Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 18.12.2006, Az.: 74 IN 223/06
Berechnung der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters unter Einbeziehung der Anfechtungsansprüche; Einbeziehung von schuldnerfremden bzw. wertausschöpfend belasteten Gegenständen in die Berechnungsgrundlage der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 18.12.2006
- Aktenzeichen
- 74 IN 223/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 31961
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2006:1218.74IN223.06.0A
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 1 InsVV
- § 30 GmbHG
- § 31 GmbHG
- § 32a GmbHG
- § 32b GmbHG
Fundstellen
- NZI (Beilage) 2007, 18 (amtl. Leitsatz)
- ZIP 2007, 37-38 (Volltext mit amtl. LS)
- ZInsO 2007, 89-90 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Vermögen der ...
Tenor:
Gemäß Antrag vom 17.11.2006 wird die Vergütung für die Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter auf 4.719,60 EUR und für die Tätigkeit als Sachverständiger auf 569,36 EUR festgesetzt.
Dem Insolvenzverwalter wird gestattet, den festgesetzten Betrag der Insolvenzmasse zu entnehmen.
Gründe
I.
Der jetzige Insolvenzverwalter war vom 14.07.2006 bis zur Eröffnung des Verfahrens am 31.08.2006 zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt bestellt. Am 17.11.2006 hat er die Festsetzung für seine Tätigkeit als Sachverständiger (7 Stunden á 65 EUR) und für die Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter beantragt. Das in Bezug genommene, am 30.10.2006 zu den Akten gegebene Verzeichnis der Vermögensgegenstände nach § 151 InsO über 42.098, 86 EUR weist auch Anfechtungsansprüche in Höhe von 5.500 EUR gegenüber dem Finanzamt Göttingen aus.
II.
Die Vergütung ist antragsgemäß festzusetzen. In die für die Berechnung der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters zugrunde zulegende Masse sind auch die Anfechtungsansprüche gegenüber dem Finanzamt Göttingen in Höhe von 5.500 EUR einzuberechnen.
1)
Die Rechtsprechung hat zunächst Anfechtungsansprüche in die Berechnungsgrundlage für die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit einbezogen (LG Berlin ZInsO 2002, 623[LG Berlin 14.05.2002 - 86 T 245/02]; LG Köln ZIP 2004, 961 [LG Köln 26.03.2004 - 19 T 6/04] = ZInsO 2004, 499 LS), sofern sich die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters auf die Ermittlung anfechtbarer Ansprüche bezogen hat und das Vorliegen der Ansprüche konkret geprüft und nicht offen gelassen wurde (LG Osnabrück ZInsO 2003, 896).
Nach der Rechtsprechung des BGH sind allerdings bei der Ermittlung der Berechnungsgrundlage für die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters Bemühungen zur Klärung von künftigen Ansprüchen zur Masseanreicherung etwa aus Insolvenzanfechtung nicht zu berücksichtigen. Gleiches soll gelten für Ansprüche auf Erstattung nach §§ 32 a, 32 b GmbHG. Der BGH hält die Gewährung eines Zuschlages für möglich, jedoch nur, falls der vorläufige Insolvenzverwalter für die fraglichen Bemühungen nicht schon als Sachverständiger entlohnt worden ist (BGH ZInsO 2004, 672 = ZIP 2004, 1653 mit ablehnender Anmerkung Keller = NZI 2004, 444 ). In einer späteren Entscheidung hat der BGH bekräftigt, dass der Aufwand zur Feststellung der Anspruchsgrundlagen gem. §§ 129 ff. InsO grundsätzlich über die Vergütung für die Tätigkeit als Sachverständigen abgedeckt ist. Die Gewährung eines Zuschlages soll jedoch in Betracht kommen, sofern der Sachverständige Ermittlungen anstellen musste, die ihm nur in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter möglich waren, oder sofern er Maßnahmen ergriffen hat, um die Durchsetzung künftiger Anfechtungsansprüche vorzubereiten oder zu sichern (BGH ZInsO 2006, 143 = ZIP 2006, 625). Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BGH ist von den Instanzgerichten sodann für die Ermittlung von Anfechtungsrechten ein Zuschlag in Höhe von 10% zugebilligt worden (LG Potsdam ZIP 2006, 296, 297 [LG Potsdam 05.01.2006 - 5 T 65/05] f ). Bei der Prüfung von Ansprüchen gem. §§ 32 a, 32 b GmbHG hat die Rechtsprechung allerdings darauf hingewiesen, dass neben diesen Spezialvorschriften auch die bisherigen Kapitalerhaltungsvorschriften der §§ 30, 31 GmbHG Anwendung finden. Da dieser Erstattungsanspruch keine Eröffnung voraussetzt, sind Ansprüche in die Berechnungsgrundlage einbezogen worden (LG Wetzlar DZWiR 2005, 259 [LG Wetzlar 22.03.2005 - 7 T 49/05] f).
Die Literatur billigt überwiegend die Rechtsprechung des BGH (FK-InsO/Schmerbach § 21 Rz. 52; FK-InsO/Lorenz § 11 InsVV Rz. 12; Kübler/Prütting/Eickmann § 11 InsVV Rz. 47; BK-Blersch § 11 InsVV Rz. 23; Graeber in Anmerkung zu BGH DZWiR 2004, 421). Teilweise wird die Rechtsprechung des BGH aber auch abgelehnt (Keller in Urteilsanmerkung zu BGH ZIP 2004, 1653; HK-InsO/Irschlinger § 11 InsVV Rz. 9; HambK-Büttner Anhang zu § 65 Rz. 21; Pluta/Heidrich Urteilsanmerkung zu BGH DZWiR 2005, 469, 471; Blersch ZIP 2006, 598, 603 f; für eine Einbeziehung auch Haarmeyer/Wutzke/Förster § 11 InsVV Rz. 44).
2)
Die Rechtsprechung des BGH ist abzulehnen.
a)
Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV in der ab dem 7. Oktober 2004 geltenden Fassung erhält der vorläufige Insolvenzverwalter in der Regel 25 vom Hundert der Vergütung nach § 2 Abs. 1 InsVV, "bezogen auf das Vermögen, auf das sich seine Tätigkeit während des Eröffnungsverfahrens erstreckt". Der Wortlaut der Vorschrift enthält keine Einschränkung. Unter dem Begriff des Vermögens fallen auch solche Ansprüche, die sich erst nach Eröffnung des Verfahrens realisieren lassen. Ziel der Insolvenzrechtsreform war u.a. die vermehrte Eröffnung von Verfahren. In der Praxis gibt es durchaus Fallgestaltungen, in denen im Zeitpunkt der Eröffnung keine Masse vorhanden ist, sie vielmehr erst später durch Ausübung von Anfechtungsrechten gem. §§ 129 ff InsO generiert werden kann. In diesen Fällen umfangreicher Prüfung dem vorläufigen Insolvenzverwalter nur die Mindestvergütung von 1.000 EUR gem. §§ 11 Abs. 1, 2 Abs. 2 InsVV zuzubilligen, ist nicht zutreffend (vgl. AG Göttingen ZInsO 2006, 1047 = NZI 2006, 644 = ZIP 2006, 2090 zur Einbeziehung von schuldnerfremden bzw. wertausschöpfend belasteten Gegenständen in die Berechnungsgrundlage der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters).
b)
Zudem entstehen Ansprüche aus Insolvenzanfechtung nicht erst mit Insolvenzeröffnung. Vielmehr gehört der Anfechtungsanspruch zur "Istmasse" und ist durch den vorläufigen Insolvenzverwalter durch Inbesitznahme von Unterlagen, insbesondere von Bankbelegen und Kontoauszügen, zu sichern. Lediglich die Aktivlegitimation des Insolvenzverwalters entsteht erst mit der Insolvenzeröffnung (HK-InsO/Irschlinger § 11 InsVV Rz. 9). Der Anfechtungsanspruch kann mit einem Anwartschaftsrecht verglichen werden, der einen Wert darstellt und bei der Ermittlung der Vermögensmasse daher zu berücksichtigen ist (LG Köln ZIP 2004, 961, 962 [LG Köln 26.03.2004 - 19 T 6/04]; Pluta/Heidrich, DZWiR 2005, 469, 471).
Jedenfalls handelt es sich um Vermögen des Insolvenzschuldners im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV, auf das sich die Tätigkeit des vorläufigen Verwalters erstreckt (Haarmeyer/Wutzke/Förster § 11 InsVV Rz. 44; Blersch ZIP 2006, 598, 603).
c)
Darüber hinaus ist die vom BGH favorisierte Zuschlagslösung aus mehreren Gründen abzulehnen.
Besteht die (spätere) Insolvenzmasse im Wesentlichen oder fast ausschließlich aus Anfechtungsansprüchen, müssten zur Erhöhung der gesetzlichen Mindestvergütung von 1.000 EUR Zuschläge im dreistelligen Prozentbereich gewählt werden, damit der vorläufige Insolvenzverwalter eine angemessene Vergütung erhält. Derartige Zuschläge sind schwer überschaubar und nachvollziehbar und würden zu einer Diskreditierung der gesamten Insolvenzverwaltung führen (vgl. AG Göttingen ZInsO 2006, 1047, 1049 = NZI 2006, 644 = ZIP 2006, 2090 im Rahmen der Berücksichtigung von Aus- und Absonderungsrechten für die Bemessung der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters).
Zudem lässt der BGH die Gewährung eines Zuschlages nur zu, falls die Tätigkeiten des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht schon durch seine Tätigkeit als Sachverständiger abgegolten sind (BGH ZIP 2004, 1653, 1655 [BGH 29.04.2004 - IX ZB 225/03] = ZInsO 2004, 672 = NZI 2004, 444). Wie eine praktische Umsetzung erfolgen soll, erläutert der BGH nicht. In der Praxis wird der vorläufige Insolvenzverwalter zugleich zum Sachverständigen bestellt schon im Hinblick darauf, dass er bei Abweisung mangels Masse jedenfalls einen Vergütungsanspruch für seine Tätigkeit als Sachverständiger hat (vgl FK-InsO/Schmerbach § 26 Rz. 70). Die Ergebnisse werden zusammengefasst im Abschlussgutachten, in dem sowohl die Tätigkeiten als Sachverständiger als auch als vorläufiger Insolvenzverwalter einfließen. Sofern der BGH in der vorerwähnten Entscheidung darauf abgestellt hat, Feststellungen zu Anfechtungsansprüchen fänden sich in dem als Sachverständigen abgegebenen Gutachten, spiegelt dies nicht die Praxis wider. Soweit der BGH in einer weiteren Entscheidung (BGH ZInsO 2006, 143 = ZIP 2006, 625) darauf abstellt, ob zur Feststellung von Anfechtungsansprüchen Ermittlungen angestellt werden mussten, die nur der vorläufige Insolvenzverwalter treffen konnte, oder ob er Maßnahmen ergriff, um die Durchsetzung zukünftiger Ansprüche vorzubereiten oder zu sichern, und deshalb einen Zuschlag gewährt, bleibt unklar, wie dies in der Praxis konkret mit zumutbarem Aufwand festgestellt werden soll. Dem vom BGH geäußerten Bedenken, dass bei Beendigung des Eröffnungsverfahrens noch nicht feststeht, ob die betreffenden Ansprüche bestehen und in welcher Höhe (BGH ZIP 2004, 1653, 1654 [BGH 29.04.2004 - IX ZB 225/03] = ZInsO 2004, 672 = NZI 2004, 444 ), kann Rechnung getragen werden. Es ist anerkannt, dass bei nicht sicher realisierbaren Ansprüchen ein Abschlag vorzunehmen ist.
3)
Ein solcher Abschlag ist im vorliegenden Fall nicht geboten. Die Voraussetzungen eines Anfechtungsanspruches gegen das Finanzamt liegen vor; dieses ist als solventer Schuldner anzusehen.
Es kommt auch nicht darauf an, ob der vorläufige Insolvenzverwalter eine Tätigkeit in nennenswerten oder erheblichen Umfang entfaltet hat (so LG Berlin ZInsO 2002, 623, 624[LG Berlin 14.05.2002 - 86 T 245/02]; LG Köln ZIP 2004, 961 [LG Köln 26.03.2004 - 19 T 6/04] = ZInsO 2004, 499; Blersch ZIP 2006, 598, 603). Diese Einschränkung betrifft die Frage der Einbeziehung von Gegenständen, die mit Aus- oder Absonderungsrechten belegt sind, in die Berechnungsgrundlage (BGH ZInsO 2001, 165, 168)[BGH 14.12.2000 - IX ZB 105/00]. Allenfalls kann ein Abschlag (gem. §§ 11,3 Abs. 2 InsVV) in Betracht kommen, für den im vorliegenden Fall aber keine Anhaltspunkte ersichtlich sind.