Sozialgericht Hildesheim
Beschl. v. 29.07.2010, Az.: S 26 AS 1237/10 ER

Anspruch auf vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Zuzug des Anspruchstellers von Griechenland nach Deutschland; Vereinbarkeit des Ausschlusstatbestands des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) mit dem Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA)

Bibliographie

Gericht
SG Hildesheim
Datum
29.07.2010
Aktenzeichen
S 26 AS 1237/10 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 28226
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHILDE:2010:0729.S26AS1237.10ER.0A

Tenor:

  1. 1.

    Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig - unter dem Vorbehalt der Rückforderung - vom 25.06.2010 bis zum Ablauf von zwei Wochen nach der Bekanntgabe der Entscheidung über den Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26.01.2010, längstens jedoch bis zur Bestandskraft des Bescheides des Antragsgegners vom 26.01.2010, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 359,- EUR monatlich zu zahlen; im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

  2. 2.

    Der Klägerin wird ratenlose Prozesskostenhilfe für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unter Beiordnung von Rechtsanwalt Spörlein, Hildesheim, bewilligt.

  3. 3.

    Der Antragsgegner hat 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.

Tatbestand

1

Die Antragstellerin begehrt nach ihrem Zuzug von Griechenland nach Deutschland vorläufige Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

2

Die 1981 geborene Antragstellerin, die der deutschen Sprache nicht mächtig ist, wuchs in einem Dorf auf der Insel E. auf. Im August 2009 reiste sie gemeinsam mit ihrer Mutter nach F., um eine Sprunggelenksverletzung behandeln zu lassen. Im November 2009 kam die Antragstellerin erneut nach Deutschland, wohnte zunächst wenige Tage bei dem 1972 geborenen griechischen Staatsangehörigen G., der ebenfalls aus einem Dorf auf der Insel H. stammt und nach einem Arbeitsunfall Verletzten- und aufgrund weiterer Gesundheitsbeeinträchtigungen Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht und unter Betreuung steht. Anschließend hielt sie sich im Frauenhaus in I. auf. Wenige Tage nach ihrer Ankunft fügte sich die Antragstellerin Verletzungen im Vaginalbereich zu, die am 07./08.11.2009 in einem Krankenhaus in F. behandelt wurden. Ende November 2009 kehrte sie in die Wohnung von J. zurück. Anfang Dezember 2009 meldete sie die Wohnung des J. als ihren Wohnsitz an, gab dabei als Einzugsdatum den 07.10.2009 an und beantragte eine Auskunftssperre gegenüber Privatpersonen.

3

Mitte Dezember 2009 bat die Antragstellerin beim Betreuungsgericht in F. schriftlich um die Bestellung eines Betreuers.

4

Auf die beim Ausländeramt der Stadt F. eingereichte Aufenthaltsanzeige vom 02.12.2009, in der sie als Grund des Aufenthalts allein die Arbeitsplatzsuche angab, stellte die Stadt F. unter dem 11.01.2010 ihr eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950, 1986), zuletzt geändert Art. 7 des Gesetzes vom 26. Februar 2008 (BGBl. I S. 215)) aus.

5

Am 15.01.2010 beantragte sie beim Antragsgegner Leistungen. Dabei gab sie an, sie lebe bei J. wegen ihrer Sprachprobleme und nicht mit ihm in einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Sie erhalte Verpflegungszuwendungen der K. Tafel. Gleichzeitig legte sie eine Kopie des von J. im Juli 2006 geschlossenen Mietvertrages, eine an diesen gerichtete Mahnung des Energieversorgungsunternehmens aus Anlass nicht bezahlter Abschlagsforderungen sowie die ebenfalls an J. gerichtete Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2008 vor. Im Rahmen der Einkommenserklärung gab die Antragstellerin an, mit J. in Bedarfsgemeinschaft zu leben und legte Nachweise über Renten- und Wohngeldzahlungen an diesen und einen Kontoauszug über einen Sollstand von 8,78 EUR vor. Mit Bescheid vom 26.01.2010 lehnte der Antragsgegner den Leistungsantrag unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II ab. Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin unter dem 26.02.2010 Widerspruch. In der weiteren Begründung des Widerspruchs vom 10.03.2010 führte die Antragstellerin aus, der Zuzug in die Bundesrepublik sei aufgrund der Verfolgung und Bedrohung durch ihre Familie in Griechenland erfolgt.

6

Im Rahmen des Betreuungsverfahrens gab die Antragstellerin gegenüber dem Landkreis F. und im Rahmen eine psychiatrischen Begutachtung durch die Fachärztin für Psychiatrie L. an, seit mehreren Jahren von ihren Familienangehörigen schwer körperlich und seelisch misshandelt worden zu sein. Sie sei nach Deutschland geflohen, weil sie gegen ihren Willen auf Wunsch der Eltern die Ehe mit einem Schäfer eingehen sollte. Aus diesem Grund habe sie sich auch kurz nach ihrer Ankunft im Vaginalbereich verletzt. M. unterstütze sie mit kleineren sächlichen und finanziellen Zuwendungen. Für das kostenfreie Wohnen helfe die Antragstellerin ihm im Haushalt. Die Sachverständige diagnostizierte eine Anpassungsstörung mit depressivem Zustandsbild sowie auch chronischer Schmerzsymptomatik nach schwerer körperlicher und psychischer Traumatisierung. Mit Beschlüssen vom 13.04.2010 und 07.06.2010 wurde die Betreuerin des J. auch zur Betreuerin der Antragstellerin bestellt.

7

Mit Schreiben vom 17.05.2010 bat die nunmehr anwaltlich vertretene Antragstellerin dem Widerspruch abzuhelfen.

8

Am 25.06.2010 hat sie mit im Wesentlichen unverändertem Vortrag die Antragstellerin einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und Prozesskostenhilfe beantragt. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist am 28.06.2010 bei Gericht eingegangen.

9

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Antragsgegner zu verpflichten, ihr vorläufig Leistungen nach dem SGB II in gesetzlichem Umfang zu bewilligen.

10

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

11

Er hält die getroffene Entscheidung für zutreffend. Ausländer seien vom Leistungsbezug ausgeschlossen, wenn sich deren Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe.

12

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte des hiesigen Verfahrens und des Betreuungsgerichts sowie die Verwaltungsakten des Beklagten und der Stadt F. - Ausländeramt - verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

13

Der Antrag ist zulässig, und im erkannten Umfang begründet.

14

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG, 1. Senat, 3. Kammer, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 ff). Der Antrag ist bereits vor Klageerhebung zulässig (§ 86b Abs. 3 SGG).

15

Nach diesen Maßstäben sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erfüllt.

16

1.

Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i. S. des § 20 Abs. 1 SGB II glaubhaft gemacht.

17

a.

Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind erfüllt. Die Antragstellerin hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht (Nr. 1), sie ist erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (Nr. 4).

18

Das Gericht hat angesichts der wiederholten Angabe der Antragstellerin, sie versorge sich über die in geringer Entfernung von der Wohnung gelegene Einrichtung "K. Tafel" mit Lebensmitteln und der gesamten Höhe der Einkünfte des J. keinen Zweifel, dass die Antragstellerin hilfebedürftig i. S. des § 9 Abs. 1 SGB II ist.

19

Auch hat das Gericht trotz der nicht unerheblichen aktenkundiger Gesundheitsbeeinträchtigungen der Antragstellerin keinen Anlass, an ihrer Erwerbsfähigkeit zu zweifeln, zumal sie im Haushalt des erwerbsunfähigen J. zumindest Hilfstätigkeiten leistet.

20

b.

Der Anspruch der Antragstellerin scheitert auch nicht an § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II.

21

Danach sind nicht leistungsberechtigt Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts (Nr. 1), Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen (Nr. 2) sowie Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (Nr. 3).

22

Die Antragstellerin hat sich bei Beantragung des einstweiligen Rechtsschutzes bereits länger als drei Monate in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten. Dabei kann für die Entscheidung über den einstweiligen Rechtsschutz offen bleiben, ob sie - wie sie bei der Anmeldung ihres Wohnsitzes angegeben hat - bereits am 07.10.2009 in Deutschland war. Sie ist spätestens am 07.11.2009 nach Deutschland eingereist, weil sie sich an diesem Tag nachweislich einer Krankenhausbehandlung unterzog, so dass die Dreimonatsfrist spätestens am 07.12.2010 ablief. Sie ist auch nicht leistungsberechtigt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

23

Die Antragstellerin ist auch nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen.

24

(1)

Zwar ergibt sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche.

25

Hierfür spricht zunächst, dass die Antragstellerin im Rahmen ihrer Aufenthaltsanzeige die Antragstellerin allein die Arbeitssuche als Zweck ihres Aufenthalts angab.

26

Eventuell von der Arbeitssuche abweichende Motive der Antragstellerin für den Zuzug der Antragstellerin, insbesondere das begleitende oder dominierende Ziel sich aus persönlichen Gründen von ihrem bisherigen Lebensumfeld in Griechenland auf Dauer zu lösen, sind vom Gericht weder positiv noch negativ zu ermitteln.

27

Sie begründeten oder hinderten selbst dann kein Aufenthaltsrecht, wenn die im Wesentlichen seit März 2010 von der Antragstellerin bei unterschiedlichen Behörden geäußerte, im Wesentlichen gleichlautende, auch in Details schlüssige und dem Gericht deshalb - nicht zuletzt vor dem Hintergrund aktueller Gesetzesinitiativen, die explizit Fälle in Griechenland benennen (Entwurf eines Zwangsheirat-Bekämpfungsgesetzes, BT-Drucks. 17/1213) - durchaus glaubhafte Darstellung zutrifft.

28

Ein Aufenthaltsrecht der Antragstellerin ergäbe sich nur dann nicht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche, wenn ihr ein anderer oder weiterer der in § 2 Freizügigkeitsgesetz/EU genannten Gründe für ihren Aufenthalt zur Seite stünde (Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 7 Rn. 16). Die Antragstellerin hat jedoch weder glaubhaft gemacht, bereits erwerbstätig zu sein oder eine Berufsausbildung zu absolvieren. Auch die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 Freizügigkeitsgesetz/EU liegen nicht vor, weil die Antragstellerin weder als Arbeitnehmerin, noch als Selbständige in Deutschland tätig war.

29

Auch aus dem Recht der europäischen Gemeinschaft folgt kein über den Zweck der Arbeitssuche hinausgehendes Aufenthaltsrecht. Das weitgehend voraussetzungslose Aufenthaltsrecht aus Art. 6 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (ABl. L 158/77; sog. Unionsbürgerrichtlinie; im Folgenden: UB-RL) ist auf einen Zeitraum von drei Monaten begrenzt, der hier - wie zuvor bereits ausgeführt - abgelaufen ist. Art. 7 Abs. 1 UB-RL gewährt ein Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate nur, wenn der Unionsbürger Arbeitnehmer oder Selbständiger ist und er - unter anderem - über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass er während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen muss. Auch aus Art. 18 Abs. 1 des EG-Vertrages [EGV] folgt - wenn nicht bereits die UB-RL als abschließende sekundärrechtliche Regelung über das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern anzusehen ist - kein weitergehendes Aufenthaltsrecht. Danach hat zwar jeder Unionsbürger grundsätzlich das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Diese Vorschrift stellt jedoch das Aufenthaltsrecht ausdrücklich unter den Vorbehalt der im EG-Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen, die ein Aufenthaltsrecht jedoch nur vorsehen, wenn der Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfügt (ausführlich LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.12.2009 - L 34 AS 1350/09 B ER - unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 07.09.2004 - C-456/02 -).

30

(2)

Ob der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, ist zwar umstritten (siehe nur die Übersicht bei LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26.02.2010 - L 15 AS 30/10 B ER - [Rn. 25] und Spellbrink, in Eicher/Spellbrink, a.a.O., § 7 Rn. 17 ff.). Die - vom LSG Niedersachsen (a.a.O. [Rn. 26 ff.]) positiv beantwortete - Frage kann aber hier dahinstehen.

31

Jedenfalls ist der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht mit zwischenstaatlichem Recht vereinbar.

32

Die Vorschrift widerspricht dem Europäischen Fürsorgeabkommen vom 11. Dezember 1953 (im Folgenden EFA, BGBl. 1956, Teil II, S. 564), aus dem die Antragstellerin als Staatsangehörige Griechenlands - mithin einer der Unterzeichnerstaaten - Rechte herleiten kann. Das Gericht schließt sich insoweit den ausführlich darlegten Gründen des LSG Niedersachsen-Bremen in dessen Beschluss vom 14.01.2008 - L 8 SO 88/07 ER - und der Kommentierungsliteratur (Brühl/Schoch, in: Münder, SGB II, 3. Aufl., § 7 Rn. 35) an. Zusammenfassend ergibt sich dies aus folgendem:

33

Nach § 30 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) bleiben die Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts unberührt. Gemäß Art. 1 EFA hat sich jeder der Vertragsschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsschließenden, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf welches dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind.

34

Die Antragstellerin ist - wie zuvor ausgeführt - aufenthaltsberechtigt.

35

Nach Art. 2 Abs. b EFA findet das Abkommen jedoch nur auf die im Anhang genannten Rechtsvorschriften Anwendung. In der Anlage der weiterhin gültigen Abkommensfassung aus dem Jahr 2000 ist u.a. das Bundessozialhilfegesetz (BSHG, BGBl. II 2001, S. 1086, 1088)), nicht jedoch das - wesentlich später in Kraft getretene - SGB II genannt. Auch ist das SGB II nur teilweise an die Stelle des BSHG getreten, so dass es nicht schlicht als Nachfolgegesetz des BSHG betrachtet werden kann. Für eine Ausklammerung des SGB II als Fürsorgegesetz im Sinne des EFA fehlt es jedoch - worauf das LSG Niedersachsen (a.a.O.) zu Recht hingewiesen hat - an dem in Art. 16 Abs. b Satz 2 EFA vorgesehenen Vorbehalt hinsichtlich der Anwendung des SGB II auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragsschließenden.

36

Soweit das LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.12.2009 - L 34 AS 1350/09 B ER - mit Blick auf die Denkschrift zum EFA und zum Zusatzprotokoll (BT-Drucksache 1882 vom 24. November 1955, S. 22 und 23) die Anwendbarkeit des Abkommens für Unionsbürger ausschließt, die bereits in der Absicht eingereist sind, Fürsorgeleistungen in Anspruch zu nehmen, vermag dies im Hinblick auf die Möglichkeit, die Reichweite der einbezogenen Fürsorgegesetze durch einen Vorbehalt zu begrenzen, nicht zu überzeugen. Ungeachtet dessen kann angesichts der im Raume stehenden Misshandlungen und der drohenden Zwangsverheiratung hier auch die nach Ansicht des LSG Berlin-Brandenburg insoweit ausschlaggebende Voraussetzung nicht als erfüllt angesehen werden, dass der Sozialleistungsbezug für den Einreiseentschluss des Ausländers, sei es allein, sei es neben anderen Gründen, in besonderer Weise bedeutsam war.

37

2.

Die Antragstellerin hat jedoch keine Tatsachen glaubhaft gemacht, aus denen sich ein Anspruch auf Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergibt.

38

Die diesbezüglich eingereichten Unterlagen betreffen durchweg längere Zeit vor der Einreise der Antragstellerin begründete Verpflichtungen des J., mit dem die Antragstellerin nicht in einer Bedarfsgemeinschaft lebt. Es ist weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich, dass sich die Antragstellerin bislang an den Aufwendungen beteiligt oder sich hierzu auch nur wirksam - etwa im Rahmen eines Untermietvertrages o. ä. - verpflichtet hat. Sie verfügt nach dem Antragsvorbringen und dem bei der Leistungsbeantragung vorgelegten Kontoauszug über keinerlei finanzielle Mittel, um die Verpflichtungen für die Wohnung zu bedienen. Insbesondere hat die Antragstellerin bei der im Rahmen des Betreuungsverfahrens erfolgten Begutachtung angegeben, sie helfe J. aufgrund des für sie kostenlosen Wohnens im Haushalt.

39

Vor diesem Hintergrund und auch aufgrund der sprachlichen Defizite der Antragstellerin, die ein umfassendes Verständnis entsprechender Verpflichtungen zweifelhaft erscheinen ließen, wird der Antragsgegner ggf. aufgerufen sein, die Wirksamkeit eventuell zukünftig vorgelegter Vereinbarungen über eine Beteiligung an den Unterkunftskosten besonders sorgfältig zu prüfen.

40

3.

Es liegt auch ein Anordnungsgrund vor.

41

Dem Gericht ist schon angesichts der Sprachschwierigkeiten nicht durchweg nachzuvollziehen, aus welchen Gründen sie nicht in Griechenland staatliche Hilfe - ggf. auch zum Schutz vor ihren Angehörigen - gesucht hat und/oder innerhalb des Landes den Wohnsitz gewechselt hat. Auch ist nicht ersichtlich, dass ihr in Griechenland keine staatliche Hilfe zur Existenzsicherung zuteil würde bzw. ihr diese aufgrund besonderer Umstände nicht zugänglich wäre.

42

Allerdings erscheint es der Antragstellerin hier ausnahmsweise nicht zuzumuten, ein eventuelles Hauptsacheverfahren - ggf. auch unter Inkaufnahme einer vorläufigen Rückkehr nach Griechenland - abzuwarten.

43

Zum einen erscheint es dem Gericht jedenfalls angesichts der in vieler Hinsicht plausibel geschilderten schweren Misshandlungen und die zumindest nach der Schilderung des J. weiterhin andauernden Versuche von Kontaktaufnahmen der Verwandten nicht auszuschließen, dass die Antragstellerin auch bei einer Rückkehr an einen anderen Ort in Griechenland weiteren Gefährdungen ausgesetzt wäre. Insofern ist nicht mit der genügenden Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären.

44

Zum anderen verfügt die Antragstellerin - auch wenn sie mit dem Flugzeug in die Bundesrepublik eingereist ist - derzeit bereits nicht über die Mittel, um ihre Lebensgrundlagen zu sichern, so dass eine Rückkehr nach Griechenland nicht möglich erscheint. Letztlich liefe eine Verneinung des einstweiligen Rechtsschutzes unter diesen Voraussetzungen jedoch darauf hinaus, dass während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt wäre. Diese Beeinträchtigung nachträglich könnte jedoch nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden würden.

45

4.

Das Gericht sieht sich nicht veranlasst, vorläufige Leistungen für einen Zeitraum vor dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zuzusprechen. Ein in die Gegenwart fortwirkender Bedarf der Antragstellerin ist nicht ersichtlich.

46

Jedoch hat das Gericht die vorläufige Regelung auf zwei Wochen nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides ausgedehnt.

47

Eine Begrenzung der vorläufigen Regelung auf einen Sechsmonatszeitraum nach Antragstellung (= bis zum 15.07.2010) erscheint der Kammer nicht sachgerecht. Die streitbefangene Ablehnung des Erstantrages entfaltet über den Sechsmonatszeitraum hinaus Wirkungen, weil sich die Antragstellerin bei diesen Rahmenbedingungen nicht dazu veranlasst sehen muss, einen Folgeantrag zu stellen.

48

Die Ausdehnung über den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides folgt daraus, dass das Existenzminimum der Antragstellerin auch für den Fall eines zurückweisenden Widerspruchsbescheides noch für eine begrenzte Zeit zu sichern ist, so dass die Antragstellerin noch in der Lage ist, ggf. erneut einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Mit der an die Bestandskraft des Bescheides vom 26.01.2010 geknüpften einschränkenden Bedingung ist der Möglichkeit Rechnung getragen, dass die Antragstellerin den Widerspruch zurück nimmt.

49

II.

Der Antragstellern ist gem. 73 a Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. §§ 114, 115 der Zivilprozessordnung (ZPO) Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen, weil sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aus eigenem Einkommen oder Vermögen zu tragen, auch nicht zum Teil oder in Raten. Ferner kann der beabsichtigten Rechtsverteidigung bzw. Rechtsverfolgung aus den soeben dargelegten Gründen - auch nicht von vornherein die hinreichende Aussicht auf Erfolg abgesprochen werden.

50

Rechtsanwalt N. ist der Antragstellerin gem. § 121 Abs. 2 ZPO beizuordnen.

51

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

52

Das Gericht hat dabei einerseits berücksichtigt, dass die Antragstellerin mit dem unbezifferten und damit auf zumindest auf Leistungen nach den §§ 20, 22 SGB II gerichteten Antrag nur teilweise Erfolg hat. Andererseits war dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Antragsgegner bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung trotz mehrerer Aufforderungen über rund vier Monate nicht über den Widerspruch der Antragstellerin entschieden hatte und bis heute nicht entschieden hat und deshalb Veranlassung zur Antragstellung gegeben hat.

53

Rechtsmittelbelehrung:

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