Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 28.09.2006, Az.: 74 IN 43/06

Einbeziehung von Aussonderungsrechten und Absonderungsrechten in die Berechnungsgrundlage für die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters; Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters; Reduzierung des Vermögensbegriffs durch eine Bewertung der Masse bei Verfahrenseröffnung; Geltung des Überschussprinzips

Bibliographie

Gericht
AG Göttingen
Datum
28.09.2006
Aktenzeichen
74 IN 43/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 24981
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGGOETT:2006:0928.74IN43.06.0A

Fundstellen

  • NJW 2007, 383 (amtl. Leitsatz)
  • NZI 2006, 720
  • NZI 2007, 18
  • NZI 2006, 644-646 (Volltext mit amtl. LS)
  • Rpfleger 2007, 42-44 (Volltext mit red. LS)
  • ZIP 2007, 929
  • ZIP 2006, 2090-2093 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZInsO 2006, 1047-1049 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZVI 2007, 147-150 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Aus- und Absonderungsrechte sind weiterhin in die Berechnungsgrundlage für die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters einzubeziehen, wenn er eine nennenswerte Tätigkeit entfaltet hat (im Anschluss an BGH 14.12.2000 BGHZ 146, 165 = ZInsO 2001, 165[BGH 14.12.2000 - IX ZB 105/00] mit zustimmender Anmerkung Haarmeyer ZInsO 2001, 215 = ZIP 2001, 296 = EWiR 2001, 281 = NZI 2001, 191 = NJW 2001, 1496 [BGH 14.12.2000 - IX ZB 105/00]).

  2. 2.

    Es kommt nicht darauf an, ob die Tätigkeit einen erheblichen Umfang hatte (BGH 14.12.2005 (IX ZB 268/05 =ZInsO 2006, 143 und IX ZB 256/04 = ZIP 2006, 621[BGH 14.12.2005 - IX ZB 256/04]) oder ob die Gegenstände nicht schuldnerfremd bzw. wertausschöpfend belastet sind (BGH 13.07.2006 (ZInsO 2006, 811[BGH 13.07.2006 - IX ZB 104/05] = NZI 2006, 515 = ZIP 2006, 1403). Diese Rechtsprechung widerspricht § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV in der Fassung vom 04.10.2004.

Tenor:

Gemäß Antrag vom 22.06./15.09.2006 wird die Vergütung für die Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter auf 4.634,55 EUR Euro und für die Tätigkeit als Sachverständiger auf 643,64 EUR Euro festgesetzt.

Dem wird gestattet, den festgesetzten Betrag der Insolvenzmasse zu entnehmen.

Gründe

1

A.

Die 1960 geborene Schuldnerin, die gegenüber ihrem Ehemann und dem 16jährigen Sohn gegenüber unterhaltsverpflichtet ist, betreibt seit 2002 einen Miedersalon. Wegen einer Immobilienfinanzierung und Schuldmitübernahme für Verbindlichkeiten des Ehemannes, über dessen Vermögen bereits das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, stellte die Schuldnerin am 06.02.2006 Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowie Antrag auf Stundung und Restschuldbefreiung. Mit Beschluss vom 07.02.2006 ordnete das Insolvenzgericht vorläufige Insolvenzverwaltung unter Zustimmungsvorbehalt an. Unmittelbar danach traf sich der vorläufige Insolvenzverwalter mit der Schuldnerin in deren ca. 30 km von Göttingen entfernt liegenden Geschäftsräumen. Der vorläufige Insolvenzverwalter veranlasste eine Inventarisierung der Warenvorräte. Die gem. § 151 InsO zur Akte gereichte Aufstellung der Warenbestände umfasst 33 Seiten mit durchschnittlich 45 Positionen. Anhand der vorliegenden Rechnungen überprüfte der vorläufige Insolvenzverwalter die vorgefundenen Warenvorräte auf Aus-/Absonderungsrechte. Die Schuldnerin führte das Geschäft mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters fort.

2

Im Abschlussgutachten vom 17.03.2006 ermittelte der vorläufige Insolvenzverwalter die freie Masse mit 7.350,96 EUR. Diese bestand im wesentlichen aus dem Bankguthaben auf dem Hinterlegungskonto abzüglich Bankgebühren, Warenbestellungen und Unterhaltszahlungen an die Schuldnerin in Höhe von 2.453,03 EUR. Weiter ergab die durchgeführte Inventarisierung von rund 1.400 Warenbestandteilen unter Liquidationsgesichtspunkten einen Wert von ca. 35.000 EUR und unter Prüfung der vorliegenden Lieferantenrechnungen einen nicht mit Drittrechten belegten Anteil von 5.000 EUR. Im Hinblick auf einen möglichen Eintritt der Masseunzulänglichkeit im eröffneten Verfahren empfahl der vorläufige Insolvenzverwalter, das Insolvenzverfahren unter Anwendung der Stundungsregelung zu eröffnen. Mit Beschluss vom 22.03.2006 wurde das Verfahren unter Bewilligung von Stundung eröffnet.

3

Die Gläubigerversammlung vom 14.06.2006 beschloss die Fortführung des Geschäftsbetriebes, beauftragte den Insolvenzverwalter mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplanes und gestattet ihm die freihändige Veräußerung eines im hälftigen Anteil der Schuldnerin stehenden bebauten Grundstückes.

4

Mit Antrag vom 22.06.2006 beantragte der Insolvenzverwalter die Festsetzung einer Sachverständigenvergütung von 643,64 EUR (unter Zugrundelegung von 8 Stunden á 65,00 EUR) und die Festsetzung der Vergütung für die vorläufige Insolvenzverwaltung in Höhe von 8.708,71 EUR. Unter Bezugnahme auf das am 06.06.2006 zu den Akten gegebene Verzeichnis der Vermögensgegenstände nach § 151 InsO legte der Insolvenzverwalter eine verwaltete Masse von 163.453 EUR zugrunde und beantragte einen Vergütungssatz von 25% sowie einen Zuschlag von 5% wegen der Erforderlichkeit der Kontrolle des gesamten Geschäftsablaufes. Das Insolvenzgericht wies darauf hin, dass das Grundstück und ein Großteil der Warenbestände mit Absonderungsrechten belegt sind. Daraufhin korrigierte der Insolvenzverwalter mit Schriftsatz vom 15.09.2006 seinen Antrag auf Festsetzung der Vergütung für die vorläufige Insolvenzverwaltung auf 4.643,55 EUR. Für die Berechnung der Vergütung legt der Insolvenzverwalter Vermögenswerte im Wert 37.443,00 EUR zugrunde.

5

Hinsichtlich des mit 35.000,00 EUR bewerteten Gesamtwarenlagers, von dem Waren im Wert von 30.000,00 EUR mit Absonderungsrechten belegt sind, führt er aus, dass er sich mit dem Warenlager intensiv befasste. Eine detaillierte Inventarisierung und Bewertung erfolgte anhand der Einkaufslisten. Darüber hinaus erfolgte für jedes einzelne Stück anhand der vorliegenden Rechnungen die Überprüfung von Absonderungsrechten, die Einholung der Zustimmung der Lieferanten zur Betriebsfortführung und Genehmigung des Verkaufes der absonderungsbelasteten Waren. Dazu mussten konkrete Vereinbarungen mit mehreren Lieferanten getroffen werden. Zur Kontrolle der Betriebsfortführung für die Schuldnerin bedurfte es zudem zahlreicher Besprechungen vor Ort und einer Kontrolle der täglichen Einnahmen und Ausgaben. Der Insolvenzverwalter vertritt die Auffassung, dass die Absonderungsrechte an den Warenbeständen in Höhe von 35.000,00 EUR nicht vergütungsmindernd berücksichtigt werden könnten. Er weist darauf hin, dass sich bei einem Quotienten von 25% auf der Grundlage eines Wertes von 7.453,00 EUR lediglich eine Nettovergütung von 745,30 EUR ergebe. Auch bei einer Erhöhung wegen der intensiven Befassung mit Absonderungsrechten und der Betriebsfortführung um 50% betrage die Nettovergütung lediglich 1.490,60 EUR.

6

B.

Die beantragte Sachverständigenvergütung ist antragsgemäß festzusetzen, ebenso die beantragte (reduzierte) Vergütung für die vorläufige Insolvenzverwaltung in Höhe von insgesamt 4.634,55 EUR, wobei die Grundvergütung 3.745,30 EUR netto beträgt.

7

Das Insolvenzgericht folgt nicht der jüngsten Rechtsprechung des BGH in den Beschlüssen vom 14.12.2005 (IX ZB 268/05 =ZInsO 2006, 143 und IX ZB 256/04 = ZIP 2006, 621[BGH 14.12.2005 - IX ZB 256/04]) und 13.07.2006 (ZInsO 2006, 811[BGH 13.07.2006 - IX ZB 104/05] = NZI 2006, 515 = ZIP 2006, 1403). Vielmehr hält es fest an der Rechtsprechung des BGH im Beschluss vom 14.12.2000 (BGHZ 146, 165 = ZInsO 2001, 165[BGH 14.12.2000 - IX ZB 105/00] mit zustimmender Anmerkung Haarmeyer ZInsO 2001, 215 = ZIP 2001, 296 = EWiR 2001, 281 = NZI 2001, 191 = NJW 2001, 1496 [BGH 14.12.2000 - IX ZB 105/00]). Diese Rechtsprechung hat der Verordnungsgeber durch Änderung der InsVV vom 04.10.2004 in § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVVübernommen.

8

I.

Unter Geltung der KO wurden nach überwiegender Meinung auch die mit Aus- und Absonderungsrechten belasteten Gegenstände für die Bemessung der Vergütung zugrunde gelegt (FK-InsO/Schmerbach § 21 Rz. 52 a). In der erwähnten Entscheidung vom 14.12.2000 stellte der BGH für eine Berücksichtigung die einschränkende Voraussetzung auf, dass der vorläufige Verwalter mit der Sicherung und Verwaltung der mit Aus-/Absonderungsrechten belasteten Gegenstände im nennenswerten Umfang befasst war.

9

In Kenntnis und unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung hat der Verordnungsgeber § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVVüber die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalter wie folgt gefasst: "Er erhält in der Regel 25 vom Hundert der Vergütung nach § 2 Abs. 1 bezogen auf das Vermögen, auf das sich seine Tätigkeit während des Eröffnungsverfahrens erstreckt."

10

II.

Dem gegenüber lässt der BGH in seiner neuen Rechtsprechung einer Befassung im nennenswerten Umfang nicht genügen, fordert vielmehr eine Befassung im erheblichen Umfang in den Beschlüssen vom 14.12.2005 (IX ZB 268/04 = ZInsO 2006, 143 und IX ZB 256/04 = ZIP 2006, 621[BGH 14.12.2005 - IX ZB 256/04] = NZI 2006, 284 [BGH 14.12.2005 - IX ZB 256/04] mit Anm. Keller S. 271). Weiter will der BGH auch bei erheblicher Befassung nach Änderung der InsVV zum Oktober 2004 fremde oder wertausschöpfend belastetet Gegenstände nicht in die Berechnungsgrundlage einbeziehen, sondern lediglich einen Zuschlag gewähren (BGH Beschluss v. 13.07.2006 IX ZB 104/05 = ZInsO 2006, 811[BGH 13.07.2006 - IX ZB 104/05] = NZI 2006, 515 = ZIP 2006, 1403).

11

III.

Diese Auffassung des BGH ist abzulehnen.

12

1)

Gem. § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV ist Berechnungsgrundlage für die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters "das Vermögen, auf das sich seine Tätigkeit während des Eröffnungsverfahrens erstreckt". Der Wortlaut der Vorschrift enthält keine Einschränkung und ließe sogar eine Einbeziehung von mit Aus- und Absonderungsrechten belegten Gegenständen ohne weitere Voraussetzungen zu. Die Auffassung des BGH, nach dem allgemeinen Wortverständnis gehörten "schuldnerfremde" Gegenstände nicht zwingend zum Vermögen des Schuldners, ist nicht näher begründet und nicht nachvollziehbar.

13

2)

Eine Einschränkung ergibt sich erst aus den Materialien der Änderungsverordnung. Der Verordnungsgeber nimmt für die Einbeziehung von Gegenständen, die mit Aus- und Absonderungsrechten belastet sind, Bezug auf die vom BGH im Beschluss vom 14.12.2000 ermittelten Kriterien. Diese Kriterien wurden jahrelang von Rechtsprechung einhellig befolgt. Der Verordnungsgeber wollte die vom Senat im Jahr 2000 entwickelten Maßstäbe in Verordnungsrang erheben (Blersch ZIP 2006, 598, 599 und ZIP 2006, 1605, 1606[BGH 13.07.2006 - IX ZB 104/05]; Haarmeyer ZInsO 2006, 337[BGH 14.12.2005 - IX ZB 256/04] und ZInsO 2006, 786, 788 f.)[BGH 13.07.2006 - IX ZB 104/05]. Für seine gegenteilige Behauptung liefert der Senat (in neuer Besetzung) keine Begründung.

14

3)

Entgegen der Auffassung des Senates wird seine Meinung auch nicht durch eine systematische Auslegung gestützt.

15

Der Begriff des Vermögens kann nicht durch eine Bewertung der Masse bei Verfahrenseröffnung im Sinne des Senates reduziert werden. Grenze jeder Auslegung ist der Wortlaut einer Vorschrift. Der Begriff des Vermögens ist nicht davon abhängig, ob welchem Vermögensrecht ein Gegenstand zuzuordnen ist (Graeber ZInsO 2006, 794, 795; Haarmeyer ZInsO 2006, 788, 790)[BGH 13.07.2006 - IX ZB 104/05]. Der (engere) Begriff des Schuldnervermögens ist gerade nicht verwandt (Blersch ZIP 2006, 1605, 1606 f.) [BGH 13.07.2006 - IX ZB 104/05].

16

Auch ist nicht abzustellen auf das Vermögen im Zeitpunkt der Beendigung der vorläufigen Verwaltung. Der Verordnungsgeber hat das Stichtagsprinzip nicht übernommen (Haarmeyer ZInsO 2006, 788, 790)[BGH 13.07.2006 - IX ZB 104/05]. Nach dem Wollen des Verordnungsgebers soll zur Ermittlung der Vergütung das Vermögen herangezogen werden, auf das sich die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters "während des Eröffnungsverfahrens erstreckt" (Blersch ZIP 2006, 1605, 1607 f.) [BGH 13.07.2006 - IX ZB 104/05].

17

Das "Überschussprinzip" (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 und 3, Nr. 2 InsVV, § 1 Abs. 2 Nr. 3, 4b InsVV) gilt nur für die Bewertung bei Beendigung des (eröffneten) Insolvenzverfahrens. Bei vorläufiger Insolvenzverwaltung ordnet § 10 InsVV die Geltung der §§ 1-9 InsVV an, soweit in §§ 11-13 nichts anderes bestimmt ist. Dies ist in § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV durch den Verordnungsgeber im Jahre 2004 eindeutig erfolgt (Haarmeyer ZInsO 2006, 788, 790[BGH 13.07.2006 - IX ZB 104/05]; Blersch ZIP 2006, 1605, 1607, 1608) [BGH 13.07.2006 - IX ZB 104/05].

18

Schließlich existiert kein Rechtssatz des Inhaltes, dass die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters nie höher sein darf als die des endgültigen Insolvenzverwalters (so BGH ZIP 2006, 621, 623) [BGH 14.12.2005 - IX ZB 256/04]. Die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters kann durchaus umfangreicher als diejenige des endgültigen Insolvenzverwalters (Keller NZI 2006, 271, 273) und wegen der wesentlich höheren Vermögenswerte auch risikobehafteter (Blersch ZIP 2006, 598, 600) sein. Sind Aus-/Absonderungsrecht in größeren Umfang vorhanden. Kann die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters die des endgültigen Insolvenzverwalters übersteigen (AG Göttingen NZI 2005, 271 = ZVI 2005, 103).

19

4)

Auch die weiteren Argumente des Senates überzeugen nicht. Dies gilt insbesondere für die Gefahr der Auszehrung der zu sichernden "künftigen" Masse und die Gewährung einer angemessenen Vergütung für vorläufige Insolvenzverwalter durch Einführung eines angemessenen Zuschlages.

20

a)

Übersteigt die freie Masse die Absonderungsrechte deutlich, wird (bei erheblicher Befassung) der vorläufige Insolvenzverwalter regelmäßig sogar günstiger gestellt. Dies verdeutlicht nachfolgende tabellarische Übersicht.

Freie MasseAbsonderungsrechtVergütung mit Abs.-rechtVergütung ohne Abs.-recht mit Zuschlag
25%5%10%
20.000 EUR5.000 EUR2.500,00 EUR2.400,00 EUR2.800,00 EUR
50.000 EUR20.000 EUR4.412,50 EUR4.875,00 EUR5.687,50 EUR
80.000 EUR30.000 EUR5.112,50 EUR5.505,00 EUR6.422,50 EUR
150.000 EUR40.000 EUR6.512,50 EUR6.975,00 EUR8.137,50 EUR
200.000 EUR50.000 EUR7.562,50 EUR8.025,00 EUR9.362,50 EUR
260.000 EUR60.000 EUR8.087,50 EUR9.165,00 EUR10.962,50 EUR
21

b)

Anders verhält es sich im vorliegenden Fall. Für die Tätigkeit der vorläufigen Insolvenzverwaltung besteht zwar nicht nur ein Nettoanspruch von 745,30 EUR, sondern die sich aus §§ 10, 2 Abs. 2 Satz 1 ergebende Mindestvergütung von 1.000 EUR. Es ist anerkannt, dass von dem für das eröffnete Verfahren geltenden Mindestsatz von 1.000 EUR auch für die vorläufige Insolvenzverwaltung kein Abschlag vorzunehmen ist (BGH ZInsO 2006, 811, 815 f)[BGH 13.07.2006 - IX ZB 104/05]. Dass es sich dabei um einen erkennbare sachfremdes und vom Verordnungsgeber nicht gewolltes Ergebnis handelt, zeigt sich bereits daran, dass die Vorschrift des § 2 Abs. 2 InsVV n. V. für masselose Regelinsolvenzverfahren geschaffen wurde und eine Erhöhungsmöglichkeit nach Anzahl der anmeldenden Gläubiger vorsieht. Nach Auffassung des BGH (ZInsO 2006, 811, 816)[BGH 13.07.2006 - IX ZB 104/05] soll auf die im Eröffnungsverfahren beteiligten Gläubiger abgestellt werden. Wie dieser Kreis näher bestimmt und dies im Streitfall vom Insolvenzgericht ohne großen Aufwand festgestellt werden soll, teilt der BGH nicht mit.

22

Im Ergebnis würde im vorliegenden Fall der vorläufige Insolvenzverwalter für seine Tätigkeit nur die Mindestvergütung von 1.000 EUR erhalten.

23

c)

Es liegt auf der Hand, dass dies das Ende der professionellen Insolvenzverwaltung bedeuten würde (Stellungnahme VID/Gravenbrucher Kreis ZInsO 2006, 809[KG Berlin 07.04.2006 - 7 U 149/05]). In den meisten Fällen ist der überwiegende Teil des Schuldnervermögens mit Aus-/Absonderungsrechten belastet (Blersch ZIP 2006, 599, 601; Förster ZInsO 2006, 785). Es bliebe einem vorläufigen Insolvenzverwalter keine andere Möglichkeit als die sofortige (Initiierung der) Schließung des Geschäftsbetriebes nach dem Motto "Hingehen -reinschauen - rausgehen - abschließen"(Förster ZInsO 2006, 785, 786). Die sechswöchige Fortführung eines Geschäftsbetriebes - wie im vorliegenden Fall - mit Überprüfung der Eigentumsverhältnisse eines Warenlagers mit 1.400 Teilen, Abstimmung des Warenverkaufes mit mehreren Lieferanten, zahlreichen Besprechungen vor Ort und Kontrolle der täglichen Einnahmen und Ausgaben kann für eine Grundvergütung von 1.000 EUR netto nicht erwartet werden.

24

Eine Sicherung der mit Aus-/Absonderungsrechten belegten Gegenstände wird nicht mehr stattfinden. Vermehrte Verfahrenseröffnungen - wie vom Gesetzgeber angestrebt und der Praxis bislang umgesetzt - wird es nicht mehr geben. Vermögensverschiebungen bleiben unentdeckt/ungeahndet, Anfechtungsansprüche und Ansprüche gegen Gesellschafter/Geschäftsführer werde nicht verfolgt. Der Anreiz, ohne freies Vermögen in die Insolvenz zu geraten, wird vergrößert (Blersch ZIP 2006, 1605, 1612) [BGH 13.07.2006 - IX ZB 104/05]. Gesicherte wie ungesicherte Gläubiger werden benachteiligt, Arbeitsplätze werden nicht zumindest teilweise erhalten (Schmidt ZInsO 2006, 791, 793 f.)[BGH 13.07.2006 - IX ZB 104/05].

25

d)

Der BGH will allerdings dem vorläufigen Insolvenzverwalter einen Anspruch auf einen angemessenen Zuschlag - eine erhebliche Tätigkeit vorausgesetzt - zuzubilligen, mit der im Einzelfall flexibel reagiert werden kann, wobei ein dokumentierter tatsächlicher Zeit- und Kostenaufwand des vorläufigen Insolvenzverwalters grundsätzlich berücksichtigt werden soll.

26

Damit verkennt der BGH die Systematik zwischen Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters und der daneben (gem. § 11 Abs. 2 InsVV) zu gewährenden Vergütung für die Sachverständigentätigkeit. Die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters ist tätigkeitsbezogen, die des Sachverständigen zeitbezogen.

27

Will man auf eine angemessene Grundvergütung - wie im vorliegenden Fall 3.745,30 EUR - gelangen, muss man auf die (fiktive) Grundvergütung von 745,30 EUR einen Zuschlag von 500% gewähren, auf die gesetzliche Mindestvergütung von 1.000 EUR einen Zuschlag von 375%. Derartige Zuschläge liegen außerhalb der bislang gewährten Zuschläge. Nur in seltenen Ausnahmefällen wurde für die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters ein Prozentsatz von 100% erreicht oder überschritten (vgl. FK-InsO/Schmerbach § 21 Rz. 52 c, 52 h). Dies wäre für Außenstehende nicht nachvollziehbar (vgl. Graeber ZInsO 2006, 794, 797 f.) und würde zu einer Diskreditierung der gesamten Insolvenzverwaltung führen. Gleiches gälte, wenn als "Ausweichmanöver" der - schwer messbare - Firmenwert (vgl. dazu Hackenberg Insbüro 2005, 379) in die Berechnungsgrundlage einbezogen würde.

28

5)

Die neuste Rechtsprechung des BGH ist daher abzulehnen (ebenso Blersch ZIP 2006, 598; Haarmeyer ZInsO 2006, 337[BGH 14.12.2005 - IX ZB 256/04]; Förster ZInsO 2006, 785; Haarmeyer ZInsO 2006, 786[BGH 13.07.2006 - IX ZB 104/05]; Schmidt ZInsO 2006, 791[BGH 13.07.2006 - IX ZB 104/05]; Graeber ZInsO 2006, 794; Stellungnahme des VID/Gravenbrucher Kreises ZInsO 2006, 809[KG Berlin 07.04.2006 - 7 U 149/05]; Blersch ZIP 2006, 1605[BGH 13.07.2006 - IX ZB 104/05]; hinsichtlich der Nichteinbeziehung in die Berechnungsgrundlage auch Keller NZI 2006, 271; a. A. AG Leipzig NZI 2006, 478 [AG Leipzig 03.05.2006 - 101 IN 72/06]). Sie widerspricht dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV n.F., dem Willen des Verordnungsgebers und führt zudem zu unhaltbaren Konsequenzen.

29

Die Bindungswirkung der abzulehnenden Entscheidung des BGH bezieht sich gem. § 4 InsO i.V.m. § 577 Abs. 4 Satz 3 ZPO nur auf das konkrete, entschiedene Verfahren. In anderen Fällen besteht eine Bindung für die Insolvenz- und Beschwerdegerichte nicht (AG Göttingen ZInsO 2001, 616, 617[AG Göttingen 23.03.2001 - 74 IN 23/00]; MK-InsO/Ganter § 7 Rz. 110; Uhlenbruck InsO § 7 Rz. 32; a. A. LG Göttingen ZIP 2001, 625 zu § 7 Abs. 2 InsO a.F.). Hält ein Amts- oder Beschwerdegericht eine Entscheidung des BGH für falsch, ist es berechtigt, anders zu entscheiden (FK-InsO/Schmerbach § 7 Rz. 26).

30

IV.

Einer Entscheidung, ob Vertrauensschutz in die alte Rechtsprechung des BGH besteht (vgl. dazu Haarmeyer ZInsO 2006, 786, 791[BGH 13.07.2006 - IX ZB 104/05] und ZInsO 2006, 926, 927) bis zum Bekannt werden der Entscheidung des BGH vom 13.07.2006, bedarf es nicht.

31

V.

Im vorliegenden Fall hat der vorläufige Insolvenzverwalter auf den mit Absonderungsrechten belegten Teil des Warenlagers eine Tätigkeit nicht nur nennenswerten, sondern sogar im erheblichen Umfang ausgeübt, so dass auch nach der verschärften (abzulehnenden) jüngsten Rechtsprechung des BGH eine vergütungsrechtliche Berücksichtigung zu erfolgen hat. Unter Berücksichtigung der vom Verordnungsgeber bei Neufassung des § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV bestätigten Rechtsprechung des BGH sind die belasteten Gegenstände nicht nur mit einem Zuschlag zu berücksichtigen, sondern in die Berechnungsgrundlage aufzunehmen. Da der vorläufige Insolvenzverwalter nur den Liquidationswert ansetzt, kann dahinstehen, ob nicht der Veräußerungswert nach Verfahrenseröffnung (Blersch ZIP 2006, 598, 602) anzusetzen ist.

32

Einer Entscheidung darüber, ob dem vorläufigen Insolvenzverwalter Zuschläge zustehen, bedarf es nicht, da solche nicht beantragt sind. Auch wenn der Zeitraum der vorläufigen Insolvenzverwaltung bei sechs Wochen liegt, ist ein Abschlag nicht geboten im Hinblick auf die umfangreichen Tätigkeiten des vorläufigen Insolvenzverwalters.

Schmerbach