Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 22.08.2018, Az.: S 43 AL 78/17

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
22.08.2018
Aktenzeichen
S 43 AL 78/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74042
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt mit dem vorliegenden Verfahren die Gewährung höheren Arbeitslosengelds für die Zeit vom 23.12.2016 bis 02.04.2017. Der begehrte Anspruch läge ca. 6 EUR pro Tag höher, so dass insgesamt ein Betrag von ca. 280 EUR im Streit steht.

Der am 25.11.1955 geborene Kläger betrieb seit 2011 ein Gewerbe und zwar den Handel mit Baumaschinen. Die Gewerbeanmeldung erfolgte am 07.03.2011, Bl. 17 der eAkte. Gleichzeitig bezog der Kläger eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung von der DRV Braunschweig-Hannover. In der Zeit vom 06.11.2015 bis 13.11.2015 bezog der Kläger Krankengeld von der E. Betriebskrankenkasse, F. (Bescheinigung vom 29.12.2016, Bl. 19 der E-Akte). Nach dieser Bescheinigung lag ein weiterer Krankengeldbezug in der Zeit vom 15.01.2016 bis 17.05.2016 vor.

Am 22.11.2016 meldete sich der Kläger bei der Beklagten arbeitslos und stellte einen Antrag auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit. Mit Bescheid vom 11.01.2017 bewilligte die Beklagte dem Kläger die beantragten Leistungen für die Zeit vom 23.12.2016 bis 21.12.2018 bei einem täglichen Leistungsbetrag von 12,61 EUR.

Mit Schreiben vom 11.03.2017 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 11.01.2017 ein. Diesen Widerspruch legte die Beklagte zusätzlich als Antrag nach § 44 SGB X aus und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2017 als unzulässig zurück (Fristversäumnis).

Mit Bescheid vom 21.03.2017 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheids vom 11.01.2017 ab. Die angewandte fiktive Berechnung der Leistungshöhe wurde in einem (zusätzlichem) Schreiben vom 21.03.2017 erklärt. Der Kläger sei als Meister in Qualifikationsgruppe 2 einzustufen. Mit Bewilligungsbescheid vom 21.03.2017 gewährte die Beklagte für die Zeit vom 23.12.2016 bis 21.12.2018 19,39 EUR täglich. Der Leistungssatz wurde bei den Berechnungsgrundlagen auf 42,17 EUR festgesetzt. Hiervon wurde ein Anrechnungsbetrag in Höhe von 22,76 EUR abgesetzt. Mit Bescheid vom 03.04.2017 hob die Beklagte die Leistungsgewährung wegen Aufnahme einer Beschäftigung ab 03.04.2017 auf.

Mit Schreiben vom 11.04.2017 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 03.04.2018 Widerspruch ein. Die Einstufung als Meister in die Qualifikationsgruppe 2 könne nicht richtig sein. Er habe Weiterbildungen im technischen-, kaufmännischen und im Managementbereich absolviert. Zudem sei eine Gleichbehandlung mit Personen aus der Qualifikationsstufe 1 wegen gleicher Höhe der Beiträge geboten.

Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.04.2017 zurück (W 1340/17). Eigentlich sei der Kläger in Qualifikationsstufe 3 einzustufen. Wegen der selbstständigen Tätigkeit und den Weiterbildungen sei aber eine Einordnung in Qualifikationsstufe 2 erfolgt. In dieser sei von einem Jahreswert in Höhe von 34.860 EUR (Wert 2016) auszugehen, was (geteilt durch 360) ein Bemessungsentgelt von 96,83 EUR und einen Leistungsbetrag in Höhe von 42,17 EUR ergebe. Der Widerspruchsbescheid wurde laut Verwaltungsakte am 19.04.2017 abgesandt.

Die Gewährung des (höheren) Betrags aus dem Widerspruchsbescheid setzte die Beklagte im Änderungsbescheid vom 16.05.2017 um. Mit diesem Bescheid gewährte die Beklagte einen täglichen Leistungssatz in Höhe von 42,16 EUR (ohne Anrechnungsbetrag).

Gegen den Bescheid vom 21.03.2017 (Bewilligungsbescheid) in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 17.04.2017 in der Geschalt des Änderungsbescheids vom 16.05.2017 hat der Kläger am 24.05.2017 Klage erhoben. Er habe durch selbstständige Tätigkeit die Qualifikation eines Geschäftsführers erworben und sei deshalb in Qualifikationsgruppe 1 einzustufen. Zudem beruft er sich erneut auf Gleichbehandlung (AGG), da von allen selbstständig Tätigen freiwillig Versicherten der gleiche Beitrag gefordert werde.

Der Kläger beantragt,

1. den Bescheid vom 21.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.04.2017 (W 1340/17) in der Form des Änderungsbescheids vom 16.05.2017 abzuändern,

2. die Beklagte verurteilen, ihm für die Zeit vom 23.12.2016 bis 02.04.2017 Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung einer fiktiven Bemessung nach der Qualifikationsstufe 1 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält ihre Bescheide für rechtmäßig. Die Vermittlung habe sich auf Tätigkeiten als Kundendienstberater konzentriert.

Ergänzend wird auf die beigezogene Verwaltungsakte und die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

1. Die Klage ist zulässig.

Gemäß § 87 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids zu erheben. Diese Frist sieht die Kammer als gewahrt an. Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X in der Fassung vom 18.07.2016 gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Der Widerspruchsbescheid wurde laut Verwaltungsakte am 19.04.2017 abgesandt, er würde nach der Vorschrift also grundsätzlich am 22.04.2017 als bekannt gegeben gelten, so dass die Klagefrist bis zum 22.05.2017 (ein Montag) gelaufen wäre.

Diese Vermutung ist hier aber erschüttert, ein Zugang innerhalb der drei Tage nicht nachgewiesen. Wird die Vermutung aus § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X erschüttert, obliegt es der Beklagten, den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen, was ihr hier nicht gelungen ist. Die Regelung des § 37 Abs. 2 SGB X stellt eine gesetzliche Regelung eines Anscheinsbeweises dar (BSG, Urteil vom 23.05.2000, B 1 KR 27/99 R, juris Rn. 11; BSG, Urteil vom 09.12.2008, B 8/9b SO 13/07 R, juris Rn. 16, Pattar in: jurisPK-SGB X, 1. Aufl. 2013, § 37 Rn. 92). Die Bekanntgabefiktion gilt nach Abs. 2 Satz 3 der Vorschrift nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich zugegangen ist. Der Anscheinsbeweis kann also erschüttert werden. Im Zweifel hat dabei die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und seinen Zeitpunkt nachzuweisen (vgl. Pattar, a. a. O., Rn. 101).

Eine solche Erschütterung des Anscheinsbeweises liegt hier nach Ansicht der Kammer vor. Dabei hat die Klägerseite nicht einen anderen Zugang nachzuweisen, sondern muss Tatsachen darlegen, aus denen sich schlüssig die nicht entfernt liegende Möglichkeit hervorgeht, dass der Zugang des Verwaltungsaktes erst nach dem von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X vermuteten Zugang erfolgte (Pattar, a. a. O., Rn. 105 unter Verweis auf: BSG, Urteil vom 26.07.2007, B 13 R 4/06 R, juris Rn. 22). An diese Darlegung sind keine überhöhten Anforderungen zu stellen. Hier konnte der Kläger zwar keine näheren Angaben zum Zeitpunkt des Zugangs machen, hat aber – zumindest konkludent – den Zugang innerhalb der Drei-Tages-Fiktion bestritten. Dies sieht die Kammer als ausreichend an, um die Drei-Tages-Fiktion zu erschüttern.

Danach gelten für den Zugang die allgemeinen Beweisregeln, wonach nach Ansicht der Kammer hier ein Nachweis für einen Zugang innerhalb der drei Tage bis zum 22.04.2017 nicht erbracht ist. Ein solcher Nachweis wäre hier vorrangig durch eine Zustellung nach dem Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) möglich, was hier nicht erfolgt ist. Verzichtet die Behörde auf eine derartige Zustellung, so hat sie im Zweifel den rechtzeitigen Zugang nachzuweisen, wenn die Klägerseite die Vermutung der Bekanntgabefiktion nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X erschüttert hat.

2. Die Klage ist unbegründet.

Die angegriffenen Bescheide erweisen sich als rechtmäßig und beschweren den Kläger damit nicht. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit. Die Einstufung in die Qualifikationsstufe 2 und die Berechnung als solche sind nicht zu beanstanden (dazu unter a). Zudem liegt kein Gleichheitsverstoß vor (dazu unter b).

a) Die fiktive Berechnung ist nicht zu beanstanden.

Bezüglich der Einstufung in die Qualifikationsstufe 2 verweist die Kammer gemäß § 136 Abs. 3 SGG auf den Widerspruchsbescheid und schließt sich diesem an.

Auch die daraus abgeleitete Höhe der Leistungen ist nicht zu beanstanden. Die Berechnung ist rechtsfehlerfrei erfolgt. Für die Qualifikationsstufe 2 ist bei der Höhe des Arbeitslosengelds 1/360 der Bezugsgröße maßgeblich. Diese Bezugsgröße i.S.d. § 18 SGB IV lag im Jahr 2016 nach § 2 Abs. 1 der Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2016 (Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2016) bei 34.860 EUR, wie im Widerspruchbescheid angenommen. Dabei konnte die Beklagte auf den Wert abstellen, der zu Beginn der Berechnung galt.

b) Ein Gleichheitsverstoß liegt nicht vor. Ein solcher ergibt sich weder aus Art. 3 Grundgesetz (GG) noch aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, auf das sich der Kläger bezieht.

aa) Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegen nicht vor.

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Dies betrifft nicht nur die Rechtsanwendungsgleichheit, sondern auch die Rechtssetzungsgleichheit und begrenzt damit den Gesetzgeber in seiner Gestaltungsfreiheit (vgl. dazu: BVerfG, Beschluss vom 04.04.2001, 2 BvL 7/98). Die Rechtssetzungsgleichheit ist verletzt, wenn der Gesetzgeber eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht nicht bestehen, die die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können. Dabei unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung (vgl. beispielsweise: BVerfG, Beschluss vom 07.10.1980, 1 BvL 50/79, 1 BvL 89/79, 1 BvR 240/79). Allerdings ist dies nicht auf personenbezogene Differenzierungen beschränkt. Sie gilt vielmehr auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt. Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sind zudem umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.01.1993, 1 BvL 38/92, 1 BvL 40/92, 1 BvL 43/92). Dieser Gesichtspunkt ist insbesondere im Hinblick auf die Zwangsmitgliedschaft der Versicherten in einem öffentlich-rechtlichen Verband, die deren allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG einschränkt, von Bedeutung (zum Arbeitslosengeld: BVerfG, Beschluss vom 11.01.1995, 1 BvL 898/88 unter Verweis auf: BVerfG, Entscheidung vom 29.07.1959, 1 BvR 394/58).

Soweit die Grenze nicht verletzt wird, besteht die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers darin, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe oder aber eine unterschiedliche Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinn als gleich (oder ungleich) ansehen will (BVerfG, Beschluss von 23.03.1994, 1 BvL 8/85). Einigkeit besteht darüber, dass die Eigenart des jeweils zu regelnden Sachverhalts dafür ausschlaggebend ist, was im Sinne der – im Bereich des Sozialrechts weiten – Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers sachlich vertretbar oder aber sachfremd ist (beispielhaft: BVerfG, Beschluss vom 10.11.1998, 1 BvL 50/92; siehe zu alledem auch: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14.03.2008, L 12 AL 147/07).

Vor diesem Hintergrund ergibt sich aus den Regelungen des § 152 SGB III (fiktive Bemessung der Höhe des Arbeitslosengelds) und § 341b Satz 1 Nr. 2 SGB III (Höhe der Beiträge bei freiwilliger Versicherung als Selbstständiger) kein Verfassungsverstoß. In seiner Entscheidung vom 11.01.1995 hat das BVerfG zwar ausgeführt, dass eine Abweichung von Heranziehung zur Beitragspflicht und dem Leistungsrecht der Rechtfertigung bedarf und eine solche in diesem Fall – der Berücksichtigung von einmaligen Leistungen, wie beispielsweise dem Weihnachtsgeld – nicht gesehen wurde (siehe: BVerfG, Beschluss vom 11.01.1995, 1 BvR 892/88). Ebenso führte das BVerfG im Jahr 1999 zur Frage, ob ein Leistungsbezug im grenznahem Ausland vor dem Hintergrund des Territorialprinzips (§ 30 SGB I) möglich ist, aus, dass der Gesetzgeber nicht frei darin sei, ohne gewichtige sachliche Gründe den Anknüpfungspunkt zwischen Beitragserhebung und Leistungsberechtigung zu wechseln (BVerfG, Beschluss vom 30.12.1999, 1 BvR 809/95).

Auf der anderen Seite hat das BVerfG in der Entscheidung aus dem Jahr 1995 auch ausgeführt, dass es von Verfassungs wegen nicht geboten ist, dass bei der Bemessung kurzfristiger Lohnersatzleistungen eine versicherungsmathematische Äquivalenz zwischen den entrichteten Beiträgen und der Höhe der Leistungen erzielt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.01.1995, 1 BvR 892/88 unter Bezugnahme auf: BVerfG, Beschluss vom 03.04.1979, 1 BvL 30/76). In der zitierten Entscheidung aus dem Jahr 1979 sah es das BVerfG nicht als Verstoß gegen Art 3 GG an, dass Überstunden zwar beitragsrechtlich, nicht aber leistungsrechtlich berücksichtigt werden. Die Gesamtleistung an Arbeitslosengeld stehe im Einzelfall typischerweise nicht in einer Beziehung zur jeweiligen Beitragsleistung. Das sei auch eine Folge dessen, dass alle Arbeitnehmer ohne Berücksichtigung ihres individuellen Arbeitslosenrisikos gleichmäßig zur Beitragsleistung herangezogen werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.04.1979, 1 BvL 30/76). Außerdem stellte das BVerfG auf die geringen Auswirkungen auf den Anspruch ab.

Im vorliegenden Fall ist dabei zu berücksichtigen, dass im Falle einer freiwilligen Weiterversicherung von Selbständigen die Bemessungsmethode nach §§ 149 ff. SGB III nach der Höhe des letzten Bruttogehalts naturgemäß versagt, weil es an einem vor der Arbeitslosigkeit erzielten Arbeitslohn aus einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis mangelt (Bayerisches LSG, Urteil vom 22.06.2017, L 10 AL 74/16, Rn. 23). Das Bayerische LSG hat weiter wie folgt ausgeführt:

„Da - wie oben ausgeführt - das Alg Ersatz für den ausfallenden Lohn während der Arbeitslosigkeit darstellen soll, ist es sachgerecht zu differenzieren, für welche Art von Beschäftigung - abhängig von der hierfür notwendigen Qualifikation - eine Arbeitsvermittlung in Betracht kommt. Die unterschiedliche Höhe des daraus resultierenden Alg findet demzufolge eine sachliche hinreichende Rechtfertigung, so dass ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nicht gesehen werden kann.

Soweit die Klägerin einwendet, das Alg hätte an der Bezugsgröße bemessen werden müssen, an der sich auch die Beiträge orientiert haben, überzeugt auch dies nicht. Wie dargelegt, ist für die Bemessung des Alg nicht die Summe der gezahlten Beiträge maßgeblich, vielmehr stellt das Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung den vorrangigen Anknüpfungspunkt für die Bemessung dar.
[…]

Zum einen hat die Klägerin vor ihrer Arbeitslosigkeit kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt bezogen und zum anderen liegt es in der Natur der Sache, dass Selbständige im Vergleich zueinander äußerst unterschiedlich hohe Gewinne erwirtschaften. Eine einheitliche Pauschalierung der Beiträge ist daher unter Berücksichtigung der Verwaltungspraktikabilität sinnvoll und notwendig. Eine Orientierung der Beiträge am tatsächlichen Gewinn eines Selbständigen wäre nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand zu vollziehen. Dass sich die Beiträge auch nicht bereits nach den Bezugsgrößen entsprechend der Qualifikationsstufen bei der fiktiven Bemessung des Alg richten können, ist ebenso nachvollziehbar. Da für die Zuordnung zu den einzelnen Qualifikationsstufen nicht alleine die beim Betroffenen vorliegende Ausbildung maßgeblich ist, sondern die Ausbildung, die für die Stellen erforderlich ist, auf die sich die Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit erstrecken, kann dies vor Eintritt der Arbeitslosigkeit nicht ohne erheblichen Aufwand in jedem Einzelfall festgestellt werden. Eine systematische Benachteiligung von freiwillig Weiterversicherten liegt darüber hinaus schon deshalb nicht vor, da - wie die Klägerin selbst vorträgt - bei anderen Qualifikationsgruppen das Alg sogar über den für die Beitragsbemessung liegenden Bezugsgröße liegen kann. Zudem ist es bei allen Arbeitslosen, deren Alg fiktiv zu bemessen ist, so, dass dessen Höhe unabhängig von den zuletzt gezahlten Beiträgen ist und bei Personen, die zuvor Beiträge in gleicher Höhe entrichtet haben, ein unterschiedlich hoher Leistungsanspruch entstehen kann. Es findet somit gerade mit dieser Vergleichsgruppe eine Gleichbehandlung statt.“
Bayerisches LSG, Urteil vom 22.06.2017, L 10 AL 74/16, Rn. 23 ff.

Dem schließt sich die Kammer an. Es ist für die Höhe des Arbeitslosengelds bereits nach einfachem Recht (auch über die hier relevanten Regelungen hinaus) nicht allein maßgeblich, welche Beiträge eingezahlt wurden, sondern auch, in welche Beschäftigung nun eine Vermittlung möglich ist. Dies zeigt sich etwa auch an der Regelung des § 151 Abs. 5 SGB III (Kürzung des Bemessungsentgelts, wenn sich der Arbeitslose nur teilweise den Vermittlungsbemühungen der BA zur Verfügung stellt). Die einheitliche Berechnung der Beiträge während der selbstständigen Tätigkeit (§ 341b Satz 1 Nr. 2 SGB III) ist – wie das Bayerische LSG zu Recht ausführt – durch Gründe der Verwaltungspraktikabilität im Rahmen der Massenverwaltung gerechtfertigt. Beide gesetzgeberische Entscheidungen (Orientierung der Höhe des Arbeitslosengelds auch an der anstehenden Vermittlung und einheitlicher Beitragssatz für Selbstständige) liegen im gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum.

bb) Zudem liegt kein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vor.

Neben der Tatsache, dass es sich beim AGG ebenso wie bei den Vorschriften im SGB III um sog. einfaches Recht handelt, das AGG gegenüber dem SGB III also nicht höherrangig ist, ist das Gesetz hier bereits nicht anwendbar.

Zwar könnte die Gewährung von Arbeitslosengeld unter § 2 Abs. 1 Nr. 6 AGG (den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste) oder Nr. 7 (die sozialen Vergünstigungen) fallen. Der Anwendungsbereich des AGG ist nach dieser Vorschrift aber nur eröffnet, wenn Benachteiligungen aus einem in § 1 AGG genannten Grund vorliegen. Nach § 1 AGG ist Ziel des Gesetzes, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Eine Benachteiligung aus einem der genannten Gründe liegt hier nicht vor. Der Kläger hat Leistungen auf Grundlage der Qualifikationsgruppe 2 wegen seines Ausbildungsstands und seiner Berufserfahrung erhalten und nicht aufgrund einer der oben genannten Merkmale.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen, § 144 Abs. 2 SGG.