Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 20.07.2006, Az.: 74 IK 211/04
Befugnis zur Ernennung eines anderen Treuhänders als den bisherigen für die Wohlverhaltensphase nach Aufhebung des Vereinfachten Verbraucherinsolvenzverfahrens; Möglichkeit zur Erhebung einer sofortigen Erinnerung des bisherigen Treuhänders gegen eine Entscheidung des Rechtspflegers; Beschwerdemöglichkeit eines Verfahrensbeteiligten bei der Bestellung eines Treuhänders für die Wohlverhaltensperiode; Überprüfungsmöglichkeit der Entscheidung eines Rechtspflegers unter dem Gesichtspunkt des Ermessensnichtgebrauchs oder Ermessensfehlgebrauchs; Ortsnähe als wesentliches Kriterium für die Bestellung zum Insolvenzverwalter und zum Treuhänder; Ermessensfehlgebrauch bei fehlender Weiterbeschäftigung des bisherigen Treuhänders aufgrund fehlender Ortsnähe durch eine Kanzleiverlegung
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 20.07.2006
- Aktenzeichen
- 74 IK 211/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 34742
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2006:0720.74IK211.04.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- LG Göttingen - 16.08.2006 - AZ: 10 T 73/06
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs. 2 RPflG
- § 6 Abs. 1 InsO
- § 291 Abs. 2 InsO
- § 298 InsO
- § 313 Abs. 1 S. 2 InsO
Fundstellen
- Rpfleger 2006, 666-667 (Volltext mit red. LS)
- ZVI 2006, 523-524 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Das Insolvenzgericht ist befugt, nach Aufhebung des Vereinfachten (Verbraucher-)Insolvenzverfahrens für die Wohlverhaltensphase einen anderen Treuhänder als den bisherigen Treuhänder zu ernennen.
- 2.
Es bleibt dahingestellt, ob dem bisherigen Treuhänder gegen die Entscheidung des Rechtspflegers die sofortige Erinnerung gem. § 11 Abs. 2 RPflG zusteht.
- 3.
Eine Überprüfungsmöglichkeit der Entscheidung des Rechtspflegers besteht allenfalls unter dem Gesichtspunkt des Ermessensnicht-/fehlgebrauches. Ein solcher liegt nicht vor, wenn der bisherige Treuhänder deshalb nicht weiter beschäftigt wird, weil u.a. in Folge Verlegung des Kanzleisitzes das Kriterium der Ortsnähe nicht mehr erfüllt ist.
Tenor:
Der Rechtsbehelf des Rechtsanwaltes R. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 21.06.2006 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Über das Vermögen des Schuldners ist mit Beschluss vom 13.08.2004 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet und der Beschwerdeführer zum Treuhänder bestellt worden. Mit Beschluss vom 21.06.2006 ist dem Schuldner die Erteilung der Restschuldbefreiung angekündigt und Dipl.-Rpfl. H. zum Treuhänder für die Wohlverhaltensperiode bestimmt worden. Der Beschluss ist auch dem bisherigen Treuhänder am 27.06.2006 zugestellt worden. Mit Beschluss vom 29.06./30.06.2006 hat dieser gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt.
Zur Begründung beruft er sich darauf, dass er mit dem Eröffnungsbeschluss gem. § 313 Abs. 1 Satz 2 InsO auch für das Restschuldbefreiungsverfahren zum Treuhänder bestellt worden sei. Hintergrund für die von ihm so bezeichnete "Abberufung" bzw. "Abwahl" sei, dass er sich in einem anderen Verbraucherinsolvenzverfahren nach Abweisung eines Vorschussantrages auf seine Vergütung geweigert habe, zunächst vom Schuldner gem. § 298 InsO die Mindestvergütung zu verlangen und diesen bei Nichtzahlung auf die Möglichkeit der Stundung hinzuweisen.
Die Rechtspflegerin hat dem Rechtsbehelf nicht abgeholfen und die Akte dem Richter vorgelegt.
II.
Es kann dahinstehen, ob der Rechtsbehelf zulässig ist; er ist jedenfalls unbegründet.
1)
Eine sofortige Beschwerdemöglichkeit nach Maßgabe des § 6 Abs. 1 InsO besteht bei Bestellung des Treuhänders für die Wohlverhaltensperiode gem. § 291 Abs. 2 InsO nicht; eine Beschwerdemöglichkeit wird keinem der Verfahrensbeteiligten eingeräumt. Ist allerdings die Entscheidung vom Rechtspfleger getroffen, besteht die Möglichkeit der sofortigen Erinnerung gem. § 11 Abs. 2 RPflG (AG Göttingen ZInsO 2004, 1323, 1324[AG Göttingen 22.11.2004 - 74 IN 137/02] = NZI 2005, 117 = ZVI 2005, 53 = RPfleger 2005, 162). Weitere Voraussetzung für einen Rechtsbefehl ist die Beschwerdebefugnis (Jaeger/Gerhardt, InsO, § 6 Rz. 28; FK-InsO/Schmerbach § 6 Rz. 8). Daran dürfte es im vorliegenden Fall fehlen. Für den vergleichbaren Fall der Ernennung zum Insolvenzverwalter hat das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 23.05.2006 - 1 BvR 2530704) kürzlich festgestellt, dass eine gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit nicht besteht. Die vom Bundesverfassungsgericht herangezogene Argumentation lässt sich auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen. Auch in der Wohlverhaltensperiode muss eindeutig klar sein, wer Empfänger der vom Schuldner abgetretenen Forderungen (§ 287 Abs. 2 Satz 1 InsO) ist.
2)
Der Rechtsbehelf ist jedenfalls unbegründet. Bei der gem. § 11 Abs. 2 RPflG bestehenden Möglichkeit der sofortigen Erinnerung ist eine Entscheidung des Rechtspflegers allenfalls unter dem Gesichtspunkt des Ermessensnicht-/ fehlgebrauches überprüfbar (AG Göttingen ZInsO 2004, 1323, 1324[AG Göttingen 22.11.2004 - 74 IN 137/02] = NZI 2005, 117 = ZVI 2005, 53 = RPfleger 2005, 162). Davon kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden.
a)
Zunächst ist festzuhalten, dass - entgegen der Rechtsauffassung des bisherigen Treuhänders - das Insolvenzgericht durchaus befugt ist, in der sogenannten Wohlverhaltensperiode einen anderen Treuhänder zu ernennen als im vorhergehenden Vereinfachten Insolvenzverfahren. Regelmäßig ist es zwar so, dass die Person des Treuhänders in beiden Verfahrensabschnitten identisch ist (BGH ZInsO 2003, 750 = NZI 2004, 156, 157 [BGH 18.12.2003 - IX ZB 60/03]; BGH ZVI 2004, 544). Dies ist aber nicht zwingend (FK-InsO/Ahrens § 291 Rz. 7, 8; FK-InsO/Kothe § 313 Rz. 5; MK-InsO/Ehricke § 288 Rz. 5; Kübler/Prütting/Wenzel InsO, § 291 Rz. 3; HambK-InsO/Streck § 291 Rz. 5; so jetzt auch HK-InsO/Landfehrmann § 291 Rz. 7). Ansonsten würde das Vorschlagsrecht des § 288 InsO leer laufen (Uhlenbruck/Vallender InsO, § 288 Rz. 6 und § 291 Rz. 12). Zudem ist eine Gleichbehandlung mit dem IN-Verfahren angezeigt, in dem eine andere Person als der Insolvenzverwalter zum Treuhänder bestellt werden kann.
b)
Der bisherige Treuhänder erfüllt nicht mehr die Voraussetzungen, die an eine ordnungsgemäße Ausübung des Amtes zu stellen sind. Ein wesentliches Kriterium für die Bestellung zum Insolvenzverwalter und auch zum Treuhänder ist das Kriterium der Ortsnähe. Dies ist in der Rechtsprechung anerkannt für die vergleichbare Frage der sogenannten Vorauswahl, nämlich der Aufnahme eines Interessenten in die Liste der zu bestellenden Verwalter (OLG München ZIP 2005, 670; OLG Schleswig ZInsO 2005, 604[OLG Schleswig 28.02.2005 - 12 VA 3/04]; OLG Koblenz ZInsO 2005, 718, 722[OLG Koblenz 12.05.2005 - 12 VA 1/04]; OLG Stuttgart ZVI 2006, 64, 65) [OLG Stuttgart 05.12.2005 - 19 VA 4/05]. Diese Anforderung gilt auch bei der Bestellung eines Treuhänders (Schmerbach in: Haarmeyer/Wutzke/Förster PräsensKommentar Inso, § 288 Rn. 8)
Der bisherige Treuhänder wird seinen Kanzleisitz mit Wirkung vom 01.09.2006 von Göttingen in das ca. 50 km entfernte Eschwege verlegen. Damit ist das auch und gerade in Verbraucherinsolvenzverfahren in der Treuhandphase wichtige Kriterium der Ortnähe nicht mehr erfüllt.
Soweit der Treuhänder anlässlich eines Gespräches darauf hingewiesen hat, dass das Insolvenzgericht Göttingen auch nicht in Göttingen ansässige Personen zu Insolvenzverwaltern/Treuhändern bestellt, ist dazu folgendes zu bemerken: Dies geschieht regelmäßig nur bei Schuldnern, die ihren Geschäfts-/Wohnsitz nicht in Göttingen haben. Bei diesen Schuldnern macht es regelmäßig kilometermäßig keinen Unterschied, ob sie sich von ihrem auswärtigen Geschäfts-/Wohnsitz nach Göttingen oder zum Sitz der "auswärtigen" Kanzlei begeben. Der Beschwerdeführer hingegen ist im Wesentlichen zum Treuhänder bestellt worden in Verfahren bei Schuldnern, die ihren Sitz im Bezirk des Amtsgerichtes Göttingen sowie im Bezirk des Amtsgerichtes Duderstadt haben. Für beide Bezirke werden fast ausschließlich Personen bestellt, die ihren Kanzleisitz in Göttingen haben. Auf diesen Sachverhalt ist der bisherige Treuhänder anlässlich eines Telefonates in einem anderen Verbraucherinsolvenzverfahren hingewiesen worden, hat allerdings dies als "Unsinn" bezeichnet, woraufhin eine weitere Kommunikation unterblieb.
c)
Sofern der Beschwerdeführer sich auf den Verfahrensablauf in einem anderen Verbraucherinsolvenzverfahren beruft, ist folgendes zu bemerken: Das Insolvenzgericht Göttingen hat seine Praxis umgestellt und verlangt von allen Treuhändern zunächst, gem. § 298 InsO die Mindestvergütung vom Schuldner einzufordern. Entgegen der Auffassung des bisherigen Treuhänders sind von einer im Eröffnungsbeschluss bewilligten Stundung nicht automatisch die Kosten des Restschuldbefreiungsverfahrens umfasst. Auf § 4 a Abs. 3 Satz 2 InsO ("Die Stundung erfolgt für jeden Verfahrensabschnitt besonders") wird hingewiesen.
d)
Hinzu kommt folgendes: Bei der Auswahl der Person des Treuhänders für die Wohlverhaltensperiode gilt der Maßstab des § 56 Abs. 1 InsO (AG Göttingen ZInsO 2004, 1323, 1324[AG Göttingen 22.11.2004 - 74 IN 137/02] = NZI 2005, 117 = ZVI 2005, 53 = RPfleger 2005, 162 für die Frage der Unabhängigkeit von Gläubigern und Schuldnern). Er muss zwar nicht im gleichen Umfang diesen Qualitätsanforderungen genügen (FK-InsO/Ahrens § 291 Rz. 7). Zweifel an der Qualifikation des bisherigen Treuhänders ergeben sich aber daraus, dass in zwei Regelinsolvenzverfahren gegen ihn eine Vielzahl von Ordnungsgeldern festgesetzt worden sind, da er seit Jahren nicht die erforderlichen Rechnungslegungen vornimmt. Auch dies spricht dagegen, den bisherigen Treuhänder weiter zu beschäftigen.