Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 17.01.2006, Az.: 71 IN 57/03
Voraussetzungen für eine Versagung der Restschuldbefreiung ; Verpflichtung des Schuldners zur Auskunftserteilung an den Gläubiger während des laufenden Insolvenzverfahrens; Grobe Fahrlässigkeit i.S.d. § 290 Abs. 1 Nr. 5 Insolvenzordnung (InsO)
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 17.01.2006
- Aktenzeichen
- 71 IN 57/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 10505
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2006:0117.71IN57.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO
- § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO
Fundstellen
- InVo 2006, 236-237 (Volltext mit amtl. LS)
- NZI (Beilage) 2006, 36 (red. Leitsatz)
- ZBB 2006, 220 (red. Leitsatz)
- ZInsO 2006, 168 (Volltext mit amtl. LS)
- ZVI 2006, 163-164 (Volltext mit amtl. LS)
- ZVI 2006, 77
- ZVI (Beilage) 2006, 77 (red. Leitsatz)
Verfahrensgegenstand
Vermögen des ...
Amtlicher Leitsatz
Wird eine Bürgschaftsverpflichtung des Schuldners erst drei Monate nach Verfahrenseröffnung fällig gestellt, kann es an grober Fahrlässigkeit i.S.d. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO fehlen, wenn sich das Insolvenzgericht bei einem Eigenantrag mit der Angabe der Summe der Gesamtverbindlichkeiten begnügt hat und der Gläubiger vom Schuldner nicht benannt wird.
Tenor:
Der Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Gläubigerin.
Gründe
I.
Die Gläubigerin, eine Geschäftsbank, beantragt, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, weil dieser eine betragsmäßig beschränkte Bürgschaft über DM 200.000 (EUR 102.258,38) verschwiegen hat.
Mit Erklärung vom 29.08.2001 stellte der Schuldner der Gläubigerin zur Sicherung ihrer Ansprüche in seiner Eigenschaft als Gesellschafter/Geschäftsführer einer GmbH die benannte Bürgschaft zur Verfügung. Die Gläubigerin stellte die Bürgschaft zum 12.06.2003 fällig.
Zuvor hatte der Schuldner unter dem 20.03.2003 Antrag auf Durchführung eines Regelinsolvenzverfahrens über sein Vermögen gestellt und dort die Höhe der Verbindlichkeiten mit ca. 250.000 EUR beziffert. Mit Beschluss vom 23.05.2003 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit unter gleichzeitiger Stundungsbewilligung, nachdem ein Sachverständigengutachten ergeben hatte, dass Verbindlichkeiten des Schuldners in Höhe von rund 29.000 EUR bestünden.
Die Gläubigerin konnte die Forderung erst unter dem 17.02.2005 nach Kenntnisnahme der entsprechenden Internetveröffentlichungen anmelden.
Die Gläubigerin meint, dass dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen sei, denn er habe grob fahrlässig nach Insolvenzeröffnung über sein Vermögen unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht.
Der Schuldner erklärt dazu, er habe lediglich übersehen, diese Unterlagen mit einzureichen.
II.
Die Voraussetzungen für eine Versagung der Restschuldbefreiung liegen nicht vor.
Der von der Gläubigerin dargelegte Sachverhalt fällt nicht unter die in § 290 Abs. 1 Nrn. 5 und 6 InsO aufgeführten Versagungstatbestände, wie die Gläubigerin meint.
Der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO liegt im vorliegenden Fall schon deshalb nicht vor, weil hier ein Verstoß gegen Anforderungen aus § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO in einemVerbraucherinsolvenzverfahren gefordert wird. Ein derartiges Verzeichnis hat der Schuldner nicht erstellt, sein Antrag lautet auf Durchführung eines Regelinsolvenzverfahrens. Selbst eine - informelle - Vermögensübersicht im Rahmen dieses Antrages mit einer Bezifferung der Höhe der Verbindlichkeiten besitzt nur eine unselbstständige Funktion zur Erleichterung des Verfahrens, wobei im vorliegenden Fall zur Entlastung des Schuldners auch festzustellen ist, dass er selbst die Höhe der Verbindlichkeiten mit ca. 250.000 EUR angegeben hatte.
Im Übrigen müsste der Schuldner etwaige unzutreffende Angaben vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben. Für ein vorsätzliches Verhalten liegen keine Anhaltspunkte vor.
Grob fahrlässig handelt ein Schuldner, der bei einer Gesamtwürdigung seiner Verhältnisse sich einfachsten, ganz nahe liegenden Überlegungen verschlossen hat und nicht das beachtet, was jedem einleuchten müsste.
Der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit lässt sich im vorliegenden Falle nicht feststellen.
Unstreitig resultierte die Bürgschaftsforderung aus einer Sicherungsabrede zwischen der Gläubigerin und einer GmbH, dessen Gesellschafter/Geschäftsführer der Schuldner zum damaligen Zeitpunkt war. Gerade auf Grund dieses Umstandes und der Tatsache, dass er die Durchführung seiner privaten Insolvenz beantragt hatte, hat der Schuldner nach seinem eigenen Bekunden es übersehen, die Unterlagen hinsichtlich der Bürgschaft, die erst ca. drei Monate nach Antragstellung von der Gläubigerin fällig gestellt worden war, mit vorzulegen. Dieses Fehlverhalten ist kein besonders schwer wiegendes, sondern ein "normales Versehen" eines mit den Anforderungen des Insolvenzverfahrens nicht besonders vertrauten Schuldners.
Aus diesem Grunde entfällt auch auf jeden Fall der Versagungsgrund § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO, wonach die fehlende Kooperationsbereitschaft des Schuldners mit der Versagung der Restschuldbefreiung sanktioniert wird. Soweit der Schuldner gegenüber der Gläubigerin aus dem Sicherungsvertrag verpflichtet gewesen sein mag, entsprechende Auskünfte gegenüber dem Insolvenzverwalter/Treuhänder vorzunehmen, beinhaltet dies keine insolvenzrechtliche Verpflichtung (BGHZ 70, 86, 89 f.) [BGH 07.12.1977 - VIII ZR 164/76]. Seine generelle Verpflichtung, während des laufenden Insolvenzverfahrens Auskünfte zu erteilen, hat der Schuldner im vorliegenden Fall aber allenfalls (normal) fahrlässig verletzt, wie oben bereits zu § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO ausgeführt worden ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 4 InsO i.V.m. § 91 ZPO.
Nach der Rechtskraft dieses Beschlusses wird die Restschuldbefreiung gem. § 291 InsO von dem zuständigen Rechtspfleger angekündigt werden.