Sozialgericht Hildesheim
Urt. v. 09.07.2010, Az.: S 26 AS 1737/09
Berücksichtigung eines Mehrbedarfs i.R.d. Grundsicherung für Arbeitssuchende für kostenaufwendige Ernährung aus Anlass einer Darmerkrankung (Morbus Crohn)
Bibliographie
- Gericht
- SG Hildesheim
- Datum
- 09.07.2010
- Aktenzeichen
- S 26 AS 1737/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 28598
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGHILDE:2010:0709.S26AS1737.09.0A
Rechtsgrundlage
- § 21 Abs. 5 SGB II
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Kosten sind nicht zu erstatten.
- 3.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich dagegen, dass die beklagte SGB II-Trägerin einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung aus Anlass einer Darmerkrankung (Morbus Crohn) abgelehnt hat.
Der 1960 geborene Kläger bezieht seit mehreren Jahren Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Er leidet an Morbus Crohn und erhöhtem Körpergewicht (91 kg Körpergewicht bei einer Körpergröße von 178 cm = Body Mass Index (BMI) 28).
Am 24.04.2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten einen erkrankungsbedingten Zuschlag zur Regelleistung. Die Beklagte holte daraufhin eine amtsärztliche Stellungnahme der Frau Dr. E. ein. Diese führte unter dem 29.07.2009 im Wesentlichen aus, dass der Allgemeinzustand nicht schwer beeinträchtigt sei. Eine die erkrankungsbedingten Beeinträchtigungen beeinflussende Diät sei nicht bekannt. Soweit ein schwerer Erkrankungsschub auftrete sei zwar eine sog. Formeldiät erforderlich. Diese werde jedoch üblicherweise im stationären Rahmen durchgeführt. Bei leichteren Erkrankungsschüben und in der übrigen Zeit solle individuellen Unverträglichkeiten durch eine Ernährungsanpassung Rechnung getragen werden. Es sei keine spezielle Kost, sondern lediglich eine ausgewogene Mischkost bei Meidung unverträglicher Nahrungsmittel erforderlich.
Mit Bescheid vom 31.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2009 lehnte die Beklagte die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung ab.
Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben und die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt. Er sieht einen Mehrbedarf, den er zunächst durch eine Bescheinigung des Internisten Dr. F. vom 15.12.2009 begründet. Dieser hat unter Verweis auf den Befundbericht vom 23.06.2009 mitgeteilt, es bestehe beim Kläger eine schwierige Situation, da die Standardtherapie mit Mesalazin und Azathioprin bei Unverträglichkeitsreaktion nicht durchgeführt werden könne. Es sei zum mehrfachen Wiederaufflammen der Erkrankung gekommen, die dann sowohl mit Diarrhoen als auch mit starken Schmerzen einhergingen. Insbesondere bei den Schüben des Morbus Crohn aber auch im Intervall sei der Kläger immer wieder auf spezielle Nahrungsmittel angewiesen (z.B. lactosefreie Kost, Zusatzernährung, die kalorienreich und flüssig sowie leicht resorbierbar sei). In dem Befundbericht vom 23.06.2009 berichtet Herr Dr. F. u.a. von einem Erkrankungsschub im März 2009 und nachfolgender medikamentöser Behandlung. Der Patient habe jetzt nur noch 1 - 2 Mal Diarrhoen pro Tag, praktisch keine Schmerzen mehr. Eine Reduzierung der Cortison-Dosis bis zur Einstellung solle innerhalb von drei Wochen möglich sein. Ferner hat der Kläger eine Aufstellung von verschiedenen Lebensmitteln eingereicht, Quittungen lägen ihm hierzu nicht mehr vor.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Gemäß § 105 SGG kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten mit gerichtlicher Verfügung vom 07.04.2010 unter Hinweis auf die im ausführlich begründeten Beschluss vom 22.02.2010, mit dem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht abgelehnt worden ist, gehört wurden.
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Streitgegenstand ist der Bescheid des Beklagten vom 31.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2009. Soweit der Kläger sich auch gegen den Bewilligungsbescheid vom 10.09.2009 wendet, enthält dieser keine eigenständige Regelung über die Bewilligung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs, sondern setzt nur die durch die streitgegenständlichen Bescheide getroffene Regelung um. Er ändert oder ersetzt damit keinen der streitbefangenen Bescheide und ist deshalb nicht nach § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden.
Der Bescheid des Beklagten vom 31.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung.
Nach § 21 Abs. 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe.
Der Kläger bedarf jedoch nicht aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung. Die bei ihm vorliegende Darmerkrankung (Morbus Crohn) erfordert lediglich Vollkost.
Das Gericht folgt zunächst dem im Verwaltungsverfahren eingeholten amtsärztlichen Gutachten der Frau Dr. E ... Die Sachverständige hat unter Einbeziehung der vorliegenden Befunde des Klägers überzeugend ausgeführt, dass ein erkrankungsbedingter Mehrbedarf bei der Ernährung nicht zu begründen ist. Das Gericht hat die Ausführungen der Sachverständigen überprüft und in eigener Würdigung nachvollzogen; hiernach ist den medizinischen Beurteilungen uneingeschränkt zuzustimmen. Die Feststellungen der Gutachterin sind in sich schlüssig und insbesondere hinsichtlich der Einschätzung des Ernährungsbedarfs plausibel.
Die Beurteilung der Sachverständigen deckt sich mit den Empfehlungen des G. zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe vom 1. Oktober 2008. Angesichts der in den Empfehlungen berücksichtigten wissenschaftlichen Äußerungen ist das LSG Niedersachsen-Bremen in seinem Beschluss vom 03.02.2009 - L 9 B 339/08 AS - zu Recht mit dem LSG Mecklenburg-Vorpommern (Beschluss vom 19. Dezember 2008 - L 8 B 386/08 -) der Auffassung, dass die Empfehlungen des G. in ihrer 3. Auflage nunmehr wieder als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen sind und die Bedenken des Bundessozialgerichtes (BSG, Urteil vom 15. April 2008 - B 14/11b AS 3/07 R -) insoweit ausgeräumt sind.
Nach den Empfehlungen kann zwar bei einem Morbus Crohn ein ernährungsbedingter Mehrbedarf vorliegen. Grundsätzlich ist jedoch bei dieser Erkrankung Vollkost die allgemein empfohlene Ernährungsform. Bei einem schweren Erkrankungsverlauf oder wenn besondere Umstände vorliegen, z.B. eine gestörte Nährstoffaufnahme, kann jedoch ausnahmsweise ein krankheitsbedingter Mehrbedarf vorliegen. So kann bei erkrankungsbedingtem Untergewicht (BMI unter 18,5) und/oder schnellem, krankheitsbedingten Gewichtsverlust (über 5% des Ausgangsgewichts in den vorausgegangenen drei Monaten; nicht bei willkürlicher Abnahme bei Übergewicht), regelmäßig von einem erhöhten Ernährungsbedarf ausgegangen werden. (Abschnitt II. 2. Gliederungsnr. 4.2).
Keine dieser Ausnahmevoraussetzungen liegt vor.
In seinem Befundbericht berichtet Herr Dr. H. vom 23.06.2009 zwar von einem Erkrankungsschub im März 2009 und nachfolgender medikamentöser Behandlung. Dieser war jedoch Ende Juni 2009 soweit abgeklungen, dass der Kläger nur noch 1 - 2 Mal Diarrhoen pro Tag und praktisch keine Schmerzen mehr hatte. Nachdem mit dem Kläger auch eine ausschleichende Medikation vereinbart wurde, kann nicht von einem schweren Erkrankungsverlauf ausgegangen werden. Der Kläger hat auch kein Untergewicht oder erkrankungsbedingt stark an Gewicht verloren.
Dem Anspruch des Klägers steht schließlich entgegen, dass er einen Mehrbedarf lediglich anhand von verschiedenen Preisangaben behauptet und auch auf Aufforderung des Gerichts jeden Nachweis schuldig geblieben ist, dass er und ggf. welche spezielle Kost er erworben hat bzw. für erforderlich hält. Seine Aufstellung erschöpft sich in der Angabe von Preisen verschiedener Lebensmittel ohne nähere Angaben zu Hersteller, Gewicht, Bezugsquelle und Erhebungszeitraum, wobei der Zusammenhang mit der Erkrankung des Klägers nicht erkennbar und entsprechend auch nicht vom Gericht überprüfbar ist. Jedenfalls wenn eine Erkrankung zur Meidung von Gesundheitsrisiken oder gesundheitlichen Fehlentwicklungen nicht generell, sondern nur abhängig von ihrem Verlauf - z.B. bei einer vorübergehenden Verschlimmerung - einer bestimmten Ernährung bedarf, muss der Hilfebedürftige zumindest durch Benennung von Anknüpfungstatsachen darlegen, wann welcher Mehrbedarf bestanden hat und wie dieser sich von einem beschwerdefreien Intervall unterscheidet.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 105 Abs. 3, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Die Berufung ist nicht zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,- EUR nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Deutschen Vereins aus dem Jahr 1997, der letztmalig einen Orientierungswert von 25,56 EUR monatlich als erkrankungsbedingten Mehrbedarf bei Morbus Crohn enthielt (abgedruckt bei Lang/Knickrehm, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 21 Rn. 53), und dem gesetzlich bestimmten Vorauszahlungszeitraum von sechs Monaten (§ 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II), ergibt sich ein Gesamtbetrag von 156,36 EUR. Ein streitiger Anspruch auf eine laufende Leistung von mehr als einem Jahr i.S.d. § 144 Abs. 1 Satz 2 kann schon wegen der bei Morbus Crohn möglichen Änderungen des Gesundheitszustandes nicht angenommen werden.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Insbesondere kommt der der Frage, ob der Kläger auf Grund seiner Erkrankung einer besonderen, kostenintensiven Ernährung bedarf und damit Anspruch auf ernährungsbedingten Mehrbedarf i. S. des § 21 Abs. 5 SGB II hat, keine grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu, weil die Entscheidung hier von den individuellen gesundheitlichen - und damit ausschließlich tatsächlichen - Verhältnissen des Klägers abhängt (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 15.02.2010 - L 3 AS 780/09 NZB -).