Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.07.1998, Az.: XI 221/95
Steuerliche Bewertung von Preisvorteilen, die Krankenhausbediensteten durch die Weitergabe der Apothekenprodukte zum Selbstkostenpreis durch das Krankenhaus eingeräumt werden; Konkrete Dienstleistung des Arbeitnehmers; Geltung des Freibetrages für die verbilligte Abgabe von Medikamenten durch das Krankenhaus an Krankenhausbedienstete
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 14.07.1998
- Aktenzeichen
- XI 221/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 16351
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1998:0714.XI221.95.0A
Rechtsgrundlagen
- § 8 Abs. 2 S. 2 EStG
- § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG
Fundstellen
- DB 1998, 2397 (Kurzinformation)
- ZKF 1998, 282
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Bei den Preisvorteilen, die Krankenhausbediensteten durch die Weitergabe der Apothekenprodukte zum Selbstkostenpreis durch das Krankenhaus eingeräumt werden, handelt es sich um Arbeitslohn i.S.d. § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
- 2.
Es nicht erforderlich, dass der Annahme eine konkrete Dienstleistung des Arbeitnehmer zugeordnet werden kann.
- 3.
Der Freibetrag nach § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG gilt auch für die verbilligte Abgabe von Medikamenten durch das Krankenhaus an Krankenhausbedienstete. Dabei genügt es, dass es sich bei den Medikamenten der Art nach um Waren handelt, wie sie regelmäßig im Klinikbetrieb benötigt werden.
Tatbestand
Verfahrensgegenstand ist der Lohnsteuer-Haftungsbescheid vom 10.04.1995 (Bl. 327 der Lohnsteuerkarte), bestätigt durch Einspruchsbescheid vom 01.06.1995 (Bl. 339-345 der Lohnsteuerakte).
Streitig ist, ob die verbilligte Abgabe von Medikamenten an Krankenhausbeschäftigte in den Jahren 1991-1994 als steuerpflichtiger Arbeitslohn anzusehen ist.
Der Kläger betreibt eine Fachklinik für Orthopädie. Er bezieht sämtliche Medikamente für den Krankenhausbedarf sowie auch solche für den Bedarf seiner Beschäftigten von einer Krankenhausapotheke in . . . . Die für seine Beschäftigten bestellten Waren gab der Kläger gegen Erstattung der Selbstkosten an sie weiter. Zum großen Teil handelte es sich dabei um Waren, die im Betrieb des Klägers selbst nicht benötigt wurden (z.B. Antibabypillen, Windeln).
Der Beklagte (das Finanzamt ... - FA -) sah nach einer früheren Lohnsteuer-Außenprüfung in diesem Vorgang einen steuerpflichtigen geldwerten Vorteil in Form eines Arbeitnehmerrabatts und forderte vom Kläger erstmals durch Lohnsteuer-Haftungsbescheid vom 20.07.1983 für die Zeit vom 01.06.1979 bis zum 31.05.1983 Lohnsteuer nach. Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger Klage, der das Finanzgericht durch Urteil vom 30.06.1989 XI 404/84 (Bl. 49-70 der Gerichtsakte), in dem Revision nicht zugelassen wurde, stattgab.
Für den Zeitraum vom 01.02.1988 bis zum 28.02.1991 fand eine weitere Lohnsteuer-Außenprüfung statt. Wegen des Warenbezugs durch Beschäftigte erging wiederum ein Lohnsteuer-Haftungsbescheid, dessen Aufhebung der Kläger nach erfolglosem Einspruch durch Gerichtsbescheid des Finanzgerichts vom 14.07.1994 XI 453/93 (Bl. 43-48 der Gerichtsakte) erreichte. Die gegen den Gerichtsbescheid vom Finanzamt eingelegte Revision wurde zurückgenommen.
Das Finanzamt führte für den Zeitraum vom 01.03.1991 bis zum 31.12.1994 erneut eine Lohnsteuer-Außenprüfung durch. Weiterhin sah es die Abgabe von Medikamenten an die Beschäftigten des Klägers als geldwerten Vorteil an. Dessen Höhe für den gesamten Prüfungszeitraum ermittelte das Finanzamt mit DM 3.264,40. Die Nachversteuerung erfolgte mit einem durchschnittlichen Bruttosteuersatz von 30 v.H. Auf Textziff. 2 des Berichts über die Lohnsteuer-Außenprüfung vom 21.02.1995 (Bl. 321, 323 der Lohnsteuer-Akte) wird insoweit verwiesen.
Gegen die den Lohnsteuer-Haftungsbescheid bestätigende Einspruchsentscheidung hat der Kläger Klage erhoben. Er begründet die Klage im wesentlichen mit den Ausführungen im Urteil des Finanzgerichts vom 30.06.1989.
Hilfsweise macht er geltend, daß die etwaigen geldwerten Vorteile der einzelnen Beschäftigten den Freibetrag nach § 8 Abs. 3 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) nicht überschritten hätten.
Der Kläger beantragt,
den Lohnsteuer-Haftungs- und -Nachforderungsbescheid vom 10.04.1995 im Haftungsteil ersatzlos aufzuheben.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die vom Finanzgericht in den früheren Urteilen vertretene Ansicht, nicht der Arbeitgeber, sondern § 14 Abs. 4 Satz 2 des Gesetzes über das Apothekenwesen (ApoG) räume die Preisnachlässe ein, verkenne die Bedeutung der Vorschrift. Eine Bindung für die Preisgestaltung sei ihr nicht zu entnehmen. Eine Steuerbefreiung ergebe sich auch weder auf § 8 Abs. 3 EStG noch aus Abschn. 53 Abs. 3 Satz 5 der Lohnsteuer-Richtlinien 1987 (LStR 1987). Zwar bestehe Einvernehmen darüber, daß im vorliegenden Fall keiner der Arbeitnehmer die Höhe des Freibetrages von DM 2.400 pro Kalenderjahr überschritten habe. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Freibetrages lägen aber nicht vor. Insbesondere sei für die Anwendung der Freibetragsregelung nach § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG erforderlich, daß die verbilligt abgegebenen Waren nicht überwiegend für den Bedarf der Arbeitnehmer bezogen worden seien. Dies sei hier jedoch der Fall, da die von den Beschäftigten bezogenen Produkte für den Klinikbetrieb überwiegend nicht benötigt würden.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen im Einspruchs- und Klageverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist begründet.
1.
Zwar handelt es sich bei den Preisvorteilen, die den Beschäftigten des Klägers durch die Weitergabe der Apothekenprodukte zum Selbstkostenpreis durch den Kläger eingeräumt wurden, um Arbeitslohn. Der Senat hält an der gegenteiligen Auffassung, die zu den anderen Veranlagungszeiträumen ergangenen Entscheidungen in den Sachen XI 404/84 und XI 453/93 geführt hatte, nicht mehr fest. Die diese Entscheidungen tragende Erwägung, daß § 14 Abs. 4 Satz 2 ApoG der Annahme von Arbeitslohn entgegenstehe, kann im Lichte der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht aufrechterhalten werden. Der Fall unterscheidet sich von denen, wo mit der gesetzlichen Ermächtigung zur verbilligten Abgabe von Waren eine sozialpolitische Zielsetzung verfolgt wird. In solchen Fällen soll das Steuerrecht die Zielsetzung nicht unterlaufen (vgl. BFH-Urteil vom 25.05.1992 - VI R 18/90, BFHE 169, 122 [BFH 25.11.1992 - II B 86/91], Bundessteuerblatt II 1993, 45). Die Preisregelung für Krankenhausmitarbeiter hat dagegen einen bloßen Vereinfachungszweck.
Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören gem. § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG Gehälter, Löhne und andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Es ist gleichgültig, ob es sich um laufende oder um einmalige Bezüge handelt, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht (§ 19 Abs. 1 Satz 2 EStG) und unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie gewährt werden (§ 2 Abs. 1 Satz 3 Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV -).
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung werden Vorteile "für" eine Beschäftigung gewährt, wenn sie durch das individuelle Dienstverhältnis des Arbeitnehmers veranlaßt sind (BFH BStBl. II 1983, 39 und 712). Das ist der Fall, wenn der Vorteil nur mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis eingeräumt wird (BFH BStBl II 1983, 642) und wenn die Einnahme als Ertrag der nichtselbständigen Arbeit anzusehen ist, d.h., wenn sich die Leistung des Arbeitgebers im weitesten Sinn als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist (BFH BStBl. II 1981, 707, BStBl. II 1982, 496, BStBl. II 1983, 712). Nicht erforderlich ist, daß der Einnahme eine konkrete Dienstleistung des Arbeitnehmers zugeordnet werden kann (BFH BStBl. II 1985, 164).
Danach liegt Arbeitslohn nicht vor, wenn die Zuwendungen wegen anderer Rechtsbeziehungen oder wegen sonstiger, nicht auf dem Dienstverhältnis beruhender Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gewährt werden. Gleiches gilt, wenn zwar nur Arbeitnehmer Zuwendungsempfänger sind, die den Vorteil bewirkenden Aufwendungen aber im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers getätigt werden (BFH BStBl. II 1983, 39 und 712 sowie BStBl. II 1985, 164).
Die Preisvorteile aus der Abgabe der Apothekenprodukte sind für die Beschäftigten Einnahmen, weil die Beschäftigten durch die Ersparnis höherer Aufwendungen bereichert sind. Die Einnahmen werden auch für die Beschäftigung gewährt, denn sie sind an das Beschäftigungsverhältnis gebunden. Daß sie nicht im eigenbetrieblichen Interesse gewährt werden, ergibt sich bereits daraus, daß der Kläger keinen Einfluß darauf hatte, welche und wieviele Produkte seine Beschäftigen bezogen. Die Preisvorteile sind daher Arbeitslohn i.S.v. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG (so auch Hessisches Finanzgericht, EFG 1997, 1014).
2.
Die Preisvorteile sind aber nach § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG steuerfrei, da nach den Feststellungen der Außenprüfung bereits der Gesamtbetrag der gewährten Rabatte in keinem Kalenderjahr über DM 2.400 lag. Die Auffassung des Finanzamts, die Freibetragsregelung sei nicht anwendbar, weil die bezogenen Produkte überwiegend nicht für den Klinikbetrieb des Klägers benötigt würden, verkennt den Vereinfachungszweck der Vorschrift.
a)
Danach kann der Freibetrag u.a. nur für Waren in Anspruch genommen werden, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitgeber vertrieben werden. Begünstigt ist dagegen die (gesamte) planmäßige unternehmerische Liefer- und Leistungspalette des Arbeitgebers (Schmidt, Einkommensteuergesetz, Rz. 77 zu §8 EStG unter Berufung auf die Gesetzesbegründung).
Folge dieser Beschränkung ist, daß z.B. die Abgabe von verbilligten Kantinenmahlzeiten in einem Metallbetrieb nicht durch § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG begünstigt ist, wohl aber, wenn der Arbeitgeber ein Restaurant betreibt. Genauso können Arbeitnehmer einer Ölfirma für verbilligtes Benzin aus der Werkstankstelle den Freibetrag in Anspruch nehmen, während das für die Werkstankstelle eines Metallbetriebes nicht gilt.
Indem der Gesetzgeber die Begünstigung durch § 8 Abs. 3 S. 2 EStG auf das "eigene" Geschäft des Arbeitgebers beschränkt, verhindert er einen steuerbegünstigten Handel mit Fremdwaren zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Dabei wird bewußt in Kauf genommen, daß für Arbeitnehmer, deren Arbeitgeber z.B. mit Konsumgütern handelt, u.U. größere steuerfreie Preisvorteile möglich sind als für Arbeitnehmer von z.B. Betrieben des industriellen Anlagenbaus.
b)
Im vorliegenden Fall gehören Apothekenprodukte grundsätzlich zur planmäßigen unternehmerischen Lieferpalette der orthopädischen Fachklinik des Klägers. Allerdings gilt dies unstreitig nicht für überwiegend von den Beschäftigten bezogenen Antibabypillen und Windeln, die in der Orthopädie allenfalls ganz ausnahmsweise zum Einsatz kommen dürften. Die Entscheidung, ob hierfür der Freibetrag nach § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG zu gewähren ist, hängt deshalb davon ab, ob bei einer sehr breiten Produktpalette von mehreren tausend Artikeln als Waren im Sinne der Vorschrift die gesamte Palette oder der einzelne Artikel anzusehen ist.
Diese Frage läßt sich weder anhand des Wortlauts von Art. 8 Abs. 3 Satz 2 EStG noch aus der Gesetzesbegründung beantworten. Es ist daher auf den Zweck der Vorschrift abzustellen. Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung betont, daß die Freibetragsregelung nach § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG einen Vereinfachungszweck hat (vgl. BFH BStBl. II 1997, 363 m.w.N.). Es wäre aber mit diesem Zweck nicht zu vereinbaren, wenn man dem Arbeitgeber auferlegen wollte, bei jedem Bezug eines Apothekenproduktes durch einen Beschäftigten zu untersuchen, ob gerade dieser Artikel für den regelmäßigen Klinikbetrieb gebraucht wird oder nicht. Vielmehr muß es genügen, daß es sich der Art nach um Waren handelt, wie sie regelmäßig im Klinikbetrieb benötigt werden. Das ist aber bei Apothekenprodukten der Fall.
Demnach fallen sämtliche Preisvorteile für Apothekenprodukte, die der Kläger seinen Beschäftigten einräumt, in den Anwendungsbereich von § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG. Da der Freibetrag in keinem Fall überstiegen wurde, ist keine Lohnsteuer entstanden. Die Inanspruchnahme des Klägers für Lohnsteuer seiner Arbeitnehmer war daher insoweit unzulässig. Der Bescheid war im Haftungsteil aufzuheben.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4.
Die Zulassung der Revision erfolgte nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob als Ware i.S.v. § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG im Rahmen eines umfangreichen Liefersortiments wie z.B. desjenigen einer Apotheke das Sortiment als ganzes oder der einzelne Lieferartikel anzusehen ist.