voraussetzungen der begehrten BK 2108 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. Februar 2004 die Feststellung der BK ab, weil im Falle des Klägers das erforderliche Krankheitsbild im Sinne bandscheibenbedingter Veränderungen der Wirbelsäule nicht festzustellen sei. Die Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankungen "Wie" eine BK im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB VII und eine entsprechende Entschädigung komme ebenso wenig in Betracht. Nach dem Ergebnis der Feststellungen im Ermittlungsverfahren lägen keine neuen medizinischen Erkenntnisse, wonach Wirbelsäulenbeschwerden, insbesondere Schädigungen im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule speziell bei Paukisten, die beruflich verursacht worden sein könnten, vor. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2004 als unbegründet zurück. Bei dem Kläger liege eine erhebliche anlagebedingte Aufbaustörung der Wirbelsäule mit massiv vermehrter Rundrückenbildung der Brustwirbelsäule und ausgeprägt verstärkter Ausgleichslordose der Hals- und der unteren Lendenwirbelsäule am Übergang zum Kreuzbein mit schwerer Haltungsinsuffizienz sowie kernspintomographischen nachgewiesenen Vorwölbungen der Bandscheiben C4/5 und C5/6 vor. Zudem bestehe bei dem Kläger der Verdacht auf eine Gleitwirbelbildung im Bereich L5/S1. Das erforderliche Krankheitsbild der BK 2108 finde sich bei dem Kläger nicht.

Mit Urteil vom 10. Juni 2010 wies das Sozialgericht Osnabrück (S 8/5 U 212/04) die hiergegen erhobene Klage zurück. Im Falle des Klägers sei das Krankheitsbild der begehrten BK nicht festzustellen. Auch die Voraussetzungen der Anerkennung der festgestellten Gesundheitsstörungen als "Wie"- BK gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII seien nicht anzunehmen, weil auch eine erneute Anfrage im laufenden Gerichtsverfahren bei dem ärztlichen Sachverständigenbeirat - Sektion Berufskrankheiten - beim Bundesministerium für Gesundheit und Soziales (BMGS) gezeigt habe, dass zur Frage der Verursachung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lenden- oder der Halswirbelsäule als Folge der Tätigkeit als Orchestermusiker keine neuen medizinischen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorlägen.

Die hiergegen erhobene Berufung vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen blieb erfolglos (Urteil vom 19. Dezember 2013). Die arbeitstechnischen wie auch die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen der begehrten BK lägen im Falle des Klägers nicht vor. Insbesondere vermochte auch der Senat nicht festzustellen, dass der Kläger relevante Hebe- und Tragebelastungen ausgeführt habe. Auch die bei dem Kläger während des Spiels eingenommene Zwangshaltung mit Vorbeugung des Oberkörpers beim Sitzen hinter der Pauke erfülle nicht die Einwirkungen der BK Nr. 2108. Darüber hinaus seien die von dem Kläger geklagten Beschwerden in Form der kyphotischen Verbiegung der Halswirbel- und Brustwirbelsäule mit Verengung des Spinalkanals nicht vom ausdrücklichen Wortlaut der BK Nr. 2108 erfasst. Die bei dem Kläger vorliegenden Wirbelsäulenbeschwerden stellten auch keine "Wie"-BK im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB VII dar. Es könne nicht wahrscheinlich gemacht werden, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen, denen alle Paukisten bzw. Musiker ausgesetzt seien und der von dem Kläger geltend gemachten Erkrankung der Wirbelsäule in Form einer kyphotischer Verbiegung der Hals- und Brustwirbelsäule mit Verengung des Spinalkanals bestehe. Wissenschaftliche Erkenntnisse hierüber bestünden nicht. Soweit einzelne Mediziner die Verursachung der bei dem Kläger vorliegenden Erkrankungen durch eine Paukistentätigkeit für plausibel und wahrscheinlich hielten, reiche dies nicht aus, um medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse anzunehmen, weil diese einzelne Auffassung nicht als eine sogenannte herrschende Meinung gelte.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 9. Dezember 2013 verwarf das Bundessozialgericht (B 2 U 31/14 B) mit Beschluss vom 12. Mai 2014 als unzulässig. Die anschließende Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss des Senates vom 12. Mai 2014 verwarf der Senat mit Beschluss vom 9. Juli 2014 (B 2 U 8/14 C).

Am 2. Juli 2014 beantragte der Kläger die Rücknahme des Verwaltungsaktes vom 11. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juli 2004, weil entgegen der Auffassung der Beklagten nach seiner Auffassung die Voraussetzungen für die Feststellung der BK 2108 vorlägen, zumindest aber die bei ihm vorliegenden Erkrankungen der Wirbelsäule als sogenannte "Wie"-BK festzustellen seien. Entsprechende Ermittlungen hierzu habe die Beklagte in ausreichendem Umfang nicht durchgeführt.

Mit Bescheid vom 15. Juli 2014 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 11. Februar 2004 ab, weil die Voraussetzungen für die Rücknahme gemäß § 44 SGB X nicht vorlägen. Die arbeitstechnischen und arbeitsmedizinischen Voraussetzungen der BK Nr.2108 sowie auch die Voraussetzungen einer sogenannten "Wie"-BK seien erneut geprüft worden. Weder das Krankheitsbild der BK Nr. 2108 noch die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zwischen schädigenden Einwirkungen und dem bei dem Kläger vorliegenden Krankheitsbild (§ 9 Abs. 2 SGB VII) sei festzustellen.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2014 als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die am 8. November 2014 vor dem erkennenden Gericht erhobene Klage, mit der der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er ist der Auffassung, dass der Bescheid vom 11. Februar 2004 rechtswidrig und daher zurückzunehmen sei und im Falle des Klägers im Zugunstenwege die Feststellung der begehrten BK Nr. 2108 hilfsweise die Feststellung des bei ihm vorliegenden Krankheitsbildes als "Wie"-BK festzustellen sei.

Der Kläger beantragt:

  1. 1.

    Den Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober 2014 aufzuheben und den Bescheid vom 11. Februar 2004 zurückzunehmen,

  2. 2.

    festzustellen, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 2108 BK V, hilfsweise die Voraussetzungen der Annahme einer "Wie" -BK im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB VII festzustellen.

Die Beklagte beantragt:

Die Klage abzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Bescheid für zutreffend. Die Rücknahmevoraussetzungen des § 44 SGB X lägen im Falle des Klägers nicht vor. Die Beklagte hat unter Berücksichtigung der vorangegangenen Rechtsprechung sowie auf der Grundlage der aktuellen einschlägigen Literatur die Rücknahme des Bescheides vom 11. Februar 2004 zu Recht abgelehnt. Neue Gesichtspunkte, die für die Annahme der BK 2108 sprächen seien nicht vorgetragen. Auch die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII sei nach wie vor nicht anzunehmen.

Außer der Prozessakte haben die den Kläger betreffenden BK-Akten der Beklagten sowie die umfangreichen Parallelprozessakten nebst den entsprechenden Unfallakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Akten und Beiakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Gemäß § 136 Abs. 3 SGG

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid vom 15. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober 2014 zu Recht abgelehnt, den Bescheid vom 11. Februar 2004 zurückzunehmen, weil die Rücknahmevoraussetzungen des § 44 SGB X nicht vorliegen. Der ablehnende Bescheid vom 11. Februar 2004 erweist sich nicht als rechtswidrig, sodass eine Rücknahme gemäß § 44 SGB X ausgeschlossen ist. Die arbeitstechnischen und arbeitsmedizinischen Voraussetzungen der begehrten BK Nr. 2108 lassen sich ebenso wenig feststellen wie die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Sachverhalt ausreichend ermittelt und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung und der einschlägigen und insbesondere der aktuellen Literatur geprüft. Bereits das Landessozialgericht hat in der Entscheidung vom 19. März 2013 umfassend und unter Berücksichtigung der Literatur und der aktuellen Rechtsprechung, auch des Bundessozialgerichts, darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen der BK Nr. 2108 weder in arbeitstechnischer Hinsicht noch unter Berücksichtigung des Krankheitsbildes anzunehmen ist. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB VII zum ursächlichen Zusammenhang zwischen der von dem Kläger verrichteten Tätigkeit und dem bei ihm vorliegenden Krankheitsbild im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule sind auch unter Berücksichtigung der Stellungnahmen des BMGS vom Februar 2005 und Oktober 2011 nicht anzunehmen. Demzufolge lassen sich wissenschaftliche Erkenntnisse, nach denen Paukisten bzw. Musiker ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöhtes Risiko aufweisen, an Erkrankungen der Wirbelsäule in Form einer kyphotischer Verbiegung der Halswirbelsäule und Brustwirbelsäule mit Verengung des Spinalkanals zu erkranken nicht bestätigen. Darüber hinaus weist das LSG in der vorgenannten Entscheidung darauf hin, dass auch das BSG in seinen Urteilen vom 18. Juni 2013 (Aktenzeichen B 2 U 6/12 R und B 2 U 3/12 R) vom Fehlen entsprechender Erkenntnisse über das Entstehen von Wirbelsäulenschäden bei Musikern ausgeht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass einzelne abweichende medizinische Auffassungen nicht gegen die herrschende medizinische Auffassung sprechen. Im laufenden Verfahren sind für den Kläger günstigeren Gesichtspunkte nicht zutage getreten, sodass auch die Kammer zu der Auffassung gelangt ist, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen für die Feststellung der begehrten Berufskrankheit 2108 nicht erfüllt sind. Auch die Voraussetzungen für die Anerkennung des Krankheitsbildes im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule im Sinne einer sogenannten "Wie"-BK gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII liegen nicht vor. Einerseits lassen sich insoweit nach wie vor neue medizinische wissenschaftliche Erkenntnisse nicht darstellen. Darüber hinaus lässt sich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zwischen den beruflichen Einwirkungen des Klägers und dem bei ihm vorliegenden Krankheitsbild im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule nicht annehmen.

Dem Klagebegehren war infolgedessen der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz, SGG.