Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 02.10.2006, Az.: 74 IN 351/05
Zuständigkeit des Insolvenzgerichts bei Einlegung von Rechtsmittel während des Laufs des Insolvenzverfahrens; Recht auf abgesonderte Befriedigung bei Pfändung zukünftiger Forderungen; Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung bei Ankündigung der Restschuldbefreiung und Aufhebung des Verfahrens
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 02.10.2006
- Aktenzeichen
- 74 IN 351/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 34681
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2006:1002.74IN351.05.0A
Rechtsgrundlagen
- § 50 Abs. 1 InsO
- § 88 InsO
- § 89 Abs. 3 S. 1 InsO
- § 312 Abs. 1 S. 3 InsO
Fundstellen
- NZI 2006, 714-715 (Volltext mit amtl. LS)
- NZI 2007, 37
- NZI 2007, 25
- NZI 2007, 11
- ZInsO 2006, 1063-1064 (Volltext mit amtl. LS)
- ZVI 2006, 522-523 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Das Vermögen des ...
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Zuständigkeit des Insolvenzgerichtes gem. § 89 Abs. 3 Satz 1 InsO bleibt auch erhalten, wenn ein Rechtsbehelf während der Laufzeit des Insolvenzverfahrens eingelegt wird, das Insolvenzverfahren aber vor abschließender Entscheidung aufgehoben wird.
- 2.
Durch die Pfändung zukünftiger Forderungen entsteht kein Recht auf abgesonderte Befriedigung gem. § 50 Abs. 1 InsO. Eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgebrachte Pfändung in zukünftige Forderungen wird mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 89 Abs. 1 InsO unwirksam.
- 3.
Wird dem Schuldner die Restschuldbefreiung angekündigt und das Verfahren aufgehoben, so bleibt die Unwirksamkeit gem. § 294 Abs. 1 InsO bestehen.
- 4.
In diesen Fällen ist die Zwangsvollstreckung für den Zeitraum vor Beginn der Rückschlagsperre (§§ 88, 312 Abs. 1 Satz 3 InsO) für unzulässig zu erklären.
Tenor:
Die Zwangsvollstreckung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichtes Göttingen vom 27.01.2005 (73 M 181/05) wird für unzulässig erklärt, soweit Forderungen des Schuldners gepfändet werden, die nach dem 28.06.2005 entstanden sind oder entstehen. Der weitergehende Rechtsbehelf der Drittschuldnerin wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Auf Antrag der Gläubigerin ist am 27.01.2005 ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss in gegenwärtige und künftige Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin ergangen. Am 22.09.2005 ist aufgrund Antrages vom 28.07.2005 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet worden. Mit Beschluss vom 08.05.2006 ist dem Schuldner die Restschuldbefreiung angekündigt und mit Beschluss vom 07.06.2006, rechtskräftig seit dem 30.06.2006, das Verfahren aufgehoben worden.
Die Drittschuldnerin hat mit Schreiben vom 09.03.2006 Erinnerung eingelegt mit der Begründung, ein Recht auf abgesonderte Befriedigung sei nicht entstanden, da vor dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung kein pfändbares Guthaben entstanden sei.
Die Rechtspflegerin beim Vollstreckungsgericht hat der Erinnerung nicht abgeholfen. Die Abteilungsrichterin hat die Akte dem Insolvenzgericht vorgelegt, das mit Beschluss vom 26.05.2006 die Erinnerung zurückgewiesen hat. Gegen den am 02.06.2006 zugestellten Beschluss wendet sich die Drittschuldnerin mit der am 13.06.2006 beim Insolvenzgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde, zu der der Gläubigerin und dem Insolvenzverwalter rechtliches Gehör gewährt worden sind.
II.
Der zulässige Rechtsbehelf ist begründet.
1)
Die Zuständigkeit des Insolvenzgerichtes ergibt sich aus § 89 Abs. 3 Satz 1 InsO. Zwar ist das Insolvenzverfahren inzwischen aufgehoben worden, der Schuldner befindet sich in der Restschuldbefreiungsphase. Da in den § 286 ff. eine dem § 89 Abs. 3 Satz 1 InsO vergleichbare Vorschrift fehlt, ist in diesem Verfahrensstadium nicht das Insolvenzgericht, sondern das Vollstreckungsgericht zuständig (FK-InsO/Ahrens § 294 Rz. 25). Im vorliegenden Fall ging allerdings der Rechtsbehelf während des laufenden Insolvenzverfahrens ein, das Insolvenzgericht wies die Erinnerung gem. § 766 ZPO zurück. Gegen diesen Beschluss ist die sofortige Beschwerde gem. § 793 ZPO zulässig (BGH ZInsO 2004, 391; Hmbk-InsO/Kuleisa § 89 Rz. 24). Es wäre verfahrensunökonomisch, nunmehr die Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichtes anzunehmen.
Funktionell zuständig beim Insolvenzgericht zur Entscheidung ist nicht der Rechtspfleger, sondern gem. § 20 Nr. 17 Satz 2 RPflG der Richter (BGH ZInsO 2004, 391; Hmbk-Kuleisa § 89 Rz. 21; a.A. noch AG Göttingen NZI 2000, 493).
Im vorliegenden Fall der Forderungspfändung ist neben dem Insolvenzverwalter auch der Drittschuldner befugt, Erinnerung einzulegen (HmbK-Kuleisa § 89 Rz. 18).
2)
Der Rechtsbehelf ist im Wesentlichen auch begründet.
a)
Ein Pfändungspfandrecht an Forderungen für den Zeitraum nach Eröffnung des Verfahrens ist nicht entstanden.
Während der Dauer des Insolvenzverfahrens ist die Zwangsvollstreckung für die Gläubigerin gem. § 89 Abs. 1 InsO unzulässig. Die Pfändung der Forderung erfolgte allerdings vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Neben bereits möglicherweise bestehenden Forderungen wurden gepfändet auch künftige Forderungen, die bei Zustellung des Pfändungsbeschlusses am 11.02.2005 an die Drittschuldnerin noch nicht entstanden waren.
An diesen zukünftigen Forderungen hat die Gläubigerin kein Recht auf abgesonderte Befriedung gem. § 50 Abs. 1 InsO erlangt. Ein Pfändungspfandrecht kann erst in dem Zeitpunkt wirksam werden, in dem die gepfändete Forderung tatsächlich entstanden ist. Entsteht die gepfändete Forderung erst nach Verfahrenseröffnung, erwirbt der Pfändungsgläubiger gem. § 91 InsO kein Absonderungsrecht mehr (BGHZInsO 2003, 372, 373[BGH 20.03.2003 - IX ZR 166/02]; BFH ZInsO 2005, 888, 889)[BFH 12.04.2005 - VII R 7/03]. Vergleichbares hat der BGH (BGHZInsO 2006, 708[BGH 11.05.2006 - IX ZR 247/03]) ausgesprochen für die Wirksamkeit von Verfügungen, aus denen Forderungen auf Vergütung gegen die kassenärztliche Vereinigung entstehen. Eine derartige Verfügung ist unwirksam, soweit sie sich auf Ansprüche bezieht, die auf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachten Leistungen beruht.
Mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens gem. § 289 Abs. 2 Satz 2 InsO fällt das durch die Eröffnung auf den Insolvenzverwalter übergegangene Recht zur Vermögensverwaltung und Verfügung gem. 80 Abs. 1 InsO zurück auf den Schuldner. Hat der Schuldner Restschuldbefreiung beantragt hat und wird diese - wie im vorliegenden Fall - angekündigt, gilt das Verbot des § 294 Abs. 1 InsO. Danach sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger in das Vermögen des Schuldners während der Laufzeit der Abtretungserklärung nicht zulässig. Das Vollstreckungsverbot gilt also fort. Wird die angekündigte Restschuldbefreiung gem. §§ 295 bis 298 InsO versagt, können Insolvenzgläubiger nicht mehr aus vor Verfahrenseröffnung erwirkten Titeln vollstrecken, sondern wegen der Aufzehrung dieser Titel nur aus der Tabelleneintragung (HK-InsO/Irschlinger § 201 Rz. 7).
An Forderungen des Schuldners gegen die Drittschuldnerin, die nach Erteilung der Restschuldbefreiung entstehen, kann ein Pfandrecht nicht mehr wirksam begründet werden. Die der Pfändung zugrunde liegende Forderung kann nicht mehr durchgesetzt werden, § 301 InsO. Handelt es sich um von der Restschuldbefreiung ausgenommene Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung ( § 302 Nr. 1 InsO) kann der Gläubiger nicht mehr aus einem vor Verfahrenseröffnung erwirkten Titel, sondern nur aus der Tabelleneintragung vollstrecken, da ein vorheriger Titel aufgezehrt wird (FK-InsO/Ahrens § 302 Rz. 19).
b)
Allerdings kann die Zwangsvollstreckung nicht für unzulässig erklärt werden, soweit Forderungen des Schuldners gepfändet wurden, die vor Beginn der Rückschlagsperre gem. § 88 InsO (28.06.2005) entstanden sind.
An diesen Forderungen steht dem Gläubiger ein Absonderungsrecht zu, aus dem er während des Insolvenzverfahrens gem. § 50 InsO Befriedigung verlangen kann.
Gleiches gilt für den Zeitraum während der Laufzeit der Abtretungserklärung. Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss aus § 301 Abs. 2 Satz 1 InsO. Wenn nach Erteilung der Restschuldbefreiung ein Recht, das im Insolvenzverfahren zur abgesonderten Befriedigung berechtigt, nicht berührt wird, so muss dies auch vor Erteilung der Restschuldbefreiung gelten.
Nach Erteilung der Restschuldbefreiung kann der Gläubiger den Schuldner zwar nicht mehr persönlich in Anspruch nehmen, er bleibt aber gem. § 301 Abs. 2 Satz 1 InsO berechtigt, Befriedigung aus dem Pfandrecht zu verlangen (sofern dieses vor Insolvenzeröffnung wirksam entstanden ist, § 88 InsO, oder nicht gegen § 114 InsO verstößt).
Da der Gläubiger somit jederzeit das Pfandrecht verwerten darf, kann die Zwangsvollstreckung für solche Pfändungen nicht für unzulässig erklärt werden; insoweit ist der Rechtsbehelf unbegründet.
c)
Im Zeitraum ab Beginn der Rückschlagsperre können Rechte an Forderungen des Schuldners nicht mehr begründet werden. Vorher erfolgte Pfändungen bleiben wirksam. Es besteht daher nicht die im Vollstreckungsrecht zu beachtende Gefahr eines Rangverlustes. Daher ist nicht nur die Einstellung angeordnet (§ 775 Nr. 1 a. E. ZPO), sondern die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt worden.